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ARBEITSRECHT AKTUELL // 20/091

Sit­ten­wid­rig­keit und Treu­wid­rig­keit ei­ner Kün­di­gung

Ei­ne Kün­di­gung au­ßer­halb des KSchG wird nicht rück­wir­kend sit­ten­wid­rig, weil der Ar­beit­ge­ber sie vor Ge­richt mit un­wah­ren Be­haup­tun­gen ver­tei­digt: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 05.12.2019, 2 AZR 107/19
Kündigung auf Postit (Klebezettel)

22.09.2020.Be­fin­det sich ein Ar­beit­neh­mer noch in der sechs­mo­na­ti­gen War­te­zeit und/oder ar­bei­tet er in ei­nem Klein­be­trieb mit ma­xi­mal zehn Ar­beit­neh­mern, fällt er nicht un­ter das Kün­di­gungs­schutz­ge­setz (KSchG). Da­her ist sei­ne Chan­ce, sich ge­gen or­dent­li­che Kün­di­gun­gen er­folg­reich zu weh­ren, be­schränkt.

Dann bleibt nur die Mög­lich­keit, auf die Un­wirk­sam­keit der Kün­di­gung we­gen Sit­ten- oder Treu­wid­rig­keit zu po­chen. Frag­lich ist, ob ei­ne Kün­di­gung auch nach­träg­lich treu­wid­rig wer­den kann, wenn der Ar­beit­ge­ber vor Ge­richt fal­sche Aus­sa­gen macht, um sei­ne Kün­di­gung zu recht­fer­ti­gen.

Nein, so das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) in ei­nem Ber­li­ner Streit­fall: BAG, Ur­teil vom 05.12.2019, 2 AZR 107/19.

Wann sind Kündi­gun­gen sit­ten­wid­rig und wann treu­wid­rig?

Wer min­des­tens sechs Mo­na­te lang beschäftigt ist, ge­nießt Kündi­gungs­schutz nach dem KSchG, vor­aus­ge­setzt in dem Be­trieb des Ar­beit­ge­bers ar­bei­ten mehr als zehn Ar­beit­neh­mer (§§ 1 Abs.1, 23 Abs.1 KSchG). Dann braucht der Ar­beit­ge­ber auch für ei­ne frist­gemäße Kündi­gung trif­ti­ge sach­li­che Gründe, denn die Kündi­gung muss „so­zi­al ge­recht­fer­tigt“ sein (§ 1 Abs.2 KSchG), um vor dem KSchG Be­stand zu ha­ben.

Außer­halb des KSchG hat der Ar­beit­ge­ber Kündi­gungs­frei­heit, d.h. er braucht or­dent­li­che Kündi­gun­gen nicht zu be­gründen. Trotz­dem können auch sol­che Kündi­gun­gen (außer­halb des KSchG) un­wirk­sam sein, nämlich u.a. dann, wenn sie sit­ten­wid­rig oder treu­wid­rig sind. Das al­ler­dings kommt sel­ten vor und ist vom Ar­beit­neh­mer zu be­wei­sen.

Sit­ten­wid­rig gemäß § 138 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) ist ei­ne Kündi­gung, wenn sie in ex­tre­mer Wei­se ge­gen grund­le­gen­de Wer­tun­gen der Rechts­ord­nung verstößt. Das wäre z.B. der Fall, wenn ei­ne Ar­beit­neh­me­rin gekündigt wird, weil sie sich ei­ner ver­such­ten se­xu­el­len Nöti­gung durch den Ar­beit­ge­ber wi­der­setzt hat. Auch ei­ne Kündi­gung aus Ra­che kann sit­ten­wid­rig sein.

Kündi­gun­gen, die ge­gen "Treu und Glau­ben" (§ 242 BGB) ver­s­toßen, sind "we­ni­ger schlimm", aber im Er­geb­nis eben­falls un­wirk­sam. Recht­lich wi­dersprüchlich und aus die­sem Grund treu­wid­rig ist z.B. ei­ne Kündi­gung we­gen ei­nes Pflicht­ver­s­toßes, den der Ar­beit­ge­ber be­reits ab­ge­mahnt hat. Denn mit ei­ner Ab­mah­nung, d.h. ei­ner ar­beits­recht­li­chen gel­ben Kar­te, hat man noch ein­mal ei­ne Chan­ce be­kom­men. Die ro­te Kar­te (= Kündi­gung) kann es dann erst nach ei­nem wei­te­ren Pflicht­ver­s­toß ge­ben (BAG, Ur­teil vom 13.12.2007, 6 AZR 145/07).

Der Ber­li­ner Nan­ny-Fall

Ei­ne Schau­spie­le­rin beschäftig­te in ih­rem Pri­vat­haus­halt ei­ne Kin­der­frau zur Be­treu­ung ih­rer Toch­ter. Der Ver­trag war auf ein Jahr be­fris­tet und soll­te von Ju­ni 2016 bis Mai 2017 dau­ern. Trotz der Be­fris­tung, d.h. in Ab­wei­chung von § 15 Abs.3 Teil­zeit- und Be­fris­tungs­ge­setz - Tz­B­fG, war der Ver­trag or­dent­lich künd­bar. Die Schau­spie­le­rin beschäftig­te we­ni­ger als zehn Ar­beit­neh­mer, so dass das KSchG nicht an­wend­bar war.

An­fang 2017 be­rich­te­te ei­ne zusätz­lich ein­ge­stell­te Kin­der­frau der Schau­spie­le­rin, dass die seit Ju­ni 2016 beschäftig­te Nan­ny (an­geb­lich) schlecht über ih­re Che­fin re­de­te. Sie soll über die Schau­spie­le­rin ge­sagt ha­ben, sie sei nie zu Hau­se, und wenn doch, dann würde sie sich in ih­rem Zim­mer ein­sch­ließen. Außer­dem würde sie mit ih­rer Toch­ter nur Scho­ko­la­de es­sen.

Die Schau­spie­le­rin sprach dar­auf­hin im Fe­bru­ar 2017 ei­ne außer­or­dent­li­che frist­lo­se Kündi­gung aus. Für den Fall der Un­wirk­sam­keit die­ser Kündi­gung kündig­te sie hilfs­wei­se or­dent­lich zu En­de März 2017. Die Nan­ny er­hob Kündi­gungs­schutz­kla­ge und konn­te da­mit die frist­lo­se Kündi­gung zu Fall brin­gen. Strei­tig war da­her noch die or­dent­li­che Kündi­gung und da­mit die Fra­ge, ob das Ar­beits­verhält­nis be­reits zu En­de März (durch Kündi­gung) oder erst En­de Ju­ni (auf­grund der Be­fris­tung) en­de­te.

Nach An­sicht der Nan­ny war die Kündi­gung we­gen Sit­ten­wid­rig­keit (§ 138 BGB) und Treu­wid­rig­keit (§ 242 BGB) un­wirk­sam. An­geb­lich soll die Schau­spie­le­rin sie aus Rach­sucht gekündigt und vor Ge­richt ver­sucht ha­ben, die frist­lo­se Kündi­gung mit un­wah­ren Be­haup­tun­gen zu stützen. Da­her sei das ge­sam­te „Kündi­gungs­ver­hal­ten“ der Ar­beit­ge­be­rin sit­ten­wid­rig mit der Fol­ge, dass auch die or­dent­li­che Kündi­gung nich­tig sei.

Das Ar­beits­ge­richt Ber­lin (Ur­teil vom 08.08.2017, 8 Ca 2025/17) und das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ber­lin-Bran­den­burg (Ur­teil vom 17.01.2019, 10 Sa 1631/18) ga­ben der Schau­spie­le­rin recht.

BAG: Ei­ne Kündi­gung außer­halb des KSchG wird nicht rück­wir­kend sit­ten­wid­rig, weil der Ar­beit­ge­ber sie vor Ge­richt mit un­wah­ren Be­haup­tun­gen ver­tei­digt

Auch vor dem BAG hat­te die Nan­ny kein Glück.. Die Kündi­gung war we­der sit­ten­wid­rig noch treu­wid­rig, so die Er­fur­ter Rich­ter.

Denn es war verständ­lich und hat­te nichts mit Rach­sucht zu tun, dass sich die Ar­beit­ge­be­rin nicht durch ei­ne in ih­rem Haus­halt täti­ge Kin­der­frau wei­ter kri­ti­sie­ren las­sen woll­te. Ob die Nan­ny die Mut­ter­rol­le ih­rer Ar­beit­ge­be­rin über­haupt kri­ti­siert hat­te, spiel­te da­bei laut BAG eben­so we­nig ei­ne Rol­le wie die Fra­ge, ob sich die Nan­ny bei sol­chen Äußerun­gen ggf. auf ih­re Mei­nungs­frei­heit (Art.5 Grund­ge­setz - GG) be­ru­fen konn­te. Denn auch die Schau­spie­le­rin konn­te auf ih­re Grund­rech­te po­chen, denn der Streit mit der Nan­ny berühr­ten ih­re Pri­vat­sphäre (Art.13 Abs.1 GG) und ihr El­tern­recht (Art.6 Abs.1 GG). Da­her brauch­te sie die Kin­der­frau auch nicht vor Aus­spruch der Kündi­gung an­zuhören. Es war nämlich schlicht egal, ob und was die Nan­ny über ih­re Che­fin ge­sagt hat­te.

Außer­dem stellt das BAG klar, dass ei­ne Kündi­gung nicht rück­wir­kend da­durch sit­ten­wid­rig wird, dass der Ar­beit­ge­ber im Kündi­gungs­schutz­pro­zess durch wahr­heits­wid­ri­gen Vor­trag ver­sucht, die Wirk­sam­keit der Kündi­gung zu ver­tei­di­gen (Ur­teil, Rn.24).

Fa­zit: Ar­beits­ge­rich­te las­sen sich nur äußerst sel­ten da­von über­zeu­gen, dass ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung außer­halb des KSchG we­gen Sit­ten­wid­rig­keit oder Treu­wid­rig­keit un­wirk­sam sein soll. Denn wenn das KSchG nicht gilt, kann der Ar­beit­ge­ber grundsätz­lich nach frei­em Er­mes­sen kündi­gen, d.h. er kann sich von sei­nem „Bauch­gefühl“ lei­ten las­sen (BAG, Ur­teil vom 12.09.2013, 6 AZR 121/12, Rn.39).

Ar­beit­neh­mer, die ge­gen ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung im Klein­be­trieb und/oder in der War­te­zeit vor­ge­hen wol­len, ha­ben da­her noch am ehes­ten (ge­rin­ge) Chan­cen, wenn der Ar­beit­ge­ber not­wen­di­ge For­ma­litäten außer Acht ge­las­sen hat. Ge­nau dar­auf soll­ten dem­ent­spre­chend Ar­beit­ge­ber be­son­ders ach­ten. Denn auch wenn Kündi­gungs­frei­heit be­steht, muss die Kündi­gung gemäß § 623 BGB schrift­lich erklärt wer­den (d.h. ein "wil­der Krin­gel" genügt nicht), und der Be­triebs­rat muss vor der Kündi­gung an­gehört wer­den, denn § 102 Abs.1 Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG) ist auch bei War­te­zeitkündi­gun­gen zu be­ach­ten.

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Letzte Überarbeitung: 16. November 2021

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