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ARBEITSRECHT AKTUELL // 06/17

LAG Schles­wig-Hol­stein: Frist­lo­se Kün­di­gung we­gen se­xu­el­ler Be­läs­ti­gung

Fort­ge­setz­te se­xu­el­le Be­läs­ti­gun­gen am Ar­beits­platz kön­nen den Job kos­ten: Lan­des­ar­beits­ge­richt Schles­wig-Hol­stein, Ur­teil vom 27.09.2006, 3 Sa 163/06
Rechte Hand mit roter Karte Se­xu­el­le Be­läs­ti­gun­gen sind kei­ne Lap­pa­li­en

13.10.2006. Se­xu­el­le Be­läs­ti­gun­gen von Ar­beits­kol­le­gin­nen oder Kol­le­gen sind ver­bo­ten und kön­nen in schwe­ren Fäl­len ei­ne au­ßer­or­dent­li­che Kün­di­gung des Be­läs­ti­gers nach sich zie­hen. Die­se kann je nach den Um­stän­den des Ein­zel­falls auch frist­los aus­ge­spro­chen wer­den.

Denn mit ei­ner se­xu­el­len Be­läs­ti­gung ver­stößt der Tä­ter ge­gen sei­ne ar­beits­ver­trag­li­che Ne­ben­pflich­ten.

So­weit so klar. Frag­lich ist im Ein­zel­fall aber im­mer wie­der, wie gra­vie­rend die Be­läs­ti­gung im Ein­zel­fall war und ob sie ei­ne so har­te Re­ak­ti­on wie ei­ne frist­lo­se Kün­di­gung recht­fer­tigt. Da­bei müs­sen Ar­beit­ge­ber und Ge­rich­te vor al­lem das Pro­blem lö­sen, dass die Be­läs­ti­gungs­vor­fäl­le um­strit­ten sind, d.h. der be­schul­dig­te Ar­beit­neh­mer strei­tet sie in der Re­gel ab oder ver­sucht, sie zu ba­ga­tel­li­sie­ren.

Trotz die­ser Be­weis­schwie­rig­kei­ten kön­nen fort­ge­setz­te se­xu­el­le Be­läs­ti­gung den Job kos­ten, wie ei­ne ak­tu­el­len Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts (LAG) Schles­wig-Hol­stein zeigt: LAG Schles­wig-Hol­stein, Ur­teil vom 27.09.2006, 3 Sa 163/06.

Wann recht­fer­tigt ei­ne se­xu­el­le Belästi­gung ei­ne frist­lo­se Kündi­gung und wie weist man sie nach?

Ent­schließt sich der Ar­beit­ge­ber we­gen (mehr­fa­cher und/oder gra­vie­ren­der) se­xu­el­ler Belästi­gun­gen am Ar­beits­platz zu ei­ner außer­or­dent­li­chen Künd­gung, stützt er sich recht­lich auf § 626 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB), denn der­ar­ti­ge Belästi­gun­gen sind ein "wich­ti­ger Grund" für ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung.

In tatsäch­li­cher Hin­sicht stützt er sich prak­tisch im­mer auf strei­ti­ge An­schul­di­gun­gen des oder der Be­trof­fe­nen, denn die be­schul­dig­ten Ar­beit­neh­mer wei­sen al­le Vorwürfe prak­tisch im­mer entrüstet von sich.

So et­was läuft nach Aus­spruch ei­ner Kündi­gung und im Fal­le ei­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge vor Ge­richt auf ei­ne Be­weis­auf­nah­me hin­aus, d.h. das Ge­richt ver­nimmt die­je­ni­gen Ar­beit­neh­mer(in­nen), die die zur Kündi­gung führen­den Be­schul­di­gun­gen er­ho­ben ha­ben, als Zeu­gen bzw. Zeu­gin­nen.

Dass dann "Aus­sa­ge ge­gen Aus­sa­ge" steht, ist ent­ge­gen ei­ner ver­brei­te­ten Mei­nung we­ni­ger das we­sent­li­che Pro­blem. Pro­ble­ma­tisch ist viel­mehr in den meis­ten Fällen, über wel­che "Aus­sa­gen" sich das Ge­richt ei­gent­lich Ge­dan­ken ma­chen soll.

Denn wenn es z.B. heißt, der gekündig­te Ar­beit­neh­mer ha­be "se­xu­el­le Belästi­gun­gen verübt", er ha­be sich "im­mer wie­der in anzügli­cher Wei­se geäußert" oder ei­ne Kol­le­gin "vor et­wa zwei Mo­na­ten be­grapscht", dann sind sol­che Be­haup­tun­gen zu un­ge­nau, als dass sie das Ge­richt über­haupt zur Grund­la­ge ei­ner Zeu­gen­ver­neh­mung ma­chen könn­te.

Im Ju­ris­ten­deutsch wer­den sol­che Be­haup­tun­gen als "un­sub­stan­ti­iert" be­zeich­net. Wich­tig ist da­her vor Aus­spruch der Kündi­gung und natürlich auch im Kündi­gungs­schutz­pro­zess vor Ge­richt, die Vorwürfe kla­rer ein­zu­gren­zen, d.h. ein­zel­ne Vorfälle ge­nau zu schil­dern und da­bei Tag und Uhr­zeit an­zu­ge­ben.

Der Streit­fall: 54jähri­ger Fa­mi­li­en­va­ter wird von zwei Kol­le­gin­nen der fort­ge­setz­ten se­xu­el­len Belästi­gung be­schul­digt

Ein 54 Jah­re al­ter und drei Kin­dern un­ter­halts­pflich­ti­ger Ar­beit­neh­mer war bei der be­klag­ten Stadt be­reits seit über 33 Jah­ren beschäftigt und auf­grund ta­rif­li­cher Vor­schrif­ten für den öffent­li­chen Dienst or­dent­lich unkünd­bar.

Er wur­de von ei­ner ihm un­ter­stell­ten Ar­beits­kol­le­gin - der Zeu­gin S. - der fort­ge­setz­ten se­xu­el­len Belästi­gung be­schul­digt. Die S. warf dem Ar­beit­neh­mer vor, ge­gen ih­ren aus­drück­li­chen Wil­len fol­gen­des ge­tan zu ha­ben:

  • Er soll sie am Oberkörper und am Bu­sen berührt ha­ben.
  • Er soll ver­sucht ha­ben, mit ihr in anzügli­cher Wei­se über se­xu­el­le The­men zu spre­chen.
  • Er soll ihr por­no­gra­phi­sche Fo­tos sei­ner der­zei­ti­gen Le­bens­gefähr­tin vor­ge­legt und Frau S. ge­fragt ha­ben, ob er auch von ihr sol­che Fo­tos an­fer­ti­gen sol­le.
  • Er soll mit ihr über se­xu­el­le Aben­teu­er mit an­de­ren Frau­en im Be­trieb ge­spro­chen ha­ben.

Da­zu wur­de der Ar­beit­neh­mer vom Ar­beit­ge­ber an­gehört und so­dann nach ent­spre­chen­der Be­tei­li­gung des Per­so­nal­rats aus wich­ti­gem Grun­de frist­los gekündigt.

We­ni­ge Wo­chen nach­dem der Kläger hier­ge­gen Kündi­gungs­schutz­kla­ge er­ho­ben hat­te, be­schul­dig­te ei­ne wei­te­re dem Kläger un­ter­stell­te Mit­ar­bei­te­rin - die Zeu­gin P. - ihn eben­falls der fort­ge­setz­ten se­xu­el­len Belästi­gung. Sie warf dem Ar­beit­neh­mer fol­gen­des vor:

  • Er soll sie im Ok­to­ber 2004 mit se­xu­el­lem Hin­ter­grund ge­zielt körper­lich be­drängt ha­ben.
  • Er soll sie im Mai 2005 auf ei­nem Dienst­gang vor ei­ner Bank durch ge­ziel­tes Berühren ih­rer Brust belästigt ha­ben.
  • Er soll sie über Jah­re hin­weg im­mer wie­der min­des­tens seit 1996 im Rah­men ih­rer Tätig­keit im Schreibbüro durch se­xu­ell be­stimm­te körper­li­che Berührun­gen und Be­mer­kun­gen se­xu­el­len In­halts trotz er­kenn­ba­rer Ab­leh­nung belästigt ha­ben.

Dar­auf­hin führ­te die be­klag­te Stadt das glei­che Pro­ze­de­re noch­mals durch, d.h. sie hörte den be­schul­dig­ten Ar­beit­neh­mer ab, be­frag­te die weib­li­chen Be­trof­fe­nen, be­tei­lig­te den Per­so­nal­rat kündig­te den Ar­beit­neh­mer er­neut frist­los.

Das Ar­beits­ge­richt Elms­horn ent­schied nach Zeu­gen­ver­neh­mung für den gekündig­ten Ar­beit­neh­mer, d.h. es erklärte die bei­den strei­ti­gen Kündi­gung für un­wirk­sam. Denn es sah nur ei­ne ein­zi­ge - wenn auch gra­vie­ren­de - se­xu­el­le Belästi­gung als ge­ge­ben an. Die an­de­ren Vorwürfe be­wer­te­te es als zu we­nig "sub­stan­ti­iert". Un­ter Berück­sich­ti­gung der or­dent­li­chen Unkünd­bar­keit des Klägers, sei­ner langjähri­gen Be­triebs­zu­gehörig­keit so­wie sei­ner Un­ter­halts­ver­pflich­tung ge­genüber drei min­derjähri­gen Kin­dern sah es die strei­ti­gen Kündi­gun­gen als un­verhält­nismäßig an.

LAG Schles­wig-Hol­stein weist Kündi­gungs­schutz­kla­ge auf­grund kon­kre­ter Schil­de­run­gen nach Be­weis­auf­nah­me ab

Das LAG hob die Ent­schei­dung des Ar­beits­ge­richts auf und gab dem Ar­beit­ge­ber recht. Da­bei stütz­te sich das Lan­des­ar­beits­ge­richt auch auf die Aus­sa­gen der (erst­mals vor dem LAG ver­nom­me­nen) zwei­ten Be­trof­fe­nen, der Zeu­gin P.

Nach An­sicht des LAG war das Vor­brin­gen der be­klag­ten Stadt bezüglich der von der Zeu­gin P. er­ho­be­nen Vorwürfe genügend kon­kret bzw. "hin­rei­chend sub­stan­ti­iert". Die Zeu­gin P. hat nämlich zwei kon­kre­te Vorfälle zeit­lich ein­ge­grenzt, ei­nen Vor­fall in der Küche im sechs­ten Stock im Ok­to­ber 2004 und ei­nen Vor­fall im Stadt­zen­trum vor ei­ner Bank im Mai 2005.

Nach Mei­nung des LAG wa­ren noch kon­kre­te­re Zeit­an­ga­ben nicht nötig. Die bei­den Vorfälle und ih­re Rah­men­be­din­gun­gen wur­den im De­tail ge­schil­dert, so daß es sich um ei­nen kon­kret über­prüfba­ren, klar ein­ge­grenz­ten Tat­sa­chen­vor­trag han­del­te. Hier­zu heißt es in dem LAG-Ur­teil:

"Körper­li­che Berührun­gen wer­den oft­mals erst dann zu ei­ner se­xu­el­len Belästi­gung, wenn gespürt wird, dass der ge­such­te Körper­kon­takt nicht nur zufällig war; von den Ört­lich­kei­ten her unnötig und ge­wollt dis­tanz­los ist; sich ge­zielt wie­der­holt. Nie­mand merkt sich in­so­weit das Da­tum und die Uhr­zeit. Es prägt sich viel­mehr die je­wei­li­ge Si­tua­ti­on ein. Auf die­se kommt es bei der­ar­ti­gen Fall­kon­stel­la­tio­nen ent­schei­dend an. Die gilt es de­tail­liert zu be­schrei­ben, um Vor­brin­gen sub­stan­ti­iert dar­zu­stel­len und ein­las­sungsfähig zu ma­chen. Das ist vor­lie­gend ge­sche­hen."

Da­her hat das LAG durch Ver­neh­mung der Zeu­gin P. Be­weis über die Be­haup­tung der be­klag­ten Stadt er­ho­ben, der Kläger ha­be die Zeu­gin P. im Ok­to­ber 2004 in der Küche und im Mai 2005 auf ei­nem Dienst­gang vor ei­ner Bank so­wie über Jah­re hin­weg während ih­rer Tätig­keit als Schreib­kraft im Schreib­dienst ge­gen ih­ren Wil­len se­xu­ell belästigt. Die­se Be­weis­auf­nah­me hat­te fol­gen­des Er­geb­nis:

"Nach dem Er­geb­nis der zweit­in­stanz­li­chen Be­weis­auf­nah­me steht zur Über­zeu­gung der Be­ru­fungs­kam­mer fest, dass der Kläger die Zeu­gin P. im Ok­to­ber 2004 mit se­xu­el­lem Hin­ter­grund ge­zielt körper­lich be­drängelt hat, dass er sie des wei­te­ren im Mai 2005 auf ei­nem Dienst­gang ih­rer­seits vor der ...Bank durch ge­ziel­tes Berühren ih­rer Brust se­xu­ell belästigt hat, und dass er sie darüber hin­aus über Jah­re hin­weg min­des­tens bis 1996 im Rah­men ih­rer Tätig­keit im Schreibbüro durch se­xu­ell be­stimm­te körper­li­che Berührun­gen und Be­mer­kun­gen se­xu­el­len In­halts trotz er­kenn­ba­rer Ab­leh­nung im­mer wie­der belästigt hat."

Fa­zit: Ei­ne ein­ma­li­ge se­xu­el­le Belästi­gung kann ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung in al­ler Re­gel recht­fer­ti­gen. Wie­der­ho­lungstäter müssen da­ge­gen mit ei­ner frist­lo­sen Kündi­gung rech­nen, auch wenn sie auf­grund lan­ger Be­triebs­zu­gehörig­keit ta­rif­lich unkünd­bar sind. Da­bei müssen die belästig­ten Ar­beit­neh­mer(in­nen) kei­nes­wegs al­le Belästi­gungs­vorfälle nach Da­tum und Uhr­zeit ex­akt wie­der­ge­ben, und das muss auch der be­klag­te Ar­beit­ge­ber vor Ge­richt nicht tun. Viel­mehr ist es wich­tig, die Vorfälle selbst kon­kret zu be­schrei­ben, d.h. die Si­tua­ti­on(en) selbst und ih­re Be­son­der­hei­ten.

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Letzte Überarbeitung: 16. Oktober 2017

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