HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

EuGH, Ur­teil vom 11.04.2013, C-290/12 - Del­la Roc­ca

   
Schlagworte: Befristung: EU-Recht, Arbeitnehmerüberlassung, Leiharbeit, Zeitarbeit
   
Gericht: Europäischer Gerichtshof
Aktenzeichen: C-290/12
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 11.04.2013
   
Leitsätze:

Die Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge und die am 18. März 1999 geschlossene Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge im Anhang dieser Richtlinie sind dahin auszulegen, dass sie weder auf das befristete Arbeitsverhältnis zwischen einem Leiharbeitnehmer und einem Leiharbeitsunternehmen noch auf das befristete Arbeitsverhältnis zwischen einem Leiharbeitnehmer und einem entleihenden Unternehmen anwendbar sind.

Vorinstanzen:
   

UR­TEIL DES GERICH­TSHOFS (Ach­te Kam­mer)

11. April 2013(*)

„So­zi­al­po­li­tik – Richt­li­nie 1999/70/EG - EGB-UN­ICE-CEEP-Rah­men­ver­ein­ba­rung über be­fris­te­te Ar­beits­verträge - Pa­ra­graf 2 - An­wen­dungs­be­reich der Rah­men­ver­ein­ba­rung - Leih­ar­beits­un­ter­neh­men - Über­las­sung von Leih­ar­beit­neh­mern an ent­lei­hen­de Un­ter­neh­men - Auf­ein­an­der­fol­gen­de be­fris­te­te Ar­beits­verträge

In der Rechts­sa­che C-290/12

be­tref­fend ein Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen nach Art. 267 AEUV, ein­ge­reicht vom Tri­bu­na­le di Na­po­li (Ita­li­en) mit Ent­schei­dung vom 29. Mai 2012, beim Ge­richts­hof ein­ge­gan­gen am 11. Ju­ni 2012, in dem Ver­fah­ren

Ores­te Del­la Roc­ca

ge­gen

Pos­te Ita­lia­ne SpA

erlässt

DER GERICH­TSHOF (Ach­te Kam­mer)

un­ter Mit­wir­kung des Kam­mer­präsi­den­ten E. Ja­raðiûnas so­wie der Rich­ter A. Ó Cao­imh (Be­richt­er­stat­ter) und G. C. Fern­lund,

Ge­ne­ral­anwältin: J. Ko­kott,

Kanz­ler: A. Ca­lot Es­co­bar,

auf­grund des schrift­li­chen Ver­fah­rens,

un­ter Berück­sich­ti­gung der Erklärun­gen

- der Pos­te Ita­lia­ne SpA, ver­tre­ten durch R. De Lu­ca Ta­ma­jo, av­vo­ca­to,

- der ita­lie­ni­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch G. Pal­mie­ri als Be­vollmäch­tig­te im Bei­stand von G. Pa­la­ti­el­lo, av­vo­ca­to del­lo Sta­to,

- der pol­ni­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch M. Sz­pu­nar und B. Ma­jc­zy­na als Be­vollmäch­tig­te,

- der Eu­ropäischen Kom­mis­si­on, ver­tre­ten durch C. Cat­t­ab­ri­ga und M. van Beek als Be­vollmäch­tig­te,

auf­grund des nach Anhörung der Ge­ne­ral­anwältin er­gan­ge­nen Be­schlus­ses, oh­ne Schluss­anträge über die Rechts­sa­che zu ent­schei­den,

fol­gen­des

Ur­teil

1 Das Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen be­trifft die Aus­le­gung der Pa­ra­gra­fen 2 und 5 der am 18. März 1999 ge­schlos­se­nen Rah­men­ver­ein­ba­rung über be­fris­te­te Ar­beits­verträge (im Fol­gen­den: Rah­men­ver­ein­ba­rung) im An­hang der Richt­li­nie 1999/70/EG des Ra­tes vom 28. Ju­ni 1999 zu der EGB-UN­ICE-CEEP-Rah­men­ver­ein­ba­rung über be­fris­te­te Ar­beits­verträge (ABl. L 175, S. 43).
2 Es er­geht im Rah­men ei­nes Rechts­streits zwi­schen Herrn Del­la Roc­ca und der Pos­te Ita­lia­ne SpA (im Fol­gen­den: Pos­te Ita­lia­ne) über das mit die­sem Un­ter­neh­men be­gründe­te Ar­beits­verhält­nis.

Recht­li­cher Rah­men

Uni­ons­recht

Richt­li­nie 1999/70

3 Aus dem 14. Erwägungs­grund der Richt­li­nie 1999/70, die auf Art. 139 Abs. 2 EG gestützt ist, geht her­vor, dass die Un­ter­zeich­ner­par­tei­en der Rah­men­ver­ein­ba­rung mit de­ren Ab­schluss die Qua­lität be­fris­te­ter Ar­beits­verhält­nis­se durch An­wen­dung des Grund­sat­zes der Nicht­dis­kri­mi­nie­rung ver­bes­sern und ei­nen Rah­men schaf­fen woll­ten, der den Miss­brauch durch auf­ein­an­der­fol­gen­de be­fris­te­te Ar­beits­verträge oder Beschäfti­gungs­verhält­nis­se ver­hin­dert.
4 Nach Art. 1 der Richt­li­nie 1999/70 soll mit die­ser „die zwi­schen den all­ge­mei­nen bran­chenüberg­rei­fen­den Or­ga­ni­sa­tio­nen (EGB, UN­ICE und CEEP) ge­schlos­se­ne Rah­men­ver­ein­ba­rung …, die im An­hang ent­hal­ten ist, durch­geführt wer­den“.
5 Der vier­te Ab­satz der Präam­bel der Rah­men­ver­ein­ba­rung lau­tet:

„Die Ver­ein­ba­rung gilt für Ar­beit­neh­mer in be­fris­te­ten Ar­beits­verhält­nis­sen mit Aus­nah­me de­rer, die ei­nem Un­ter­neh­men von ei­ner Leih­ar­beits­agen­tur zur Verfügung ge­stellt wer­den. Es ist die Ab­sicht der Par­tei­en, den Ab­schluss ei­ner ähn­li­chen Ver­ein­ba­rung über Leih­ar­beit in Erwägung zu zie­hen.“

6 Pa­ra­graf 2 („An­wen­dungs­be­reich“) der Rah­men­ver­ein­ba­rung be­stimmt:

„1. Die­se Ver­ein­ba­rung gilt für be­fris­tet beschäftig­te Ar­beit­neh­mer mit ei­nem Ar­beits­ver­trag oder ‑verhält­nis gemäß der ge­setz­lich, ta­rif­ver­trag­lich oder nach den Ge­pflo­gen­hei­ten in je­dem Mit­glied­staat gel­ten­den De­fi­ni­ti­on.

2. Die Mit­glied­staa­ten, nach Anhörung der So­zi­al­part­ner, und/oder die So­zi­al­part­ner können vor­se­hen, dass die­se Ver­ein­ba­rung nicht gilt für:

a) Be­rufs­aus­bil­dungs­verhält­nis­se und Aus­zu­bil­den­den­sys­te­me/ Lehr­lings­aus­bil­dungs­sys­te­me;

b) Ar­beits­verträge und ‑verhält­nis­se, die im Rah­men ei­nes be­son­de­ren öffent­li­chen oder von der öffent­li­chen Hand un­terstütz­ten be­ruf­li­chen Aus­bil­dungs-, Ein­glie­de­rungs- oder Um­schu­lungs­pro­gramms ab­ge­schlos­sen wur­den.“

7 In Pa­ra­graf 3 („De­fi­ni­tio­nen“) der Rah­men­ver­ein­ba­rung heißt es:

„Im Sin­ne die­ser Ver­ein­ba­rung ist:

1. ‚be­fris­tet beschäftig­ter Ar­beit­neh­mer‘ ei­ne Per­son mit ei­nem di­rekt zwi­schen dem Ar­beit­ge­ber und dem Ar­beit­neh­mer ge­schlos­se­nen Ar­beits­ver­trag oder ‑verhält­nis, des­sen En­de durch ob­jek­ti­ve Be­din­gun­gen wie das Er­rei­chen ei­nes be­stimm­ten Da­tums, die Erfüllung ei­ner be­stimm­ten Auf­ga­be oder das Ein­tre­ten ei­nes be­stimm­ten Er­eig­nis­ses be­stimmt wird.

…“

8 Pa­ra­graf 5 („Maßnah­men zur Ver­mei­dung von Miss­brauch“) der Rah­men­ver­ein­ba­rung sieht vor:

„1. Um Miss­brauch durch auf­ein­an­der­fol­gen­de be­fris­te­te Ar­beits­verträge oder ‑verhält­nis­se zu ver­mei­den, er­grei­fen die Mit­glied­staa­ten nach der ge­setz­lich oder ta­rif­ver­trag­lich vor­ge­schrie­be­nen oder in dem Mit­glied­staat übli­chen Anhörung der So­zi­al­part­ner und/oder die So­zi­al­part­ner, wenn kei­ne gleich­wer­ti­gen ge­setz­li­chen Maßnah­men zur Miss­brauchs­ver­hin­de­rung be­ste­hen, un­ter Berück­sich­ti­gung der An­for­de­run­gen be­stimm­ter Bran­chen und/oder Ar­beit­neh­mer­ka­te­go­ri­en ei­ne oder meh­re­re der fol­gen­den Maßnah­men:

a) sach­li­che Gründe, die die Verlänge­rung sol­cher Verträge oder Verhält­nis­se recht­fer­ti­gen;

b) die ins­ge­samt ma­xi­mal zulässi­ge Dau­er auf­ein­an­der­fol­gen­der [be­fris­te­ter] Ar­beits­verträge oder ‑verhält­nis­se;

c) die zulässi­ge Zahl der Verlänge­run­gen sol­cher Verträge oder Verhält­nis­se.

…“

Richt­li­nie 2008/104/EG

9 In den Erwägungs­gründen 5 bis 7 der Richt­li­nie 2008/104/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 19. No­vem­ber 2008 über Leih­ar­beit (ABl. L 327, S. 9) heißt es:

„(5) In der Präam­bel zu der … Rah­men­ver­ein­ba­rung über be­fris­te­te Ar­beits­verträge be­kun­de­ten die Un­ter­zeich­ne­ten ih­re Ab­sicht, die Not­wen­dig­keit ei­ner ähn­li­chen Ver­ein­ba­rung zum The­ma Leih­ar­beit zu prüfen[,] und ent­schie­den, Leih­ar­beit­neh­mer nicht in der Richt­li­nie über be­fris­te­te Ar­beits­verträge zu be­han­deln.

(7) Am 21. Mai 2001 er­kann­ten die So­zi­al­part­ner an, dass ih­re Ver­hand­lun­gen über Leih­ar­beit zu kei­nem Er­geb­nis geführt hat­ten.“

Ita­lie­ni­sches Recht

Ge­set­zes­ver­tre­ten­des De­kret Nr. 368/01

10 Art. 1 des Ge­set­zes­ver­tre­ten­den De­krets Nr. 368 vom 6. Sep­tem­ber 2001 zur Um­set­zung der Richt­li­nie 1999/70/EG zu der EGB-UN­ICE-CEEP-Rah­men­ver­ein­ba­rung über be­fris­te­te Ar­beits­verträge (de­cre­to le­gis­la­tivo n. 368, at­tua­zio­ne del­la di­ret­ti­va 1999/70/CE re­la­ti­va all’ac­cor­do qua­dro sul la­voro a tem­po de­ter­mi­na­to con­clu­so dall’UN­ICE, dal CEEP e dal CES) (GURI Nr. 235 vom 9. Ok­to­ber 2001, S. 4, im Fol­gen­den: Ge­set­zes­ver­tre­ten­des De­kret Nr. 368/01) sieht vor:

„(1) Die Be­fris­tung ei­nes Ar­beits­ver­trags ist aus tech­ni­schen Gründen so­wie aus Gründen der Pro­duk­ti­on, der Or­ga­ni­sa­ti­on oder der Er­set­zung von Ar­beit­neh­mern zulässig.

(2) Die Be­fris­tung ist un­wirk­sam, wenn sie nicht un­mit­tel­bar oder mit­tel­bar in ei­nem Schriftstück nie­der­ge­legt ist, in dem die Gründe im Sin­ne von Ab­satz 1 an­ge­ge­ben sind.

(3) Der Ar­beit­ge­ber hat dem Ar­beit­neh­mer in­ner­halb von fünf Werk­ta­gen nach Auf­nah­me der Ar­beit ei­ne Ko­pie des Schriftstücks aus­zuhändi­gen.

(4) Die Schrift­form ist je­doch nicht er­for­der­lich, wenn die Dau­er des Ar­beits­verhält­nis­ses bei rei­ner Ge­le­gen­heits­ar­beit zwölf Ta­ge nicht über­steigt.“

11 Art. 4 des Ge­set­zes­ver­tre­ten­den De­krets Nr. 368/01, der die Verlänge­rung be­fris­te­ter Ar­beits­verträge re­gelt, lau­tet:

„(1) Die ein­ver­nehm­li­che Verlänge­rung ei­nes be­fris­te­ten Ar­beits­ver­trags ist nur möglich, wenn die ursprüng­li­che Ver­trags­lauf­zeit we­ni­ger als drei Jah­re beträgt. Zulässig ist dann ei­ne ein­ma­li­ge Verlänge­rung, so­fern sie aus sach­li­chen Gründen ge­bo­ten ist und die­sel­be Ar­beitstätig­keit be­trifft, für die der be­fris­te­te Ver­trag ge­schlos­sen wur­de. Al­lein in die­sem Fall darf die Ge­samt­dau­er des be­fris­te­ten Verhält­nis­ses drei Jah­re nicht über­stei­gen.

(2) Der Ar­beit­ge­ber trägt die Be­weis­last für das ob­jek­ti­ve Vor­lie­gen der Gründe, die die et­wai­ge Verlänge­rung der Be­fris­tung recht­fer­ti­gen.“

12 Art. 5 („Frist­ab­lauf und Sank­tio­nen; auf­ein­an­der­fol­gen­de Verträge“) des Ge­set­zes­ver­tre­ten­den De­krets Nr. 368/01 be­stimmt:

„(1) Wird das Ar­beits­verhält­nis nach Ab­lauf der ursprüng­lich fest­ge­setz­ten Frist fort­ge­setzt oder später gemäß Ar­ti­kel 4 verlängert, ist der Ar­beit­ge­ber ver­pflich­tet, dem Ar­beit­neh­mer das Ent­gelt für je­den Tag der Fort­set­zung des Verhält­nis­ses bis zum zehn­ten auf­ein­an­der­fol­gen­den Tag um 20 vom Hun­dert und für je­den wei­te­ren Tag um 40 vom Hun­dert zu erhöhen.

(2) Wird das Ar­beits­verhält­nis bei Verträgen mit ei­ner Lauf­zeit von we­ni­ger als sechs Mo­na­ten über den zwan­zigs­ten Tag hin­aus oder in den an­de­ren Fällen über den dreißigs­ten Tag hin­aus fort­ge­setzt, so gilt der Ver­trag mit Ab­lauf der ge­nann­ten Fris­ten als un­be­fris­tet.

(3) Wird der Ar­beit­neh­mer bin­nen zehn Ta­gen nach Ab­lauf ei­nes Ver­tra­ges mit ei­ner Lauf­zeit von höchs­tens sechs Mo­na­ten oder bin­nen zwan­zig Ta­gen nach Ab­lauf ei­nes Ver­tra­ges mit ei­ner Lauf­zeit von mehr als sechs Mo­na­ten wie­der gemäß Ar­ti­kel 1 be­fris­tet ein­ge­stellt, so gilt der zwei­te Ver­trag als un­be­fris­tet.

(4) Bei zwei auf­ein­an­der­fol­gen­den be­fris­te­ten Ein­stel­lun­gen, wor­un­ter sol­che zu ver­ste­hen sind, die oh­ne je­de Un­ter­bre­chung zu­sam­menhängen, gilt das Ar­beits­verhält­nis vom Zeit­punkt des Ab­schlus­ses des ers­ten Ver­tra­ges an als un­be­fris­tet.“

Ge­set­zes­ver­tre­ten­des De­kret Nr. 276/03

13 Aus dem Vor­la­ge­be­schluss er­gibt sich, dass das Ge­set­zes­ver­tre­ten­de De­kret Nr. 276 vom 10. Sep­tem­ber 2003 zur Um­set­zung der Ermäch­ti­gun­gen gemäß dem Ge­setz Nr. 30 vom 14. Fe­bru­ar 2003 in den Be­rei­chen Beschäfti­gung und Ar­beits­markt (de­cre­to le­gis­la­tivo n. 276, at­tua­zio­ne del­le de­leg­he in ma­te­ria di oc­cup­a­zio­ne e mer­ca­to del la­voro, di cui al­la leg­ge 14 feb­braio 2003, n. 30) (Or­dent­li­che Bei­la­ge zur GURI Nr. 235 vom 9. Ok­to­ber 2003, S. 5, im Fol­gen­den: Ge­set­zes­ver­tre­ten­des De­kret Nr. 276/03) in Be­zug auf mit ei­ner Leih­ar­beits­agen­tur ge­schlos­se­ne be­fris­te­te Ar­beits­verträge von dem Ge­set­zes­ver­tre­ten­den De­kret Nr. 368/01 in­so­weit ab­weicht, als es vor­sieht, dass die­se Ar­beits­verträge nach ei­ner Re­ge­lung, die nur mit­tel­bar zum ge­mei­nen Recht gehört, oh­ne Recht­fer­ti­gung be­fris­tet und verlängert wer­den können.
14 Das Ge­set­zes­ver­tre­ten­de De­kret Nr. 276/03 de­fi­niert den Ar­beit­neh­merüber­las­sungs­ver­trag („som­mi­nis­tra­zio­ne di la­voro“) als Ver­trag, des­sen Ge­gen­stand die ge­werb­li­che Be­reit­stel­lung von Ar­beits­kräften auf un­be­stimm­te oder be­stimm­te Zeit ist und in des­sen Rah­men die Ar­beit­neh­mer ih­re Tätig­keit für den Ent­lei­her nach sei­ner Wei­sung und un­ter sei­ner Auf­sicht ausüben. Es han­delt sich da­her um ei­nen Ver­trag zwi­schen zwei Per­so­nen, dem Ver­lei­her („som­mi­nis­tra­to­re“) und dem Ent­lei­her („uti­liz­za­to­re“), mit dem der Erst­ge­nann­te Ar­beit­neh­mer, die er selbst ein­ge­stellt hat, dem Letzt­ge­nann­ten ge­gen Zah­lung überlässt. Hin­zu tritt ein zwi­schen dem Ver­lei­her und dem Ar­beit­neh­mer ge­schlos­se­ner Ar­beits­ver­trag.
15 Nach Art. 20 Abs. 4 des Ge­set­zes­ver­tre­ten­den De­krets Nr. 276/03 ist die Ar­beit­neh­merüber­las­sung auf be­stimm­te Zeit aus tech­ni­schen Gründen so­wie aus Gründen der Pro­duk­ti­on, der Or­ga­ni­sa­ti­on oder der Er­set­zung von Ar­beit­neh­mern zulässig, selbst wenn die Gründe auf die gewöhn­li­che Tätig­keit des Ent­lei­hers zurück­ge­hen. In den na­tio­na­len Ta­rif­verträgen kann vor­ge­se­hen wer­den, dass der In­an­spruch­nah­me von Ar­beit­neh­merüber­las­sung auf be­stimm­te Zeit quan­ti­ta­ti­ve Gren­zen - auch in nicht ein­heit­li­chem Maß - ge­setzt wer­den.
16 Gemäß Art. 21 des Ge­set­zes­ver­tre­ten­den De­krets Nr. 276/03 be­darf der Ar­beit­neh­merüber­las­sungs­ver­trag der Schrift­form und muss u. a. den Fall­ty­pus und den tech­ni­schen oder mit der Pro­duk­ti­on, der Or­ga­ni­sa­ti­on oder der Er­set­zung ei­nes Ar­beit­neh­mers zu­sam­menhängen­den Grund im Sin­ne des Art. 20 Abs. 3 und 4 ent­hal­ten. Die­se In­for­ma­ti­on muss dem Ar­beit­neh­mer vom Ver­lei­her bei Ab­schluss des Ar­beits­ver­trags oder anläss­lich der Ent­sen­dung zum Ent­lei­her schrift­lich mit­ge­teilt wer­den.
17

Art. 22 Abs. 2 des Ge­set­zes­ver­tre­ten­den De­krets Nr. 276/03 sieht vor, dass bei ei­ner Ar­beit­neh­merüber­las­sung auf be­stimm­te Zeit für das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen dem Ver­lei­her und dem Ar­beit­neh­mer die Be­stim­mun­gen des Ge­set­zes­ver­tre­ten­den De­krets Nr. 368/01 mit Aus­nah­me von des­sen Art. 5 Abs. 3 und 4 ent­spre­chend gel­ten. Die ursprüng­li­che Be­fris­tung des Ar­beits­ver­trags kann auf je­den Fall in den Si­tua­tio­nen und für die Dau­er, wie sie in dem für den Ver­lei­her gel­ten­den Ta­rif­ver­trag vor­ge­se­hen sind, im Ein­ver­neh­men mit dem Ar­beit­neh­mer und un­ter Ein­hal­tung der Schrift­form verlängert wer­den.

18 Art. 27 des Ge­set­zes­ver­tre­ten­den De­krets Nr. 276/03 eröff­net dem Ar­beit­neh­mer für den Fall, dass die Ar­beit­neh­merüber­las­sung außer­halb der in den Art. 20 und 21 die­ses De­krets vor­ge­se­he­nen Gren­zen und Be­din­gun­gen er­folgt, den Rechts­weg, um mit­tels ei­ner Kla­ge, die auch nur dem Ent­lei­her zu­ge­stellt wird, das Be­ste­hen ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses mit Letz­te­rem mit Wir­kung ab dem Be­ginn der Über­las­sung fest­stel­len zu las­sen.

Aus­gangs­rechts­streit und Vor­la­ge­fra­gen

19 Herr Del­la Roc­ca schloss mit der Obi­et­tivo La­voro SpA (im Fol­gen­den: Obi­et­tivo La­voro), ei­ner Leih­ar­beits­ge­sell­schaft, drei auf­ein­an­der­fol­gen­de be­fris­te­te Ar­beits­verträge, auf­grund de­ren er Pos­te Ita­lia­ne als Post­bo­te zur Verfügung ge­stellt wur­de. Die­se Verträge lie­fen vom 2. No­vem­ber 2005 bis 31. Ja­nu­ar 2006, vom 2. Fe­bru­ar bis 30. Sep­tem­ber 2006 und vom 2. Ok­to­ber 2006 bis 31. Ja­nu­ar 2007. Ge­schlos­sen wur­den sie auf der Grund­la­ge ei­nes be­fris­te­ten Ar­beit­neh­merüber­las­sungs­ver­trags, den Pos­te Ita­lia­ne mit Obi­et­tivo La­voro ge­schlos­sen hat­te, um feh­len­des Per­so­nal des Post­zu­stell­diensts in der Re­gi­on Kam­pa­ni­en zu er­set­zen. Es steht fest, dass nur der Ar­beit­neh­merüber­las­sungs­ver­trag die ob­jek­ti­ven Gründe zur Recht­fer­ti­gung des Ab­schlus­ses und der Verlänge­rung der be­fris­te­ten Ar­beits­verträge ent­hielt, nicht aber die­se Verträge selbst.
20 Herr Del­la Roc­ca, der die An­sicht ver­trat, dass die Gründe für den Rück­griff auf die be­fris­te­te Ar­beit­neh­merüber­las­sung „all­ge­mein und halt­los“ sei­en und die Verlänge­rung der Über­las­sung nicht be­gründet wor­den sei, be­gehr­te beim Tri­bu­na­le di Na­po­li die Fest­stel­lung, dass zwi­schen ihm und Pos­te Ita­lia­ne ein un­be­fris­te­tes Ar­beits­verhält­nis be­ste­he, weil die Über­las­sung in An­se­hung der Art. 20, 21 und 27 des Ge­set­zes­ver­tre­ten­den De­krets Nr. 276/03 un­rechtmäßig ge­we­sen sei.
21 Pos­te Ita­lia­ne ist der Auf­fas­sung, dass die Gründe, die den Rück­griff auf den Ar­beit­neh­merüber­las­sungs­ver­trag recht­fer­tig­ten, hin­rei­chend an­ge­ge­ben wor­den sei­en und tatsächlich be­stan­den hätten. Außer­dem ha­be die Verlänge­rung der Ar­beits­verträge zwi­schen Obi­et­tivo La­voro und Herrn Del­la Roc­ca kei­ner nor­ma­ti­ven Be­schränkung un­ter­le­gen, weil Art. 22 des Ge­set­zes­ver­tre­ten­den De­krets Nr. 276/03 die An­wen­dung von Art. 5 Abs. 3 und 4 des Ge­set­zes­ver­tre­ten­den De­krets Nr. 368/01 auf die­se Art von Verträgen aus­sch­ließe.
22 In der Vor­la­ge­ent­schei­dung führt das Tri­bu­na­le di Na­po­li aus, dass sich aus die­sem Art. 22 er­ge­be, dass das na­tio­na­le Recht in Ab­wei­chung von den all­ge­mei­nen Be­stim­mun­gen über be­fris­te­te Ar­beits­verträge den Leih­ar­beits­un­ter­neh­men kei­ner­lei Schran­ken für die Verlänge­rung be­fris­te­ter Ar­beits­verträge set­ze. Während nämlich nach dem Ge­set­zes­ver­tre­ten­den De­kret Nr. 368/01 der Grund für den Ver­trag und sei­ne Verlänge­rung die Er­for­der­nis­se des Ar­beit­ge­bers be­tref­fe, er­lau­be das Ge­set­zes­ver­tre­ten­de De­kret Nr. 276/03 den Ab­schluss be­fris­te­ter Ar­beits­verträge, wenn auch der Ar­beit­neh­merüber­las­sungs­ver­trag auf be­stimm­te Zeit ge­schlos­sen wor­den sei. Nur die­ser müsse nach den Art. 20 Abs. 4 und 27 Abs. 1 des Ge­set­zes­ver­tre­ten­den De­krets Nr. 276/03 mit tech­ni­schen, or­ga­ni­sa­to­ri­schen oder pro­duk­ti­ons­be­ding­ten Er­for­der­nis­sen ge­recht­fer­tigt wer­den.
23 Das Tri­bu­na­le di Na­po­li äußert je­doch Zwei­fel an der Ver­ein­bar­keit die­ser Re­ge­lung mit Pa­ra­graf 5 der Rah­men­ver­ein­ba­rung.
24 Sei­ner An­sicht nach stellt sich in­so­weit zunächst die Fra­ge, ob das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen dem Leih­ar­beits­un­ter­neh­men und dem Leih­ar­beit­neh­mer oder das­je­ni­ge zwi­schen dem Leih­ar­beit­neh­mer und dem ent­lei­hen­den Un­ter­neh­men in den An­wen­dungs­be­reich der Rah­men­ver­ein­ba­rung fällt. Ob­wohl nämlich de­ren Präam­bel na­he­le­ge, dass die Rah­men­ver­ein­ba­rung nicht an­wend­bar sei, spre­che Rand­nr. 36 des Be­schlus­ses vom 15. Sep­tem­ber 2010, Bri­ot (C-386/09, Slg. 2010, I-8471), dafür, dass das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen dem Leih­ar­beits­un­ter­neh­men und dem Leih­ar­beit­neh­mer der Rah­men­ver­ein­ba­rung un­ter­lie­ge, da die Richt­li­nie 2008/104 nur das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen dem Leih­ar­beit­neh­mer und dem ent­lei­hen­den Un­ter­neh­men be­tref­fe. 
25 Wei­ter stellt sich das vor­le­gen­de Ge­richt für den Fall, dass die Rah­men­ver­ein­ba­rung an­wend­bar sein soll­te, die Fra­ge, ob es in Er­man­ge­lung sons­ti­ger Präven­tiv­maßnah­men mit Pa­ra­graf 5 Nr. 1 Buchst. a der Rah­men­ver­ein­ba­rung in Ein­klang ste­he, dass die auf tech­ni­sche, or­ga­ni­sa­to­ri­sche oder pro­duk­ti­ons­be­ding­te Er­for­der­nis­se gestütz­ten Gründe, mit de­nen der Ab­schluss ei­nes be­fris­te­ten Ar­beit­neh­merüber­las­sungs­ver­trags ge­recht­fer­tigt wor­den sei, die aber nicht für das Leih­ar­beits­un­ter­neh­men, son­dern für das ent­lei­hen­de Un­ter­neh­men gälten und in kei­nem Zu­sam­men­hang mit dem kon­kre­ten Ar­beits­verhält­nis stünden, aus­reich­ten, um den Ab­schluss und die Verlänge­rung ei­nes be­fris­te­ten Ar­beits­ver­trags zwi­schen dem Leih­ar­beit­neh­mer und dem Leih­ar­beits­un­ter­neh­men zu recht­fer­ti­gen.
26 Sch­ließlich wirft das vor­le­gen­de Ge­richt die Fra­ge auf, ob die­ser Pa­ra­graf es zulässt, die Fol­gen des miss­bräuch­li­chen Rück­griffs auf be­fris­te­te Ar­beits­verträge auf ei­nen Drit­ten, hier das ent­lei­hen­de Un­ter­neh­men, ab­zuwälzen. Da nämlich die Leih­ar­beits­un­ter­neh­men nur ei­ne Mitt­lertätig­keit ausübten und in der La­ge sei­en, kein Be­triebs­ri­si­ko ein­zu­ge­hen, stütz­ten die Ar­beit­neh­mer ih­re Kla­gen sys­te­ma­tisch auf Art. 27 Abs. 1 des Ge­set­zes­ver­tre­ten­den De­krets Nr. 276/03, so dass die Sank­ti­on nicht den Ar­beit­ge­ber tref­fe.
27 Das Tri­bu­na­le di Na­po­li hat da­her be­schlos­sen, das Ver­fah­ren aus­zu­set­zen und dem Ge­richts­hof fol­gen­de Fra­gen zur Vor­ab­ent­schei­dung vor­zu­le­gen:

1. Be­zieht sich die Richt­li­nie 1999/70, vor al­lem Pa­ra­graf 2 der Rah­men­ver­ein­ba­rung, auch un­ter Berück­sich­ti­gung der Ne­ben­be­mer­kung in Rand­nr. 36 des Be­schlus­ses Bri­ot, auch auf das be­fris­te­te Ar­beits­verhält­nis zwi­schen dem über­las­se­nen Ar­beit­neh­mer und der Leih­ar­beits­agen­tur oder zwi­schen dem über­las­se­nen Ar­beit­neh­mer und dem Ent­lei­her, und re­gelt die Richt­li­nie 1999/70 so­mit die­se Verhält­nis­se?

2. Erfüllt in Er­man­ge­lung an­de­rer Maßnah­men zur Miss­brauchs­ver­hin­de­rung ei­ne Be­stim­mung, die die Be­fris­tung des Ar­beits­ver­trags mit ei­ner Leih­ar­beits­agen­tur so­wie sei­ne Er­neue­rung auf der Grund­la­ge nicht tech­ni­scher, or­ga­ni­sa­to­ri­scher oder pro­duk­ti­ons­be­ding­ter Er­for­der­nis­se, die für die Leih­ar­beits­agen­tur gel­ten und mit dem kon­kre­ten be­fris­te­ten Ar­beits­verhält­nis zu tun ha­ben, son­dern all­ge­mei­ner, vom kon­kre­ten Ar­beits­verhält­nis los­gelöster Er­for­der­nis­se des Ent­lei­hers er­laubt, die Vor­aus­set­zun­gen von Pa­ra­graf 5 Nr. 1 Buchst. a der Richt­li­nie 1999/70, oder kann sie ei­ne Um­ge­hung die­ser Richt­li­nie dar­stel­len? Müssen die ob­jek­ti­ven Er­for­der­nis­se im Sin­ne von Pa­ra­graf 5 Nr. 1 Buchst. a der Richt­li­nie 1999/70 schrift­lich fest­ge­hal­ten wer­den und das kon­kre­te be­fris­te­te Ar­beits­verhält­nis und sei­ne Er­neue­rung be­tref­fen, und ist so­mit der Ver­weis auf die all­ge­mei­nen ob­jek­ti­ven Er­for­der­nis­se, die den Ab­schluss des Ar­beit­neh­merüber­las­sungs­ver­trags ge­recht­fer­tigt ha­ben, un­ge­eig­net, die Vor­ga­be aus Pa­ra­graf 5 Buchst. a zu erfüllen?

3. Steht Pa­ra­graf 5 der Richt­li­nie 1999/70 dem ent­ge­gen, dass die Fol­gen des Miss­brauchs zu­las­ten ei­nes Drit­ten, im vor­lie­gen­den Fall des Ent­lei­hers, ge­hen?

Zu den Vor­la­ge­fra­gen

Zur Zulässig­keit

28 Pos­te Ita­lia­ne bringt vor, die Vor­la­ge­fra­gen sei­en nicht ent­schei­dungs­er­heb­lich, da sie die An­wen­dung der Rah­men­ver­ein­ba­rung auf das Ar­beits­verhält­nis zwi­schen dem Leih­ar­beit­neh­mer und dem Leih­ar­beits­un­ter­neh­men beträfen, während Herr Del­la Roc­ca im Aus­gangs­rechts­streit le­dig­lich die Rechts­wid­rig­keit des Ar­beit­neh­merüber­las­sungs­ver­trags zwi­schen dem Leih­ar­beits­un­ter­neh­men und dem ent­lei­hen­den Un­ter­neh­men gel­tend ma­che.
29 Da­zu ist dar­auf hin­zu­wei­sen, dass nach ständi­ger Recht­spre­chung ei­ne Ver­mu­tung für die Ent­schei­dungs­er­heb­lich­keit der Vor­la­ge­fra­gen des na­tio­na­len Ge­richts spricht, die es zur Aus­le­gung des Uni­ons­rechts in dem recht­li­chen und sach­li­chen Rah­men stellt, den es in ei­ge­ner Ver­ant­wor­tung fest­ge­legt und des­sen Rich­tig­keit der Ge­richts­hof nicht zu prüfen hat. Der Ge­richts­hof darf die Ent­schei­dung über ein Er­su­chen ei­nes na­tio­na­len Ge­richts nur dann ver­wei­gern, wenn die er­be­te­ne Aus­le­gung des Uni­ons­rechts of­fen­sicht­lich in kei­nem Zu­sam­men­hang mit der Rea­lität oder dem Ge­gen­stand des Aus­gangs­rechts­streits steht, wenn das Pro­blem hy­po­the­ti­scher Na­tur ist oder wenn er nicht über die tatsächli­chen und recht­li­chen An­ga­ben verfügt, die für ei­ne zweck­dien­li­che Be­ant­wor­tung der ihm vor­ge­leg­ten Fra­gen er­for­der­lich sind (Ur­teil vom 22. Ju­ni 2010, Mel­ki und Ab­de­li, C-188/10 und C-189/10, Slg. 2010, I-5667, Rand­nr. 27 und die dort an­geführ­te Recht­spre­chung).
30 Die vom vor­le­gen­den Ge­richt ge­stell­ten Fra­gen be­tref­fen aber die Aus­le­gung der Rah­men­ver­ein­ba­rung in ei­nem rea­len Rechts­streit, in dem sich Herr Del­la Roc­ca, wie sich aus den vor­ste­hen­den Rand­nrn. 20 und 21 er­gibt, nicht nur ge­gen die Ar­beit­neh­merüber­las­sung, son­dern auch ge­gen die Verlänge­rung sei­ner Ar­beits­verträge mit dem Leih­ar­beits­un­ter­neh­men wen­det, während Pos­te Ita­lia­ne be­haup­tet, dass die­se Verlänge­run­gen im Ein­klang mit den An­for­de­run­gen des na­tio­na­len Rechts stünden, was das vor­le­gen­de Ge­richt da­zu ver­an­lasst, sich die Fra­ge zu stel­len, ob das na­tio­na­le Recht mit der Rah­men­ver­ein­ba­rung ver­ein­bar ist.
31 Das Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen ist da­her zulässig.

Zur ers­ten Fra­ge

32 Mit die­ser Fra­ge möch­te das vor­le­gen­de Ge­richt im We­sent­li­chen wis­sen, ob die Richt­li­nie 1999/70 und die Rah­men­ver­ein­ba­rung da­hin aus­zu­le­gen sind, dass sie auf das be­fris­te­te Ar­beits­verhält­nis zwi­schen ei­nem Leih­ar­beit­neh­mer und ei­nem Leih­ar­beits­un­ter­neh­men oder auf das be­fris­te­te Ar­beits­verhält­nis zwi­schen ei­nem Leih­ar­beit­neh­mer und ei­nem ent­lei­hen­den Un­ter­neh­men an­wend­bar sind.
33 Vor­ab ist dar­auf hin­zu­wei­sen, dass für ei­nen Leih­ar­beit­neh­mer wie Herrn Del­la Roc­ca der sach­li­che An­wen­dungs­be­reich der Richt­li­nie 2008/104 eröff­net ist. Es steht je­doch fest, dass die­se Richt­li­nie, die bis spätes­tens 5. De­zem­ber 2011 in na­tio­na­les Recht um­ge­setzt wer­den muss­te, zeit­lich auf das Aus­gangs­ver­fah­ren nicht an­wend­bar ist, da die dort in Re­de ste­hen­den Leih­ar­beits­ab­schnit­te den Zeit­raum vom 2. No­vem­ber 2005 bis 31. Ja­nu­ar 2007 be­tref­fen. Un­ter die­sen Umständen stellt sich das vor­le­gen­de Ge­richt zu Recht nur die Fra­ge nach der An­wend­bar­keit der Rah­men­ver­ein­ba­rung auf ei­nen sol­chen Ar­beit­neh­mer.
34 Wie der Ge­richts­hof be­reits ent­schie­den hat, lässt sich schon dem Wort­laut des Pa­ra­gra­fen 2 Nr. 1 der Rah­men­ver­ein­ba­rung ent­neh­men, dass de­ren An­wen­dungs­be­reich weit ge­fasst ist, da sie all­ge­mein auf „be­fris­tet beschäftig­te Ar­beit­neh­mer mit ei­nem Ar­beits­ver­trag oder -verhält­nis gemäß der ge­setz­lich, ta­rif­ver­trag­lich oder nach den Ge­pflo­gen­hei­ten in je­dem Mit­glied­staat gel­ten­den De­fi­ni­ti­on“ ab­stellt. Auch die De­fi­ni­ti­on des Be­griffs „be­fris­tet beschäftig­ter Ar­beit­neh­mer“ im Sin­ne der Rah­men­ver­ein­ba­rung, die in de­ren Pa­ra­graf 3 Nr. 1 ent­hal­ten ist, er­fasst al­le Ar­beit­neh­mer, oh­ne da­nach zu un­ter­schei­den, ob sie an ei­nen öffent­li­chen oder an ei­nen pri­va­ten Ar­beit­ge­ber ge­bun­den sind (Ur­teil vom 4. Ju­li 2006, Aden­eler u. a., C-212/04, Slg. 2006, I-6057, Rand­nr. 56).
35 Al­ler­dings ist der An­wen­dungs­be­reich der Rah­men­ver­ein­ba­rung nicht un­be­grenzt. So geht aus dem be­sag­ten Wort­laut von Pa­ra­graf 2 Nr. 1 der Rah­men­ver­ein­ba­rung her­vor, dass sich die De­fi­ni­ti­on der Ar­beits­verträge und -verhält­nis­se, für die die­se Rah­men­ver­ein­ba­rung gilt, nicht nach der Ver­ein­ba­rung selbst oder dem Uni­ons­recht, son­dern nach den na­tio­na­len Rechts­vor­schrif­ten und/oder Ge­pflo­gen­hei­ten rich­tet. Außer­dem ver­leiht Pa­ra­graf 2 Nr. 2 der Rah­men­ver­ein­ba­rung den Mit­glied­staa­ten ein Er­mes­sen hin­sicht­lich der An­wen­dung der Rah­men­ver­ein­ba­rung auf be­stimm­te Ka­te­go­ri­en von Ar­beits­verträgen oder -verhält­nis­sen. Er eröff­net den Mit­glied­staa­ten und/oder den So­zi­al­part­nern nämlich die Möglich­keit, die „Be­rufs­aus­bil­dungs­verhält­nis­se und Aus­zu­bil­den­den­sys­te­me/ Lehr­lings­aus­bil­dungs­sys­te­me“ so­wie die „Ar­beits­verträge und -verhält­nis­se, die im Rah­men ei­nes be­son­de­ren öffent­li­chen oder von der öffent­li­chen Hand un­terstütz­ten be­ruf­li­chen Aus­bil­dungs-, Ein­glie­de­rungs- oder Um­schu­lungs­pro­gramms ab­ge­schlos­sen wur­den“, vom An­wen­dungs­be­reich der Rah­men­ver­ein­ba­rung aus­zu­neh­men (vgl. Ur­teil vom 15. März 2012, Si­bi­lio, C-157/11, noch nicht in der amt­li­chen Samm­lung veröffent­licht, Rand­nrn. 42, 52 und 53).
36 In glei­cher Wei­se er­gibt sich aber aus dem vier­ten Ab­satz der Präam­bel der Rah­men­ver­ein­ba­rung aus­drück­lich, dass die­se nicht für Ar­beit­neh­mer in be­fris­te­ten Ar­beits­verhält­nis­sen gilt, die ei­nem ent­lei­hen­den Un­ter­neh­men von ei­nem Leih­ar­beits­un­ter­neh­men zur Verfügung ge­stellt wer­den, da es die Ab­sicht der Par­tei­en der Rah­men­ver­ein­ba­rung war, ei­ne ähn­li­che Ver­ein­ba­rung über Leih­ar­beit zu schließen. Die Re­ge­lung ge­nau Letz­te­rer ist Ge­gen­stand der Richt­li­nie 2008/104, die, wie ih­ren Erwägungs­gründen 5 und 7 zu ent­neh­men ist, vom Uni­ons­ge­setz­ge­ber er­las­sen wur­de, nach­dem die Ver­hand­lun­gen zwi­schen den So­zi­al­part­nern über den Ab­schluss ei­ner sol­chen Ver­ein­ba­rung ge­schei­tert wa­ren.
37 In­so­weit ist dar­auf hin­zu­wei­sen, dass sich die in der Präam­bel der Rah­men­ver­ein­ba­rung vor­ge­se­he­ne Aus­nah­me auf die Leih­ar­beit­neh­mer als sol­che be­zieht und nicht auf das ei­ne oder das an­de­re ih­rer Ar­beits­verhält­nis­se, so dass we­der ihr Ar­beits­verhält­nis mit dem Leih­ar­beits­un­ter­neh­men noch das mit dem ent­lei­hen­den Un­ter­neh­men in den An­wen­dungs­be­reich der Rah­men­ver­ein­ba­rung fal­len.
38 Zwar ist nach der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs die Präam­bel ei­nes Rechts­akts der Uni­on recht­lich nicht ver­bind­lich und kann we­der her­an­ge­zo­gen wer­den, um von den Be­stim­mun­gen des be­tref­fen­den Rechts­akts ab­zu­wei­chen, noch, um die­se Be­stim­mun­gen in ei­nem Sin­ne aus­zu­le­gen, der ih­rem Wort­laut of­fen­sicht­lich zu­wi­derläuft (vgl. u. a. Ur­tei­le vom 25. No­vem­ber 1998, Man­fre­di, C-308/97, Slg. 1998, I-7685, Rand­nr. 30, vom 24. No­vem­ber 2005, Deut­sches Milch-Kon­tor, C-136/04, Slg. 2005, I-10095, Rand­nr. 32, vom 2. April 2009, Ty­son Par­kett­han­del, C-134/08, Slg. 2009, I-2875, Rand­nr. 16, und vom 28. Ju­ni 2012, Ca­ron­na, C-7/11, noch nicht in der amt­li­chen Samm­lung veröffent­licht, Rand­nr. 40).
39 Hier fin­det je­doch die in der Präam­bel der Rah­men­ver­ein­ba­rung ent­hal­te­ne Aus­nah­me in Pa­ra­graf 3 Nr. 1 der Ver­ein­ba­rung Nie­der­schlag, wo­nach nur ein „di­rekt“ mit dem Ar­beit­ge­ber ge­schlos­se­nes Ar­beits­verhält­nis un­ter die­se Ver­ein­ba­rung fällt.
40 Außer­dem ist die Über­las­sung von Leih­ar­beit­neh­mern ein kom­ple­xes und spe­zi­fi­sches ar­beits­recht­li­ches Kon­strukt, das, wie sich aus den vor­ste­hen­den Rand­nrn. 32 und 37 er­gibt, ein dop­pel­tes Ar­beits­verhält­nis zwi­schen ei­ner­seits dem Leih­ar­beits­un­ter­neh­men und dem Leih­ar­beit­neh­mer und an­de­rer­seits dem Leih­ar­beit­neh­mer und dem ent­lei­hen­den Un­ter­neh­men so­wie ein Über­las­sungs­verhält­nis zwi­schen dem Leih­ar­beits­un­ter­neh­men und dem ent­lei­hen­den Un­ter­neh­men ein­sch­ließt. Die Rah­men­ver­ein­ba­rung enthält aber kei­ne Be­stim­mung, die die­se spe­zi­fi­schen As­pek­te be­han­delt.
41 Um­ge­kehrt be­stimmt Art. 1 Abs. 3 Buchst. c der Richt­li­nie 96/71/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 16. De­zem­ber 1996 über die Ent­sen­dung von Ar­beit­neh­mern im Rah­men der Er­brin­gung von Dienst­leis­tun­gen (ABl. 1997, L 18, S. 1) aus­drück­lich, dass die­se Richt­li­nie auf die Ent­sen­dung ei­nes Ar­beit­neh­mers in ein ent­lei­hen­des Un­ter­neh­men durch ein Leih­ar­beits­un­ter­neh­men An­wen­dung fin­det, wenn für die Dau­er der Ent­sen­dung ein Ar­beits­verhält­nis zwi­schen dem Leih­ar­beits­un­ter­neh­men und dem Leih­ar­beit­neh­mer be­steht. Ge­nau­so stellt Art. 1 Nr. 2 der Richt­li­nie 91/383/EWG des Ra­tes vom 25. Ju­ni 1991 zur Ergänzung der Maßnah­men zur Ver­bes­se­rung der Si­cher­heit und des Ge­sund­heits­schut­zes von Ar­beit­neh­mern mit be­fris­te­tem Ar­beits­verhält­nis oder Leih­ar­beits­verhält­nis (ABl. L 206, S. 19) aus­drück­lich klar, dass die­se Richt­li­nie für Leih­ar­beits­verhält­nis­se zwi­schen ei­nem Leih­ar­beits­un­ter­neh­men und dem Leih­ar­beit­neh­mer gilt.
42 Dar­aus folgt, dass die be­fris­te­ten Ar­beits­verhält­nis­se ei­nes Leih­ar­beit­neh­mers, der ei­nem ent­lei­hen­den Un­ter­neh­men durch ein Leih­ar­beits­un­ter­neh­men zur Verfügung ge­stellt wird, nicht in den An­wen­dungs­be­reich der Rah­men­ver­ein­ba­rung und da­mit auch nicht in den An­wen­dungs­be­reich der Richt­li­nie 1999/70 fal­len.
43 Dies wi­der­spricht auch in kei­ner Wei­se dem, was der Ge­richts­hof im Be­schluss Bri­ot be­fun­den hat. Der Ge­richts­hof hat nämlich in je­ner Rechts­sa­che nach der Fest­stel­lung, dass die Nicht­er­neue­rung ei­nes be­fris­te­ten Ar­beits­ver­trags ei­nes Leih­ar­beit­neh­mers, der we­gen des En­des sei­ner Lauf­zeit vor dem Über­gang der Tätig­keit, der die­ser Ar­beit­neh­mer zu­ge­wie­sen war, be­en­det wur­de, nicht ge­gen die Richt­li­nie 2001/23/EG des Ra­tes vom 12. März 2001 zur An­glei­chung der Rechts­vor­schrif­ten der Mit­glied­staa­ten über die Wah­rung von Ansprüchen der Ar­beit­neh­mer beim Über­gang von Un­ter­neh­men, Be­trie­ben oder Un­ter­neh­mens- oder Be­triebs­tei­len (ABl. L 82, S. 16) verstößt, in Rand­nr. 36 des ge­nann­ten Be­schlus­ses le­dig­lich klar­ge­stellt, dass die­se Lösung den Schutz, den ein Leih­ar­beit­neh­mer ge­ge­be­nen­falls ge­gen die miss­bräuch­li­che Ver­wen­dung auf­ein­an­der­fol­gen­der be­fris­te­ter Ar­beits­verträge auf­grund an­de­rer Be­stim­mun­gen des Uni­ons­rechts, ins­be­son­de­re der Richt­li­nie 1999/70, ge­nießt, un­berührt lässt und de­ren Aus­le­gung durch den Ge­richts­hof nicht vor­greift.
44 Aus der Aus­le­gung der Richt­li­nie 1999/70 und der Rah­men­ver­ein­ba­rung, wie sie aus den vor­ste­hen­den Rand­nrn. 34 bis 42 her­vor­geht, er­gibt sich aber ge­ra­de, dass die be­fris­te­ten Ar­beits­verhält­nis­se ei­nes Leih­ar­beit­neh­mers, der ei­nem ent­lei­hen­den Un­ter­neh­men durch ein Leih­ar­beits­un­ter­neh­men zur Verfügung ge­stellt wird, nicht in den An­wen­dungs­be­reich die­ser Richt­li­nie und der Rah­men­ver­ein­ba­rung fal­len.
45 Da­her ist auf die ers­te Fra­ge zu ant­wor­ten, dass die Richt­li­nie 1999/70 und die Rah­men­ver­ein­ba­rung da­hin aus­zu­le­gen sind, dass sie we­der auf das be­fris­te­te Ar­beits­verhält­nis zwi­schen ei­nem Leih­ar­beit­neh­mer und ei­nem Leih­ar­beits­un­ter­neh­men noch auf das be­fris­te­te Ar­beits­verhält­nis zwi­schen ei­nem Leih­ar­beit­neh­mer und ei­nem ent­lei­hen­den Un­ter­neh­men an­wend­bar sind.

Zur zwei­ten und zur drit­ten Fra­ge

46 In An­be­tracht der Ant­wort auf die ers­te Fra­ge sind die zwei­te und die drit­te Fra­ge nicht zu be­ant­wor­ten.

Kos­ten 

47 Für die Par­tei­en des Aus­gangs­ver­fah­rens ist das Ver­fah­ren ein Zwi­schen­streit in dem beim vor­le­gen­den Ge­richt anhängi­gen Rechts­streit; die Kos­ten­ent­schei­dung ist da­her Sa­che die­ses Ge­richts. Die Aus­la­gen an­de­rer Be­tei­lig­ter für die Ab­ga­be von Erklärun­gen vor dem Ge­richts­hof sind nicht er­stat­tungsfähig.

Aus die­sen Gründen hat der Ge­richts­hof (Ach­te Kam­mer) für Recht er­kannt:

Die Richt­li­nie 1999/70/EG des Ra­tes vom 28. Ju­ni 1999 zu der EGB-UN­ICE-CEEP-Rah­men­ver­ein­ba­rung über be­fris­te­te Ar­beits­verträge und die am 18. März 1999 ge­schlos­se­ne Rah­men­ver­ein­ba­rung über be­fris­te­te Ar­beits­verträge im An­hang die­ser Richt­li­nie sind da­hin aus­zu­le­gen, dass sie we­der auf das be­fris­te­te Ar­beits­verhält­nis zwi­schen ei­nem Leih­ar­beit­neh­mer und ei­nem Leih­ar­beits­un­ter­neh­men noch auf das be­fris­te­te Ar­beits­verhält­nis zwi­schen ei­nem Leih­ar­beit­neh­mer und ei­nem ent­lei­hen­den Un­ter­neh­men an­wend­bar sind.

Un­ter­schrif­ten


* Ver­fah­rens­spra­che: Ita­lie­nisch.

Quel­le: Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on (EuGH), http://cu­ria.eu­ro­pa.eu

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