HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 08/088

Männ­li­che Er­zie­her im Mäd­chen­in­ter­nat?

Die ge­ziel­te Su­che nach Er­zie­he­rin­nen für ein Mäd­chen­in­ter­nat ist kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung männ­li­cher Be­wer­ber: Lan­des­ar­beits­ge­richt Rhein­land-Pfalz, Ur­teil vom 20.03.2008, 2 Sa 51/08
Symbol Herren-WC Damen-WC Für wel­che Ar­beits­auf­ga­ben ist das Ge­schlecht heu­te noch not­wen­di­ge Vor­aus­set­zung?

01.08.2008. Män­ner und Frau­en sind für be­stimm­te Ar­beits­auf­ga­ben nicht in glei­cher Wei­se ge­eig­net. Ein Grund kann das Scham­ge­fühl der Kun­den sein, die sich schä­men wür­den, wür­den sie von ei­nem ei­nem Mann bzw. von ei­ner Frau be­dient.

Sol­che Kun­den­wün­sche bwz. "cust­o­m­er pre­fe­ren­ces" sind ein an­er­kann­ter Sach­grund da­für, bei der Stel­len­be­set­zung nur nach Män­nern bzw. nur nach Frau­en Aus­schau zu hal­ten, d.h. ei­ne nicht ge­schlechts­neu­tra­le Stel­len­aus­schrei­bung und/oder Stel­len­be­set­zung ist dann kei­ne ver­bo­te­ne Dis­kri­mi­nie­rung.

In ei­nem ak­tu­el­len Fall des Lan­des­ar­beits­ge­richts (LAG) Rhein­land-Pfalz ging es um sol­che Kun­den­wün­sche, wo­bei die "Kun­den" hier die Mäd­chen ei­nes Mäd­chen­in­ter­nats wa­ren und die zu be­set­zen­de Stel­le die ei­nes be­treu­en­den Päd­ago­gen, der im In­ter­nat zu woh­nen und die Mäd­chen auch in Wasch- und Schlaf­räu­men zu be­treu­en hat­te: LAG Rhein­land-Pfalz, Ur­teil vom 20.03.2008, 2 Sa 51/08.

Darf der Be­trei­ber ei­nes Mädchen­in­ter­nats für ei­ne Er­zie­her­stel­le nur Frau­en su­chen?

Die Vor­schrif­ten des All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­set­zes (AGG) ver­bie­ten un­ter an­de­rem Dis­kri­mi­nie­rung aus Gründen des Ge­schlechts (§ 1 AGG), ins­be­son­de­re bei der Ein­stel­lung von Ar­beit­neh­mern (§ 2 AGG, § 7 AGG). Zu be­set­zen­de Ar­beitsplätze müssen da­her grundsätz­lich ge­schlechts­neu­tral aus­ge­schrie­ben wer­den (§ 11 AGG), da an­sons­ten be­reits die Aus­schrei­bug ei­ne ver­bo­te­ne Be­nach­tei­li­gung dar­stellt.

Da­ge­gen ist ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen des Ge­schlechts bei der Ein­stel­lung von Ar­beit­neh­mern und bei der Stel­len­aus­schrei­bung aus­nahms­wei­se zulässig, wenn das Ge­schlecht we­gen der Art der aus­zuüben­den Tätig­keit oder der Be­din­gun­gen ih­rer Ausübung ei­ne we­sent­li­che und ent­schei­den­de be­ruf­li­che An­for­de­rung dar­stellt, so­fern der Zweck rechtmäßig und die An­for­de­rung an­ge­mes­sen ist (§ 8 Abs.1 AGG).

All­ge­mein an­er­kannt ist da­bei im Prin­zip, dass von ei­ner „we­sent­li­chen und ent­schei­den­den be­ruf­li­che An­for­de­rung“ nur dann die Re­de sein kann, wenn das vom Ar­beit­ge­ber bei der Ein­stel­lung erwünsch­te bzw. zur Ein­stel­lungs­be­din­gung ge­mach­te Ge­schlecht un­ver­zicht­bar für die Ausübung der Tätig­keit ist, da man an­sons­ten in der Ge­fahr wäre, al­le „vernünf­ti­gen“ Sach­gründe von Ar­beit­ge­bern für die Be­vor­zu­gung des ei­nen oder an­de­ren Ge­schlechts recht­lich ab­zu­seg­nen. Und ge­nau das soll nicht pas­sie­ren, da das recht­li­che Ver­bot der ge­schlechts­be­zo­ge­nen Dis­kri­mi­nie­rung an­sons­ten kei­ne Verände­run­gen im Ar­beits­le­ben be­wir­ken würde.

Fak­tisch oder recht­lich un­ver­zicht­ba­re Vor­aus­set­zung ist das ei­ne oder an­de­re Ge­schlecht im­mer dann, wenn der Ein­satz ei­nes Be­wer­bers mit dem „fal­schen“ Ge­schlecht aus tatsächli­chen oder recht­li­chen Gründen unmöglich wäre. Fälle die­ser Art (männ­li­che Ani­mier­da­me, weib­li­cher Spie­ler ei­ner Männ­er­fußball­mann­schaft) sind zwar ein­deu­tig, dafür aber lei­der eher sel­ten.

Strei­tig und in der Be­wer­tung hei­kel sind da­ge­gen die weit­aus häufi­ge­ren Fälle, in de­nen be­stimm­te, ziem­lich kla­re „Vor­lie­ben“ der Kun­den des Ar­beit­ge­bers be­ste­hen, die zum Bei­spiel in der Oper nun ein­mal ger­ne ei­ne Frau als Be­set­zung der weib­li­chen Haupt­rol­le se­hen würden oder et­wa (jun­ge) Männer und kei­ne (älte­ren) Frau­en bei der Präsen­ta­ti­on ei­ner Her­ren­mo­de­kol­lek­ti­on.

Auf der ei­nen Sei­te ist in sol­chen Fällen zwar be­greif­lich, dass und war­um der Ar­beit­ge­ber sehr ger­ne ei­nen Be­wer­ber mit dem „pas­sen­den“ Ge­schlecht ha­ben möch­te. An­de­rer­seits bleibt stets die Ge­fahr, dass die ge­ge­be­nen (oder nur be­haup­te­ten?) „cust­o­m­er pre­fe­ren­ces“ zu ei­ner dau­er­haf­ten Ver­fes­ti­gung ge­schlechts­be­zo­ge­ner Vor­ur­tei­le führen, d.h. ge­nau zu der Art von Be­nach­tei­li­gung, die das AGG ab­bau­en möch­te.

Über ei­nen sol­chen Fall der cust­o­m­er pre­fe­ren­ces hat­te das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Rhein­land-Pfalz mit Ur­teil vom 20.03.2008 (2 Sa 51/08) zu ent­schei­den.

Der Streit­fall: In ei­ner Stel­len­aus­schrei­bung wird für ein Mädchen­in­ter­nat ei­ne "Er­zie­he­rin" ge­sucht

Der Kläger, ein Di­plom-So­zi­alpädago­ge, be­warb sich im Mai 2007 um die öffent­lich aus­ge­schrie­ben Stel­le ei­ner Er­zie­he­rin in ei­nem vom Land Rhein­land-Pfalz ge­tra­ge­nen Mädchen­in­ter­nat. In der nicht ge­schlechts­neu­tral ge­hal­te­nen Stel­len­aus­schrei­bung hieß es un­ter an­de­rem:

„Wir su­chen ei­ne Er­zie­he­rin/Sport­leh­re­rin/So­zi­alpädago­gin, die be­reit ist, Haus­auf­ga­ben­be­treu­ung zu über­neh­men und das sport­li­che so­wie das Frei­zeit­an­ge­bot für un­se­re In­ter­natsschüle­rin­nen und -schüler (Bas­ket­ball, Vol­ley­ball, Bad­min­ton, Gym­nas­tik, Tanz, Out­door-Sport­ar­ten) durch­zuführen und zu ergänzen. Die Schu­le verfügt über ei­ne Sport­hal­le, ein Schwimm­bad und ei­nen Sport­platz."

Der Kläger be­warb sich auf die­se Stel­le und er­hielt ei­ne Ab­sa­ge. Die­se wur­de da­mit be­gründet, die neue Stel­len­in­ha­be­rin müsse auch Nacht­dienst im Mädchen­in­ter­nat leis­ten. Da­her könn­ten bei der Be­set­zung der aus­ge­schrie­be­nen Stel­le aus­sch­ließlich weib­li­che Be­wer­ber berück­sich­tigt wer­den.

Der Kläger ver­klag­te dar­auf­hin das Land Rhein­land-Pfalz auf Zah­lung von 2,5 Mo­nats­gehältern Gel­dentschädi­gung für die von ihm aus sei­ner Sicht er­lit­te­ne ge­schlechts­be­zo­ge­ne Dis­kri­mi­nie­rung bei der Ein­stel­lung.

Das in ers­ter In­stanz an­ge­ru­fe­ne Ar­beits­ge­richt Trier gab der Kla­ge un­ter Ver­weis auf § 15 Abs.2 AGG statt (Ur­teil vom 21.11.2007, 1 Ca 1288/07). Zur Be­gründung stütz­te es sich auf die Über­le­gung, die Schu­le könn­te den Kläger so zum Schicht­dienst ein­tei­len, dass er sei­ne Nach­diens­te nur in dem (zur sel­ben Schu­le gehören­den) Jun­gen­in­ter­nat ve­rich­ten müss­te.

Da­ge­gen rich­te­te sich die Be­ru­fung des be­klag­ten Lan­des.

LAG Rhein­land-Pfalz: Da die Mädchen auch in Schlaf- und Waschräum­en be­treut wer­den müssen, darf das In­ter­nat männ­li­che Be­wer­ber aus­sch­ließen

Das LAG Rhein­land-Pfalz hob das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Trier auf, d.h. es ent­schied zu­guns­ten des be­klag­ten Lan­des. Zur Be­gründung heißt es:

Die durch Zeu­gen­ver­neh­mung vom LAG durch­geführ­te Be­weis­auf­nah­me ha­be er­ge­ben, dass ab dem späte­ren Abend und nachts nur noch ei­ne pädago­gi­sche Kraft pro Mädchen- bzw. Jun­gen­in­ter­nat im Haus sei. Die im Mädchen-In­ter­nat woh­nen­den Mädchen sei­en zwi­schen 13 und 22 Jah­re alt. Auf­ga­be des Nacht­diens­tes sei es, für Licht­schluss und Nacht­ru­he zu sor­gen, wo­bei zu kon­trol­lie­ren sei, ob al­le Mädchen im Zim­mer sei­en. Da­zu sei ei­ne Be­ge­hung der Zim­mer er­for­der­lich, ggf. auch ein Auf­su­chen der Dusch­zo­nen bzw. Sa­nitärein­rich­tun­gen, wenn sich ein Mädchen nicht in ih­rem Zim­mer be­fin­de. Mor­gens beim Auf­we­cken sei es er­for­der­lich, dass die Er­zie­he­rin­nen in die ein­zel­nen Zim­mer gin­gen, um nach dem rech­ten zu se­hen und um ggf. noch schla­fen­de Mädchen zu we­cken.

Die Mädchen be­weg­ten sich zum Auf­su­chen der Du­schen im Nacht­hemd und kämen häufig mit um­ge­schlun­ge­nen Hand­tuch in die Zim­mer zurück. Im Krank­heits­fall kümme­re sich die Er­zie­he­rin um sie und ent­schei­de, wel­che Maßnah­men an­ge­bracht sei­en. Je­de Er­zie­he­rin ha­be ihr Zim­mer im Mädchen­haus. In die­sen Zim­mern hiel­ten sich die Er­zie­he­rin­nen auch während des Nacht­dienst auf, so dass sie je­der­zeit für An­fra­gen zu er­rei­chen sei­en, et­wa wenn nachts ein Krank­heits­fall auf­tre­te. In den Er­zie­he­rin­nen­zim­mern be­fin­det sich ei­ne Wasch­ge­le­gen­heit und ei­ne Toi­let­te, aber kei­ne Du­sche. Die­se müsse in der Ge­mein­schafts­ein­rich­tung mit­be­nutzt wer­den.

Vor dem Hin­ter­grund die­ser vom LAG er­mit­tel­ten tatsächli­chen Umstände sei das weib­li­che Ge­schlecht zwar kei­ne tatsächlich bzw. bio­lo­gisch un­ver­zicht­ba­re Vor­aus­set­zung für die Tätig­keit als Er­zie­her bzw. Er­zie­he­rin, doch lie­ge hier Un­ver­zicht­bar­keit im wei­te­ren Sin­ne vor, da der Kläger ei­nen großen Teil der für Er­zie­her bzw. Er­zie­he­rin­nen im Mädchen­in­ter­nat an­fal­len­den Auf­ga­ben nur schlech­ter ausüben könne als weib­li­che Kräfte. Letzt­lich lag da­mit ei­ne er­laub­te Be­nach­tei­li­gung männ­li­cher Stel­len­be­wer­ber vor.

Die ge­rin­ge­re Eig­nung bzw. zu er­war­ten­de Min­der­leis­tung des Klägers sei zwar re­flek­tiert durch die von der pädago­gi­schen Kraft zu be­treu­en­den Schüle­rin­nen, aber den­noch primär bio­lo­gisch be­dingt. Hier wer­de die Scham ge­genüber dem an­de­ren Ge­schlecht re­le­vant. Die­ses Scham­gefühl sei nicht als Vor­ur­teil ge­gen das an­de­re Ge­schlecht zu be­wer­ten, son­dern als ein Gefühl, das trotz sei­ner ge­sell­schaft­lich For­mung bio­lo­gisch be­gründet sei.

Fa­zit: Dem LAG Rhein­land-Pfalz ist im Er­geb­nis und in der Be­gründung zu­zu­stim­men. Führt das An­stands- oder Scham­gefühl der vom ein­zu­stel­len­den Ar­beit­neh­mer zu be­treu­en­den Kun­den des Ar­beit­ge­bers da­zu, dass die­se die Be­treu­ung durch ei­nen ge­gen­ge­schlecht­li­chen An­sprech­part­ner nicht oder nur wi­der­wil­lig ak­zep­tie­ren würden, darf der Ar­beit­ge­ber bei der Ein­stel­lung Be­wer­ber mit dem „nicht pas­sen­den“ Ge­schlecht un­berück­sich­tigt las­sen bzw. be­nach­tei­li­gen. Das ist kei­ne ver­bo­te­ne ge­schlechts­be­zo­ge­ne Dis­kri­mi­nie­rung, denn da­zu be­rech­tigt § 8 AGG.

So kann der Be­trei­ber ei­nes Da­men­mo­de­geschäftes männ­li­che Be­wer­ber je­den­falls dann bei der Be­set­zung von Verkäufer­stel­len zurück­wei­sen, wenn es um den Ver­kauf von Un­ter- oder Ba­dewäsche geht. Um­ge­kehrt kann auch ein Si­cher­heits­un­ter­neh­men Mit­ar­bei­ter, die aus­sch­ließlich bei der Per­so­nen­kon­trol­le männ­li­cher „Kun­den“ ein­ge­setzt wer­den sol­len, un­ter Berück­sich­ti­gung ih­res Ge­schlechts auswählen, d.h. Be­wer­be­rin­nen aus­sch­ließen.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen zu die­sem Vor­gang fin­den Sie hier:

Hin­weis: Nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) über den Fall ent­schie­den und das Ur­teil des LAG Rhein­land-Pfalz ab­ge­seg­net. In­for­ma­tio­nen zu dem BAG-Ur­teil fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 22. September 2020

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de
Bewertung: 3.0 von 5 Sternen (1 Bewertung)

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de