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ARBEITSRECHT AKTUELL // 17/261

Se­xu­el­le Be­läs­ti­gung auch oh­ne se­xu­el­le Mo­ti­va­ti­on

Be­läs­ti­gen­des Grab­schen am Ar­beits­platz setzt kei­ne se­xu­el­len Ab­sich­ten des Tä­ters vor­aus: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 29.06.2017, 2 AZR 302/16
Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz

13.10.2017. Wer ei­ne Ar­beits­kol­le­gin (oder ei­nen Kol­le­gen) mas­siv und/oder wie­der­holt se­xu­ell be­läs­tigt, muss mit ei­ner au­ßer­or­dent­li­chen und in der Re­gel frist­los aus­ge­spro­che­nen Kün­di­gung rech­nen. 

Grund­la­ge ei­ner sol­chen Kün­di­gung ist § 626 Bür­ger­li­ches Ge­setz­buch (BGB), wo­nach ei­ne frist­lo­se Kün­di­gung auch nach lan­ger Be­schäf­ti­gungs­dau­er mög­lich ist, wenn es da­für ei­nen "wich­ti­gen Grund" gibt. Und da der Ar­beit­ge­ber se­xu­ell be­läs­tig­te Ar­beit­neh­mer(in­nen) vor wei­te­ren Über­grif­fen ge­mäß § 12 Abs.3 All­ge­mei­nes Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) ef­fek­tiv schüt­zen muss, not­falls auch durch ei­ne Kün­di­gung des Tä­ters, kön­nen se­xu­el­le Be­läs­ti­gun­gen ei­ne frist­lo­se Kün­di­gung im Prin­zip recht­fer­ti­gen.

Wie ein ak­tu­el­les Ur­teil des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) zeigt, muss ei­ne se­xu­el­le Be­läs­ti­gung nicht not­wen­dig mit ei­ner ei­ge­nen se­xu­el­len Ab­sicht des be­läs­ti­gen­den Ar­beit­neh­mers ver­bun­den sein. Auch ein "scherz­haf­ter" Griff in die Weich­tei­le ei­nes männ­li­chen Kol­le­gen kann ei­ne so mas­si­ve se­xu­el­le Be­läs­ti­gung dar­stel­len, dass ei­ne frist­lo­se Kün­di­gung trotz lan­ger Be­triebs­zu­ge­hö­rig­keit an­ge­mes­sen er­scheint: BAG, Ur­teil vom 29.06.2017, 2 AZR 302/16.

Liegt ei­ne se­xu­el­le Belästi­gung auch dann vor, wenn sich der Han­deln­de nur ei­nen (schlech­ten) Scherz er­laubt?

Was ei­ne se­xu­el­le Belästi­gung ist, wird in § 3 Abs.4 AGG de­fi­niert. Da­nach liegt ei­ne se­xu­el­le Belästi­gung vor, wenn

  • un­erwünsch­te
  • se­xu­ell be­stimm­te Berührun­gen oder
  • Be­mer­kun­gen se­xu­el­len In­halts
  • "be­zwe­cken oder be­wir­ken", dass die Würde des Be­trof­fe­nen ver­letzt wird.

Se­xu­ell "be­stimmt" sind Berührun­gen si­cher­lich dann, wenn sie vom Han­deln­den auch so ge­meint sind, wie das beim ty­pi­schen Hin­tern- oder Bu­sen­grab­schen der Fall ist. Fällt dann noch ei­ne ent­spre­chen­de Be­mer­kung, ist der Fall klar.

Aber wie ist es, wenn der Han­deln­de mit ei­ner Berührung in­ti­mer Stel­len des Körpers ei­ner Kol­le­gin oder ei­nes Kol­le­gen "nur" ei­nen (schlech­ten) Scherz ma­chen möch­te? Liegt dann kei­ne se­xu­el­le Belästi­gung vor, so z.B. dann, wenn ein Kol­le­ge ei­nen an­de­ren plötz­lich von hin­ten in die Ge­ni­ta­li­en kneift?

Im Streit: Langjährig beschäftig­ter Me­tall­ar­bei­ter greift Leih­ar­beits-Kol­le­gen von hin­ten in den Schritt

Im Streit­fall ging es um ei­nen 44-jähri­gen ge­werb­li­chen Ar­bei­ter, der seit 23 Jah­ren in ei­nem großen me­tall­ver­ar­bei­ten­den Un­ter­neh­men ar­bei­te­te und drei Kin­dern zum Un­ter­halt ver­pflich­tet war. Er kniff am 22.10.2014 während der Ar­beit ei­nen Leih­ar­beits-Kol­le­gen oh­ne ir­gend­ei­nen An­lass von hin­ten in die Ho­den. Auf die er­schro­cke­ne Re­ak­ti­on des miss­han­del­ten Kol­le­gen hin äußer­te er sinn­gemäß "Du hast aber di­cke Ei­er. Will noch je­mand?".

Auf­grund die­ses Vor­falls erklärte der Ar­beit­ge­ber An­fang No­vem­ber 2014 die frist­lo­se Kündi­gung und kurz dar­auf ei­ne hilfs­wei­se or­dent­li­che Kündi­gung (für den Fall, dass die frist­lo­se Kündi­gung un­wirk­sam sein soll­te).

Der Ar­beit­neh­mer er­hob Kündi­gungs­schutz­kla­ge, die das Ar­beits­ge­richt Bre­men-Bre­mer­ha­ven ab­wies, da es die strei­ti­ge frist­lo­se Kündi­gung für rech­tens hielt (Ur­teil vom 23.04.2015, 5 Ca 5261/14). Das für die Be­ru­fung zuständi­ge Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Bre­men sah das an­ders und gab der Kla­ge statt (LAG Bre­men, Ur­teil vom 16.12.2015, 3 Sa 60/15). Be­gründung des LAG: Das Ver­hal­ten des Klägers stell­te zwar an sich ei­nen wich­ti­gen Grund für ei­ne außer­or­dent­li­che Kündi­gung dar, doch war die­se Maßnah­me hier letzt­lich un­verhält­nismäßig, so je­den­falls die Bre­mer Rich­ter. Ei­ne Ab­mah­nung hätte als Re­ak­ti­on aus­ge­reicht.

Denn ob­wohl der Kläger vor Ge­richt den ziel­ge­rich­te­ten Griff an die Ge­schlechts­tei­le des Kol­le­gen be­stritt, hielt ihm das LAG zu­gu­te, dass er bei sei­nem Überg­riff "sub­jek­tiv nicht in dem Be­wusst­sein han­del­te, hier­durch ei­ne se­xu­el­le Belästi­gung zu be­ge­hen" (LAG Bre­men, Ur­teil vom 16.12.2015, 3 Sa 60/15, S.22 f.).

BAG: Grab­schen am Ar­beits­platz setzt kei­ne se­xu­el­len Ab­sich­ten des Täters vor­aus

Das BAG ließ zunächst die Re­vi­si­on des Ar­beit­ge­bers nachträglich zu, nach­dem das LAG ent­schie­den hat­te, dass der Fall nicht vor das BAG gehöre. Die Re­vi­si­on ging dann zwar zu­guns­ten des Ar­beit­ge­bers aus, doch erklärte das BAG die Kündi­gung nicht endgültig für rech­tens, son­dern ver­wies den Fall zurück zum LAG.

Denn auf der Grund­la­ge der vom LAG vor­ge­nom­me­nen Aufklärung des Fal­les steht der­zeit noch nicht fest, ob die strei­ti­ge Kündi­gung wirk­sam war oder nicht. Je­den­falls aber wa­ren die Ur­teils­gründe des LAG recht­lich ne­ben der Spur, so die Kri­tik des BAG.

Die Bre­mer Rich­ter hat­ten dem gekündig­ten Ar­beit­neh­mer nämlich oh­ne aus­rei­chen­de Tat­sa­chen­grund­la­ge ei­ne nicht-se­xu­el­le Mo­ti­va­ti­on zu­gu­te ge­hal­ten und ihm "ein si­tua­ti­ves un­re­flek­tier­tes Ver­hal­ten" at­tes­tiert (LAG Bre­men, Ur­teil vom 16.12.2015, 3 Sa 60/15, S.23). Die­se Täter-Ver­ste­he­rei ma­chen die Er­fur­ter Rich­ter nicht mit. Denn ers­tens kann ei­ne se­xu­el­le Belästi­gung im Sin­ne von § 3 Abs.4 AGG auch oh­ne ei­ge­ne se­xu­el­le Mo­ti­ve verübt wer­den, und zwei­tens gab es hier gar kei­ne Tat­sa­chen­grund­la­ge für ir­gend­wel­che Ver­mu­tun­gen über die Mo­ti­ve des gekündig­ten Übeltäters (BAG, Ur­teil vom 29.06.2017, 2 AZR 302/16, S.10 f.). Denn der hat­te vor Ge­richt stur be­haup­tet, er ha­be sei­nen Kol­le­gen nur flüch­tig und un­ab­sicht­lich am Gesäß berührt. Dem­ent­spre­chend konn­te er sich gar nicht zu der Fra­ge äußern, aus wel­chen Gründen er sei­nem Kol­le­gen in die Ho­den ge­knif­fen hat­te.

Fa­zit: Wer ab­sicht­lich die Ge­schlechts­tei­le ei­nes Kol­le­gen oder ei­ner Kol­le­gin berührt, nimmt im­mer ei­ne "se­xu­ell be­stimm­te" Berührung im Sin­ne von § 3 Abs.4 AGG vor. Denn da­bei han­delt es sich im­mer um ei­nen Ein­griff in die körper­li­che In­tim­sphäre des oder der Be­trof­fe­nen. Da­bei kommt es nicht dar­auf an, aus wel­chen Mo­ti­ven die Berührung vor­ge­nom­men wur­de, d.h. ob hier ei­ne se­xu­el­le Mo­ti­va­ti­on vor­liegt oder nicht (wie an­schei­nend hier im Streit­fall).

Für den gekündig­ten Ar­beit­neh­mer wäre der Fall wohl we­ni­ger dra­ma­tisch ver­lau­fen, wenn er den Überg­riff frühzei­tig zu­ge­ge­ben und sich bei dem be­trof­fe­nen Kol­le­gen ent­schul­digt hätte. Hätte der Ar­beit­ge­ber dann trotz­dem gekündigt, hätte er es an­ge­sichts ei­ner 23-jähri­gen Beschäfti­gungs­dau­er und ei­ner re­umüti­gen Hal­tung des Übeltäters schwe­rer ge­habt, die Kündi­gung vor Ge­richt zu ver­tei­di­gen. Das folgt aus dem Grund­satz­ur­teil des BAG aus dem Jah­re 2010 im Fall "Em­me­ly" (Ur­teil vom 10.06.2010, 2 AZR 541/09).

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Letzte Überarbeitung: 28. Juni 2020

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