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BAG, Ur­teil vom 21.06.2012, 2 AZR 153/11

   
Schlagworte: Kündigung: Diebstahl, Diebstahl, Videoüberwachung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 2 AZR 153/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 21.06.2012
   
Leitsätze:

1. Entwendet eine Verkäuferin Zigarettenpackungen aus dem Warenbestand des Arbeitgebers, kann dies auch nach längerer Beschäftigungsdauer eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen.


2. Das aus einer verdeckten Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Arbeitsplätze gewonnene Beweismaterial unterliegt nicht allein deshalb einem prozessualen Beweisverwertungsverbot, weil es unter Verstoß gegen das Gebot in § 6b Abs. 2 BDSG gewonnen wurde, bei Videoaufzeichnungen öffentlich zugänglicher Räume den Umstand der Beobachtung und die verantwortliche Stelle durch geeignete Maßnahmen kenntlich zu machen.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Köln, Urteil vom 04.05.2010, 8 Ca 722/09
Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 18.11.2010, 6 Sa 817/10
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


2 AZR 153/11
6 Sa 817/10
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Köln

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

21. Ju­ni 2012

UR­TEIL

Schmidt, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläge­rin, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Zwei­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 22. März 2012 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Kreft, die Rich­te­rin­nen am Bun­des­ar­beits­ge­richt Ber­ger und Ra­chor so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Be­cker­le und Fal­ke für Recht er­kannt:
 


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1. Auf die Re­vi­si­on der Kläge­rin wird das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Köln vom 18. No­vem­ber 2010 - 6 Sa 817/10 - auf­ge­ho­ben, so­weit es ih­re Be­ru­fung zurück-ge­wie­sen hat.


2. Im Um­fang der Auf­he­bung wird die Sa­che zur neu­en Ver­hand­lung und Ent­schei­dung, auch über die Kos­ten der Re­vi­si­on, an das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­ver­wie­sen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten noch über die Wirk­sam­keit ei­ner or­dent­li­chen Kündi­gung.

Die Be­klag­te be­treibt ein bun­des­weit täti­ges Ein­zel­han­dels­un­ter­neh­men. Die 1958 ge­bo­re­ne Kläge­rin war bei ihr und ih­rer Rechts­vorgänge­rin seit Sep­tem­ber 1990 als Verkäufe­r­in, zu­letzt als stell­ver­tre­ten­de Fi­li­al­lei­te­rin, beschäftigt. Sie er­hielt als Teil­zeit­kraft ei­ne mo­nat­li­che Brut­to­vergütung von et­wa 1.400,00 Eu­ro.

Mit Zu­stim­mung des bei ihr ge­bil­de­ten Be­triebs­rats in­stal­lier­te ein von der frühe­ren Ar­beit­ge­be­rin be­auf­trag­tes Über­wa­chungs­un­ter­neh­men in der Zeit vom 1. bis 22. De­zem­ber 2008 Vi­deo­ka­me­ras in den Ver­kaufsräum­en der Fi­lia­le. Am 12. Ja­nu­ar 2009 wer­te­te die Ar­beit­ge­be­rin das ihr über­ge­be­ne Film­ma­te­ri­al im Bei­sein ei­nes Be­triebs­rats­mit­glieds aus. Sie hielt der Kläge­rin an­sch­ließend vor, die­se ha­be sich heim­lich Zi­ga­ret­ten an­ge­eig­net.

Nach Anhörung des Be­triebs­rats und mit des­sen Zu­stim­mung kündig­te die Ar­beit­ge­be­rin das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en mit Schrei­ben vom 23. Ja­nu­ar 2009 frist­los, hilfs­wei­se frist­ge­recht zum nächst­zulässi­gen Ter­min.

Da­ge­gen hat die Kläge­rin recht­zei­tig Kla­ge er­ho­ben. Sie hat be­strit­ten, Zi­ga­ret­ten ent­wen­det zu ha­ben. Sie ha­be le­dig­lich ih­re Auf­ga­ben er­le­digt, zu de­nen es gehöre, Zi­ga­ret­ten­re­ga­le ein- und aus­zuräum­en und ggf. zu ord­nen.
 


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Im Übri­gen sei der Be­triebs­rat nicht ord­nungs­gemäß an­gehört wor­den. Ihm sei nicht das kom­plet­te Vi­deo­band, son­dern le­dig­lich ein Zu­sam­men­schnitt vor­ge­spielt wor­den. Über­dies ver­s­toße die heim­li­che Vi­deo­auf­nah­me ge­gen ihr Recht auf in­for­ma­tio­nel­le Selbst­be­stim­mung. Dar­aus fol­ge ein Ver­wer­tungs­ver­bot.

Die Kläge­rin hat be­an­tragt 


1. fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en nicht durch die frist­lo­se Kündi­gung vom 23. Ja­nu­ar 2009 sein En­de ge­fun­den hat;

2. fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis nicht durch die frist­ge­rech­te Kündi­gung vom 23. Ja­nu­ar 2009 sein En­de ge­fun­den hat, son­dern zu den Kon­di­tio­nen des ab­ge­schlos­se­nen Ar­beits­ver­trags un­verändert fort­be­steht;

3. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, sie als stell­ver­tre­ten­de Fi­li­al­lei­te­rin in der Nie­der­las­sung K in ver­ein­bar­ter Teil­zeit bei 24 St­un­den pro Wo­che tatsächlich zu beschäfti­gen.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. Sie hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, auf­grund der vor­lie­gen­den Vi­deo­auf­zeich­nun­gen sei nach­ge­wie­sen, dass sich die Kläge­rin an zwei Ta­gen im De­zem­ber 2008 je­weils min­des­tens ei­ne Pa­ckung Zi­ga­ret­ten zu­ge­eig­net ha­be. Zu­min­dest be­ste­he ein ent­spre­chen­der Tat­ver­dacht. Sie hat be­haup­tet, An­lass für die ver­deck­te Vi­deoüber­wa­chung sei­en ho­he In­ven­tur­ver­lus­te in der Fi­lia­le der Kläge­rin, ins­be­son­de­re im Be­reich Ta­bak, ge­we­sen. Es ha­be der Ver­dacht be­stan­den, dass Mit­ar­bei­ter­diebstähle ei­nen er­heb­li­chen Ein­fluss auf die In­ven­tur­dif­fe­ren­zen ge­habt hätten. Auf dem Film­mit­schnitt sei zu se­hen, wie die Kläge­rin am 6. und am 17. De­zem­ber 2008, je­weils nach 20:00 Uhr, ei­nen sog. Zi­ga­ret­tenträger ei­ner Kas­se öff­ne, ihm ei­ni­ge Schach­teln Zi­ga­ret­ten ent­neh­me, die­se in den Fächern für (Ein­kaufs-)Tüten ver­staue, den Zi­ga­ret­tenträger wie­der ver­sch­ließe, sich zunächst ent­fer­ne, ei­ni­ge Mi­nu­ten später wie­der an die Kas­sen zurück­keh­re, den Tütenfächern die Zi­ga­ret­ten­schach­teln ent­neh­me und die­se in ih­rer Blu­se ver­staue.


Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge nach Be­weis­auf­nah­me ab­ge­wie­sen. Auf die Be­ru­fung der Kläge­rin hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt nach er­neu­ter
 


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Ein­nah­me des Au­gen­scheins in die Vi­deo­auf­nah­men vom 6. und 17. De­zem­ber 2008 fest­ge­stellt, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en nicht vor dem 31. Ju­li 2009 be­en­det wor­den ist. Im Übri­gen hat es die Be­ru­fung der Kläge­rin zurück­ge­wie­sen. Mit der Re­vi­si­on ver­folgt die Kläge­rin ihr ge­gen die Wirk­sam­keit der or­dent­li­chen Kündi­gung ge­rich­te­tes Fest­stel­lungs­be­geh­ren wei­ter.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on ist be­gründet. Dies führt zur Auf­he­bung des Be­ru­fungs­ur­teils (§ 562 Abs. 1 ZPO) und Zurück­ver­wei­sung an das Lan­des­ar­beits­ge­richt (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), so­weit die­ses die Kla­ge ge­gen die or­dent­li­che Kündi­gung vom 23. Ja­nu­ar 2009 ab­ge­wie­sen hat. Zwar ist die Kündi­gung nicht gem. § 102 Abs. 1 Satz 3 Be­trVG un­wirk­sam (I.). Auch die Würdi­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, die or­dent­li­che Kündi­gung sei auf der Grund­la­ge des fest­ge­stell­ten Kündi­gungs­sach­ver­halts so­zi­al ge­recht­fer­tigt, ist re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­an­stan­den (II.). Es steht aber noch nicht fest, ob hin­sicht­lich der in Au­gen­schein ge­nom­me­nen Vi­deo­auf­zeich­nun­gen ein Be­weis­ver­wer­tungs-ver­bot we­gen Ver­let­zung des all­ge­mei­nen Persönlich­keits­rechts der Kläge­rin aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG be­stand (III.).

I. Die Kündi­gung ist nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 Be­trVG un­wirk­sam. Die Würdi­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, der Be­triebs­rat sei ord­nungs­gemäß an­gehört wor­den, ist re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­an­stan­den. Auch die Re­vi­si­on er­hebt in­so­weit ge­gen das Be­ru­fungs­ur­teil kei­ne Einwände.


1. Der Be­triebs­rat ist ord­nungs­gemäß an­gehört, wenn ihm der Ar­beit­ge­ber die aus sei­ner Sicht tra­gen­den Umstände un­ter­brei­tet hat (BAG 9. Ju­ni 2011 - 2 AZR 323/10 - Rn. 45, AP BGB § 626 Nr. 236 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 36; 22. April 2010 - 2 AZR 991/08 - Rn. 13, AP Be­trVG 1972 § 102 Nr. 163 = EzA Be­trVG 2001 § 102 Nr. 26).
2. Da­nach ist die Anhörung im Streit­fall nicht des­halb un­vollständig, weil 12 die frühe­re Ar­beit­ge­be­rin dem Be­triebs­rat nur die von dem be­auf­trag­ten Über-


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wa­chungs­un­ter­neh­men zu­sam­men­ge­stell­ten Aus­schnit­te der Vi­deoüber­wa­chung zur Verfügung ge­stellt hat. Die Ar­beit­ge­be­rin war selbst nicht im Be­sitz des vollständi­gen Ma­te­ri­als. So­weit die Vi­deo­aus­wer­tung Grund­la­ge ih­res Kündi­gungs­ent­schlus­ses war, hat sie sie dem Be­triebs­rat zugäng­lich ge­macht.


II. Die Würdi­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, die hilfs­wei­se erklärte or­dent­li­che Kündi­gung vom 23. Ja­nu­ar 2009 sei gem. § 1 Abs. 2 KSchG aus ver­hal­tens­be­ding­ten Gründen so­zi­al ge­recht­fer­tigt, hält - auf Ba­sis des vom Lan­des­ar­beits­ge­richt als be­wie­sen er­ach­te­ten Sach­ver­halts - ei­ner re­vi­si­ons­recht­li­chen Über­prüfung stand.

1. Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ist ei­ne Kündi­gung so­zi­al ge­recht­fer­tigt, wenn sie durch Gründe, die im Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers lie­gen, be­dingt ist. Sie ist durch sol­che Gründe „be­dingt“, wenn der Ar­beit­neh­mer sei­ne ver­trag­li­chen Haupt- oder Ne­ben­pflich­ten er­heb­lich und in der Re­gel schuld­haft ver­letzt hat und ei­ne dau­er­haft störungs­freie Ver­trags­erfüllung in Zu­kunft nicht mehr zu er­war­ten steht. Dann kann dem Ri­si­ko künf­ti­ger Störun­gen nur durch die (frist­gemäße) Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses be­geg­net wer­den. Das wie­der­um ist nicht der Fall, wenn schon mil­de­re Mit­tel und Re­ak­tio­nen von Sei­ten des Ar­beit­ge­bers ge­eig­net ge­we­sen wären, beim Ar­beit­neh­mer künf­ti­ge Ver­trags­treue zu be­wir­ken (BAG 9. Ju­ni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 34, AP KSchG 1969 § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 37; 28. Ok­to­ber 2010 - 2 AZR 293/09 - Rn. 12, AP KSchG 1969 § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 62 = EzA KSchG § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 78; 10. Ju­ni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, 37, BA­GE 134, 349).


Be­ruht die Ver­trags­pflicht­ver­let­zung auf steu­er­ba­rem Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers, ist grundsätz­lich da­von aus­zu­ge­hen, dass sein künf­ti­ges Ver­hal­ten schon durch die An­dro­hung von Fol­gen für den Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses po­si­tiv be­ein­flusst wer­den kann (BAG 9. Ju­ni 2011 - 2 AZR 284/10 - Rn. 35, AP KSchG 1969 § 1 Ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 37; 10. Ju­ni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 36, BA­GE 134, 349). Ei­ner Ab­mah­nung be­darf es nach Maßga­be des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Aus­druck kom­men­den Verhält­nismäßig­keits­grund­sat­zes


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dem­nach nur dann nicht, wenn be­reits ex an­te er­kenn­bar ist, dass ei­ne Ver­hal­tensände­rung in Zu­kunft auch nach Ab­mah­nung nicht zu er­war­ten steht, oder es sich um ei­ne so schwe­re Pflicht­ver­let­zung han­delt, dass selbst de­ren erst­ma­li­ge Hin­nah­me dem Ar­beit­ge­ber nach ob­jek­ti­ven Maßstäben un­zu­mut­bar und da­mit of­fen­sicht­lich - auch für den Ar­beit­neh­mer er­kenn­bar - aus­ge­schlos­sen ist (BAG 9. Ju­ni 2011 - 2 AZR 284/10 - aaO; 10. Ju­ni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 37 mwN, aaO).


2. Da­nach ist die Würdi­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, die or­dent­li­che Kündi­gung vom 23. Ja­nu­ar 2009 sei iSv. § 1 Abs. 2 KSchG durch Gründe im Ver­hal­ten der Kläge­rin be­dingt, auf der Grund­la­ge des von ihm fest­ge­stell­ten Sach­ver­halts nicht zu be­an­stan­den.


a) Be­geht ein Ar­beit­neh­mer bei oder im Zu­sam­men­hang mit sei­ner Ar­beit rechts­wid­ri­ge und vorsätz­li­che - ggf. straf­ba­re - Hand­lun­gen un­mit­tel­bar ge­gen das Vermögen sei­nes Ar­beit­ge­bers, ver­letzt er zu­gleich in schwer­wie­gen­der Wei­se sei­ne schuld­recht­li­che Pflicht zur Rück­sicht­nah­me (§ 241 Abs. 2 BGB) und miss­braucht das in ihn ge­setz­te Ver­trau­en. Ein sol­ches Ver­hal­ten kann so­gar ei­nen wich­ti­gen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB dar­stel­len, und zwar auch dann, wenn die rechts­wid­ri­ge Hand­lung Sa­chen von nur ge­rin­gem Wert be­trifft oder zu ei­nem nur ge­ringfügi­gen, mögli­cher­wei­se zu gar kei­nem Scha­den geführt hat (BAG 16. De­zem­ber 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 18, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33; 10. Ju­ni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 26, BA­GE 134, 349). Maßge­bend ist der mit der Pflicht­ver­let­zung ver­bun­de­ne Ver­trau­ens­bruch (BAG 16. De­zem­ber 2010 - 2 AZR 485/08 - aaO; 10. Ju­ni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 27, aaO).


b) Nach den Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts hat die Kläge­rin am 6. und am 17. De­zem­ber 2008 je­weils zu­min­dest ei­ne Zi­ga­ret­ten­pa­ckung aus dem Wa­ren­be­stand der Rechts­vorgänge­rin der Be­klag­ten ent­wen­det. Sie hat da­mit wie­der­holt vorsätz­lich ge­gen ih­re ar­beits­ver­trag­li­che Pflicht aus § 241 Abs. 2 BGB ver­s­toßen, kei­ne ge­gen das Vermögen ih­rer Ar­beit­ge­be­rin ge­rich­te­ten rechts­wid­ri­gen Hand­lun­gen zu be­ge­hen. Die Würdi­gung des Lan­des-
 


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ar­beits­ge­richts, un­ter die­sen Umständen sei die or­dent­li­che Kündi­gung nicht un­verhält­nismäßig, ist re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­an­stan­den.


aa) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat an­ge­nom­men, durch die von der Kläge­rin be­gan­ge­nen Vermögens­de­lik­te zu­las­ten ih­rer Ar­beit­ge­be­rin sei ein ir­re­pa­ra­bler Ver­trau­ens­ver­lust ent­stan­den, der die­ser ei­ne Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses un­zu­mut­bar ge­macht ha­be. Das Ver­trau­en in die Zu­verlässig­keit der Kläge­rin sei durch die vorsätz­li­chen Pflicht­ver­let­zun­gen ob­jek­tiv der­art erschüttert ge­we­sen, dass sei­ne Wie­der­her­stel­lung und ein künf­tig wie­der störungs­frei­es Mit­ein­an­der der Par­tei­en nicht mehr zu er­war­ten sei­en. Dem In­ter­es­se der Ar­beit­ge­be­rin an der Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses sei auch un­ter Berück­sich­ti­gung des Le­bens­al­ters und der lan­gen Be­triebs­zu­gehörig­keit der Kläge­rin der Vor­rang ein­zuräum­en. Un­ge­ach­tet des ge­rin­gen Werts der ent­wen­de­ten Ge­genstände ha­be die Kläge­rin die Ba­sis für ei­ne wei­te­re ver­trau­ens­vol­le Zu­sam­men­ar­beit zerstört.


bb) Dies lässt kei­nen Rechts­feh­ler er­ken­nen. Die Kläge­rin hat - den vom Lan­des­ar­beits­ge­richt fest­ge­stell­ten Sach­ver­halt als wahr un­ter­stellt - heim­lich und vorsätz­lich das in sie ge­setz­te Ver­trau­en als Verkäufe­r­in und stell­ver­tre­ten­de Fi­li­al­lei­te­rin zu ei­ner Schädi­gung des Vermögens ih­rer Ar­beit­ge­be­rin miss­braucht. Es ist an­ge­sichts des­sen re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­an­stan­den, wenn das Lan­des­ar­beits­ge­richt an­ge­nom­men hat, ei­ne Wie­der­her­stel­lung des Ver­trau­ens sei auch an­ge­sichts der un­be­an­stan­de­ten Be­triebs­zu­gehörig­keit der Kläge­rin von 18 Jah­ren und des ge­rin­gen Werts der ent­wen­de­ten Ge­genstände nicht zu er­war­ten ge­we­sen. Für den Grad des Ver­schul­dens und die Möglich­keit ei­ner Wie­der­her­stel­lung des Ver­trau­ens macht es ob­jek­tiv ei­nen Un­ter­schied, ob es sich bei ei­ner Pflicht­ver­let­zung um ein Ver­hal­ten han­delt, das ins­ge­samt auf Heim­lich­keit an­ge­legt ist - wie nach den Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts im Streit­fall - oder nicht (vgl. BAG 10. Ju­ni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 45, BA­GE 134, 349).


3. Die Be­weiswürdi­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts lässt für den Fall, dass hin­sicht­lich der Vi­deo­auf­zeich­nun­gen vom 6. und 17. De­zem­ber 2008 ein Be­weis­ver­wer­tungs­ver­bot nicht be­stand, kei­nen Rechts­feh­ler er­ken­nen.
 


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a) Ei­ne vom Be­ru­fungs­ge­richt nach § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO vor­ge­nom­me­ne Be­weiswürdi­gung kann durch das Re­vi­si­ons­ge­richt nur be­grenzt über­prüft wer­den. Die­ses kann le­dig­lich prüfen, ob das Be­ru­fungs­ge­richt die Vor­aus­set­zun­gen und Gren­zen des § 286 ZPO ge­wahrt und ein­ge­hal­ten hat. Re­vi­si­ons­recht­lich von Be­deu­tung ist nur, ob das Be­ru­fungs­ge­richt den ge­sam­ten In­halt der Ver­hand­lung berück­sich­tigt und al­le er­ho­be­nen Be­wei­se gewürdigt hat, ob die Be­weiswürdi­gung in sich wi­der­spruchs­frei und oh­ne Ver­let­zung von Denk­ge­set­zen so­wie all­ge­mei­nen Er­fah­rungssätzen er­folgt ist und ob sie recht­lich möglich ist. Aus­rei­chend ist, dass das Be­ru­fungs­ge­richt ins­ge­samt wi­der­spruchs­frei und um­fas­send hin­sicht­lich al­ler we­sent­li­chen As­pek­te zum Er­geb­nis der Be­weis­auf­nah­me Stel­lung ge­nom­men hat (BAG 27. Ju­li 2011 - 7 AZR 402/10 - Rn. 51, EzA Tz­B­fG § 17 Nr. 14; 18. Ja­nu­ar 2007 - 2 AZR 759/05 - Rn. 28, Pa­tR 2008, 34; 1. Ok­to­ber 1997 - 5 AZR 685/96 - zu II 3 a der Gründe, BA­GE 86, 347; BGH 14. Ja­nu­ar 1993 - IX ZR 238/91 - zu B II 3 a der Gründe, NJW 1993, 935).


b) Da­nach ist die Be­weiswürdi­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­an­stan­den. Das Be­ru­fungs­ge­richt hat um­fas­send, wi­der­spruchs­frei und oh­ne Ver­s­toß ge­gen Denk­ge­set­ze be­gründet, war­um es für wahr er­ach­te, dass die Kläge­rin am 6. und am 17. De­zem­ber 2008 je­weils zu­min­dest ei­ne Zi­ga­ret­ten­pa­ckung aus dem Wa­ren­be­stand der Rechts­vorgänge­rin der Be­klag­ten ent­wen­det ha­be.


aa) So­weit die Kläge­rin gel­tend macht, sie selbst ha­be ei­ne der­ar­ti­ge Fest­stel­lung auch bei in­ten­si­ver Be­trach­tung der Auf­nah­men nicht tref­fen können, schließt dies nicht aus, dass die Be­ru­fungs­kam­mer oh­ne Rechts­feh­ler zu ei­ner an­de­ren Über­zeu­gung ge­langt ist.


bb) Zur Über­zeu­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts ist nach dem In­halt der Vi­deo­auf­zeich­nun­gen wi­der­legt, dass die Kläge­rin - wie von ihr be­haup­tet - le­dig­lich Aufräum­ar­bei­ten an dem Zi­ga­ret­tenträger durch­geführt hat. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat in­so­weit auf die Ausführun­gen des Ar­beits­ge­richts Be­zug ge­nom­men. Die­ses hat­te das aus den Vi­deo­auf­nah­men er­sicht­li­che


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Ver­hal­ten der Kläge­rin näher be­schrie­ben und im Ein­zel­nen aus­geführt, war­um es ein bloßes „Aufräum­en“ in kei­ner Wei­se ha­be er­ken­nen las­sen.


cc) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat in sei­ne Würdi­gung ein­be­zo­gen, dass es sich bei den in Au­gen­schein ge­nom­me­nen Vi­deo­auf­nah­men nicht um un­ge­schnit­te­ne Ori­gi­nal­auf­nah­men, son­dern um Aus­schnit­te aus dem Ge­samt­ma­te­ri­al han­del­te. Es hat an­ge­nom­men, de­ren Be­weis­wert hin­sicht­lich der kon­kre­ten Tat­hand­lun­gen sei da­durch nicht ge­min­dert. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Kläge­rin hat es die Möglich­keit ei­ner Ma­ni­pu­la­ti­on zu de­ren Las­ten nicht oh­ne Be­gründung, son­dern we­gen der im Bild mit­lau­fen­den Zeit- und Da­tums­an­ga­ben aus­ge­schlos­sen. Dies lässt kei­nen Rechts­feh­ler er­ken­nen.


III. Auf­grund der bis­he­ri­gen Fest­stel­lun­gen kann der Se­nat nicht ab­sch­ließend ent­schei­den, ob der Ver­wer­tung der Vi­deo­auf­zeich­nun­gen zum Be­weis des Ver­hal­tens der Kläge­rin ein pro­zes­sua­les Ver­bot we­gen ei­ner Ver­let­zung von de­ren all­ge­mei­nem Persönlich­keits­recht aus Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG ent­ge­gen­stand. Die Fra­ge, ob ein Be­weis­ver­wer­tungs­ver­bot auch aus ei­ner mögli­chen Ver­let­zung von § 32 Abs. 1 Satz 2 BDSG folgt, stellt sich hin­ge­gen für die Vi­deo­auf­zeich­nun­gen aus dem Jahr 2008 nicht. § 32 BDSG ist erst mit Wir­kung vom 1. Sep­tem­ber 2009 in Kraft ge­tre­ten.


1. Im ge­richt­li­chen Ver­fah­ren tritt der Rich­ter den Ver­fah­rens­be­tei­lig­ten in Ausübung staat­li­cher Ho­heits­ge­walt ge­genüber. Er ist da­her nach Art. 1 Abs. 3 GG bei der Ur­teils­fin­dung an die in­so­weit maßgeb­li­chen Grund­rech­te ge­bun­den und zu ei­ner rechts­staat­li­chen Ver­fah­rens­ge­stal­tung ver­pflich­tet (BVerfG 13. Fe­bru­ar 2007 - 1 BvR 421/05 - Rn. 93 mwN, BVerfGE 117, 202). Da­bei können sich auch aus ma­te­ri­el­len Grund­rech­ten wie Art. 2 Abs. 1 GG An­for­de­run­gen an das ge­richt­li­che Ver­fah­ren er­ge­ben, wenn es um die Of­fen­ba­rung und Ver­wer­tung von persönli­chen Da­ten geht, die grund­recht­lich vor der Kennt­nis durch Drit­te geschützt sind (BVerfG 13. Fe­bru­ar 2007 - 1 BvR 421/05 - Rn. 94 mwN, aaO). Das Ge­richt hat des­halb zu prüfen, ob die Ver­wer­tung von heim­lich be­schaff­ten persönli­chen Da­ten und Er­kennt­nis­sen, die sich aus die­sen Da­ten er­ge­ben, mit dem all­ge­mei­nen Persönlich­keits­recht des Be­trof­fe­nen ver­ein­bar ist (BVerfG 13. Fe­bru­ar 2007 - 1 BvR 421/05 - aaO).



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a) Bei der Abwägung zwi­schen dem In­ter­es­se an ei­ner funk­ti­onstüch­ti­gen Rechts­pfle­ge und dem Schutz des in­for­ma­tio­nel­len Selbst­be­stim­mungs­rechts als Aus­fluss des all­ge­mei­nen Persönlich­keits­rechts hat das In­ter­es­se an der Ver­wer­tung der ein­schlägi­gen Da­ten und Er­kennt­nis­se nur dann höhe­res Ge­wicht, wenn wei­te­re, über das schlich­te Be­weis­in­ter­es­se hin­aus­ge­hen­de As­pek­te hin­zu­kom­men, die er­ge­ben, dass das Ver­wer­tungs­in­ter­es­se trotz der Persönlich­keits­be­ein­träch­ti­gung über­wiegt. Al­lein das In­ter­es­se, sich ein Be­weis­mit­tel zu si­chern, reicht nicht aus (BVerfG 13. Fe­bru­ar 2007 - 1 BvR 421/05 - BVerfGE 117, 202). Die wei­te­ren As­pek­te müssen ge­ra­de ei­ne be­stimm­te In­for­ma­ti­ons­be­schaf­fung und Be­weis­er­he­bung als schutz­bedürf­tig qua­li­fi­zie­ren (BVerfG 9. Ok­to­ber 2002 - 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98 - zu C II 4 a der Gründe, BVerfGE 106, 28; BAG 13. De­zem­ber 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 36, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; vgl. zur Pro­ble­ma­tik auch BAG 23. April 2009 - 6 AZR 189/08 - BA­GE 130, 347).


b) Das durch Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 Abs. 1 GG gewähr­leis­te­te, auch im Pri­vat­rechts­ver­kehr und ins­be­son­de­re im Ar­beits­verhält­nis zu be­ach­ten­de all­ge­mei­ne Persönlich­keits­recht des Ar­beit­neh­mers ist - auch in sei­ner Aus­prägung als Recht am ei­ge­nen Bild - nicht schran­ken­los gewähr­leis­tet. Ein­grif­fe können durch Wahr­neh­mung über­wie­gend schutzwürdi­ger In­ter­es­sen des Ar­beit­ge­bers ge­recht­fer­tigt sein. Bei ei­ner Kol­li­si­on des all­ge­mei­nen Persönlich­keits­rechts mit den In­ter­es­sen des Ar­beit­ge­bers ist durch ei­ne Güter­abwägung im Ein­zel­fall zu er­mit­teln, ob die­ses den Vor­rang ver­dient (vgl. BVerfG 9. Ok­to­ber 2002 - 1 BvR 1611/96, 1 BvR 805/98 - zu C II 4 a der Gründe, BVerfGE 106, 28; BAG 13. De­zem­ber 2007 - 2 AZR 537/06 - Rn. 36, AP BGB § 626 Nr. 210 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 20; 14. De­zem­ber 2004 - 1 ABR 34/03 - zu B I der Gründe, AP Be­trVG 1972 § 87 Über­wa­chung Nr. 42 = EzA Be­trVG 2001 § 87 Über­wa­chung Nr. 1). Da­nach ist die heim­li­che Vi­deoüber­wa­chung ei­nes Ar­beit­neh­mers zulässig, wenn der kon­kre­te Ver­dacht ei­ner straf­ba­ren Hand­lung oder ei­ner an­de­ren schwe­ren Ver­feh­lung zu Las­ten des Ar­beit­ge­bers be­steht, we­ni­ger ein­schnei­den­de Mit­tel zur Aufklärung des Ver­dachts er­geb­nis­los aus­geschöpft sind, die ver­deck­te Vi­deoüber­wa­chung da­mit prak­tisch das ein­zig ver­blei­ben­de Mit­tel dar­stellt und sie ins­ge­samt nicht un­verhält-
 


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nismäßig ist (BAG 27. März 2003 - 2 AZR 51/02 - zu B I 3 b cc der Gründe, BA­GE 105, 356). Der Ver­dacht muss in Be­zug auf ei­ne kon­kre­te straf­ba­re Hand­lung oder an­de­re schwe­re Ver­feh­lung zu Las­ten des Ar­beit­ge­bers ge­gen ei­nen zu­min­dest räum­lich und funk­tio­nal ab­grenz­ba­ren Kreis von Ar­beit­neh­mern be­ste­hen. Er darf sich nicht auf die all­ge­mei­ne Mut­maßung be­schränken, es könn­ten Straf­ta­ten be­gan­gen wer­den, er muss sich je­doch nicht not­wen­dig nur ge­gen ei­nen ein­zel­nen, be­stimm­ten Ar­beit­neh­mer rich­ten (vgl. BAG 27. März 2003 - 2 AZR 51/02 - zu B I 3 b dd (1) der Gründe, aaO). Auch im Hin­blick auf die Möglich­keit ei­ner wei­te­ren Ein­schränkung des Krei­ses der Verdäch­ti­gen müssen we­ni­ger ein­schnei­den­de Mit­tel als ei­ne ver­deck­te Vi­deoüber­wa­chung zu­vor aus­geschöpft wor­den sein.


2. Nach die­sen Grundsätzen stell­ten die ver­deck­te Vi­deoüber­wa­chung der Kläge­rin und die Ver­wer­tung der zum Be­weis für ihr Ver­hal­ten an­ge­bo­te­nen Vi­deo­auf­nah­men vom 6. und 17. De­zem­ber 2008 ei­nen Ein­griff in das Recht der Kläge­rin am ei­ge­nen Bild als Aus­prägung ih­res grund­recht­lich gewähr­leis­te­ten all­ge­mei­nen Persönlich­keits­rechts dar. Ob der Ein­griff ge­recht­fer­tigt war, steht da­ge­gen noch nicht fest.


a) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat bis­her kei­ne Fest­stel­lun­gen ge­trof­fen, auf­grund de­rer die An­nah­me be­rech­tigt wäre, es ha­be der hin­rei­chend kon­kre­te Ver­dacht ei­ner straf­ba­ren Hand­lung oder ei­ner an­de­ren schwe­ren Ver­feh­lung zu Las­ten der Ar­beit­ge­be­rin be­stan­den. Es hat nicht in ei­ner den Se­nat gem. § 559 Abs. 2 ZPO bin­den­den Wei­se fest­ge­stellt, dass und wel­che In­ven­tur­dif­fe­ren­zen tatsächlich vor­ge­le­gen ha­ben. So­weit es ausführt, es ha­be der Ver­dacht be­stan­den, „dass Mit­ar­bei­ter­diebstähle er­heb­li­chen Ein­fluss auf die fest­ge­stell­ten In­ven­tur­dif­fe­ren­zen“ ge­habt hätten, ist nicht fest­ge­stellt, auf wel­che Tat­sa­chen sich die­ser Ver­dacht gründe­te und wel­cher zu­min­dest ein­grenz­ba­re Kreis von Mit­ar­bei­tern hier­von be­trof­fen war. Die von der Be­klag­ten be­haup­te­ten In­ven­tur­dif­fe­ren­zen hat die Kläge­rin be­strit­ten. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat hier­zu kei­ne ei­ge­nen Fest­stel­lun­gen ge­trof­fen. Ob zu­dem auf Tat­sa­chen ge­gründe­te Ver­dachts­mo­men­te oder Er­kennt­nis­se vor­la­gen, die die Einschätzung recht­fer­tig­ten, we­ni­ger ein­schnei­den­de Mit­tel zur Aufklärung als die ver­deck­te
 


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Vi­deoüber­wa­chung sei­en nicht (mehr) in Be­tracht ge­kom­men, lässt sich auf­grund der bis­he­ri­gen Fest­stel­lun­gen eben­falls nicht be­ur­tei­len.


b) Der Um­stand, dass der Be­triebs­rat der Über­wa­chungs­maßnah­me zu­ge­stimmt hat, ver­mag die Fest­stel­lung der den Ein­griff in das Persönlich­keits­recht der Kläge­rin recht­fer­ti­gen­den Tat­sa­chen nicht zu er­set­zen. Dass die Be­triebs­par­tei­en die Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne Recht­fer­ti­gung des Ein­griffs als ge­ge­ben an­sa­hen, genügt nicht. Die­se müssen viel­mehr tatsächlich vor­ge­le­gen ha­ben. Die Be­triebs­par­tei­en ha­ben höher­ran­gi­ges Recht zu be­ach­ten (BAG 26. Au­gust 2008 - 1 ABR 16/07 - Rn. 14, BA­GE 127, 276; By­ers Die Vi­deoüber­wa­chung am Ar­beits­platz 2010 S. 54; Fit­ting Be­trVG 25. Aufl. § 77 Rn. 55). Sie können die Gren­zen ei­nes recht­lich zulässi­gen Ein­griffs nicht zu­las­ten der Ar­beit­neh­mer ver­schie­ben (By­ers aaO; Haußmann/Krets NZA 2005, 259, 262; Ri­char­di in Ri­char­di Be­trVG 12. Aufl. § 87 Rn. 529; GK-Be­trVG/Wie­se 9. Aufl. § 87 Rn. 487 f.).


c) Um­ge­kehrt er­scheint nach dem Vor­brin­gen der Be­klag­ten nicht aus­ge­schlos­sen, dass auf ih­rer Sei­te ein über­wie­gen­des In­ter­es­se an der vor­ge­nom­me­nen Vi­deoüber­wa­chung und der Ver­wer­tung der da­durch ge­won­ne­nen Er­kennt­nis­se be­stand. Die Be­klag­te hat un­ter Be­weis­an­tritt be­haup­tet, in der Fi­lia­le der Kläge­rin hätten er­heb­li­che In­ven­tur­ver­lus­te in Höhe von mo­nat­lich et­wa 7.600,00 Eu­ro be­stan­den, die im Rah­men der übli­chen Maßnah­men zur Re­du­zie­rung von In­ven­tur­dif­fe­ren­zen nicht hätten aus der Welt ge­schafft wer­den können. So sei­en un­ter an­de­rem die An­zahl der In­ven­tu­ren so­wie der Früh- und Spätkon­trol­len erhöht und der Um­fang der Wa­ren­ab­schrei­bun­gen stärker kon­trol­liert wor­den. Die Aufklärungs­bemühun­gen über das Wa­ren­wirt­schafts­sys­tem hätten er­ge­ben, dass ins­be­son­de­re im Be­reich Ta­bak er­heb­li­che Ver­lus­te auf­ge­tre­ten sei­en. Da Ta­bak­ar­ti­kel un­ter Halt­bar­keits­ge­sichts­punk­ten nicht ab­ge­schrie­ben würden, ha­be der Ver­dacht be­stan­den, dass Mit­ar­bei­ter­diebstähle ei­nen er­heb­li­chen Ein­fluss auf die In­ven­tur­dif­fe­ren­zen ge­habt hätten. Die Vi­deoüber­wa­chung sei auf die be­son­ders sen­si­blen Fi­li­al­be­rei­che, ins­be­son­de­re auf die Kas­sen­zo­ne mit Zi­ga­ret­tenschütte, be­schränkt wor­den.
 


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3. So­weit es sich bei den in Au­gen­schein ge­nom­me­nen Auf­nah­men um Vi­deo­auf­zeich­nun­gen öffent­lich zugäng­li­cher Räume iSv. § 6b Abs. 1 BDSG ge­han­delt ha­ben soll­te, folgt ein Be­weis­ver­wer­tungs­ver­bot nicht schon aus ei­ner Ver­let­zung des Ge­bots in § 6b Abs. 2 BDSG, den Um­stand der Be­ob­ach­tung und die ver­ant­wort­li­che Stel­le durch ge­eig­ne­te Maßnah­men er­kenn­bar zu ma­chen.


a) § 6b BDSG wur­de im Zu­ge der No­vel­lie­rung des Bun­des­da­ten­schutz­ge­set­zes im Jahr 2001 in das Ge­setz auf­ge­nom­men und re­gelt die Be­ob­ach­tung öffent­lich zugäng­li­cher Räume mit op­tisch-elek­tro­ni­schen Ein­rich­tun­gen. Die Be­stim­mung gilt ua. für Vi­deo­auf­zeich­nun­gen in öffent­lich zugäng­li­chen Ver­kaufsräum­en (BT-Drucks. 14/4329 S. 38). Un­er­heb­lich ist, ob Ziel der Be­ob­ach­tung die All­ge­mein­heit ist oder die an Ar­beitsplätzen in die­sen Ver­kaufsräum­en beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer (Bay­reu­ther NZA 2005, 1038; By­ers Die Vi­deoüber­wa­chung am Ar­beits­platz 2010 S. 73; Ot­to Anm. zu BAG 27. März 2003 - 2 AZR 51/02 - AP Be­trVG 1972 § 87 Über­wa­chung Nr. 36).


b) Im Streit­fall ha­ben die in Au­gen­schein ge­nom­me­nen Vi­deo­auf­zeich­nun­gen mögli­cher­wei­se des­halb kei­nen öffent­lich zugäng­li­chen Raum iSv. § 6b BDSG be­trof­fen, weil die Ver­kaufsräume zum Zeit­punkt der der Kläge­rin zur Last ge­leg­ten Vorgänge be­reits ge­schlos­sen und da­her für die Öffent­lich­keit nicht mehr zugäng­lich wa­ren. Nach dem Sach­vor­trag der Be­klag­ten ging es um Hand­lun­gen der Kläge­rin „nach Geschäfts­schluss“. Dies kann letzt­lich da­hin­ste­hen. Ein Ver­s­toß ge­gen § 6b Abs. 2 BDSG führt nicht zu dem Ver­bot, ei­ne im Verhält­nis zum über­wach­ten Ar­beit­neh­mer an­sons­ten in zulässi­ger Wei­se be­schaff­te In­for­ma­ti­on zu Be­weis­zwe­cken zu ver­wer­ten.


aa) Un­ter wel­chen Vor­aus­set­zun­gen ei­ne Vi­deoüber­wa­chung öffent­lich zugäng­li­cher Räume zulässig ist, be­stimmt § 6b Abs. 1 BDSG. Dies ist nach § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG ua. dann der Fall, wenn und so­weit sie zur Wahr­neh­mung be­rech­tig­ter In­ter­es­sen für kon­kret fest­ge­leg­te Zwe­cke er­for­der­lich ist und kei­ne An­halts­punk­te dafür be­ste­hen, dass schutzwürdi­ge In­ter­es­sen der Be­trof­fe­nen über­wie­gen. Dass ei­ne Vi­deoüber­wa­chung in öffent­lich zugäng­li­chen
 


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Räum­en aus­sch­ließlich of­fen er­fol­gen dürf­te, er­gibt sich aus § 6b Abs. 1 BDSG nicht.

bb) Al­ler­dings re­gelt § 6b Abs. 2 BDSG, dass der Um­stand der Be­ob­ach­tung und die ver­ant­wort­li­che Stel­le bei Vi­deo­auf­zeich­nun­gen in öffent­lich zugäng­li­chen Räum­en durch ge­eig­ne­te Maßnah­men er­kenn­bar zu ma­chen sind. Dar­aus wird teil­wei­se ge­fol­gert, ei­ne ver­deck­te Vi­deoüber­wa­chung in öffent­lich zugäng­li­chen Räum­en sei aus­nahms­los un­zulässig (ArbG Frank­furt 25. Ja­nu­ar 2006 - 7 Ca 3342/05 - RDV 2006, 214; Bay­reu­ther NZA 2005, 1038, 1040 f.; Lunk NZA 2009, 457, 460; Ot­to Anm. zu BAG 27. März 2003 - 2 AZR 51/02 - AP Be­trVG 1972 § 87 Über­wa­chung Nr. 36). Die­se Auf­fas­sung über-zeugt nicht. Falls die ver­deck­te Vi­deoüber­wa­chung das ein­zi­ge Mit­tel zur Überführung von Ar­beit­neh­mern ist, die der Be­ge­hung von Straf­ta­ten kon­kret verdäch­tig sind, kann viel­mehr ei­ne heim­li­che Vi­deo­auf­zeich­nung auch in öffent­lich zugäng­li­chen Räum­en nach § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG zulässig sein (so auch Berg­witz NZA 2012, 353, 357 f.; By­ers Die Vi­deoüber­wa­chung am Ar­beits­platz 2010 S. 79; Forst RDV 2009, 204, 209; Go­la/Schome­rus BDSG 10. Aufl. § 6b BDSG Rn. 28; Grimm/Schie­fer RdA 2009, 329, 334 f.; Grimm/Strauf ZD 2011, 188; Masch­mann FS Hromad­ka 2008, 233, 244 f.; Müller Die Zulässig­keit der Vi­deoüber­wa­chung am Ar­beits­platz 2008 S. 126 f.; Ober­wet­ter NZA 2008, 609, 610; Thüsing Ar­beit­neh­mer­da­ten­schutz und Com­p­li­an­ce 2010 Rn. 358; Viet­mey­er DB 2010, 1462, 1463).


(1) Das Kenn­zeich­nungs­ge­bot gem. § 6b Abs. 2 BDSG ist we­der in § 6b Abs. 1 BDSG noch in § 6b Abs. 3 BDSG als Vor­aus­set­zung für die Zulässig­keit ei­ner Ver­ar­bei­tung oder Nut­zung von nach § 6b Abs. 1 BDSG er­ho­be­nen Da­ten auf­geführt. Auch aus der Ge­set­zes­be­gründung (vgl. BT-Drucks. 14/4329 S. 28, 30 und 38) er­gibt sich nicht, dass die Ein­hal­tung des Ge­bots nach § 6b Abs. 2 BDSG Vor­aus­set­zung für die ma­te­ri­ell­recht­li­che Zulässig­keit der Maßnah­me wäre. Nach dem Be­richt des In­nen­aus­schus­ses nor­mie­ren die Absätze 1, 3 und 5 der Vor­schrift die Zulässig­keits­vor­aus­set­zun­gen in den ver­schie­de­nen Ver­ar­bei­tungs­pha­sen (BT-Drucks. 14/5793 S. 61), während die Kenn­zeich­nungs-



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pflicht des Abs. 2 le­dig­lich die nach dem Ge­setz be­ste­hen­den all­ge­mei­nen Ver­fah­rens­si­che­run­gen ergänzt (BT-Drucks. 14/5793 S. 62).


(2) Im Hin­blick auf die ih­rer­seits durch Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG geschütz­ten In­te­gritätsin­ter­es­sen des Ar­beit­ge­bers be­geg­ne­te ein ab­so­lu­tes, nur durch be­reichs­spe­zi­fi­sche Spe­zi­al­re­ge­lun­gen (vgl. et­wa § 100c und § 100h St­PO) ein­ge­schränk­tes Ver­bot ver­deck­ter Vi­deo­auf­zeich­nun­gen in öffent­lich zugäng­li­chen Räum­en ver­fas­sungs­recht­li­chen Be­den­ken. Ob und in­wie­weit ei­ne ver­deck­te Vi­deoüber­wa­chung öffent­lich zugäng­li­cher Ver­kaufsräume zulässig ist, wenn sie dem Ziel der Aufklärung ei­nes ge­gen dort beschäftig­te Ar­beit­neh­mer be­ste­hen­den kon­kre­ten Ver­dachts der Be­ge­hung von Straf­ta­ten oder an­de­rer schwer­wie­gen­der Pflicht­ver­let­zun­gen dient, lässt sich nur durch ei­ne Abwägung der ge­genläufi­gen Grund­rechts­po­si­tio­nen un­ter Wah­rung des Grund­sat­zes der Verhält­nismäßig­keit im Ein­zel­fall be­ur­tei­len. Dem trägt auch die For­mu­lie­rung in § 6b Abs. 1 Nr. 3 BDSG Rech­nung. Ein un­ein­ge­schränk­tes Ver­bot der ver­deck­ten Vi­deoüber­wa­chung öffent­lich zugäng­li­cher Räume würde dem nicht ge­recht. § 6b BDSG ist des­halb - ver­fas­sungs­kon­form - da­hin aus­zu­le­gen, dass auch ei­ne ver­deck­te Vi­deoüber­wa­chung öffent­lich zugäng­li­cher Räume im Ein­zel­fall zulässig sein kann (zu­tref­fend By­ers Die Vi­deoüber­wa­chung am Ar­beits­platz 2010 S. 79 f.; Müller Die Zulässig­keit der Vi­deoüber­wa­chung am Ar­beits­platz 2008 S. 126 f.; Viet­mey­er DB 2010, 1462, 1463 f.).

(3) Die nach § 6b Abs. 2 BDSG ge­bo­te­ne Er­kenn­bar­keit der Vi­deoüber­wa­chung öffent­lich zugäng­li­cher Räume ist auch für die Ver­ar­bei­tung oder Nut­zung der nach § 6b Abs. 1 BDSG er­ho­be­nen Da­ten nicht zwin­gen­de ma­te­ri­el­le Vor­aus­set­zung. Nach § 6b Abs. 3 BDSG sind Ver­ar­bei­tung oder Nut­zung dann zulässig, wenn dies zum Er­rei­chen des ver­folg­ten Zwecks er­for­der­lich ist und kei­ne An­halts­punk­te dafür be­ste­hen, dass schutzwürdi­ge In­ter­es­sen der Be­trof­fe­nen über­wie­gen. Von der Ein­hal­tung des Kenn­zeich­nungs­ge­bots gem. § 6b Abs. 2 BDSG hängt bei­des nicht zwin­gend ab.

4. Im Hin­blick auf ei­ne Uni­ons­rechts­kon­for­mität be­steht kein Klärungs­be­darf. Die Richt­li­nie 95/46/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 24. Ok­to­ber 1995 zum Schutz natürli­cher Per­so­nen bei der Ver­ar­bei­tung per­so-
 


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nen­be­zo­ge­ner Da­ten und zum frei­en Da­ten­ver­kehr (ABl. L 281 S. 31) enthält kei­ne § 6b BDSG ver­gleich­ba­re Re­ge­lung für die Vi­deoüber­wa­chung. Zwei­fel dar­an, dass dies­bezüglich die Re­ge­lun­gen des Bun­des­da­ten­schutz­ge­set­zes den all­ge­mei­nen Vor­ga­ben für die Zulässig­keit der Ver­ar­bei­tung per­so­nen­be­zo­ge­ner Da­ten gem. Art. 7 RL 95/46/EG ge­recht wer­den, sind nicht ver­an­lasst. Art. 7 Buchst. f) RL 95/46/EG lässt die Ver­ar­bei­tung per­so­nen­be­zo­ge­ner Da­ten in der Sa­che eben­so wie das na­tio­na­le Recht dann zu, wenn sie zur Ver­wirk­li­chung ei­nes be­rech­tig­ten In­ter­es­ses des für die Ver­ar­bei­tung Ver­ant­wort­li­chen er­for­der­lich ist und das In­ter­es­se oder die Grund­rech­te und Grund­frei­hei­ten der be­trof­fe­nen Per­son nicht über­wie­gen.


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