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ARBEITSRECHT AKTUELL // 09/092

Rechts­weg für Lohn­rück­for­de­run­gen des In­sol­venz­ver­wal­ters

Wer ent­schei­det über die In­sol­venz­an­fech­tung von Lohn­zah­lun­gen, die vor In­sol­ven­zer­öff­nung ge­leis­tet wur­den?: Bun­des­ge­richts­hof, Be­schluss vom 02.04.2009, IX ZB 182/08
Wel­che Ge­rich­te ent­schei­den über In­sol­venz­an­fechun­gen?

02.06.2009. Vor ei­ni­gen Mo­na­ten hat der Bun­des­ge­richts­hof (BGH) ein wich­ti­ges Ur­teil zu den Vor­aus­set­zun­gen der In­sol­venz­an­fech­tung von Lohn­zah­lun­gen ge­fällt (Ur­teil vom 19.02.2009, IX ZR 62/08 - wir be­rich­te­ten in: Ar­beits­recht ak­tu­ell: 09/070 An­fech­tung von Lohn­zah­lun­gen in der In­sol­venz bleibt die Aus­nah­me).

Nach An­sicht des BGH müs­sen Ar­beit­neh­mer Lohn­zah­lun­gen, die sie "kurz vor Tores­schluss" vom spä­ter in­sol­ven­ten Ar­beit­ge­ber er­hal­ten ha­ben, nur dann an den In­sol­venz­ver­wal­ter ge­mäß § 130 Abs.1 Satz 1 In­sol­venz­ord­nung (In­sO) her­aus­rü­cken, wenn sie kauf­män­ni­sches In­si­der­wis­sen ha­ben und da­her die In­sol­venz ih­res Ar­beit­ge­bers bei der Lohn­zah­lung kann­ten.

Aber war­um hat­te ei­gent­lich der BGH über den Fall zu ent­schei­den und nicht das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG)? Der Ver­wal­ter hat­te sei­ne An­fech­tungs­kla­ge zwar ur­sprüng­lich vor ei­nem Ar­beits­ge­richt er­ho­ben, doch hielt die­ses sich für un­zu­stän­dig und ver­wies die Sa­che an das ört­lich zu­stän­di­ge Amts­ge­richt. Und von dort aus wan­der­te der Fall nach oben durch die In­stan­zen und lan­de­te schließ­lich beim BGH.

Nun­mehr hat der BGH die Fra­ge der Zu­stän­dig­keit für Lohn­an­fech­tungs­kla­gen des In­sol­venz­ver­wal­ters (Ar­beits­ge­rich­te oder or­dent­li­che Ge­rich­te?) er­neut auf­ge­wor­fen: BGH, Be­schluss vom 02.04.2009, IX ZB 182/08.

Wer ent­schei­det über Kla­gen des In­sol­venz­ver­wal­ters auf Rücker­stat­tung von Lohn­zah­lun­gen, die kurz vor Eröff­nung des In­sol­venz­ver­fah­rens ge­leis­tet wur­den - die Ar­beits­ge­rich­te oder die "or­dent­li­chen" Zi­vil­ge­rich­te?

In der Ver­gan­gen­heit gin­gen Recht­spre­chung und ju­ris­ti­sche Fach­li­te­ra­tur über­wie­gend da­von aus, dass für die Lohnrück­zah­lungs­kla­gen von In­sol­venz­ver­wal­tern, d.h. für die Ent­schei­dung über sog. In­sol­venz­an­fech­tun­gen, der Rechts­weg zu den or­dent­li­chen (Zi­vil-)Ge­rich­ten ge­ge­ben ist.

Trotz­dem war die­se Ver­fah­rens­fra­ge nicht ganz un­um­strit­ten und es gab es im­mer wie­der Ver­fah­ren vor den Ar­beits­ge­rich­ten. Am 27.02.2008 ent­schied das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) aber an­ders­her­um. Sei­ner An­sicht nach sind die Ar­beits­ge­rich­te für die In­sol­venz­an­fech­tung von Lohn­zah­lun­gen zuständig (Be­schluss vom 27.02.2008, 5 AZB 43/07).

Dar­auf­hin befürch­te­ten In­sol­venz­ver­wal­ter ei­ne dro­hen­de Rechts­weg­zer­split­te­rung so­wie Mehr­kos­ten und Verzöge­run­gen durch Strei­tig­kei­ten über den Rechts­weg. Gerüch­te wur­den laut, der BGH be­rei­te ei­nen Vor­la­ge­be­schluss an den Ge­mein­sa­men Se­nat der obers­ten Ge­richtshöfe des Bun­des vor.

Der Ge­mein­sa­me Se­nat ist kein ei­ge­ner Ge­richts­hof, son­dern ei­ne ge­mein­sa­me Ein­rich­tung der deut­schen Bun­des­ge­rich­te. Durch sie soll ei­ne ein­heit­li­che Recht­spre­chung ge­wahrt wer­den, was an­ge­sichts ih­rer Rechts­grund­la­ge, dem "Ge­setz zur Wah­rung der Ein­heit­lich­keit der Recht­spre­chung der obers­ten Ge­richtshöfe des Bun­des" (RsprEinhG), we­nig über­ra­schen dürf­te.

Ent­schei­dun­gen des Ge­mein­sa­men Se­nats sind sehr sel­ten. Die letz­te stammt aus dem Jahr 2000. Dem­ent­spre­chend war es et­was Be­son­de­res, dass der BGH dem Ge­mein­sa­men Se­nat die Fra­ge vor­leg­te, wel­cher Rechts­weg für die Rück­for­de­rung von über­zahl­ter Ar­beits­vergütung durch den In­sol­venz­ver­wal­ter ge­ge­ben ist.

Wo kla­gen? In­sol­ven­ver­wal­ter be­vor­zu­gen meist die Amts- und Land­ge­rich­te, Ar­beit­neh­mer da­ge­gen die Ar­beits­ge­rich­te

An­fang Sep­tem­ber 2007 wur­de auf den An­trag ei­nes Gläubi­gers hin das In­sol­venz­ver­fah­ren über das Vermögen ei­nes selbständi­gen Un­ter­neh­mers eröff­net. Die­ser hat­te ei­nem sei­ner Ar­beit­neh­mer im April und Ju­ni 2007 noch Lohn­zah­lun­gen für die Mo­na­te Ja­nu­ar und Fe­bru­ar 2007 ge­leis­tet, ob­wohl er - so je­den­falls der In­sol­venz­ver­wal­ter - schon seit De­zem­ber 2006 zah­lungs­unfähig ge­we­sen sei.

Der Ar­beit­neh­mer hat­te die Zah­lungs­unfähig­keit auch ge­kannnt, so der Ver­wal­ter, da es schon da­mals zu er­heb­li­chen Zah­lungs­sto­ckun­gen ge­kom­men war und die wirt­schaft­li­che Si­tua­ti­on des Ar­beit­ge­bers auf Be­triebs­ver­samm­lun­gen be­spro­chen wur­de.

Da­her klag­te der In­sol­venz­ver­wal­ter vor dem Amts­ge­richt auf Lohnrück­zah­lung, doch das Amts­ge­richt erklärte sich für un­zuständig und ver­wies den Rechts­streit an das ört­lich zuständi­ge Ar­beits­ge­richt (Amts­ge­richt Kulm­bach, Be­schluss vom 25.05.2008, 74 C 67/08). Ge­gen die­se Ent­schei­dung ging der In­sol­venz­ver­wal­ter per so­for­ti­ger Be­schwer­de vor. Doch auch das Land­ge­richt Bay­reuth hielt sich nicht für zuständig (Be­schluss vom 24.07.2008, 12 T 40/08).

Der In­sol­venz­ver­wal­ter leg­te dar­auf­hin die - vom Land­ge­richt zu­ge­las­se­ne - Rechts­be­schwer­de zum BGH ein. Er möch­te, dass der Rechts­weg zu den or­dent­li­chen (Zi­vil-)Ge­rich­ten für zulässig erklärt wird.

Bun­des­ge­richts­hof: Zuständig für Kla­gen des In­sol­venz­ver­wal­ters auf Rücker­stat­tung von Lohn­zah­lun­gen sind die or­dent­li­chen Zi­vil­ge­rich­te, doch ist das Bun­des­ar­beits­ge­richt an­de­rer Mei­nung

Der BGH würde der Rechts­be­schwer­de statt­ge­ben, müss­te da­mit aber von der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts ab­wei­chen. Des­halb setz­te der BGH das Ver­fah­ren aus und leg­te die Rechts­fra­ge dem Ge­mein­sa­men Se­nat der obers­ten Ge­richtshöfe des Bun­des vor (BGH, Be­schluss vom 02.04.2009, IX ZB 182/08).

In sei­ner Be­gründung be­fasst sich der BGH mit sei­nen bis­he­ri­gen Ent­schei­dun­gen zum Rechts­weg bei In­sol­venz­an­fech­tun­gen und kri­ti­siert den Be­schluss des BAG vom 27.02.2008. § 13 Ge­richts­ver­fas­sungs­ge­setz ge­he da­von aus, dass in der Re­gel die or­dent­li­chen (Zi­vil-)Ge­rich­te zuständig sei­en. Ar­beits­ge­rich­te hin­ge­gen sei­en nur zuständig, wenn ih­nen ein Rechts­streit durch § 2 Ar­beits­ge­richts­ge­setz (ArbGG) zu­ge­wie­sen wird.

Dem­ent­spre­chend sieht sich das BAG gemäß § 2 Abs.1 Nr.3 lit.a Ar­beits­ge­richts­ge­setz (ArbGG) für zuständig an, über die In­sol­ven­an­fech­tung von Lohn­zah­lun­gen zu ent­schei­den, doch wi­der­spricht dem der BGH. Der an­fech­tungs­recht­li­che Rück­gewährs­an­spruch (§§ 129 ff. In­sol­venz­ord­nung) ist nach An­sicht des BGH ein "An­spruch ei­ge­ner Art", der die all­ge­mei­ne­ren Re­geln der ihm zu­grun­de­lie­gen­den Rechts­verhält­nis­se ver­drängt.

Er gibt dem In­sol­venz­ver­wal­ter ei­ne Möglich­keit, die der ursprüng­lich (außer­halb der In­sol­venz) Verfügungs­be­rech­tig­te, d.h. der Ar­beit­ge­ber, nicht hat, so der BGH. Der aus der In­sol­venz­an­fech­tung ent­ste­hen­de An­spruch ist da­her laut BGH nicht (nur) die Um­keh­rung des ursprüng­li­chen An­spruchs des Ar­beit­neh­mers ge­gen sei­nen Ar­beit­ge­ber. Auch wirt­schaft­lich dient die In­sol­venz­an­fech­tung nicht den In­ter­es­sen des Ar­beit­ge­bers, son­dern den In­ter­es­sen der In­sol­venzgläubi­ger, die aber mit den Be­zie­hun­gen zwi­schen In­sol­venz­schuld­ner und sei­nen Ar­beit­neh­mern nichts zu tun hätten.

Be­den­ken hat­te der BGH auch hin­sicht­lich der Auf­fas­sung des BAG, die Lohn­an­fech­tung ste­he mit dem Ar­beits­verhält­nis in un­mit­tel­bar wirt­schaft­li­chem Zu­sam­men­hang, was die Zuständig­keit der Ar­beits­ge­rich­te nach § 2 Abs.1 Nr.4 lit.a ArbGG be­gründe. Un­ter Hin­weis auf die bis­he­ri­ge prak­ti­sche Hand­ha­bung der Norm und ih­re Ent­ste­hungs­ge­schich­te bringt der BGH zum Aus­druck, die Aus­le­gung des BAG sei mit gängi­gen Aus­le­gungs­me­tho­den nicht be­gründen und wäre ob­jek­tiv willkürlich.

Für die Auf­fas­sung des BGH spricht ei­ni­ges, doch liegt der Ball jetzt beim Ge­mein­sa­men Se­nat der obers­ten Ge­richtshöfe des Bun­des. Für die Zuständig­keit der Ar­beits­ge­rich­te lässt sich anführen, dass die Ver­fah­ren dort mit ge­rin­ge­ren Kos­ten ver­bun­den sind, was Ar­beit­neh­mern ent­ge­gen kommt. Wie auch im­mer der Ge­mein­sa­me Se­nat der obers­ten Ge­richtshöfe des Bun­des ent­schei­det - wich­tig ist vor al­lem, dass Klar­heit über den Rechts­weg be­steht.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat der Ge­mein­sa­me Se­nat der obers­ten Ge­richtshöfe des Bun­des die An­fra­ge des BGH so be­ant­wor­tet, dass Kla­gen von In­sol­venz­ver­wal­tern ge­gen Ar­beit­neh­mer auf Rücker­stat­tung vor­insol­venz­li­cher Lohn­zah­lun­gen von den Ge­rich­ten für Ar­beits­sa­chen zu ent­schei­den sind. Den Be­schluss des fin­den Sie im Voll­text hier:

Letzte Überarbeitung: 13. März 2018

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