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BAG, Ur­teil vom 15.04.1999, 7 AZR 716/97

   
Schlagworte: Abmahnung, Abmahnung: Widerruf
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 7 AZR 716/97
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 15.04.1999
   
Leitsätze: Auch nach der Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte ist der Arbeitnehmer nicht gehindert, einen Anspruch auf Widerruf der in der Abmahnung abgegebenen Erklärungen gerichtlich geltend zu machen.
Vorinstanzen: Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 15.08.1997, 13 Sa 1365/96
Arbeitsgericht Frankfurt, Urteil vom 12.03.1996, 4 Ca 9855/94
   


7 AZR 716/97
13 Sa 1365/96 Hes­sen


Verkündet am

15. April 1999

Im Na­men des Vol­kes!

Ur­teil

Sie­gel,
Amts­in­spek­to­rin

als Ur­kunds­be­am­ter

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

PP.


hat der Sieb­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts gemäß § 128 Abs. 2 ZPO in der Sit­zung am 15. April 1999 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter Dörf­ler, den Rich­ter Prof. Dr. Steck­han und die Rich­te­rin Schmidt so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Wil­ke und St­raub für Recht er­kannt:


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Die Re­vi­si­on der Kläge­rin ge­gen das Ur­teil des Hes­si­schen Lan­des­ar­beits­ge­richts vom 15. Au­gust 1997 - 13 Sa 1365/96 ¬wird zurück­ge­wie­sen.


Die Kläge­rin hat die Kos­ten der Re­vi­si­on zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand:

Die Par­tei­en strei­ten über den Wi­der­ruf ei­ner Ab­mah­nung, die in­fol­ge Zeit­ab­laufs aus der Per­so­nal­ak­te ent­fernt wor­den ist.

Die Be­klag­te ist ein in­ter­na­tio­nal täti­ges Luft­fahrt­un­ter­neh­men, in de­ren Frank­fur­ter Be­trieb die Kläge­rin beschäftigt ist. Die Kläge­rin gehört dem für die­sen Be­trieb gewähl­ten Be­triebs­rat an; sie ist außer­dem Mit­glied des Ge­samt­be­triebs­rats. Zur Ab­mel­dung für die Er­le­di­gung von Be­triebs­rats­auf­ga­ben wird in dem Be­trieb der Be­klag­ten das For­mu­lar „Mit­tei­lung über Frei­stel­lung vom Dienst für Be­triebs­ratstätig­kei­ten" ver­wen­det.


Am 26. Sep­tem­ber 1994 war die Kläge­rin nicht an ih­rem Ar­beits­platz er­schie­nen. Dar­auf­hin er­teil­te ihr die Be­klag­te mit Schrei­ben vom 27. Sep­tem­ber 1994 ei­ne Ab­mah­nung we­gen un­ent­schul­dig­ten Fern­blei­bens.


Nach­dem die Kläge­rin die Be­klag­te auf Wi­der­ruf und Ent­fer­nung der Ab­mah­nung aus der Per­so­nal­ak­te vor dem Ar­beits­ge­richt in An­spruch ge­nom­men hat­te, ent­fern­te die Be­klag­te we­gen Zeit­ab­laufs die Ab­mah­nung aus der Per­so­nal­ak­te. Dar­auf­hin erklärten bei­de Par­tei­en den Rechts­streit in­so­weit übe­rein­stim­mend für er­le­digt.
 


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Die Kläge­rin hat be­haup­tet, sie ha­be sich am 23. Sep­tem­ber 1994 ord­nungs­gemäß für die Er­le­di­gung er­for­der­li­cher Be­triebs­ratstätig­kei­ten am 26. Sep­tem­ber 1994 ab­ge­mel­det. Der Vor­wurf ei­ner Ar­beits­zeit­versäum­nis be­ste­he zu Un­recht. Das wir­ke sich auch nach Ent­fer­nung der Ab­mah­nung auf ihr be­ruf­li­ches Fort­kom­men aus. Es sei un­geklärt ge­blie­ben, ob der ge­gen sie ge­rich­te­te Vor­wurf zu­tref­fe. Das sei für sie als Mit­glied des Be­triebs­rats und Ge­samt­be­triebs­rats klärungs­bedürf­tig. Das gel­te auch für die übri­gen Be­triebs­rats­mit­glie­der.

Die Kläge­rin hat zu­letzt be­an­tragt,

die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, die Ab­mah­nung vom 27. Sep­tem­ber 1994 zu wi­der­ru­fen, und sie zu ver­ur­tei­len, die Kos­ten des Rechts­streits auch in­so­weit zu tra­gen als der Rechts­streit für er­le­digt erklärt wur­de,

hilfs­wei­se fest­zu­stel­len, daß die Ab­mah­nung vom 27. Sep­tem­ber 1994 un­be­rech­tigt war und un­wirk­sam ist. Die Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen.


Die Be­klag­te hat ge­meint, die Kla­ge sei un­zulässig. Nach Ent­fer­nung der Ab­mah­nung aus der Per­so­nal­ak­te feh­le es an ei­ner fort­dau­ern­den Rechts­be­ein­träch­ti­gung.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge als un­zulässig ab­ge­wie­sen und der Kläge­rin die Kos­ten des Rechts­streits auch hin­sicht­lich des er­le­dig­ten Teils auf­er­legt. Die da­ge­gen ge­rich­te­te Be­ru­fung der Kläge­rin hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt zurück­ge­wie­sen. Mit ih­rer Re­vi­si­on ver­folgt die Kläge­rin ihr bis­he­ri­ges Kla­ge­ziel. Die Be­klag­te be­an­tragt, die Re­vi­si­on zurück­zu­wei­sen.
 


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Ent­schei­dungs­gründe:

Die Re­vi­si­on der Kläge­rin hat­te kei­nen Er­folg.

I. Die Kla­ge auf Wi­der­ruf der Ab­mah­nung vom 27. Sep­tem­ber 1994 ist zwar zulässig, aber un­be­gründet.

1. Der An­trag der Kläge­rin auf Wi­der­ruf die­ser Ab­mah­nung ist hin­rei­chend be­stimmt. Sie ver­langt von der Be­klag­ten ei­ne schrift­li­che Erklärung, in der die Ar­beit­ge­be­rin ih­re Be­haup­tung wi­der­ruft, die Kläge­rin ha­be sich für den 26. Sep­tem­ber 1994 nicht für die Er­le­di­gung von Be­triebs­rats­auf­ga­ben ab­ge­mel­det und sei des­halb un­ent­schul­digt ih­rer Ar­beit fern­ge­blie­ben. Die­se Erklärung soll ge­genüber der Kläge­rin ab­ge­ge­ben wer­den.


2. Die­ser Leis­tungs­kla­ge fehlt nicht das Rechts­schutz­bedürf­nis. Das hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt ver­kannt.

Nach der ständi­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts er­gibt sich das Rechts­schutz­bedürf­nis für ei­ne Leis­tungs­kla­ge aus der Nich­terfüllung des ma­te­ri­ell-recht­li­chen An­spruchs (BAG Ur­teil vom 14. Sep­tem­ber 1994 - 5 AZR 632/93 - BA­GE 77, 378 = AP Nr. 13 zu § 611 BGB Ab­mah­nung, m.w.N.; Ger­mel­mann/Mat­thes/Prütting, ArbGG, 3. Aufl., § 46 Rz 42; Hauck, ArbGG, § 46 Rz 22). Dafür genügt re­gelmäßig die Be­haup­tung des Klägers, daß der von ihm be­gehr­te An­spruch be­steht. Ob ein sol­cher An­spruch ge­ge­ben ist, ist ei­ne Fra­ge sei­ner ma­te­ri­ell-recht­li­chen Be­gründet­heit. Zwar kann aus­nahms­wei­se auf­grund be­son­de­rer Umstände das Ver­lan­gen des Klägers, in die ma­te­ri­ell-recht­li­che Prüfung sei­nes An­spruchs ein­zu­tre­ten, nicht schutzwürdig sein, wie das et­wa der Fall ist bei ei­nem Wi-
 


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der­rufs­be­geh­ren ge­genüber Sach­vor­brin­gen, das der Rechts­ver­tei­di­gung oder Rechts­ver­fol­gung in ei­nem lau­fen­den ge­richt­li­chen Ver­fah­ren dient (vgl. BGH Ur­teil vom 9. April 1987 - I ZR 44/85 - NJW 1987, 3138, m.w.N.). Sol­che Umstände hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt nicht fest­ge­stellt.


3. Die Wi­der­rufs­kla­ge ist je­doch un­be­gründet. Der Kläge­rin steht der gel­tend ge­mach­te An­spruch nicht zu. Nach den Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts fehlt es an ei­ner fort­dau­ern­den Be­ein­träch­ti­gung von Rech­ten der Kläge­rin, die durch den ver­lang­ten Wi­der­ruf be­sei­tigt wer­den könn­ten.


a) Ein Wi­der­rufs­an­spruch dient dem Schutz des Be­trof­fe­nen vor ei­ner an­hal­ten­den Be­ein­träch­ti­gung sei­ner Rech­te. Er setzt ne­ben dem Vor­lie­gen ent­spre­chen­der Rechts­ver­let­zun­gen vor­aus, daß die­se Rechts­be­ein­träch­ti­gun­gen an­dau­ern und durch den be­gehr­ten Wi­der­ruf auch be­sei­tigt wer­den können.

b) Vor­lie­gend kann da­hin­ste­hen, ob die Kläge­rin durch die Be­haup­tung der Be­klag­ten in ih­rem be­ruf­li­chen Fort­kom­men oder ih­rem Persönlich­keits­recht ver­letzt wor­den ist und ihr des­we­gen ein schuld­recht­li­cher (§ 611 BGB i.V.m. § 242 BGB) oder ein qua­si­ne­ga­to­ri­scher An­spruch aus § 1004 BGB ana­log zu­steht. Denn in bei­den Fällen fehlt es an ei­ner fort­dau­ern­den Rechts­be­ein­träch­ti­gung. Nach den bin­den­den Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts liegt ei­ne an­hal­ten­de Be­ein­träch­ti­gung im be­ruf­li­chen Fort­kom­men nicht vor, nach­dem die Be­klag­te die Erklärung ab­ge­ge­ben hat, die Ab­mah­nung vom 27. Sep­tem­ber 1994 nicht zur Be­gründung späte­rer ar­beits­recht­li­cher Maßnah­men her­an­zu­zie­hen. Auch im Zu­sam­men­hang mit der Be­triebs­ratstätig­keit ist ei­ne fort­dau­ern­de Be­ein­träch­ti­gung des be­ruf­li­chen Fort­kom­mens oder von Persönlich­keits­rech­ten nicht er­kenn­bar. Zwi­schen den Par­tei­en
 


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be­steht kein ge­ne­rel­ler Streit über ar­beits­ver­trag­li­che Ab­mel­de­pflich­ten für die Er­le­di­gung von Be­triebs­rats­auf­ga­ben, son­dern nur darüber, ob sich die Kläge­rin in ei­nem Ein­zel­fall tatsächlich ab­ge­mel­det hat. So­weit sich die Kläge­rin in die­sem Zu­sam­men­hang dar­auf be­ruft, auch die übri­gen Be­triebs­rats­mit­glie­der sei­en durch die Ab­mah­nung ver­un­si­chert und in ih­ren be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Rech­ten be­trof­fen, be­ruft sie sich auf Rechts­be­ein­träch­ti­gun­gen-Drit­ter. Dar­auf kann sie ihr Wi­der­rufs­be­geh­ren nicht stützen.

Die Kläge­rin hat erst­mals im Re­vi­si­ons­ver­fah­ren gel­tend ge­macht, sie sei durch das be­triebs­in­ter­ne Be­kannt­wer­den der ge­gen sie er­ho­be­nen Vorwürfe in ih­rem An­se­hen in­ner­halb der Be­leg­schaft be­ein­träch­tigt. Da­bei han­delt es sich um neu­en Tat­sa­chen­vor­trag, der im Re­vi­si­ons­ver­fah­ren grundsätz­lich un­be­acht­lich ist. Darüber hin­aus ist das Vor­brin­gen auch un­schlüssig. Es läßt we­der er­ken­nen, daß die Ar­beit­ge­be­rin ein be­triebs­in­ter­nes Be­kannt­wer­den des Vor­wurfs zu ver­ant­wor­ten hätte, noch wird deut­lich, wie der im Verhält­nis der Ver­trags­par­tei­en zu­ein­an­der be­gehr­te Wi­der­ruf ei­nem mögli­chen An­se­hens­ver­lust bei Drit­ten ent­ge­gen­wir­ken könn­te.

II. Die hilfs­wei­se er­ho­be­ne Fest­stel­lungs­kla­ge ist un­zulässig. Ihr fehlt das nach § 256 Abs. 1 ZPO er­for­der­li­che Fest­stel­lungs­in­ter­es­se.
Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann ei­ne Kla­ge auf die Fest­stel­lung des Be­ste­hens oder Nicht­be­ste­hens ei­nes Rechts­verhält­nis­ses ge­rich­tet wer­den, wenn der Kläger ein recht­li­ches In­ter­es­se dar­an hat, daß das Rechts­verhält­nis durch ei­ne ge­richt­li­che Ent­schei­dung als­bald fest­ge­stellt wird. Die­se be­son­de­re Sa­chur­teils­vor­aus­set­zung ei­ner Fest­stel­lungs­kla­ge liegt nicht vor. Ob der An­trag über­haupt auf die Fest­stel­lung ei­nes Rechts­verhält­nis­ses ge­rich­tet war, kann of­fen­blei­ben. Zu­tref­fend hat das Lan-
 


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des­ar­beits­ge­richt er­kannt, daß die Kläge­rin ei­ne Un­si­cher­heit hin­sicht­lich ih­res künf­ti­gen ar­beits­ver­trag­li­chen Ver­hal­tens bei der Ab­mel­dung für Be­triebs­ratstätig­kei­ten nicht vor­ge­tra­gen hat. Zwi­schen den Par­tei­en be­ste­hen kei­ne Un­klar­hei­ten darüber, ob und wie sich die Kläge­rin für die Er­le­di­gung von Be­triebs­rats­auf­ga­ben ab­zu­mel­den hat. Der An­trag der Kläge­rin hat viel­mehr zum Ziel, ein Rechts­gut­ach­ten über ei­nen in der Ver­gan­gen­heit lie­gen­den ab­ge­schlos­se­nen Vor­gang er­stel­len zu las­sen. Das ist nicht Auf­ga­be des Ge­richts.


III. Un­zulässig ist die Re­vi­si­on, so­weit sie sich ge­gen den auf § 91 a ZPO be­ru­hen­den Teil der Kos­ten­ent­schei­dung wen­det.


Bei ei­ner Tei­ler­le­di­gung des Rechts­streits en­det der In­stan­zen­zug hin­sicht­lich der Kos­ten, die sich auf den er­le­dig­ten Teil be­zie­hen, nach dem Grund­ge­dan­ken des § 78 Abs. 2 ArbGG beim Lan­des­ar­beits­ge­richt. Das gilt auch, so­weit das Be­ru­fungs­ur­teil ei­ne ein­heit­li­che Kos­ten­ent­schei­dung enthält und ge­gen das Ur­teil die Re­vi­si­on un­ein­ge­schränkt zu­ge­las­sen wird. Ei­ne un­ein­ge­schränk­te Re­vi­si­ons­zu­las­sung auch hin­sicht­lich der Kos­ten­ent­schei­dung für den er­le­dig­ten Teil des Rechts­streits ist für die Zulässig­keit des Rechts­mit­tels oh­ne Be­deu­tung (vgl. BGH Ur­teil vom 22. Mai 1989 - VIII ZR 192/88 - BGHZ 107, 315).


IV. Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Dörner 

Steck­han 

Schmidt

Wil­ke 

St­raub

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