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BVerwG, Ur­teil vom 26.01.2011, 8 C 46.09

   
Schlagworte: Diskriminierung: Alter
   
Gericht: Bundesverwaltungsgericht
Aktenzeichen: 8 C 46.09
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 26.01.2011
   
Leitsätze:

1. Der Begriff des Zugangs zu selbstständiger Erwerbstätigkeit im Sinne des § 2 Abs. 1 AGG setzt nicht voraus, dass es sich bei der selbstständigen Tätigkeit um einen eigenständigen Beruf im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts handelt. (Rn.22)

2. Die Gewährleistung eines geordneten Rechtsverkehrs ist ein legitimes Ziel, das für öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige eine Ungleichbehandlung wegen des Alters durch Festsetzung eines Höchstalters von 68 Jahren mit einer Verlängerung bis zur Vollendung des 71. Lebensjahres rechtfertigen kann. (Rn.31)(Rn.34)

Vorinstanzen: Verwaltungsgericht München, Urteil vom 11.03.2008, M 16 K 07.2565
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 28.01.2009, 22 BV 08.1413
   


BUN­DES­VER­WAL­TUN­GS­GERICHT


IM NA­MEN DES VOL­KES


UR­TEIL

BVerwG 8 C 46.09
VGH 22 BV 08.1413

Verkündet
am 26. Ja­nu­ar 2011


Hardtmann
als Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

 

In der Ver­wal­tungs­streit­sa­che



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hat der 8. Se­nat des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 26. Ja­nu­ar 2011 durch die Rich­te­rin am Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt Dr. von Heim­burg, den Rich­ter am Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt Dr. Dei­se­roth und die Rich­te­rin­nen am Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt Dr. Hau­ser, Dr. Held-Da­ab und Dr. Kuhl­mann


für Recht er­kannt:


Die Re­vi­si­on des Klägers ge­gen das Ur­teil des Baye­ri­schen Ver­wal­tungs­ge­richts­hofs vom 28. Ja­nu­ar 2009 wird zurück­ge­wie­sen.


Der Kläger trägt die Kos­ten des Re­vi­si­ons­ver­fah­rens.


G r ü n d e :


I

Der Kläger wen­det sich ge­gen die Ver­sa­gung ei­ner wei­te­ren Verlänge­rung sei­ner öffent­li­chen Be­stel­lung zum ver­ei­dig­ten Sach­verständi­gen.


Mit Be­scheid vom 27. No­vem­ber 1978 war der am ... ge­bo­re­ne Kläger als Sach­verständi­ger für die Sach­ge­bie­te „An­wen­dung der EDV im Rech­nungs­we­sen und Da­ten­schutz“ öffent­lich be­stellt und ver­ei­digt wor­den. Mit Be­scheid vom 30. Au­gust 2000 hat­te die Be­klag­te das Sach­ge­biet auf „EDV im Rech-



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nungs­we­sen und Da­ten­schutz so­wie EDV in der Ho­tel­le­rie“ er­wei­tert. Die öffent­li­che Be­stel­lung war gemäß der Sach­verständi­gen­ord­nung vom
5. De­zem­ber 2001 (SVO 2002) der Be­klag­ten bis zur Voll­endung des 68. Le­bens­jah­res des Klägers am 26. April 2004 be­fris­tet wor­den. Sie wur­de auf An­trag des Klägers mit Be­scheid der Be­klag­ten vom 25. Ju­ni 2003 um 3 Jah­re bis zum 26. April 2007 verlängert. Der be­stands­kräftig ge­wor­de­ne Be­scheid ent­hielt den Hin­weis, nach die­sem Zeit­punkt sei ei­ne Verlänge­rung der öffent­li­chen Be­stel­lung aus Rechts­gründen nicht mehr möglich. Den mit Schrei­ben vom 12. Ja­nu­ar 2007 ge­stell­ten An­trag des Klägers auf ei­ne wei­te­re Verlänge­rung der Be­stel­lung um 5 Jah­re, hilfs­wei­se ei­ne Verlänge­rung um 4 Jah­re bis zur Voll­endung des 75. Le­bens­jah­res, lehn­te die Be­klag­te mit Be­scheid vom 1. März 2007 ab.


Die nach er­folg­lo­sem Wi­der­spruchs­ver­fah­ren (Wi­der­spruchs­be­scheid der Be­klag­ten vom 24. Mai 2007) er­ho­be­ne Kla­ge mit dem Be­geh­ren, die Be­klag­te zur Neu­be­schei­dung des An­tra­ges vom 12. Ja­nu­ar 2007 un­ter Be­ach­tung der Rechts­auf­fas­sung des Ge­richts zu ver­pflich­ten, hat das Ver­wal­tungs­ge­richt mit Ur­teil vom 11. März 2008 ab­ge­wie­sen. Der Kläger ha­be be­reits die ihm so­wohl nach al­tem wie nach neu­em Sat­zungs­recht ein­geräum­te ein­ma­li­ge Verlänge­rungsmöglich­keit aus­geschöpft und die im Be­scheid vom 25. Ju­ni 2003 auf 3 Jah­re be­schränk­te Verlänge­rung der Be­stel­lung in Be­stands­kraft er­wach­sen las­sen.


Mit der vom Ver­wal­tungs­ge­richt zu­ge­las­se­nen Be­ru­fung hat der Kläger sein An­lie­gen wei­ter ver­folgt und zur Be­gründung ins­be­son­de­re vor­ge­tra­gen, die in der Sach­verständi­gen­ord­nung der Be­klag­ten vor­ge­se­he­ne Höchst­al­ters­gren­ze in Ver­bin­dung mit ei­ner Verlänge­rungsmöglich­keit der Be­stel­lung bis zur Voll­endung des 71. Le­bens­jah­res erfülle den Tat­be­stand ei­ner un­zulässi­gen Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung.


Der Baye­ri­sche Ver­wal­tungs­ge­richts­hof hat die Be­ru­fung des Klägers mit Ur­teil vom 28. Ja­nu­ar 2009 zurück­ge­wie­sen. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Ver­wal­tungs­ge­richts schei­te­re das Be­geh­ren des Klägers al­ler­dings nicht an der Be­stands­kraft des Be­schei­des der Be­klag­ten vom 25. Ju­ni 2003, mit dem die öf-



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fent­li­che Be­stel­lung bis zum 26. April 2007 verlängert wor­den sei. Ein darüber hin­aus­ge­hen­der recht­li­cher Re­ge­lungs­ge­halt las­se sich dem Be­scheid nicht ent­neh­men. Für den Kläger ha­be kein An­lass be­stan­den, die Fra­ge der Be­rech­ti­gung ei­ner Ab­leh­nung ei­nes wei­te­ren Verlänge­rungs­an­tra­ges da­mals ei­ner ge­richt­li­chen Kon­trol­le zu­zuführen.


Der Kläger könne je­doch un­abhängig da­von nicht die Ver­pflich­tung der Be­klag­ten be­an­spru­chen, sei­nen An­trag vom 12. Ja­nu­ar 2007 auf Verlänge­rung sei­ner öffent­li­chen Be­stel­lung als Sach­verständi­ger um 5 Jah­re, hilfs­wei­se bis zum 75. Le­bens­jahr, un­ter Be­ach­tung der Rechts­auf­fas­sung des Ge­richts er­neut zu be­schei­den. Ei­ne noch­ma­li­ge Verlänge­rung der Be­stel­lung über das 71. Le­bens­jahr hin­aus sei nach den ein­deu­ti­gen Re­ge­lun­gen der Sach­verständi­gen­ord­nung der Be­klag­ten aus­ge­schlos­sen, oh­ne dass der Be­klag­ten in­so­weit ein Er­mes­sens­spiel­raum ver­blei­be. § 22 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 der Sach­verständi­gen­ord­nung ver­s­toße we­der ge­gen Art. 12 Abs. 1 GG noch ge­gen das All­ge­mei­ne Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) oder die Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27. No­vem­ber 2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf (ABl EG Nr. L 303 S. 16 - im Fol­gen­den: Richt­li­nie 2000/78/EG). Die Fest­le­gung der Al­ters­gren­ze in der Sach­verständi­gen­ord­nung der Be­klag­ten genüge den for­mel­len und ma­te­ri­el­len An­for­de­run­gen des Art. 12 Abs. 1 GG. Die Re­ge­lung des § 36 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Ge­wO sei als Ermäch­ti­gungs­grund­la­ge der Sat­zung hin­rei­chend be­stimmt. Die Fest­set­zung der Al­ters­gren­ze sei fer­ner durch vernünf­ti­ge Erwägun­gen des Ge­mein­wohls ge­recht­fer­tigt, weil da­mit er­reicht wer­den sol­le, die mit der öffent­li­chen Be­stel­lung zum ver­ei­dig­ten Sach­verständi­gen ver­bun­de­ne be­son­de­re Qua­li­fi­ka­ti­on den­je­ni­gen vor­zu­be­hal­ten, die körper­lich und geis­tig in der La­ge sei­en, den aus die­ser Qua­li­fi­ka­ti­on re­sul­tie­ren­den An­for­de­run­gen zu genügen und dem mit ihr ver­bun­de­nen Ver­trau­en der Öffent­lich­keit in die be­son­de­re Qua­lität die­ser Sach­verständi­gen und ih­rer Gut­ach­ten ge­recht zu wer­den. Die gut­ach­ter­li­che Tätig­keit ei­nes Sach­verständi­gen, der nicht mehr über ei­ne hin­rei­chen­de Leis­tungsfähig­keit verfüge, be­gründe er­heb­li­che Ge­fah­ren für Auf­trag­ge­ber und All­ge­mein­heit. Die Fest­set­zung ei­ner Al­ters­gren­ze die­ne da­mit auch dem Re­ge­lungs­ziel des § 36 Abs. 1 Ge­wO, im In­ter­es­se ei­nes rei­bungs­lo­sen Rechts­ver-



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kehrs und ei­ner funk­tio­nie­ren­den Rechts­pfle­ge Behörden, Ge­rich­ten und pri­va­ten In­ter­es­sen­ten für kom­pli­zier­te Sach­ver­halts­fest­stel­lun­gen und Prüfun­gen kom­pe­ten­te und glaubwürdi­ge Fach­leu­te an­zu­bie­ten.


Die Fest­set­zung ei­ner Al­ters­gren­ze bei Voll­endung des 68. Le­bens­jah­res sei zur Er­rei­chung des Re­ge­lungs­ziels ge­eig­net. Nach der all­ge­mei­nen Le­bens-er­fah­rung wer­de die Ge­fahr ei­ner Be­ein­träch­ti­gung der Leis­tungsfähig­keit mit zu­neh­men­dem Al­ter größer; der Durch­schnitt der Be­rufstäti­gen im sieb­ten Le­bens­jahr­zehnt er­fah­re ei­ne Ab­nah­me der Leis­tungsfähig­keit, die ei­nen Ein­schnitt recht­li­cher Art er­lau­be und un­ter Umständen for­de­re. Es sei­en auch nach der neue­ren Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts kei­ne An­halts­punk­te dafür er­sicht­lich, dass die­se An­nah­me nicht mehr zu­tref­fend sein könn­te. Das pau­scha­le ge­gen­tei­li­ge Vor­brin­gen des Klägers bie­te je­den­falls kei­nen An­lass, von die­ser Einschätzung ab­zu­wei­chen.


Die Al­ters­gren­ze sei auch er­for­der­lich. Bei der Einschätzung der Er­for­der­lich­keit ei­ner Maßnah­me verfüge der Norm­ge­ber über ei­nen Be­ur­tei­lungs- und Pro­gno­se­spiel­raum. Er sei im Rah­men sei­nes Ge­stal­tungs­spiel­rau­mes nicht dar­auf be­schränkt, zur Si­cher­stel­lung sei­nes Re­ge­lungs­ziels je­weils im Ein­zel­fall ab Voll­endung des 68. Le­bens­jah­res ei­nes öffent­lich be­stell­ten Sach­verständi­gen ei­ne in­di­vi­du­el­le Prüfung der Leis­tungsfähig­keit vor­zu­neh­men. Er ha­be viel­mehr auf der Grund­la­ge von Er­fah­rungs­wer­ten ei­ne ge­ne­ra­li­sie­ren­de Re­ge­lung er­las­sen dürfen.


Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Klägers sei auch kein mil­de­res Mit­tel er­sicht­lich, das die glei­che Wirk­sam­keit zur Er­rei­chung des Re­ge­lungs­ziels gewähr­leis­te. Ei­ne mit je­der Verlänge­rung ver­bun­de­ne in­di­vi­du­el­le Prüfung der Eig­nung und be­son­de­ren Sach­kun­de stel­le im Ver­gleich zu ei­ner pau­scha­lie­ren­den Al­ters­gren­ze kein taug­li­ches mil­de­res Mit­tel dar. Je­den­falls sei ei­ne sol­che in­di­vi­du­el­le Über­prüfung nicht gleich ge­eig­net, den Ge­fah­ren ei­ner al­ters­be­ding­ten Ver­schlech­te­rung der Leis­tungsfähig­keit zu be­geg­nen, weil sie re­gelmäßig später als die Ver­schlech­te­rung stattfände.


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Bei ei­ner Ge­samt­abwägung zwi­schen der Schwe­re des Ein­griffs so­wie dem Ge­wicht und der Dring­lich­keit der sie recht­fer­ti­gen­den Gründe wer­de die Gren­ze der Zu­mut­bar­keit nicht über­schrit­ten, so dass die ge­ne­ra­li­sie­ren­de Al­ters­gren­ze auch dem Ge­bot der Verhält­nismäßig­keit im en­ge­ren Sin­ne ent­spre­che. Der Ein­griff er­fah­re durch die ein­ma­li­ge be­fris­te­te Verlänge­rungsmöglich­keit bis zur Voll­endung des 71. Le­bens­jah­res ei­ne er­heb­li­che Ab­mil­de­rung. Zusätz­lich wer­de er in sei­nen Aus­wir­kun­gen da­durch ab­ge­mil­dert, dass der Kläger nicht ge­hin­dert sei, auch oh­ne öffent­li­che Be­stel­lung wei­ter­hin als Sach­verständi­ger tätig zu sein, was die­ser auch tue.


Ein Ver­s­toß der sat­zungs­recht­li­chen Fest­le­gung der Höchst­al­ters­gren­ze ge­gen das All­ge­mei­ne Gleich­be­hand­lungs­ge­setz sei nicht er­sicht­lich. Vor­lie­gend sei be­reits zwei­fel­haft, ob die Be­stel­lung als öffent­li­cher Sach­verständi­ger über­haupt in den An­wen­dungs­be­reich des All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­set­zes fal­le, weil die Tätig­keit als öffent­lich be­stell­ter Sach­verständi­ger nicht als ei­ge­ne selbstständi­ge Tätig­keit im Sin­ne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richt­li­nie 2000/78/EG an­ge­se­hen wer­den könne. Je­den­falls sei die Al­ters­gren­ze aber gemäß § 10 Satz 1 und 2 AGG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG zulässig.


Zur Be­gründung sei­ner vom Se­nat zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on hat der Kläger im We­sent­li­chen vor­ge­tra­gen: Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Be­ru­fungs­ge­richts sei die Tätig­keit als öffent­lich be­stell­ter und ver­ei­dig­ter Sach­verständi­ger ei­ne selbstständi­ge Er­werbstätig­keit im Sin­ne des § 2 AGG und ein ei­genständi­ger Be­ruf im Sin­ne des Art. 12 Abs. 1 GG. Die in der Sach­verständi­gen­ord­nung der Be­klag­ten nor­mier­te Höchst­al­ters­gren­ze stel­le ei­ne so­wohl nach dem All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­setz als auch nach der Richt­li­nie 2000/78/EG und dem Uni­ons­recht un­zulässi­ge Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung dar und sei da­mit we­gen Ver­s­toßes ge­gen höher­ran­gi­ges Recht nich­tig bzw. un­an­wend­bar. Zu­min­dest müsse die Re­ge­lung der Sach­verständi­gen­ord­nung über die Al­ters­gren­ze ver­fas­sungs- und richt­li­ni­en­kon­form in der Wei­se aus­ge­legt wer­den, dass in be­gründe­ten Ein­z­elfällen auch ei­ne be­fris­te­te Be­stel­lung über die Al­ters­gren­ze hin­aus noch­mals zu verlängern sei.



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Der Kläger be­an­tragt,


un­ter Auf­he­bung der Ur­tei­le des Baye­ri­schen Ver­wal­tungs­ge­richts München vom 11. März 2008 und des Baye­ri­schen Ver­wal­tungs­ge­richts­hofs vom 28. Ja­nu­ar 2009 den Be­scheid der Be­klag­ten vom 1. März 2007 und den Wi­der­spruchs­be­scheid der Be­klag­ten vom 24. Mai 2007 auf­zu­he­ben und die Be­klag­te zu ver­pflich­ten, den An­trag des Klägers vom 12. Ja­nu­ar 2007 auf öffent­li­che Be­stel­lung und Ver­ei­di­gung als Sach­verständi­ger für „EDV im Rech­nungs­we­sen und Da­ten­schutz so­wie EDV in der Ho­tel­le­rie“ un­ter Be­ach­tung der Rechts­auf­fas­sung des Ge­richts neu zu be­schei­den.


Die Be­klag­te be­an­tragt,


die Re­vi­si­on zurück­zu­wei­sen.


Sie ver­tei­digt das an­ge­foch­te­ne Ur­teil des Be­ru­fungs­ge­richts.


Die Be­tei­lig­ten ha­ben kei­ne Anträge ge­stellt.

 

II

Die zulässi­ge Re­vi­si­on des Klägers ist nicht be­gründet. Der Ver­wal­tungs­ge­richts­hof hat die Be­ru­fung ge­gen das erst­in­stanz­li­che Ur­teil oh­ne Ver­s­toß ge­gen re­vi­si­bles Recht zurück­ge­wie­sen.


Nach der für das Re­vi­si­ons­ge­richt bin­den­den Aus­le­gung des ir­re­vi­si­blen Lan­des­rechts durch die Vor­in­stanz kann der Kläger von der Be­klag­ten nicht be­an­spru­chen, sei­nen An­trag vom 12. Ja­nu­ar 2007 auf Verlänge­rung sei­ner öffent­li­chen Be­stel­lung als Sach­verständi­ger um 5 Jah­re, hilfs­wei­se bis zur Voll­endung des 75. Le­bens­jah­res, un­ter Be­ach­tung der Rechts­auf­fas­sung des Ge­richts er­neut zu be­schei­den (§ 113 Abs. 5 Satz 2 Vw­GO). Ei­ner wei­te­ren Verlänge­rung der Be­stel­lung ste­hen die Re­ge­lun­gen der Sach­verständi­gen­ord­nung (SVO) der Be­klag­ten ent­ge­gen. Da­bei kommt es nicht ent­schei­dungs­er­heb­lich dar­auf an, ob hierfür auf § 22 Abs. 2 der ursprüng­li­chen SVO vom 5. De­zem­ber 2001 (SVO 2002) oder auf des­sen Fas­sung gemäß Be­schluss der Voll­ver­samm­lung der Be­klag­ten vom 3. De­zem­ber 2007 (SVO 2008) ab­zu­s­tel-



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len ist. Nach bei­den Re­ge­lun­gen schei­det ei­ne sol­che noch­ma­li­ge Verlänge­rung aus. Denn gemäß § 22 Abs. 1 Buchst. d SVO 2002/2008 er­lischt die öffent­li­che Be­stel­lung, wenn der Sach­verständi­ge das 68. Le­bens­jahr voll­endet hat. Gemäß § 22 Abs. 2 SVO 2002/2008 kann die Be­klag­te in be­gründe­ten Aus­nah­mefällen ei­ne ein­ma­li­ge be­fris­te­te Verlänge­rung der öffent­li­chen Be­stel­lung bis zur Voll­endung des 71. Le­bens­jah­res zu­las­sen. Ei­nem sol­chen An­trag hat­te die Be­klag­te be­reits ent­spro­chen, so dass ei­ne wei­te­re Verlänge­rung der öffent­li­chen Be­stel­lung nach § 2 Abs. 4 SVO 2002/2008 aus­schei­det.


Die Vor­schrif­ten der von der Be­klag­ten als Körper­schaft des öffent­li­chen Rechts auf der Grund­la­ge von § 36 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Nr. 1 Ge­wO als Sat­zung er­las­se­nen SVO 2002/2008 sind als Lan­des­recht nicht re­vi­si­bel. Die re­vi­si­ons­ge­richt­li­che Prüfung muss von dem In­halt der ir­re­vi­si­blen Vor­schrif­ten des Lan­des­rechts aus­ge­hen, den das Be­ru­fungs­ge­richt durch Aus­le­gung er­mit­telt und sei­ner Ent­schei­dung zu­grun­de ge­legt hat (§ 173 Vw­GO i.V.m. § 560 ZPO). Das Re­vi­si­ons­ge­richt kann in­so­weit le­dig­lich nach­prüfen, ob die vom Be­ru­fungs­ge­richt vor­ge­nom­me­ne Aus­le­gung oder de­ren Er­geb­nis Bun­des­recht - ins­be­son­de­re Bun­des­ver­fas­sungs­recht - oder das Recht der Eu­ropäischen Uni­on ver­let­zen (stRspr; vgl. u.a. Ur­tei­le vom 12. No­vem­ber 1993 - BVerwG 7 C 23.93 - Buch­holz 160 Wahl­recht Nr. 38 S. 21 <23 f.> = BVerw­GE 94, 288 und vom 9. De­zem­ber 2009 - BVerwG 8 C 17.08 - Buch­holz 415.1 AllgKom­mu­nalR Nr. 173). Das ist hier nicht der Fall.


Nicht be­an­stan­det wer­den kann, dass das Be­ru­fungs­ge­richt we­der die Richt­li­nie 2005/36/EG des Eu­ropäischen Par­la­men­tes und des Ra­tes vom
7. Sep­tem­ber 2005 über die An­er­ken­nung von Be­rufs­qua­li­fi­ka­tio­nen (ABl EG Nr. L 255 S. 22) noch die Richt­li­nie 2006/123/EG des Eu­ropäischen Par­la­men­tes und des Ra­tes vom 12. De­zem­ber 2006 über Dienst­leis­tun­gen im Bin­nen­markt (ABl EG Nr. L 376 S. 36) berück­sich­tigt hat. Bei­de set­zen ei­nen grenzüber­schrei­ten­den Sach­ver­halt vor­aus (vgl. Art. 1 und 2 Richt­li­nie 2005/36/EG bzw. Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 4 Nr. 10 der Richt­li­nie 2006/123/EG), wor­an es hier fehlt. Es liegt auch kein Fall der Inländer­dis­kri­mi­nie­rung vor, weil die Höchst­al­ters­gren­ze für die öffent­li­che Be­stel­lung und Ver­ei­di­gung von Sach­verständi­gen in § 22 SVO 2002/2008 un­abhängig von der



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Staats­an­gehörig­keit für al­le Sach­verständi­gen gilt, die ei­ne Be­stel­lung an­stre­ben.


Die auf § 22 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Buchst. d SVO 2002/2008 gestütz­te Ab­leh­nung des Verlänge­rungs­an­tra­ges verstößt nicht ge­gen die Re­ge­lun­gen des All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­set­zes (AGG) vom 14. Au­gust 2006 (BGBl I S. 1897, zu­letzt geändert durch Ge­setz vom 5. Fe­bru­ar 2009 (BGBl I S. 160), zu des­sen Zie­len es nach § 1 AGG gehört, Be­nach­tei­li­gun­gen we­gen des Al­ters zu ver­hin­dern oder zu be­sei­ti­gen. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG um­fasst sein sach­li­cher An­wen­dungs­be­reich bei selbstständi­ger Er­werbstätig­keit die Be­din­gun­gen für den Zu­gang zur Er­werbstätig­keit, un­abhängig von Tätig­keits­feld und be­ruf­li­cher Po­si­ti­on, so­wie für den be­ruf­li­chen Auf­stieg.


Zwar stel­len nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts Maßnah­men, die die öffent­li­che Be­stel­lung von Sach­verständi­gen ein­schränken, kei­ne Re­ge­lun­gen der Be­rufs­wahl­frei­heit, son­dern Be­rufs­ausübungs­re­ge­lun­gen dar, weil sich öffent­lich be­stell­te und ver­ei­dig­te Sach­verständi­ge von den übri­gen Sach­verständi­gen nicht durch die Zu­gehörig­keit zu ei­nem ei­genständi­gen Be­ruf, son­dern nur durch die staat­li­che Fest­stel­lung ih­rer Qua­li­fi­ka­ti­on als Sach­verständi­ge un­ter­schei­den (vgl. BVerfG, Be­schluss vom 25. März 1992 - 1 BvR 298/86 - BVerfGE 86, 28 <38>). Der Zu­gang zu selbstständi­ger Er­werbstätig­keit im Sin­ne des § 2 Abs. 1 AGG ist aber nicht gleich­zu­set­zen mit dem Be­griff der Be­rufs­wahl, wie ihn das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt im Rah­men der sog. „Drei­stu­fen­theo­rie“ zu Art. 12 Abs. 1 GG ent­wi­ckelt hat, son­dern geht über die­sen hin­aus. Als selbstständi­ge Er­werbstätig­keit im Sin­ne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG ist je­de Tätig­keit an­zu­se­hen, die un­abhängig von Wei­sun­gen, al­so frei in Be­zug auf die Or­ga­ni­sa­ti­on der Ar­beit ist so­wie ge­gen Vergütung und auf ei­ge­ne Rech­nung er­folgt. Er­fasst sind da­mit u.a. frei­be­ruf­li­che und un­ter­neh­me­ri­sche Diens­te (vgl. da­zu u.a. Mei­nel/Heyn/Herms, All­ge­mei­nes Gleich­be­hand­lungs­ge­setz, 2. Aufl. 2010, § 2 Rn. 9 ff. m.w.N. und § 6 Rn. 24 ff.). Die Tätig­keit des Klägers als öffent­lich be­stell­ter und ver­ei­dig­ter Sach­verständi­ger stellt ei­ne sol­che selbstständi­ge Tätig­keit im Sin­ne der Vor­schrift dar, da sie ge­gen Vergütung, auf ei­ge­ne Rech­nung und frei von Wei­sun­gen in Be­zug auf die Or­ga­ni­sa­ti­on der Ar­beit er­folgt.



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Zu den Be­din­gun­gen für den Zu­gang zu ei­ner selbstständi­gen Er­werbstätig­keit zählen die Vor­aus­set­zun­gen, die für die Ausübung der Tätig­keit er­for­der­lich sind oder die recht­li­che Grund­la­ge für die Auf­nah­me der Tätig­keit dar­stel­len. Ent­schei­dend dafür, ob der „Zu­gang“ zu ei­ner selbstständi­gen Er­werbstätig­keit durch die in Re­de ste­hen­de Höchst­al­ters­gren­ze des § 22 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Buchst. d SVO 2002/2008 be­schränkt wird, ist, ob die Re­ge­lung ge­eig­net ist, die Nach­fra­ge nach den vom Kläger an­ge­bo­te­nen Dienst­leis­tun­gen zu be­schränken (EuGH, Ur­teil vom 12. Ja­nu­ar 2010 - Rs. C-341/08, Dom­ni­ca Pe­ter­sen - ju­ris Rn. 33).


Zwar übt auch ein nicht öffent­lich be­stell­ter Sach­verständi­ger ei­ne selbstständi­ge Tätig­keit aus, die sich in der Tätig­keit selbst nicht von der des öffent­lich be­stell­ten Sach­verständi­gen un­ter­schei­den muss. Be­stimm­te Gut­ach­tertätig­kei­ten sind aber dem öffent­lich be­stell­ten Sach­verständi­gen vor­be­hal­ten, der auf­grund der öffent­li­chen Be­stel­lung auch we­sent­li­che Wett­be­werbs­vor­tei­le ge­genüber dem nicht öffent­lich be­stell­ten Sach­verständi­gen hat. Mit der öffent­li­chen Be­stel­lung wer­den ei­nem Sach­verständi­gen die­je­ni­gen Ei­gen­schaf­ten amt­lich bestätigt, die für sei­nen be­ruf­li­chen Er­folg ent­schei­dend sind: fach­li­che Kom­pe­tenz und persönli­che In­te­grität. Dar­aus er­gibt sich ein er­heb­li­cher Wett­be­werbs­vor­sprung ge­genüber den­je­ni­gen Sach­verständi­gen, die auf kei­ne staat­li­che An­er­ken­nung ih­rer Kom­pe­tenz ver­wei­sen können (vgl. BVerfG, Be­schluss vom 25. März 1992 - a.a.O. <37> = ju­ris Rn. 38). Wer Sach­ver­stand benötigt, wird sich im Zwei­fels­fall zunächst an öffent­lich be­stell­te Sach­verständi­ge wen­den. Den Ge­rich­ten wird dies so­gar in den Pro­zess­ord­nun­gen aus­drück­lich vor­ge­schrie­ben; sie sol­len Gut­ach­ten nach Möglich­keit bei öffent­lich be­stell­ten Sach­verständi­gen an­for­dern (§ 404 Abs. 2 ZPO; § 73 Abs. 2 St­PO; § 98 Vw­GO). Wo in Ge­set­zen an kom­pli­zier­te Sach­ver­hal­te be­stimm­te Rechts­fol­gen ge­knüpft wer­den, wird viel­fach eben­falls zur Fest­stel­lung des Sach­ver­halts das Gut­ach­ten ei­nes öffent­lich be­stell­ten Sach­verständi­gen ge­for­dert (vgl. z.B. § 2 Nr. 18 BattG; § 6 Nr. 1 Alt­fahr­zeugV).


Da­mit ist das Erlöschen der öffent­li­chen Be­stel­lung auf­grund des in § 22 Abs. 1 Buchst. d i.V.m. Abs. 2 SVO 2002/2008 ge­re­gel­ten Höchst­al­ters ge­eig­net, die



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Nach­fra­ge nach den vom Kläger an­ge­bo­te­nen Dienst­leis­tun­gen als öffent­lich be­stell­ter Sach­verständi­ger für „EDV im Rech­nungs­we­sen und Da­ten­schutz so­wie EDV in der Ho­tel­le­rie“ zu be­schränken. Das reicht nach der oben ge­nann­ten Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs aus, um den sach­li­chen Gel­tungs­be­reich der Richt­li­nie 2000/78/EG zu eröff­nen. Die­se Recht­spre­chung zum Kas­sen(zahn-)arzt­recht - das nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts eben­falls kei­nen ei­ge­nen Be­ruf zum Ge­gen­stand hat (vgl. BVerfG, Ur­teil vom 23. März 1960 - 1 BvR 216/51 - BVerfGE 11, 30 <41>) - ist hier auch bei der Aus­le­gung des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG zu berück­sich­ti­gen und dem­ent­spre­chend der sach­li­che An­wen­dungs­be­reich des All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­set­zes zu be­ja­hen.


Unschädlich ist, dass die Höchst­al­ters­gren­ze des § 22 Abs. 1 Buchst. d i.V.m. Abs. 2 SVO 2002/2008 nicht den Be­ginn, son­dern das En­de der öffent­li­chen Be­stel­lung des Klägers dar­stellt. Da die Be­stel­lung gemäß § 2 Abs. 4 SVO 2002/2008 im­mer be­fris­tet ist, muss sie, wie im Fall des Klägers, nach Ab­lauf neu er­teilt wer­den. Die­se „Verlänge­rung“ wur­de dem Kläger un­ter Hin­weis auf sein Al­ter, das über dem vor­ge­se­he­nen Höchst­al­ter liegt, ver­wei­gert. Da­mit ist der Zu­gang zur Tätig­keit als öffent­lich be­stell­ter und ver­ei­dig­ter Sach­verständi­ger be­trof­fen.


Auch der persönli­che An­wen­dungs­be­reich des All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­set­zes ist eröff­net, denn gemäß § 6 Abs. 3 AGG gel­ten die Vor­schrif­ten des zwei­ten Ab­schnitts für Selbstständi­ge ent­spre­chend, so­weit es die Be­din­gun­gen für den Zu­gang zur Er­werbstätig­keit so­wie den be­ruf­li­chen Auf­stieg be­trifft.


Auf­grund sei­nes Al­ters erfährt der Kläger ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung als ei­ne an­de­re - jünge­re - Per­son in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on er­fah­ren würde. Es liegt des­halb ei­ne un­mit­tel­ba­re Un­gleich­be­hand­lung we­gen des Al­ters vor (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG). Nach dem Erwägungs­grund 25 der Richt­li­nie 2000/78/EG können Un­gleich­be­hand­lun­gen we­gen des Al­ters un­ter be­stimm­ten Umständen ge­recht­fer­tigt sein und er­for­dern da­her be­son­de­re Be­stim­mun­gen, die je nach der Si­tua­ti­on der Mit­glied­staa­ten un­ter­schied­lich sein können.



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Da­nach ist zu un­ter­schei­den zwi­schen ei­ner Un­gleich­be­hand­lung, die ins­be­son­de­re durch rechtmäßige Zie­le im Be­reich der Beschäfti­gungs­po­li­tik, des Ar­beits­mark­tes und der be­ruf­li­chen Bil­dung ge­recht­fer­tigt ist, und ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung, die zu ver­bie­ten ist. Erwägungs­gründe stel­len nicht nur un­be­acht­li­che Pro­grammsätze dar, son­dern ge­ben für die Aus­le­gung der Re­ge­lun­gen ei­ner Richt­li­nie ent­schei­den­de Hin­wei­se (vgl. BAG, Ur­teil vom 25. Fe­bru­ar 2010 - 6 AZR 911/08 - DB 2010, 960 ff. - ju­ris Rn. 28 m.w.N.).


Hier ist die Un­gleich­be­hand­lung gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 und 2 AGG ge­recht­fer­tigt. Da­nach ist ei­ne un­ter­schied­li­che Be­hand­lung we­gen des Al­ters zulässig, wenn sie ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen und durch ein le­gi­ti­mes Ziel ge­recht­fer­tigt ist. Die Mit­tel zur Er­rei­chung die­ses Ziels müssen an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sein.


Lässt sich das ver­folg­te Ziel nicht un­mit­tel­bar aus ei­ner ge­setz­li­chen Re­ge­lung ab­lei­ten, kommt es dar­auf an, ob an­de­re, aus dem all­ge­mei­nen Kon­text der be­tref­fen­den Maßnah­me ab­ge­lei­te­te An­halts­punk­te die Fest­stel­lung des hin­ter der je­wei­li­gen Maßnah­me ste­hen­den Ziels ermögli­chen (vgl. EuGH, Ur­tei­le vom 16. Ok­to­ber 2007 - Rs. C-411/05, Pa­la­ci­os de la Vil­la - Slg. 2007, I-08531 - ju­ris Rn. 56 f. und vom 12. Ja­nu­ar 2010, Dom­ni­ca Pe­ter­sen - a.a.O. Rn. 40). Aus der Sach­verständi­gen­ord­nung der Be­klag­ten er­gibt sich nicht un­mit­tel­bar ein Ziel, das die Höchst­al­ters­gren­ze recht­fer­tigt. Ein sol­ches Ziel er­sch­ließt sich aber aus dem Zu­sam­men­hang mit der Ermäch­ti­gung der Be­klag­ten nach § 36 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Nr. 1 Ge­wO durch Sat­zung die er­for­der­li­chen Vor­schrif­ten über die Vor­aus­set­zun­gen für die Be­stel­lung zu er­las­sen. Da­zu gehören ins­be­son­de­re auch die persönli­chen Vor­aus­set­zun­gen ein­sch­ließlich al­tersmäßiger An­for­de­run­gen so­wie der Be­ginn und das En­de der Be­stel­lung. Da­mit wird die Einführung ei­ner Höchst­al­ters­gren­ze ermöglicht (vgl. BT­Drucks 10/3290 S. 16). Das Re­ge­lungs­ziel des § 36 Ge­wO be­steht nach ein­hel­li­ger An­sicht dar­in, im In­ter­es­se ei­nes rei­bungs­lo­sen Rechts­ver­kehrs und ei­ner funk­tio­nie­ren­den Rechts­pfle­ge al­len Behörden, Ge­rich­ten und pri­va­ten In­ter­es­sen­ten für kom­pli­zier­te Sach­ver­halts­fest­stel­lun­gen und Prüfun­gen kom­pe­ten­te und glaubwürdi­ge Fach­leu­te an­zu­bie­ten. Schwie­ri­ge und zeit­rau­ben­de Nach­for­schun­gen über den Ruf und die Eig­nung ei­nes Gut­ach­ters sol­len durch die öffent­li­che Be­s­tel-



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lung ent­behr­lich wer­den (vgl. BVerfG, Be­schluss vom 25. März 1992 a.a.O. <42> Rn. 52). Für die­ses Ziel der Gewähr­leis­tung ei­nes ge­ord­ne­ten Rechts­ver­kehrs durch die In­sti­tu­ti­on öffent­lich be­stell­ter und ver­ei­dig­ter Sach­verständi­ger woll­te der Ge­setz­ge­ber die je­der­zeit verläss­li­che Leis­tungsfähig­keit der Sach­verständi­gen si­cher­stel­len und zu die­sem Zweck die Möglich­keit eröff­nen, durch die Fest­le­gung ei­ner Höchst­al­ters­gren­ze po­ten­zi­ell nicht mehr so leis­tungsfähi­ge Sach­verständi­ge aus­zu­sch­ließen. Von die­ser Möglich­keit hat die Be­klag­te durch § 22 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Buchst. d SVO 2002/2008 nach den vom Be­ru­fungs­ge­richt ge­trof­fe­nen Fest­stel­lun­gen Ge­brauch ge­macht.


Die Gewähr­leis­tung ei­nes ge­ord­ne­ten Rechts­ver­kehrs ist ein le­gi­ti­mes Ziel im Sin­ne des § 10 Satz 1 AGG. Es dient dem öffent­li­chen In­ter­es­se. Al­ler­dings ist es kein so­zi­al­po­li­ti­sches Ziel im Sin­ne der in Art. 6 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG bei­spiel­haft auf­geführ­ten Be­rei­che Beschäfti­gungs­po­li­tik, Ar­beits­markt und be­ruf­li­che Bil­dung. Wie sich aus der bei­spiel­haf­ten Aufzählung („ins­be­son­de­re“) er­gibt, sind die im Sin­ne des Art. 6 Abs. 1 der Richt­li­nie le­gi­ti­men Zie­le aber nicht auf die­se so­zi­al­po­li­ti­schen Be­rei­che be­schränkt (Ur­teil vom 19. Fe­bru­ar 2009 - BVerwG 2 C 18.07 - BVerw­GE 133, 143 Rn. 16).


Zwar hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG, Be­schluss vom 17. Ju­ni 2009 - 7 AZR 112/08 - ju­ris Rn. 47 ff.) dem Eu­ropäischen Ge­richts­hof im Rah­men ei­nes Vor­ab­ent­schei­dungs­ver­fah­rens die Fra­ge vor­ge­legt, ob nach den Vor­ga­ben des Ge­mein­schafts­rechts ein le­gi­ti­mes Ziel im Sin­ne von § 10 Satz 1 AGG nur ein Ziel so­zi­al­po­li­ti­scher Art oder ob auch sons­ti­ge dem Ge­mein­wohl die­nen­de Zie­le le­gi­tim in die­sem Sin­ne sein können. Dem lag die Fest­stel­lung des Bun­des­ar­beits­ge­richts zu­grun­de, dass der Ge­setz­ge­ber des All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­set­zes ei­ne Be­schränkung auf ei­ne be­stimm­te Art von Zie­len nicht vor­neh­men woll­te (BAG, Be­schluss vom 17. Ju­ni 2009 a.a.O. Rn. 55).


Die vom Bun­des­ar­beits­ge­richt auf­ge­wor­fe­ne Fra­ge ist aber durch die seit­dem er­gan­ge­ne Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs geklärt: Der Ge­richts­hof hat­te zunächst durch das Ur­teil der Großen Kam­mer vom 22. No­vem­ber 2005 (Rs. C-144/04, Man­gold - Slg. 2005, I-09981) für die Le­gi-



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ti­mität ei­nes Ziels im Sin­ne des Art. 6 Abs. 1 der Richt­li­nie 2000/78/EG nur auf das All­ge­mein­in­ter­es­se ab­ge­stellt (a.a.O. Rn. 60). Auch im Ur­teil der Großen Kam­mer vom 16. Ok­to­ber 2007 (Rs. C-411/05, Pa­la­ci­os de la Vil­la - Slg. 2007, I-08531 Rn. 64) wird nur die Rechtmäßig­keit ei­nes im All­ge­mein­in­ter­es­se lie­gen­den Ziels ge­prüft. Al­ler­dings stell­te die 3. Kam­mer des Ge­richts­hofs in der Ent­schei­dung vom 5. März 2009 (Rs. C-388/07, Age Con­cern Eng­land - Slg. 2009, I-1569 = ju­ris), oh­ne sich mit der Ab­gren­zung zu sons­ti­gen All­ge­mein­wohl­zie­len aus­ein­an­der­zu­set­zen, nur auf im kon­kre­ten Fall vor­lie­gen­de so­zi­al­po­li­ti­sche Zie­le ab. Dar­auf nahm die 3. Kam­mer in ei­ner wei­te­ren Ent­schei­dung vom 18. Ju­ni 2009 (Rs. C-88/08, Hütter - Slg. 2009, I-5325 = ju­ris Rn. 41 f.) Be­zug, in der die so­zi­al­po­li­ti­schen Zie­le aber nur noch als ei­ne Ka­te­go­rie von le­gi­ti­men Zie­len be­zeich­net wer­den. Ei­ne Ein­schränkung auf die so­zi­al­po­li­ti­schen Zie­le hat auch die nach­fol­gen­de Recht­spre­chung der Großen Kam­mer des EuGH nicht vor­ge­nom­men. Im Ur­teil vom 12. Ja­nu­ar 2010 (Dom­ni­ca Pe­ter­sen - a.a.O. Rn. 45) weist sie auf die bis­he­ri­ge Recht­spre­chung hin, der zu­fol­ge auch die Auf­recht­er­hal­tung ei­ner qua­li­ta­tiv hoch­wer­ti­gen ärzt­li­chen Ver­sor­gung oder die Ver­mei­dung ei­ner er­heb­li­chen Gefähr­dung des fi­nan­zi­el­len Gleich­ge­wichts des Sys­tems der so­zia­len Si­cher­heit eben­so wie der Schutz der Ge­sund­heit der Bevölke­rung le­gi­ti­me Zie­le sein können. In den Ur­tei­len der Großen Kam­mer vom 19. Ja­nu­ar 2010 (Rs. C-555/07, Kücükde­ve­ci - NJW 2010, 427 <428> Rn. 33) und vom 12. Ok­to­ber 2010 (Rs. C-499/08, An­der­sen - ju­ris Rn. 26) wird eben­so auf den bei­spiel­haf­ten Cha­rak­ter der Be­rei­che Beschäfti­gungs­po­li­tik, Ar­beits­markt und be­ruf­li­che Bil­dung ver­wie­sen wie auf den Er­mes­sens­spiel­raum der Mit­glied­staa­ten bei der Fest­le­gung der Zie­le (EuGH, Ur­teil vom 12. Ok­to­ber 2010 - Rs. C-45/09, Ro­sen­bladt - ju­ris Rn. 38, 40). Im Ur­teil vom 18. No­vem­ber 2010 (Rs. C -250/09 und 268/09, Ge­or­giev - ju­ris) hat schließlich auch die 2. Kam­mer des Ge­richts­hofs ent­schie­den, dass die Schaf­fung ei­ner hoch­wer­ti­gen Leh­re an der Uni­ver­sität und die op­ti­ma­le Ver­tei­lung der Pro­fes­so­ren­stel­len auf die Ge­ne­ra­tio­nen le­gi­ti­me Zie­le sein können, die die zwangs­wei­se Ver­set­zung in den Ru­he­stand von Uni­ver­sitätspro­fes­so­ren mit Voll­endung des 68. Le­bens­jah­res recht­fer­ti­gen (können). Im Hin­blick auf die­se seit dem Vor­la­ge­be­schluss des Bun­des­ar­beits­ge­richts er­gan­ge­ne Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs stellt sich des­halb kei­ne



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dem Ge­richts­hof gemäß Art. 267 AEUV zur Vor­ab­ent­schei­dung vor­zu­le­gen­de Rechts­fra­ge mehr.


Nach der Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs ist ein le­gi­ti­mes Ziel grundsätz­lich als ei­ne „ob­jek­ti­ve und an­ge­mes­se­ne“ Recht­fer­ti­gung ei­ner von den Mit­glied­staa­ten vor­ge­se­he­nen Un­gleich­be­hand­lung we­gen des Al­ters an­zu­se­hen (vgl. EuGH, z.B. Ur­tei­le vom 22. No­vem­ber 2005, Man­gold - a.a.O. Rn. 61 und vom 16. Ok­to­ber 2007, Pa­la­ci­os de la Vil­la - a.a.O. Rn. 66).


Die zur Er­rei­chung ei­nes sol­chen le­gi­ti­men Ziels ein­ge­setz­ten Mit­tel müssen an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sein (§ 10 Abs. 1 Satz 2 AGG). In­so­weit verfügt der na­tio­na­le Norm­ge­ber über ei­nen wei­ten Er­mes­sens­spiel­raum bei der Wahl der Maßnah­men zur Er­rei­chung sei­ner Zie­le (vgl. EuGH, Ur­tei­le vom 22. No­vem­ber 2005, Man­gold - a.a.O. Rn. 63 und vom 16. Ok­to­ber 2007, Pa­la­ci­os de la Vil­la - a.a.O. Rn. 68). Es ist je­doch dar­auf zu ach­ten, dass die in die­sem Zu­sam­men­hang vor­ge­se­he­nen Maßnah­men nicht über das hin­aus­ge­hen, was an­ge­mes­sen und er­for­der­lich ist, um das ver­folg­te Ziel zu er­rei­chen (EuGH, Ur­teil vom 16. Ok­to­ber 2007, Pa­la­ci­os de la Vil­la - a.a.O. Rn. 71). Ei­ne Re­ge­lung ist zu­dem nur dann ge­eig­net, die Ver­wirk­li­chung des gel­tend ge­mach­ten Ziels zu gewähr­leis­ten, wenn sie tatsächlich dem An­lie­gen ge­recht wird, es in kohären­ter und sys­te­ma­ti­scher Wei­se zu ver­wirk­li­chen (vgl. EuGH, Ur­teil vom 12. Ja­nu­ar 2010, Dom­ni­ca Pe­ter­sen - a.a.O. Rn. 53).


Die­se Vor­aus­set­zun­gen lie­gen hier vor. Die Fest­set­zung ei­nes Höchst­al­ters, mit des­sen Er­rei­chen die öffent­li­che Be­stel­lung en­det, ist ge­eig­net und da­mit an­ge­mes­sen, dem Ziel der Gewähr­leis­tung ei­nes ge­ord­ne­ten Rechts­ver­kehrs zu die­nen. Der Norm­ge­ber konn­te und durf­te da­von aus­ge­hen, dass mit fort­schrei­ten­dem Al­ter - im Um­fang in­di­vi­du­ell un­ter­schied­lich, im Er­geb­nis aber bei je­dem Men­schen - die geis­ti­ge und körper­li­che Leis­tungsfähig­keit nachlässt. Ein ge­ne­rel­les Höchst­al­ter ist ge­eig­net, Sach­verständi­ge, bei de­nen (in­zwi­schen) al­ters­be­dingt nicht mehr die Gewähr ge­ge­ben ist, dass sie je­der­zeit die an sie ge­stell­ten An­for­de­run­gen voll erfüllen, aus dem Kreis der öffent­lich be­stell­ten Sach­verständi­gen her­aus­zu­neh­men und da­mit der Ge­fahr, dass sich der Rechts­ver­kehr nicht mehr auf ih­re Leis­tung ver­las­sen kann, zu be­geg­nen.



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Die Höchst­al­ters­gren­ze ist auch er­for­der­lich. Zwar wäre ei­ne in­di­vi­du­el­le Über­prüfung der Leis­tungsfähig­keit des je­wei­li­gen Sach­verständi­gen ein mil­de­res Mit­tel, das so­wohl den in­di­vi­du­el­len Leis­tungs­ab­bau als auch die in­di­vi­du­el­len An­for­de­run­gen je nach dem Sach­ge­biet, für das die Be­stel­lung be­steht, berück­sich­ti­gen könn­te. Sie ist aber nicht in glei­cher Wei­se wie ei­ne Höchst­al­ters­gren­ze da­zu ge­eig­net, weil sie zu spät käme. Ei­ne al­ters­be­dingt nicht mehr aus­rei­chen­de Leis­tungsfähig­keit würde erst fest­ge­stellt wer­den, wenn sie be­reits ein­ge­schränkt ist. Die öffent­li­che Be­stel­lung würde noch fort­be­ste­hen bis bei der nächs­ten Über­prüfung die Mängel zu Ta­ge tre­ten.


Das Ziel der Si­che­rung des Rechts­ver­kehrs setzt zu­dem ei­ne mit­tel­fris­ti­ge Be­trach­tung vor­aus. Der Sach­verständi­ge muss nicht nur im Zeit­punkt der Be­auf­tra­gung über die vol­le Leis­tungsfähig­keit zur Er­stel­lung ei­nes Gut­ach­tens verfügen, son­dern, ins­be­son­de­re wenn er vom Ge­richt im Rah­men ei­ner Be­weis­er­he­bung be­auf­tragt wur­de, für die ge­sam­te Dau­er des Ver­fah­rens für Erläute­run­gen oder Nach­fra­gen zur Verfügung ste­hen. Das kann sich bei Ge­richts­ver­fah­ren über meh­re­re Jah­re hin­zie­hen. Die Erfüllung die­ser an die un­ein­ge­schränk­te Wahr­neh­mung der be­son­ders an­spruchs- und ver­ant­wor­tungs­vol­len Auf­ga­ben ei­nes öffent­lich be­stell­ten Sach­verständi­gen zu stel­len­den An­for­de­run­gen wird bei der ge­bo­te­nen ty­pi­sie­ren­den Be­trach­tung durch die abs­trak­te Nor­mie­rung ei­ner Höchst­al­ters­gren­ze ge­si­chert.


Es liegt im Er­mes­sen des Norm­ge­bers, hier der Be­klag­ten, fest­zu­le­gen, in wel­chem Maß das Ri­si­ko mi­ni­miert wer­den soll, dass ein öffent­lich be­stell­ter und ver­ei­dig­ter Sach­verständi­ger die an die­se In­sti­tu­ti­on ge­bun­de­nen Er­war­tun­gen nicht mehr erfüllt. Da­bei darf er von der all­ge­mei­nen Er­fah­rungs­tat­sa­che aus­ge­hen, dass mit fort­ge­schrit­te­nem Al­ter der An­teil der vor­aus­sicht­lich nicht mehr voll leis­tungsfähi­gen Sach­verständi­gen größer wird. Er muss dafür nicht das Er­rei­chen ei­nes em­pi­risch be­leg­ten kon­kre­ten Pro­zent­sat­zes ab­war­ten, son­dern kann selbst be­stim­men, in wel­chem Maß er das Ziel des Schut­zes des Rechts­ver­kehrs si­chern will. Die Be­klag­te konn­te hier auch berück­sich­ti­gen, dass die in § 22 Abs. 1 Buchst. d SVO 2002/2008 fest­ge­leg­te Höchst­al­ters­gren­ze von 68 Jah­ren mit der Möglich­keit ei­ner ein­ma­li­gen Verlänge­rung deut-



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lich über die all­ge­mei­ne Al­ters­gren­ze, die der­zeit noch bei 65 Jah­ren liegt, hin­aus­geht. Auch die Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs be­an­stan­det es nicht, ei­ne im Übri­gen zulässi­ge Al­ters­gren­ze bei 68 Jah­ren an­zu­set­zen (vgl. EuGH, Ur­tei­le vom 12. Ja­nu­ar 2010, Dom­ni­ca Pe­ter­sen - a.a.O. Rn. 52 und vom 18. No­vem­ber 2010, Ge­or­giev - a.a.O. Rn. 54).


Sch­ließlich un­ter­lie­gen die Er­mitt­lun­gen, die der Norm­ge­ber zur Fest­le­gung der kon­kre­ten Al­ters­gren­ze trifft, kei­nen spe­zi­fi­schen Ver­fah­rens­vor­schrif­ten. Die Be­klag­te durf­te mit ih­rer Re­ge­lung, die ei­ne ein­ma­li­ge Verlänge­rung bis zur Voll­endung des 71. Le­bens­jah­res zulässt, da­von aus­ge­hen, dass es bei ei­nem Sach­verständi­gen im ach­ten Le­bens­jahr­zehnt häufi­ger zu Pro­ble­men kom­men kann, die ei­ne mit­tel­fris­ti­ge Si­che­rung sei­ner vol­len Leis­tungsfähig­keit gefähr­den. Dass es im kon­kre­ten Ein­zel­fall im­mer Sach­verständi­ge ge­ben wird, bei de­nen der­ar­ti­ge Pro­ble­me in­di­vi­du­ell nicht auf­tre­ten, ist ei­ner ty­pi­sie­ren­den Re­ge­lung im­ma­nent und muss­te von der Be­klag­ten nicht berück­sich­tigt wer­den.


Die Re­ge­lung des § 22 SVO 2002/2008 ist auch verhält­nismäßig im en­ge­ren Sin­ne und dem be­trof­fe­nen Kläger zu­mut­bar. Mit der Fest­le­gung des Höchst­al­ters auf die Voll­endung des 68. Le­bens­jah­res in § 22 Abs. 1 Buchst. d SVO 2002/2008 hat die Be­klag­te das ge­ne­rel­le En­de der öffent­li­chen Be­stel­lung be­reits deut­lich über der all­ge­mei­nen Al­ters­gren­ze an­ge­setzt. Darüber hin­aus bie­tet § 22 Abs. 2 SVO 2002/2008 die Möglich­keit ei­ner ein­ma­li­gen wei­te­ren Verlänge­rung der Be­stel­lung, die sie dem Kläger be­reits bis zur Voll­endung sei­nes 71. Le­bens­jah­res gewährt hat.


Ob­wohl der Kläger eben­so wie an­de­re, nicht öffent­lich be­stell­te Sach­verständi­ge oh­ne Be­stel­lung auch über die Höchst­al­ters­gren­ze hin­aus als Sach­verständi­ger tätig sein kann, ist die Re­ge­lung des § 22 SVO 2002/2008 ge­eig­net, das mit ihr ver­folg­te Ziel in kohären­ter und sys­te­ma­ti­scher Wei­se zu er­rei­chen. Denn das Ziel be­steht nicht dar­in, Auf­trag­ge­ber vor der In­an­spruch­nah­me nicht mehr aus­rei­chend leis­tungsfähi­ger Sach­verständi­ger zu schützen. Die Re­ge­lung soll viel­mehr ei­nen ge­ord­ne­ten Rechts­ver­kehr gewähr­leis­ten, der auf die mit der öffent­li­chen Be­stel­lung und Ver­ei­di­gung be­schei­nig­te be­son­de­re Sach-



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kun­de und Zu­verlässig­keit die­ser Sach­verständi­gen ver­traut. Die Gewähr­leis­tung der Vor­aus­set­zun­gen die­ses Ver­trau­ens soll ge­si­chert wer­den.


Da so­mit die Vor­aus­set­zun­gen des § 10 AGG erfüllt sind, stellt die Höchst­al­ters­gren­ze des § 22 SVO 2002/2008 kei­ne Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung, son­dern ei­ne zulässi­ge un­ter­schied­li­che Be­hand­lung we­gen des Al­ters dar. Et­was an­de­res er­gibt sich auch we­der aus ei­ner di­rek­ten An­wen­dung der Richt­li­nie 2000/78/EG noch aus dem vom Eu­ropäischen Ge­richts­hof als all­ge­mei­nen Grund­satz des Uni­ons­rechts be­zeich­ne­ten Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters (vgl. EuGH, Ur­teil vom 22. No­vem­ber 2005, Man­gold - a.a.O. Rn. 75). Die Richt­li­nie 2000/78/EG wur­de durch das All­ge­mei­ne Gleich­be­hand­lungs­ge­setz um­ge­setzt, so­dass für ei­ne un­mit­tel­ba­re An­wen­dung ih­res Art. 6, dem § 10 Satz 1 und 2 AGG ent­spricht, oder an­de­rer ein­schlägi­ger Vor­schrif­ten zu­guns­ten des Klägers kein Raum bleibt. Der all­ge­mei­ne Grund­satz des Ver­bo­tes der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters wie­der­um wird durch die Richt­li­nie 2000/78/EG kon­kre­ti­siert (EuGH, Ur­teil vom 19. Ja­nu­ar 2010 - Rs. C-555/07, Kücükde­ve­ci - NJW 2010, 427 Rn. 21). Da­mit sind wei­ter­ge­hen­de, un­mit­tel­bar auf das primäre Uni­ons­recht gestütz­te Ansprüche aus­ge­schlos­sen.


Die Höchst­al­ters­gren­ze stellt auch kei­ne un­zulässi­ge Be­ein­träch­ti­gung der Be­rufs­frei­heit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG dar. Die Re­ge­lung des § 22 SVO 2002/2008 fin­det ih­re Ermäch­ti­gungs­grund­la­ge in § 36 Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 Nr. 1 Ge­wO. Aus den Ge­set­zes­ma­te­ria­li­en er­gibt sich, dass die Vor­schrift zur Fest­set­zung von Höchst­al­ters­gren­zen ermäch­ti­gen soll­te (vgl. BT­Drucks 10/3290 S. 16). Nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts (BVerfG, Kam­mer­be­schluss vom 16. No­vem­ber 1990 - 1 BvR 1280/90 - Ge­wArch 1991, 103 f.) dient die Fest­set­zung von Höchst­al­ters­gren­zen dem Ge­mein­wohl. Nach all­ge­mei­ner Er­fah­rung lässt das körper­li­che und geis­ti­ge Leis­tungs­vermögen des Men­schen mit zu­neh­men­dem Le­bens­al­ter nach (vgl. BVerfG, Be­schluss vom 4. Mai 1983 - 1 BvL 46/80, 1 BvL 47/80, Prüfin­ge­nieur - BVerfGE 64, 72 <82>). Die gut­ach­ter­li­che Tätig­keit ei­nes öffent­lich be­stell­ten und ver­ei­dig­ten Sach­verständi­gen, der nicht mehr über ei­ne hin­rei­chen­de Leis­tungsfähig­keit verfügt, stellt das Ver­trau­en des Rechts­ver­kehrs in die be­son­de­re Qua­li­fi­ka­ti­on die­ser Sach­verständi­gen in Fra­ge und kann er­heb­li­che Ge­fah-



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ren für Auf­trag­ge­ber und All­ge­mein­heit be­gründen. Die Fest­set­zung ei­ner Al­ters­gren­ze bei Voll­endung des 68. Le­bens­jah­res mit der Möglich­keit der Verlänge­rung der Be­stel­lung bis zur Voll­endung des 71. Le­bens­jah­res ist zur Er­rei­chung die­ses Ziels aus den oben dar­ge­leg­ten Gründen ge­eig­net und er­for­der­lich. Die Be­en­di­gung der Tätig­keit als öffent­lich be­stell­ter und ver­ei­dig­ter Sach­verständi­ger ist auch zu­mut­bar, weil der Sach­verständi­ge oh­ne öffent­li­che Be­stel­lung wei­ter­hin als sol­cher tätig sein kann.


Da wei­te­re Tat­sa­chen­fest­stel­lun­gen nicht er­for­der­lich wa­ren, kann der Se­nat in der Sa­che selbst ent­schei­den (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 Vw­GO).


Die Kos­ten­ent­schei­dung be­ruht auf § 154 Abs. 2 Vw­GO.


Dr. von Heim­burg

Dr. Dei­se­roth

Dr. Hau­ser

Dr. Held-Da­ab

Dr. Kuhl­mann


B e s c h l u s s


Der Wert des Streit­ge­gen­stan­des wird für das Re­vi­si­ons­ver­fah­ren und für das Be­schwer­de­ver­fah­ren un­ter Abände­rung des Be­schlus­ses vom 30. Ok­to­ber 2009 auf je­weils 15 000 € fest­ge­setzt.


Dr. von Heim­burg

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