HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

VG Ber­lin, Ur­teil vom 07.03.2008, 4 A 439.07

   
Schlagworte: Tarifvertrag, Postmindestlohn, Mindestlohn
   
Gericht: Verwaltungsgericht Berlin
Aktenzeichen: 4 A 439.07
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 07.03.2008
   
Leitsätze:
Vorinstanzen:
   

VG 4 A 439.07

Verkündet am 7. März 2008
Wro­bel
Jus­tiz­an­ge­stell­te
als Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

 

VER­WAL­TUN­GS­GERICHT BER­LIN

UR­TEIL

Im Na­men des Vol­kes

 

In den Ver­wal­tungs­streit­sa­chen 

1. 

Kläger,

 

g e g e n

 

die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land,
ver­tre­ten durch das Bun­des­mi­nis­te­ri­um
für Ar­beit und So­zia­les,
Wil­helm­s­traße 49, 10117 Ber­lin,

Be­klag­te,

Pro­zess­be­vollmäch­tig­te:

bei­ge­la­den:


Pro­zess­be­vollmäch­tig­te:

hat das Ver­wal­tungs­ge­richt Ber­lin, 4. Kam­mer, auf­grund
der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 7. März 2008 durch

den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Ver­wal­tungs­ge­richt Kiech­le,
den Rich­ter am Ver­wal­tungs­ge­richt Pa­ter­mann,
den Rich­ter Dr. Lach so­wie
die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin L_____ und
den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter M_____

für Recht er­kannt:

Das Ver­fah­ren wird ein­ge­stellt, so­weit die P_____ ih­re Kla­ge zurück­ge­nom­men hat.

Im Übri­gen wird fest­ge­stellt, dass die Rechts­ver­ord­nung des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Ar­beit und So­zia­les vom 28. De­zem­ber 2007 über zwin­gen­de Ar­beits­be­din­gun­gen für die Bran­che Brief­dienst­leis­tun­gen (Bun­des­an­zei­ger vom 29. De­zem­ber 2007, Nr. 242,Sei­te 8410) den Bun­des­ver­band der K_____. in sei­nem Recht aus Art. 9

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Abs. 3 des Grund­ge­set­zes so­wie die T_____, die R_____ und die P_____ in ih­ren Rech­ten aus den Artt. 9 Abs. 3 und 12 Abs. 1 des Grund­ge­set­zes ver­letzt.

Die P_____ hat ih­re außer­ge­richt­li­chen Kos­ten so­wie 10% der Ge­richts­kos­ten und der außer­ge­richt­li­chen Kos­ten der Be­klag­ten zu tra­gen. Die rest­li­chen Kos­ten des Ver­fah­rens mit Aus­nah­me der außer­ge­richt­li­chen Ko¬sten der Bei­ge­la­de­nen, die die­se selbst zu tra­gen hat, wer­den der Be­klag­ten auf­er­legt.

Das Ur­teil ist we­gen der Kos­ten ge­gen Si­cher­heits­leis­tung in Höhe des je­weils bei­zu­trei­ben­den Be­trags vorläufig voll­streck­bar.

Die Be­ru­fung und die Sprung­re­vi­si­on wer­den zu­ge­las­sen.

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Tat­be­stand

In dem Ver­fah­ren wen­den sich die Kläger ge­gen die am 1. Ja­nu­ar 2008 in Kraft ge­tre­te­ne Ver­ord­nung des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Ar­beit und So­zia­les über zwin­gen­de Ar­beits­be­din­gun­gen für die Bran­che Brief­dienst­leis­tun­gen vom 28. De­zem­ber 2007 (BAnz. vom 29. De­zem­ber 2007, Nr. 242 Sei­te 8410). Mit die­ser bis zum 30. April 2010 be­fris­te­ten Ver­ord­nung re­gel­te die Be­klag­te, dass in ih­rer An­la­ge näher be­zeich­ne­te Rechts­nor­men des zwi­schen dem im Au­gust 2007 ge­gründe­ten Ar­beit­ge­ber­ver­band Post­diens­te e.V. und der ver.di (Ver­ein­te Dienst­leis­tungs­ge­werk­schaft) ab­ge­schlos­se­nen Ta­rif­ver­trags vom 29. No­vem­ber 2007 über Min­destlöhne für die Bran­che Brief­dienst­leis­tun­gen auf al­le nicht an ihn ge­bun­de­nen Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer An­wen­dung fin­den, die un­ter sei­nen Gel­tungs­be­reich fal­len. Zu den da­mit in Be­zug ge­nom­me­nen Nor­men des Ta­rif­ver­trags gehört § 3, wo­nach der Brut­to-Min­dest­lohn mit Wir­kung vom 1. De­zem­ber 2007 je nach Bun­des­land 8,00 € bzw. 8,40 € und für Brief­zu­stel­ler un­abhängig vom zeit­li­chen und/oder men­genmäßigen An­teil an der Ge­samttätig­keit je nach Bun­des­land 9,00 € bzw. 9,80 € beträgt.

Die P_____ G_____ A_____ ist die Mut­ter­ge­sell­schaft von Brief­dienst­leis­tungs­un­ter­neh­men, dar­un­ter der zu 100% in ih­rem Be­sitz be­find­li­chen P_____ M_____ A_____, die mit von ihr beschäftig­ten Zu­stel­lern Brief­dienst­leis­tun­gen er­bringt (bei­de kurz: PIN). Im Tätig­keits­be­richt der Bun­des­netz­agen­tur 2006/2007 (Deut­scher Bun­des­tag, Druck­sa­che 16/7700, Sei­te 157 ff.) wer­den große Zei­tungs­ver­la­ge als die Ei­gentümer der P_____ G_____ A_____ ge­nannt. Sie hat ih­ren Sitz von Lu­xem­bourg nach Deutsch­land (Köln) ver­legt. Über ihr Vermögen eröff­ne­te das Amts­ge­richt Köln am 3. März 2008 das In­sol­venz­ver­fah­ren und be­stell­te ei­nen In­sol­venz­ver­wal­ter, der vor­sorg­lich erklärt hat, dass er das Ver­fah­ren auf­neh­me. Zur P_____ G_____ A_____ gehören rund 90 re­gio­nal täti­ge Toch­ter­ge­sell­schaf­ten, von de­nen 39 Un­ter­neh­men Anträge auf Eröff­nung ei­nes In­sol­venz­ver­fah­rens über ihr Vermögen ge­stellt ha­ben. 13 Toch­ter­un­ter­neh­men mit ehe­mals 2.770 Ar­beitsplätzen ha­ben in­zwi­schen ih­ren Be­trieb ein­ge­stellt. Die P_____ M_____ A_____ beschäftig­te nach ih­ren An­ga­ben am 31. Ja­nu­ar 2008 1.101 Mit­ar­bei­ter, da-von 117 Leih-Ar­beit­neh­mer, und befördert pro Mo­nat et­wa 8,9 Mio. Sen­dun­gen. Von den 984 ei­ge­nen Mit­ar­bei­tern wa­ren da­nach 948 voll­zei­tig beschäftigt. 2007 soll ihr Per­so­nal­kos­ten­an­teil (oh­ne Fremd­leis­tun­gen) 39,3% be­tra­gen ha­ben. Der An­teil der Fremd­leis­tun­gen (be­zo­ge­ne Zu­stell­leis­tun­gen) soll sich in je­nem Jahr auf ca. 28% be­lau­fen ha­ben. Aus ei­nem länger­fris­ti­gen Rah­men­ver­trag mit dem Land Ber­lin, den sie auf der

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Grund­la­ge der bis­he­ri­gen Wirt­schafts­da­ten kal­ku­liert ha­be, soll sie et­wa 35% ih­res Ge­samt­um­sat­zes er­wirt­schaf­tet ha­ben. Sie ist ei­nes von mehr als 40 Mit­glie­dern in dem am 11. Sep­tem­ber 2007 ge­gründe­ten Ar­beit­ge­ber­ver­band Neue Brief- und Zu­stell­diens­te e.V. (AGV NBZ); die Mit­glieds­un­ter­neh­men ha­ben et­wa 30.000 Beschäftig­te.

Der Bun­des­ver­band der Ku­rier-Ex­press-Post-Diens­te e.V. (kurz: BdKEP) ist nach sei­ner Sat­zung ei­ne Or­ga­ni­sa­ti­on der Un­ter­neh­men der Schnell-Lie­fer­diens­te, all­ge­mein als Ku­rier-, Ex­press- und Pa­ket- und Brief­diens­te be­zeich­net, dem et­wa 200 Un­ter­neh­men, dar­un­ter die P_____ M_____ A_____ und ei­ne Ge­sell­schaft aus der T_____-G_____, an­gehören. Seit No­vem­ber 2007 ist er nach sei­ner Sat­zung Ar­beit­ge­ber­ver­band zur Führung von Ver­hand­lun­gen nach dem Ta­rif­ver­trags­ge­setz und Wahr­neh­mung der Mit­glie­der­rech­te aus Art. 9 Abs. 3 GG. Nach sei­nen An­ga­ben re­sul­tie­ren et­wa 70% sei­nes Bei­trags­auf­kom­mens aus der Brief­dienst­bran­che.

Die T_____ P_____ R_____ G_____ und die R_____ S_____- und H_____ m_____ (kurz: T_____) gehören zum nie­derländi­schen Ex­press- und Brief­dienst­leis­ter TNT N.V. Die bei­den bie­ten auf der Ba­sis ei­ner so­ge­nann­ten D-Li­zenz in Deutsch­land Brief­dienst­leis­tun­gen an, die sich durch be­son­de­re qua­li­ta­ti­ve Merk­ma­le von den all­ge­mei­nen Uni­ver­sal­dienst­leis­tun­gen un­ter­schei­den („Mehr­wert­diens­te“). Die aus ver­schie­de­nen Un­ter­neh­men be­ste­hen­de TNT-Grup­pe hat nach ih­ren An­ga­ben seit dem Jahr 2000 et­wa 155 Mio. € in den Aus­bau ei­nes flächen­de­cken­den Zu­stell­net­zes für Mehr­wert­diens­te für adres­sier­te Brief­sen­dun­gen in­ves­tiert und er­reicht da­nach mit ih­ren aus­sch­ließlich dem deut­schen Ar­beits­recht un­ter­lie­gen­den Ar­beit­neh­mern zir­ka 90% al­ler Haus­hal­te in Deutsch­land. Die bei­den sind Mit­glied im AGV NBZ. Sie be­schrei­ben Un­ter­schie­de zwi­schen ih­rer Ar­beits­or­ga­ni­sa­ti­on und der der Deut­sche Post AG, die sich auch dar­in aus­drück­ten, dass sie weit­ge­hend auf Fach­kräfte, ins­be­son­de­re bei den Zu­stel­lern, ver­zich­ten könne. Die Pro­duk­ti­vität zwi­schen bei­den un­ter­schei­de sich in der Wei­se, dass ein Zu­stel­ler der T_____ P_____ R_____ G_____ im Durch­schnitt stünd­lich 30 - 40 Brie­fe zu­stel­le, ein Zu­stel­ler der Deut­sche Post AG hin­ge­gen 137. Die Deut­sche Post AG sei in­fol­ge ih­rer Brief­men­gen wei­ter­ge­hend au­to­ma­ti­siert als TNT und kom­me mit we­ni­ger Per­so­nal aus. Nach ih­ren An­ga­ben er­ziel­te T_____ P_____ R_____ 2_____ ei­nen Um­satz von 32,72 Mio. € bei Per­so­nal­kos­ten ein­sch­ließlich So­zi­al­ab­ga­ben von 37,295 Mio. € und Kos­ten für Fremd­dienst­leis­tun­gen von 21,844 Mio. €, wo­mit sie ei­ne Kos­ten­un­ter­de­ckung von 26,149 Mio. € hat­te. Die R_____ S_____- und H_____ m_____ er­ziel­te nach ih­rer Dar­stel­lung ei­nen Um­satz von 2,202 Mio. € im Jahr 2007 bei Per­so­nal­kos­ten von 1,502 Mio. € und Kos­ten für Fremd­dienst­leis­tun­gen von 0,769 Mio. €, was zu ei­ner Un­ter­de­ckung von 69 T € führ­te. T_____ be­haup­tet gestützt auf ei­ne

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Sen­si­ti­vitäts­ana­ly­se ei­ner Wirt­schafts­prüfungs­ge­sell­schaft, bei dem mit der Ver­ord­nung fest­ge­setz­ten Min­dest­lohn könn­te sie erst bei ei­nem Markt­an­teil von 11,8% in ei­nen Be­reich von Ge­winn vor Steu­ern ge­lan­gen, was aber bei ei­nem der­zei­ti­gen Markt­an­teil von 1,69 % un­rea­lis­tisch sei. Für die Jah­re 2008 bis 2012 müss­te sie mit wei­te­ren Ver­lus­ten von zu­sam­men 191,7 Mio. € rech­nen. Oh­ne die Ver­ord­nung rech­ne T_____ ab 2010 mit ei­nem aus­ge­gli­che­nen Er­geb­nis bzw. Ge­win­nen. Sie gibt an, des­we­gen die Stei­ge­rung der Haus­halts­ab­de­ckung auf 100% in Zu­sam­men­ar­beit mit ei­nem Pa­ket­dienst­leis­ter und des­sen An­nah­me­stel­len ge­stoppt zu ha­ben und da­mit zu rech­nen, dass ins­be­son­de­re Zu­stell­part­ner im länd­li­chen Raum ih­ren Be­trieb ein­stel­len wer­den, wie dies in­zwi­schen in Uetz, Saarbrücken und Mag­de­burg be­reits ge­sche­hen sei. Der Ver­lust von Zu­stell­part­nern würde auch ih­re Haus­halts­ab­de­ckung und da­mit ih­re Markt­chan­cen bei Großkun­den ver­rin­gern.

Die Bun­des­netz­agen­tur zählt T_____ und P_____ zu den Haupt­wett­be­wer­bern der Deut­sche Post AG im Brief­markt. Die An­tei­le der Deut­sche Post AG be­fin­den sich nach An­ga­ben der Bun­des­netz­agen­tur zu 69,5% in Streu­be­sitz, da­von sind 80% ausländi­sche An­teils­eig­ner. 30,5% hält die staat­li­che KfW-Ban­ken­grup­pe. Bis En­de 2007 be­stand für die Deut­sche Post AG ei­ne ge­setz­li­che Ex­klu­siv­li­zenz für die ge­werbsmäßige Beförde­rung von be­stimm­ten Brie­fen bis 50 g.

Nach An­ga­ben der Bun­des­netz­agen­tur mach­ten die Brief­sen­dun­gen mit ei­nem Ge­wicht bis 50 g knapp drei Vier­tel der Brief­sen­dun­gen ins­ge­samt aus. Sie rech­ne­te 2007 mit ei­nem Ge­samt­um­satz im Brief­markt von 10 Mrd. €, wo­von 5 Mrd. € auf den Mo­no­pol­be­reich ent­fie­len. Be­zo­gen auf Umsätze im li­zenz­pflich­ti­gen Be­reich rech­ne­te die Bun­des­netz­agen­tur mit 87,3% Markt­an­tei­len der Deut­sche Post AG und 12,7% der Li­zenz­neh­mer. Be­zo­gen auf die ge­sam­te Sen­dungs­men­ge von über 17,5 Mrd. Stück er­war­te­te die Bun­des­netz­agen­tur für 2007 89,6% Mar­k­an­tei­le der Deut­sche Post AG und 10,4% der Li­zenz­neh­mer. 2006 ver­teil­ten sich die Umsätze der Wett­be­wer­ber der Deut­sche Post AG nach An­ga­ben der Bun­des­netz­agen­tur so, dass über 300 Un­ter­neh­men Umsätze bis zu 100 T € er­ziel­ten, wei­te­re 108 Un­ter­neh­men Umsätze bis zu 500 T €, wei­te­re 39 Un­ter­neh­men Umsätze bis zu 1 Mio. €, wei­te­re 103 Un­ter­neh­men Umsätze bis zu 10 Mio. € und wei­te­re 21 Un­ter­neh­men Umsätze über 10 Mio. €, wo­von vier Li­zenz­neh­mer Umsätze von mehr als 50 Mio. € er­ziel­ten. Nach den Er­war­tun­gen für 2007 änder­te sich dar­an im We­sent­li­chen nichts. Zu den Be­triebs­er­geb­nis­sen teil­te die Bun­des­netz­agen­tur mit, dass im Jahr 2005 51 % der Un­ter­neh­men Ge­winn ge­macht, 31 % ein neu­tra­les Er­geb­nis er­zielt und 18 % ei­nen Ver­lust aus­ge­wie­sen hat­ten. Dies ver­schob sich für das Jahr 2006 da­hin, dass

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nur noch 45 % ei­nen Ge­winn zu ver­bu­chen, 27 % ein neu­tra­les Er­geb­nis er­reicht und 28 % ei­nen Ver­lust aus­ge­wie­sen hat­ten.

Die Bun­des­netz­agen­tur er­teil­te Mit­te 2007 1.509 Li­zenz­neh­mern Aus­kunfts­an­ord­nun­gen und er­hielt dar­auf ei­nen Rück­lauf von 94%. Die Aus­wer­tung der Auskünf­te er­gab: Im Jahr 2007 wa­ren 845 Li­zenz­neh­mer am Markt tätig. Da­von beschäftig­ten 595 Li­zenz­neh­mer 48.411 Ar­beit­neh­mer mit Ar­beits­ver­trag. 92% da­von (= 44.394) wa­ren als Sor­tie­rer (11,15%), Fah­rer (8,28%) oder Zu­stel­ler (72,28%) tätig. Rund 40% der Ar­beit­neh­mer - über­wie­gend ge­ringfügig Beschäftig­te - er­hal­ten kei­ne Mo­nats- oder St­un­denlöhne, son­dern wer­den über Stück­lohn­mo­del­le vergütet. Je­der zwei­te die­ser Beschäftig­ten er­bringt die li­zenz­pflich­ti­ge Tätig­keit im Ver­bund mit nicht li­zenz­pflich­ti­gen oder mit post­frem­den Tätig­kei­ten. Bei der Deut­sche Post AG, die bun­des­weit den glei­chen Lohn zahlt, be­tru­gen die Durch­schnitts­stun­denlöhne bei den Ta­rif­kräften für Sor­tie­rer 11,21 €, für Fah­rer 11,25 € und für Zu­stel­ler 11,36 €. Bei den Li­zenz­neh­mern sind die Löhne in den ein­zel­nen Bun­desländern un­ter­schied­lich hoch. Über­wie­gend ver­die­nen Sor­tie­rer und Fah­rer mehr als Zu­stel­ler, le­dig­lich in Ham­burg, im Saar­land, in Sach­sen-An­halt und in Sach­sen ver­die­nen die Zu­stel­ler mehr als die an­de­ren. Die Durch­schnitts­stun­denlöhne (be­zo­gen auf die­je­ni­gen, die Mo­nats- oder St­un­denlöhne er­hal­ten) für Zu­stel­ler la­gen zwi­schen 5,68 € in Bran­den­burg und 7,92 € in Bay­ern (un­ter Außer­acht­las­sung von Ham­burg [8,62 €] und dem Saar­land [9,13 €]). In den neu­en Bun­desländern (oh­ne Ber­lin) lag der Lohn zwi­schen 5,68 € und 6,56 € (Sach­sen).

Die bei­ge­la­de­ne Ge­werk­schaft der Neu­en Brief- und Zu­stell­diens­te (GN­BZ) teil­te in ei­ner Pres­se­mit­tei­lung vom 12. Ok­to­ber 2007 ih­re Gründung am 8. Ok­to­ber 2007 in Ber­lin mit. In Pres­se­be­rich­ten wur­de die Gründung mit un­terstützen­der Tätig­keit von Ar­beit­ge­ber­sei­te in Zu­sam­men­hang ge­bracht. Das Amts­ge­richt Köln (Rechts­pfle­ger) lehn­te die Ein­tra­gung der GN­BZ un­ter dem 19. Ok­to­ber 2007 als Ver­ein ab, weil sie mit ih­ren 19 Mit­glie­dern nicht ta­riffähig sei. Sie gibt an, dass ih­re Gründungs­mit­glie­der mehr­heit­lich bei Un­ter­neh­men der PIN beschäftigt (ge­we­sen) sei­en. Ih­re der­zeit rund 1.300 Mit­glie­der sei­en bei T_____, P_____ und wei­te­ren 26 Un­ter­neh­men bun­des­weit präsent. Zu ih­ren Mit­glie­dern gehörten sol­che in ar­beits­tech­ni­schen Schlüssel­stel­len (et­wa De­pot­lei­ter, Lei­ter Pro­duk­ti­on).

Die GN­BZ schloss am 11. De­zem­ber 2007 mit dem AGV NBZ ei­nen als Ta­rif­ver­trag be­zeich­ne­ten Ver­trag für das Ge­biet der Be­klag­ten. Sach­lich be­trifft er Un­ter­neh­men, die Mehr­wert­brief­dienst­leis­tun­gen an­bie­ten, die von der Uni­ver­sal­dienst­leis­tung trenn­bar sind, be­son­de­re Leis­tungs­merk­ma­le auf­wei­sen und qua­li­ta­tiv höher­wer­tig sind. Nach § 3 des

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Ta­rif­ver­trags beträgt der Brut­to-Min­dest­lohn für Mehr­wert­brief­dienst­leis­tun­gen mit Wir­kung vom 1. Ja­nu­ar 2008 je nach Bun­des­land 6,50 € oder 7,50 €.
Wei­ter schloss sie am 12. De­zem­ber 2007 mit dem BdKEP ei­nen Ta­rif­ver­trag für al­le ta­rif­ge­bun­de­nen Be­trie­be, die als we­sent­li­che be­trieb­li­che Tätig­keit näher de­fi­nier­te Post­dienst­leis­tun­gen, ins­be­son­de­re die ge­werbsmäßige Beförde­rung von adres­sier­ten schrift­li­chen Mit­tei­lun­gen bis 2 kg zwi­schen Ab­sen­der und Empfänger, er­brin­gen. Er gilt deutsch­land­weit. Der mit den bei­den Verträgen ab dem 1. Ja­nu­ar 2008 ver­ein­bar­te Brut­tom­in­dest­lohn liegt je­weils un­ter den in der strei­ti­gen Ver­ord­nung be­stimm­ten Beträgen (6,50/7,50 € statt 8,00/8,40 € bzw. 9,00/9,80 € für Brief­zu­stel­ler).
Mit Schrei­ben vom 12. De­zem­ber 2007 teil­te der BdKEP den Ver­trags­schluss sei­nen Mit­glie­dern, von de­nen 90% an den Ver­trag ge­bun­den sind, mit, bat um Ver­trau­lich­keit und erklärte, es wäre po­si­tiv un­terstützend, wenn möglichst vie­le Mit­ar­bei­ter der Mit­glie­der­be­trie­be Mit­glied der neu­en Ge­werk­schaft würden.

Mit­te 2007 ent­schied sich die Bun­des­re­gie­rung dafür, un­ter Be­din­gun­gen wei­te­re Bran­chen in das Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­setz auf­zu­neh­men. Da­bei war auch an die Bran­che der Brief­dienst­leis­tun­gen ge­dacht. Am 11. Sep­tem­ber 2007 be­an­trag­ten der Ar­beit­ge­ber­ver­band Post­diens­te e.V., dem die Deut­sche Post AG an­gehört, und ver.di beim Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Ar­beit und So­zia­les die Auf­nah­me der Bran­che Post­dienst­leis­tun­gen in das Ge­setz und zu­gleich die All­ge­mein­ver­bind­li­cherklärung ei­nes an die­sem Tag ge­schlos­se­nen Ta­rif­ver­trags zur Re­ge­lung der Min­destlöhne in der Bran­che Post­diens­te, der für al­le Be­trie­be gel­ten soll­te, die ge­werbs- oder geschäftsmäßig Brief­sen­dun­gen für Drit­te befördern, un­abhängig vom An­teil die­ser Tätig­keit an der Ge­samttätig­keit des Be­triebs. We­gen Aus­sichts­lo­sig­keit wur­de ein Ver­fah­ren nach § 5 TVG nicht be­trie­ben, je­doch ein Ver­fah­ren zum Er­lass ei­ner Rechts­ver­ord­nung nach § 1 Abs. 3a AEntG ein­ge­lei­tet. Im Bun­des­an­zei­ger vom 8. No­vem­ber 2007 er­schien ei­ne Be­kannt­ma­chung über ei­nen An­trag auf All­ge­mein­ver­bind­li­cherklärung ei­nes Ta­rif­ver­trags für die Bran­che Post­diens­te und den Ent­wurf ei­ner Ver­ord­nung über zwin­gen­de Ar­beits­be­din­gun­gen für Brief­dienst­leis­tun­gen ver­bun­den mit der Gewährung ei­ner Frist zur schrift­li­chen Stel­lung­nah­me von drei Wo­chen. Im gleich­zei­tig durch­geführ­ten Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­ren zur Ände­rung des Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­set­zes war ins­be­son­de­re die Reich­wei­te des ein­zu­be­zie­hen­den Be­reichs um­strit­ten. Der Haupt­ver­band des Deut­schen Ein­zel­han­dels et­wa wies dar­auf hin, dass der Post­min­dest­lohn im Re­gel­fall ober­halb der Ein­zel­han­dels­min­destlöhne liegt und der Post­min­dest­lohn für Zu­stel­ler stets darüber liegt. Nach ei­ner Ände­rung des Ta­rif­ver­trags vom 11. Sep­tem­ber 2007 durch Pro­to­koll­no­ti­zen An­fang No­vem­ber 2007 ho­ben die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ihn am 29. No­vem­ber 2007 un­ter Aus­schluss von Nach­wir­kun­gen auf und schlos­sen den von der Ver­ord­nung er­fass­ten Ta­rif­ver­trag. Am glei­chen Tag be­an­trag­ten sie

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beim Bun­des­mi­nis­ter für Ar­beit und So­zia­les die All­ge­mein­ver­bind­li­cherklärung des Ta­rif­ver­trags. Den­je­ni­gen, die sich auf die Be­kannt­ma­chung vom 8. No­vem­ber 2007 geäußert hat­ten, lei­te­te das Bun­des­mi­nis­te­ri­um den dar­auf an­ge­pass­ten Ver­ord­nungs­ent­wurf mit Ge­le­gen­heit zur Stel­lung­nah­me bis zum 7. De­zem­ber 2007 zu. Ei­ne neue Be­kannt­ma­chung hielt es für unnötig.

Un­ter dem 14. De­zem­ber 2007 be­an­trag­ten der AG NBZ und die GN­BZ beim Bun­des­mi­nis­te­ri­um, den von ih­nen ge­schlos­se­nen Ta­rif­ver­trag zur Re­ge­lung von Min­dest­ar­beits­be­din­gun­gen für Mehr­wert­brief­dienst­leis­tun­gen vom 11. De­zem­ber 2007 für all­ge­mein ver­bind­lich zu erklären. In ei­nem Schrei­ben an die an­de­ren Bun­des­mi­nis­te­ri­en erklärte das Ar­beits­mi­nis­te­ri­um, dass die GN­BZ nicht ta­riffähig sei. Am 19. De­zem­ber 2007 stimm­te die Bun­des­re­gie­rung un­ter der Be­din­gung des In­kraft­tre­tens des Ände­rungs­ge­set­zes dem Er­lass der Ver­ord­nung zu. Zur Be­gründung der Ver­ord­nung heißt es im Ver­wal­tungs­vor­gang:

„Der Er­lass der Rechts­ver­ord­nung ist zur Si­cher­stel­lung ei­nes fai­ren Wett­be­werbs und an­ge­mes­se­ner Ar­beits­be­din­gun­gen in ei­nem sich öff­nen­den Brief­markt ge­bo­ten und liegt im öffent­li­chen In­ter­es­se. Das Ziel, für al­le Ar­beit­neh­mer in ei­nem be­stimm­ten Tätig­keits­be­reich ein glei­ches so­zia­les Schutz- und Lohn­ni­veau si­cher­zu­stel­len, ist eu­ro­pa­recht­lich als zwin­gen­der Grund des All­ge­mein­in­ter­es­ses an­er­kannt. Mit die­sem Ziel wer­den zu­gleich die Zie­le ver­folgt, fi­nan­zi­el­le Sta­bi­lität des Sys­tems der so­zia­len Si­che­rung zu schaf­fen, Ar­beits­lo­sig­keit in­fol­ge ei­nes Ver­drängungs­wett­be­werbs durch ausländi­sche An­bie­ter aus Nied­rig­lohnländern oder Bil­lig­an­bie­ter aus dem In­land zu bekämp­fen und schließlich die Ord­nungs­funk­ti­on des Ta­rif­ver­trags in der Bran­che Brief­dienst­leis­tung zu un­terstützen. Die Rechts­ver­ord­nung erfüllt zu­gleich den Auf­trag an den Ge­setz­ge­ber, ei­ne flächen­de­ckend an­ge­mes­se­ne und aus­rei­chen­de Dienst­leis­tung im Be­reich des Post­we­sens zu gewähr­leis­ten (Art. 87f Abs. 2 GG), und das Post­we­sen zu re­gu­lie­ren (§ 2 Abs. 1 PostG). Die Wah­rung des grund­rechts­geschütz­ten Brief­ge­heim­nis­ses in­ner­halb der Wertschöpfungs­ket­te der Brief­beförde­rung ob­liegt letzt­lich den in die­sem Be­reich täti­gen Ar­beit­neh­mern. Da­her sind be­son­de­re An­for­de­run­gen an de­ren Ver­trau­enswürdig­keit, Loya­lität und In­te­grität zu stel­len. Ar­beit­neh­mer mit ei­nem sol­chen Persönlich­keits­pro­fil sind am Ar­beits­markt nur mit ei­ner ent­spre­chen­den Vergütung zu ge­win­nen.“

Am 28. De­zem­ber 2007 un­ter­zeich­ne­te der Bun­des­mi­nis­ter für Ar­beit und So­zia­les die Ver­ord­nung, die am Tag dar­auf im Bun­des­an­zei­ger be­kannt­ge­macht wur­de.

P_____ hat am 14. De­zem­ber 2007 Kla­ge (VG 4 A 439.07) er­ho­ben und macht zu ih­rer Be­gründung letzt­lich mit Schrift­satz vom 4. März 2008 gel­tend:
Mit der Einführung des Min­dest­lohns sei die Wirt­schaft­lich­keit der P_____ G_____ A_____ und die wirt­schaft­lich sinn­vol­le Möglich­keit, als Wett­be­wer­ber der Deut­sche Post AG bun­des­weit Brief­dienst­leis­tun­gen zu er­brin­gen, nicht mehr ge­ge­ben. Für die P_____ M_____

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A_____ führe er bei ei­nem Voll­zeit­mit­ar­bei­ter in der Zu­stel­lung zu ei­ner Ver­teue­rung um 21,23% von ei­nem prak­tisch ge­zahl­ten St­un­den­lohn von 8,23 € auf 9,80 €.
P_____ hält die Ver­ord­nung für for­mell rechts­wid­rig, weil die nach § 1 Abs. 3a Satz 2 AEntG ge­bo­te­ne Anhörung feh­ler­haft ver­lau­fen sei, da sie sich nicht auf den später ver­ord­ne­ten Ta­rif-ver­trag be­zo­gen ha­be. Die Ver­ord­nung ver­s­toße ge­gen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG, weil sie nicht das Ge­setz zi­tie­re, das die Ver­ord­nungs­ermäch­ti­gung auf die hier be­trof­fe­ne Bran­che er­streckt.
P_____ hält die Ver­ord­nung auch für ma­te­ri­ell rechts­wid­rig, weil sie nicht von ih­rer Ermäch­ti­gungs­grund­la­ge ge­deckt sei, die nur ei­ne Er­stre­ckung ei­nes Ta­rif­ver­trags auf nicht an­der­wei­tig Ta­rif­ge­bun­de­ne ermögli­che. Der durch die Ver­ord­nung er­streck­te Ta­rif­ver­trag sei als Phan­tom­ta­rif­ver­trag da­zu un­taug­lich, auch weil dem AGV Post­diens­te e.V. aus Mängeln sei­ner Ver­fas­sung die Ta­rif­zuständig­keit feh­le. Der Ver­ord­nungs­ge­ber miss­brau­che sei­ne Ver­ord­nungs­macht zu wett­be­werb­li­chen Zwe­cken. Die­se ha­be der Ka­pi­tal­markt ver­stan­den, wes­halb nach Be­kannt­wer­den der Ab­sicht, den Min­dest­lohn ein­zuführen, der Ak­ti­en­kurs der Deut­sche Post AG zum Vor­teil auch des da­ma­li­gen Vor­stands­vor­sit­zen­den (von et­wa 20 € An­fang No­vem­ber 2007 auf 24 €) ge­stie­gen sei. Weil sich der Ver­ord­nungs­ge­ber we­gen der Be­tei­li­gung des Bun­des an der Deut­sche Post AG in ei­nem In­ter­es­sen­kon­flikt be­fin­de, recht­fer­tig­ten nur zwin­gen­de öffent­li­che In­ter­es­sen die Gel­tungs­er­stre­ckung nach § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG. Die vom Ver­ord­nungs­ge­ber an­geführ­ten sei­en aber nicht von die­ser Art. Ins­be­son­de­re ge­be es kei­ne Ent­sen­de­pro­ble­ma­tik, die als un­ge­schrie­be­ne Vor­aus­set­zung für die Ver­ord­nung vor­lie­gen müsse.
P_____ sei in ih­rer ne­ga­ti­ven Ko­ali­ti­ons­frei­heit ver­letzt, weil ei­ne ord­nungs­wid­rig zu­stan­de­ge­kom­me­ne Ver­ord­nung ei­nen frem­den Ta­rif­ver­trag auf sie er­stre­cke. Sie sei auch in ih­rer po­si­ti­ven Ko­ali­ti­ons­frei­heit ver­letzt. Denn die Ver­ord­nung sei zur Er­rei­chung der an­ge­ge­be­nen Zie­le nicht ge­eig­net, sei we­gen des zur Verfügung ste­hen­den mil­de­ren Mit­tels des § 6 Abs. 3 Nr. 3 PostG nicht er­for­der­lich und über­dies un­an­ge­mes­sen, da sich der Min­dest­lohn nicht aus dem Markt recht­fer­ti­gen las­se. Auch die Gel­tungs­dau­er von nur zwei Jah­ren rei­che aus, um zahl­rei­che Wett­be­wer­ber in die In­sol­venz zu trei­ben.
Die Ver­ord­nung ver­let­ze P_____ auch in ih­ren Rech­ten aus Art. 12 Abs. 1 GG. Wer sein Brief­zu­stell­netz erst auf­bau­en müsse, wer­de die­ses Un­ter­fan­gen we­gen der bei den Min­destlöhnen zu ge­rin­gen Um­satz­ren­di­te von vorn­her­ein fak­tisch auf­ge­ben müssen. Der Ein­griff sei nicht ge­recht­fer­tigt, weil er kei­nem über­ra­gend wich­ti­gen Ge­mein­schafts­gut die­ne.
Sie wer­de in ih­ren Rech­ten aus Art. 14 Abs. 1 GG, nämlich dem Recht auf Fort­set­zung des Be­triebs im bis­he­ri­gen Um­fang, ver­letzt.

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Der BdKEP hat am 7. Ja­nu­ar 2008 beim Ver­wal­tungs­ge­richt Ham­burg Kla­ge er­ho­ben, die je­nes Ge­richt mit Be­schluss vom 10. Ja­nu­ar 2008 an das ört­lich zuständi­ge Ver­wal­tungs­ge­richt Ber­lin (hier dann VG 4 A 16.08) ver­wie­sen hat.

Der BdKEP meint, die Ver­ord­nung ver­s­toße ge­gen das Zi­tier­ge­bot. Sie sei nach ei­ner feh­ler­haf­ten Anhörung er­gan­gen, da we­der der nun er­streck­te Ta­rif­ver­trag, der sich von dem auf­ge­ho­be­nen durch die Her­aus­nah­me der re­le­van­ten Un­ter­neh­mens­grup­pe der Ta­ges­zei­tungs­ver­la­ge un­ter­schei­de, noch die Ver­ord­nung in ih­rer jet­zi­gen Form zu­vor be­kannt­ge­macht wor­den sei­en. Er sieht die Ver­ord­nung nicht von der Ermäch­ti­gungs­grund­la­ge ge­deckt, so­weit sie auch an­der­wei­tig ta­rif­ge­bun­de­ne Ar­beit­ge­ber wie sei­ne Mit­glie­der bin­det, und hält sie für ein Er­geb­nis ei­nes Kom­plotts zwi­schen der Deut­sche Post AG, ver.di und dem Bun­des­mi­nis­te­ri­um, mit dem nach Weg­fall der be­fris­te­ten ge­setz­li­chen Ex­klu­siv­li­zenz für die Deut­sche Post AG die Kon­kur­ren­ten der Deut­sche Post AG auf die­sem Feld aus­ge­schal­tet wer­den sol­len. Die Ver­ord­nung ver­let­ze sei­ne Rech­te aus Art. 9 Abs. 3 GG, weil sie be­an­spru­che, den von ihm ge­schlos­se­nen Ta­rif­ver­trag zu ver­drängen, und sei des­halb nich­tig. Ei­ne von dem aus­sch­ließen­den Merk­mal der Ta­rif­ge­bun­den­heit los­gelöste Ver­ord­nungs­ermäch­ti­gung wäre ver­fas­sungs­wid­rig un­be­stimmt. Der mit der Ver­ord­nung be­stimm­te Min­dest­lohn wer­de zu In­sol­ven­zen sei­ner Mit­glieds­un­ter­neh­men führen; die­se hätten bei Gel­tung die­ses Loh­nes ih­re be­trieb­li­che Tätig­keit ein­zu­stel­len. Sei­en aber - wie zu er­war­ten - bis zir­ka Som­mer 2008 60% sei­ner Mit­glie­der zu­sam­men­ge­bro­chen, so wer­de auch er in sei­nem Be­stand be­droht. Der von ihm ver­ein­bar­te Min­dest­lohn wer­de all­ge­mein von al­len DGB-Ge­werk­schaf­ten und der SPD für an­ge­mes­sen an­ge­se­hen. Es sei dif­fa­mie­rend, sei­ne Ver­bandstätig­keit in ir­gend­ei­nen Zu­sam­men­hang mit „Schmutz­kon­kur­renz“ oder „Lohn­dum­ping“ zu stel­len.

T_____ hat am 21. Ja­nu­ar 2008 Kla­ge (VG 4 A 26.08) er­ho­ben und macht gel­tend:
Die Ver­ord­nung sei for­mell rechts­wid­rig. Die ein­geräum­te Ge­le­gen­heit zur Stel­lung­nah­me ha­be sich nicht auf den ver­ord­ne­ten Ta­rif­ver­trag be­zo­gen. Die­ser wei­che ent­schei­dend von dem auf­ge­ho­be­nen ab, weil er Ver­bund­zu­stel­ler, mit de­nen die Deut­sche Post AG neu­er­dings zu­sam­men­ar­bei­te, nicht er­fas­se. Die zum 1. Ja­nu­ar 2008 in Kraft ge­tre­te­ne Ver­ord­nung ver-stoße ge­gen das Zi­tier­ge­bot, sei un­klar, weil sie auf ei­nen zum 1. De­zem­ber 2007 in Kraft ge­tre­te­nen Ta­rif­ver­trag Be­zug neh­me, und genüge nicht dem ver­fas­sungs­recht­lich ge­bo­te­nen Be­gründungs- und Recht­fer­ti­gungs­zwang. Zu­dem feh­le es an dem er­for­der­li­chen be­din­gungs­lo­sen und un­be­schränk­ten An­trag ei­ner Ta­rif­ver­trags­par­tei.
Die Ver­ord­nung sei auch ma­te­ri­ell rechts­wid­rig. Sie ge­he über ih­re Ermäch­ti­gungs­grund­la­ge hin­aus und set­ze sich über das un­ge­schrie­be­ne Tat­be­stands­merk­mal des Ge­set­zes hin­weg,

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dass es ei­ner Ent­sen­de­pro­ble­ma­tik bedürfe. Die­ses Merk­mal er­ge­be sich aus der Be­zeich­nung, der Ent­ste­hungs­ge­schich­te des Ge­set­zes und dem Zweck der Um­set­zung der Ent­sen­de-Richt­li­nie. Es sei in der Bran­che Brief­dienst­leis­tun­gen nicht erfüllt. Wei­ter feh­le es an dem nöti­gen öffent­li­chen In­ter­es­se für die Ver­ord­nung, das vor­aus­set­ze, dass der er­streck­te Ta­rif­ver­trag hin­rei­chend re­präsen­ta­tiv sei. Dar­an feh­le es, weil hier nur we­ni­ge Ar­beit­ge­ber an den ver­ord­ne­ten Ta­rif­ver­trag ge­bun­den sei­en. Die­ser Ta­rif­ver­trag sei nicht er­stre­ckungsfähig ge­we­sen, weil er nicht den übli­chen Pro­zess des frei­en Aus­han­delns zwi­schen den ein­an­der ge­genüber­ste­hen­den Par­tei­en durch­lau­fen ha­be. Er sei ein Schein­ta­rif­ver­trag ei­nes nicht ta­riffähi­gen Ar­beit­ge­ber­ver­bands. Der Ver­ord­nungs­ge­ber ha­be feh­ler­haft die Aus­wir­kun­gen auf die be­trof­fe­nen Un­ter­neh­men und die Ar­beit­neh­mer nicht aus­rei­chend er­mit­telt und ab­ge­wo­gen. Das Er­geb­nis ha­be von Be­ginn des Ver­ord­nungs­ver­fah­rens an fest­ge­stan­den.
Die Ver­ord­nung sei we­gen Ver­s­toßes ge­gen Art. 12 Abs. 1 GG nich­tig, weil sie in ih­rer Fol­ge ih­ren Be­ruf auf­ge­ben müsse. Die Ver­ord­nung die­ne nur dem Schutz der Deut­sche Post AG vor Kon­kur­ren­ten. Der Schutz ausländi­scher Ar­beit­neh­mer recht­fer­ti­ge den Ein­griff nicht, weil es sol­che Ar­beit­neh­mer in die­sem Markt nicht ge­be. Die Ver­ord­nung set­ze sich über die durch Art. 87f GG an­ge­ord­ne­te Li­be­ra­li­sie­rung des Post­markts hin­weg. Zu­dem sei die ab­so­lu­te Höhe der vom 29. De­zem­ber 2007 auf den 1. Ja­nu­ar 2008 ver­ord­ne­ten Kos­ten­stei­ge­rung um 20% bzw. 35% un­verhält­nismäßig, zu­mal da TNT die­se Kos­ten we­gen der Markt- und Preisführer­schaft der Deut­sche Post AG nicht wei­ter­ge­ben könne.
Die Ver­ord­nung ver­s­toße ge­gen Art. 14 Abs. 1 GG, weil sie zu ei­ner weit­ge­hen­den Ver­nich­tung ih­res Ge­wer­be­be­triebs führen wer­de.
Die Ver­ord­nung ver­s­toße ge­gen Art. 9 Abs. 3 GG. Die Gel­tungs­er­stre­ckung würde T_____ zum Bei­tritt zum AGV Post­diens­te e.V. zwin­gen, um we­nigs­tens über das Kol­lek­tiv Ein­fluss auf die für sie gel­ten­den Ar­beits­be­din­gun­gen neh­men zu können. Die Ver­ord­nung ent­wer­te ih­re Mit­glied­schaft im AGV NBZ völlig. Die­ser Ein­griff sei nicht ge­recht­fer­tigt, weil die Ver­ord­nung nicht von der Ermäch­ti­gung ge­deckt sei, zum Schutz vor un­so­zia­len Löhnen nicht er­for­der­lich und auch im en­ge­ren Sin­ne un­verhält­nismäßig sei.
Die Ver­ord­nung ver­s­toße ge­gen Art. 3 Abs. 1 GG, weil sie T_____ ge­genüber an­de­ren An­bie­tern von Post­dienst­leis­tun­gen, die kei­ne oder nicht über­wie­gend Brief­dienst­leis­tun­gen er­brin­gen, un­gleich be­hand­le. Zu­dem wer­de T_____ ge­genüber Un­ter­neh­men in Bran­chen be­nach­tei­ligt, in de­nen Löhne wie bei ihr ge­zahlt würden. Für die­se wer­de al­len­falls an die Einführung ei­nes Min­dest­lohns in Höhe von 7,50 € ge­dacht.
Die Ver­ord­nung ver­s­toße auch ge­gen das Auf­fang­grund­recht des Art. 2 Abs. 1 GG so­wie das Wett­be­werbs­ge­bot des Art. 87f Abs. 2 Satz 1 GG. Mit den ver­ord­ne­ten Min­destlöhnen könn­ten flächen­de­cken­de Brief­dienst­leis­tun­gen durch pri­va­te Un­ter­neh­men, die nicht über

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aus Mo­no­pol­zei­ten stam­men­de Markt­an­tei­le und die in­so­weit al­les ent­schei­den­den Zu­stell­vo­lu­mi­na verfügen, nicht wirt­schaft­lich er­bracht wer­den.
Die Ver­ord­nung sei Fol­ge ei­nes Er­mes­sens­fehl­ge­brauchs des Ver­ord­nungs­ge­bers. Sch­ließlich ver­s­toße sie ge­gen eu­ropäisches Wett­be­werbs­recht in Ge­stalt der Artt. 86 Abs. 1, 82 EGV.

Mit Be­schluss vom 7. März 2008 hat das Ge­richt die Ver­fah­ren VG 4 A 439.07, VG 4 A 16.08 und VG 4 A 26.08 un­ter dem Ak­ten­zei­chen VG 4 A 439.07 zur ge­mein­sa­men Ver­hand­lung und Ent­schei­dung ver­bun­den.

Nach­dem die PIN Group AG in der münd­li­chen Ver­hand­lung ih­re Kla­ge zurück­ge­nom­men hat, be­an­tra­gen die übri­gen Kläger,

fest­zu­stel­len, dass die Rechts­ver­ord­nung des Bun­des­mi­nis­ters für Ar­beit und So­zia­les vom 28. De­zem­ber 2007 über zwin­gen­de Ar­beits­be­din­gun­gen für die Bran­che Brief­dienst­leis­tun­gen sie in ih­ren sub­jek­tiv-öffent­li­chen Rech­ten ver­letzt.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Sie hat über­dies die in der An­la­ge zum Pro­to­koll ent­hal­te­nen Hilfs­be­weis­anträge (Ein­ho­lung ei­nes Sach­verständi­gen­gut­ach­tens über wirt­schaft­li­che Fol­gen des ver­ord­ne­ten Min­dest­lohns für Brief­dienst­leis­tungs­un­ter­neh­men) so­wie den An­trag auf Aus­set­zung des Ver­fah­rens und Vor­la­ge an den Eu­ropäischen Ge­richts­hof ge­stellt.

Die Be­klag­te macht gel­tend:
Die Fest­stel­lungs­kla­gen sei­en un­zulässig, weil es an Rechts­verhält­nis­sen zwi­schen ihr und den Klägern feh­le. Fest­stel­lungsfähig sei­en aus­sch­ließlich die aus dem Norm­voll­zug durch die ört­li­chen Behörden re­sul­tie­ren­den An­wen­dungs- und Gültig­keits­fra­gen. Die Kläger müss­ten sich auf Ver­fah­ren in an­de­ren Ge­richts­bar­kei­ten ver­wei­sen las­sen, in de­nen die strei­ti­ge Ver­ord­nung in­zi­dent über­prüft wer­de.

Die Ver­ord­nung sei for­mell rechtmäßig.
Die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en hätten den nach § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG nöti­gen An­trag ge­stellt. Der Zweck des § 1 Abs. 3a Satz 2 AEntG, es dem Ver­ord­nungs­ge­ber zu ermögli­chen, die In­ter­es­sen al­ler Be­trof­fe­nen ein­zu­be­zie­hen, ha­be ei­ne er­neu­te Be­tei­li­gung nicht er­for­dert. Ei­ne wei­te­re Stel­lung­nah­me zu dem ein­ge­schränk­ten Gel­tungs­be­reich des Ta­rif­ver­trags hätte

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dem Ver­ord­nungs­ge­ber kei­nen re­le­van­ten Er­kennt­nis­ge­winn brin­gen können. Zu­dem sei der geänder­te Ta­rif­ver­trag je­den­falls dem AGV NBZ be­kannt ge­we­sen. Mit der ent­spre­chend ein­ge­schränk­ten Ver­ord­nung sei nach Pres­se­be­rich­ten und dem Er­geb­nis der öffent­li­chen Anhörung im Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­ren zu rech­nen ge­we­sen. § 1 Abs. 3a AEntG sei in der Ver­ord­nung zu­tref­fend in der gülti­gen Fas­sung zi­tiert wor­den. Die Ver­ord­nung be­stim­me klar die Wir­kung des Ta­rif­ver­trags ab dem 1. Ja­nu­ar 2008. Sie ha­be nicht be­gründet wer­den müssen, je­doch sei das in­tern ge­sche­hen.
Die Ver­ord­nung sei ma­te­ri­ell rechtmäßig.
Der Ta­rif­ver­trag sei ein wirk­sa­mer Ta­rif­ver­trag zwei­er ta­riffähi­ger Ko­ali­tio­nen.
Der Wort­laut der Ermäch­ti­gungs­grund­la­ge las­se wie bei § 5 Abs. 4 TVG die auch al­len an­de­ren Ver­ord­nun­gen nach § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG zu­grun­de­ge­leg­te Aus­le­gung zu, dass von der Ver­ord­nung al­le nicht an den gel­tungs­er­streck­ten Ta­rif­ver­trag ge­bun­de­nen Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer er­fasst würden. Die­ses Verständ­nis wer­de durch den Be­schluss des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts vom 18. Ju­li 2000 - 1 BvR 948/00 -, NJW 2000, 3704, bestärkt, weil das Ge­richt in den in die­sem Be­schluss zi­tier­ten Ent­schei­dun­gen im 44. und 55. Band (BVerfGE 44, 322 [352]; 55, 6 [24]) die Gel­tung des er­streck­ten Ta­rif­ver­trags für an­der­wei­tig Ta­rif­ge­bun­de­ne vor­aus­set­ze. Nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts zu § 1 Abs. 1 und 3 AEntG, die in glei­cher Wei­se für § 1 Abs. 3a AEntG zu gel­ten ha­be, ge­he der durch Ver­ord­nung über­nom­me­ne Ta­rif­ver­trag ei­nem spe­zi­el­le­rem Ta­rif­ver­trag vor. Die Über­trag­bar­keit die­ser Recht­spre­chung er­ge­be sich dar­aus, dass der 9. Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts in sei­nem An­fra­ge­be­schluss an den 10. Se­nat vom 9. Sep­tem­ber 2003 (9 AZR 478/02 [A] zi­tiert nach Ju­ris) auch auf § 1 Abs. 3a AEntG zurück­ge­grif­fen ha­be (bei Rn. 22). Auch die nach § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG er­streck­ten Ta­rif­verträge fänden nach § 1 Abs. 3a Satz 4 letz­ter Teil­satz AEntG zwin­gen­de An­wen­dung. Die­ses Verständ­nis sei eu­ro­pa­recht­lich ge­bo­ten, da das von den Klägern ver­tre­te­ne zu ei­ner ver­bo­te­nen Ausländer­dis­kri­mi­nie­rung führe. Würde man ei­nem inländi­schen Ar­beit­ge­ber die Aus­weichmöglich­keit über ei­nen spe­zi­el­le­ren (Fir­men-)Ta­rif­ver­trag zu­ge­ste­hen, dürf­te man sie ei­nem Ausländer nicht ver­wei­gern. Die­se Fort­ent­wick­lung der ge­mein­schafts­recht­li­chen Vor­ga­ben ha­be bei frühe­ren Äußerun­gen, et­wa dem Gut­ach­ten von Os­senbühl/Cor­nils aus dem Jahr 2000, noch nicht berück­sich­tigt wer­den können. Letzt­lich wer­de die­se Aus­le­gung da­durch bestätigt, dass der Ge­setz­ge­ber in Kennt­nis des Ent­wurfs der strei­ti­gen Ver­ord­nung und der ta­rif­li­chen Be­din­gun­gen auf dem Brief­markt das Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­setz no­vel­liert ha­be.

Hilfs­wei­se macht sie gel­tend: Soll­te die Ver­ord­nung die Ermäch­ti­gungs­grund­la­ge über­schrei­ten, wirk­te sich das auf die Kläger nicht aus, weil sie nicht an ei­nen Ta­rif­ver­trag ge­bun­den sei­en. Die Ta­rif­verträge mit der GN­BZ sei­en un­wirk­sam, weil die­se - was

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er­for­der­li­chen­falls nach Aus­set­zung des Ver­fah­rens nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG von den Ar­beits­ge­rich­ten zu klären sei - nicht ta­riffähig sei und die Verträge über­dies Gefällig­keits­verträge sei­en. Bei der GN­BZ hand­le es sich um den in der Ar­beits­ge­schich­te wohl of­fen­kun­digs­ten Fall ei­ner ar­beit­ge­ber­sei­tig in­iti­ier­ten Ge­werk­schafts­gründung, die von ar­beit­ge­ber­ori­en­tier­ten Ma­na­gern be­trie­ben wer­de. Die Ver­ord­nung könn­te bei über­schrit­te­ner Ermäch­ti­gungs­grund­la­ge al­len­falls in Be­zug auf an wirk­sa­me Ta­rif­verträge Ge­bun­de­ne teil­nich­tig sein. Die Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne Ge­samt­nich­tig­keit lägen nicht vor. Der Ver­ord­nungs­ge­ber hätte von ei­ner Gel­tungs­er­stre­ckung des Ta­rif­ver­trags nicht vollständig ab­ge­se­hen.
Das Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­setz ken­ne das un­ge­schrie­be­ne Tat­be­stands­merk­mal des Vor­lie­gens ei­ner Ent­sen­de­pro­ble­ma­tik nicht. Un­ge­ach­tet des­sen ha­be der Ge­setz­ge­ber nicht erst mit ei­ner Re­ge­lung ab­war­ten müssen, bis sich ei­ne nach sei­ner Einschätzung dro­hen­de Ge­fahr (et­wa der Ent­sen­dung ausländi­scher Zu­stel­ler) be­reits rea­li­siert ha­be. Die Post­marktöff­nung zum 1. Ja­nu­ar 2008 sei ein aus­rei­chen­der An­lass zum Han­deln ge­we­sen. Es sei da­von aus­zu­ge­hen ge­we­sen, dass von die­sem Tag an ein noch­mals verstärk­ter Wett­be­werb in der Bran­che ein­set­zen wer­de, der über die Löhne ausländi­scher Ar­beit­neh­mer geführt wer­de. Durch­grei­fen­de Einwände ge­gen die­se ar­beits­markt­po­li­ti­sche Pro­gno­se mach­ten die Kläger nicht gel­tend.
Bei den in­tern zur Be­gründung der Ver­ord­nung an­geführ­ten Erwägun­gen zum öffent­li­chen In­ter­es­se hand­le es sich um va­li­de Erwägun­gen, die den Er­lass der Ver­ord­nung recht­fer­tig­ten. Die mit der Ver­ord­nung ver­folg­ten Zie­le entsprächen der ge­setz­li­chen Wer­tung. Mit der jüngs­ten Ge­set­zesände­rung ha­be der Ge­setz­ge­ber ver­deut­licht, dass er ei­ne Gel­tungs­er­stre­ckung ei­nes Ta­rif­ver­trags in die­ser Bran­che grundsätz­lich bil­li­ge, um für al­le in Deutsch­land beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer an­ge­mes­se­ne Ar­beits­be­din­gun­gen si­cher­zu­stel­len.
Die ge­trof­fe­ne Aus­wahl des Ver­ord­nungs­ge­bers sei feh­ler­frei mit der höhe­ren Re­präsen­ta­ti­vität be­gründet; der Ta­rif­ver­trag über Mehr­wert­brief­dienst­leis­tun­gen klam­me­re ei­nen we­sent­li­chen Be­reich aus.
Die Ver­ord­nung sei mit Art. 9 Abs. 3 GG ver­ein­bar. Ein Druck zum Bei­tritt in ei­ne Ko­ali­ti­on ge­he von ihr nicht aus. Ein Ein­griff in die po­si­ti­ve Ko­ali­ti­ons­frei­heit wäre je­den­falls ge­recht­fer­tigt, wie ein Nicht­an­nah­me­be­schluss des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts zei­ge. Das mit der Ver­ord­nung ver­folg­te Ziel, Lohn­dum­ping zu bekämp­fen, ha­be aus ver­schie­de­nen Gründen Ver­fas­sungs­rang. Die­ses Ziel ver­fol­ge sie in ge­eig­ne­ter, er­for­der­li­cher Wei­se. Der Ver­ord­nungs­ge­ber sei da­von aus­ge­gan­gen, dass oh­ne die Fest­le­gung ei­nes Min­dest­loh­nes nied­ri­ge­re Ta­rif­ab­schlüsse zu­stan­de oder zur An­wen­dung ge­kom­men und des­we­gen Ar­beitsplätze nur um den Preis ei­nes Lohn­dum­pings ge­schaf­fen wor­den wären. Die­se An­nah­me hal­te sich im Rah­men sei­ner Einschätzungs­präro­ga­ti­ve. Bei den in der

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Post­bran­che gel­ten­den Rah­men­be­din­gun­gen be­ste­he in be­son­de­rem Maße die Ge­fahr ei­nes Wett­be­werbs zu Las­ten der Ar­beit­neh­mer, wie ei­ne Stu­die aus dem De­zem­ber 2006 zei­ge, wo­nach in Ost­deutsch­land ein durch­schnitt­li­cher St­un­den­lohn von 5,90 € und in West­deutsch­land von 7,00 € ge­zahlt wer­de und die­se Löhne un­ter dem Min­dest­be­darf nach den so­zi­al­recht­li­chen Be­stim­mun­gen lägen. Grund, ei­ne wei­te­re Verschärfung die­ser Si­tua­ti­on zu befürch­ten, hätten die im Vor­feld der Ver­ord­nung ab­ge­schlos­se­nen Ta­rif­verträge ge­bo­ten. Der Ver­ord­nungs­ge­ber ha­be da­nach an­neh­men dürfen, dass in die­sem Be­reich Ver­hand­lun­gen un­ter den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en nicht oh­ne wei­te­res zu ei­nem an­ge­mes­se­nen Aus­gleich führ­ten. Die Aus­wir­kun­gen der Ver­ord­nung auf die Ko­ali­ti­ons­frei­heit sei­en den Klägern zu­mut­bar. Da die Ar­beit­neh­mer bei den Kon­kur­ren­ten der Deut­sche Post AG nur in ge­rin­gem Maß ge­werk­schaft­lich or­ga­ni­siert sei­en, könn­ten die Ar­beit­ge­ber Lohn­for­de­run­gen oh­ne exis­ten­ti­el­le Ein­bußen aus­wei­chen. Ei­ne Ver­hand­lungs­po­si­ti­on zur gleich­wer­ti­gen In­ter­es­sen­wahr­neh­mung be­ste­he dort auf Ar­beit­neh­mer­sei­te nicht. Die (un­ter­stellt wirk­sa­men) Ta­rif­verträge sei­en erst vor kur­zem ab­ge­schlos­sen wor­den. Es sei noch kein or­ga­ni­sier­tes Gefüge von Ver­hand­lungs­part­nern in der Fläche aus­ge­baut. Dem­ge­genüber wögen die recht­fer­ti­gen­den Gründe schwer. Oh­ne die Ver­ord­nung könn­ten sich nicht or­ga­ni­sier­te Ar­beit­ge­ber ge­genüber den Mit­glie­dern des ta­rif­sch­ließen­den Ar­beit­ge­ber­ver­bands Kon­kur­renz­vor­tei­le ver­schaf­fen und die­se so in ih­rer wirt­schaft­li­chen Exis­tenz gefähr­den. Zu­dem sei die Gel­tungs­dau­er der Ver­ord­nung be­fris­tet.
Die Ver­ord­nung sei mit Art. 12 Abs. 1 GG ver­ein­bar. Sie stel­le nur ei­ne Be­rufs­ausübungs­re­ge­lung dar. An­ders wäre es nur, wenn die be­trof­fe­nen Be­rufs­an­gehöri­gen in al­ler Re­gel und nicht nur in Aus­nah­mefällen wirt­schaft­lich nicht mehr in der La­ge wären, den gewähl­ten Be­ruf zur Grund­la­ge ih­rer Le­bensführung zu ma­chen. Dafür sei hier aber nichts vor­ge­tra­gen. T_____ et­wa gehöre zu ei­nem Kon­zern mit ei­nem Ge­samt­um­satz von welt­weit 10,1 Mrd. € und könne im Kon­zern­ver­bund wirt­schaft­li­che Ver­lus­te aus­glei­chen. Bei PIN sei­en wohl aus an­de­ren Gründen ein­ge­tre­te­ne Ver­lus­te die Ur­sa­che für die In­sol­ven­zen von nur 37 der zir­ka 90 Un­ter­neh­men, die über­dies auch während der In­sol­venz ih­ren Be­trieb nicht ein­ge­stellt hätten. Zu­dem zah­le P_____ den Min­dest­lohn und rech­ne nach An­ga­ben sei­nes Vor­stands­vor­sit­zen­den mit der Chan­ce ei­nes länger­fris­ti­gen Ge­winns. Beim BdKEP sei die Spe­ku­la­ti­on ei­nes bal­di­gen Nie­der­gangs sei­ner Mit­glieds­un­ter­neh­men aus der Bran­che Brief­dienst­leis­tun­gen durch nichts be­legt. Es über­schrei­te die Einschätzungs­präro­ga­ti­ve nicht, wenn der Ver­ord­nungs­ge­ber die im er­streck­ten Ta­rif­ver­trag ver­ein­bar­ten Löhne nicht als überhöht be­an­stan­de. Ei­ner Über­g­angs­frist ha­be es nicht be­durft, weil die Kläger von der Ver­ord­nung nicht über­rascht wor­den sei­en. Spätes­tens seit dem 24. Au­gust 2007 (Me­se­berg-Ent­schei­dung der Bun­des­re­gie­rung) sei be­kannt ge­we­sen, dass mit dem En­de des Brief­mo­no­pols ei­ne

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Ent­schei­dung ha­be ge­trof­fen wer­den sol­len. Die un­gefähre Höhe des Min­dest­lohns sei seit dem 11. Sep­tem­ber 2007 ab­seh­bar ge­we­sen.
Art. 14 Abs. 1 GG sei man­gels Ein­griffs nicht ver­letzt; er gewähre kei­nen Schutz von Ge­winn­chan­cen, je­den­falls wäre der Ein­griff aber ge­recht­fer­tigt.
Art. 3 Abs. 1 GG sei nicht ver­letzt, weil es ei­nen im Ge­setz an­ge­leg­ten Grund für die Un­ter­schei­dung zu an­de­ren Un­ter­neh­men aus die­sem Be­reich ge­be. Die un­ter­schied­li­che Be­hand­lung ge­genüber an­de­ren, nicht im Ge­setz an­geführ­ten Bran­chen ha­be für die Kläger kei­ne Be­deu­tung.
Art. 87f Abs. 2 Satz 1 GG schließe die Fest­le­gung ei­nes Min­dest­lohns nicht aus. Die Norm le­ge die Er­brin­gung der Post­dienst­leis­tun­gen nicht un­ein­ge­schränkt auf das Wett­be­werbs­prin­zip fest.
Der Vor­wurf ei­nes Ver­s­toßes ge­gen eu­ro­pa­recht­li­ches Wett­be­werbs­recht sei mehr als fern­lie­gend. Die Fest­le­gung von Min­destlöhnen sei eu­ro­pa­recht­lich zulässig. Zu­dem sei die Deut­sche Post AG kein Un­ter­neh­men im Sin­ne des Art. 86 EGV.

Sechs Bände Ver­wal­tungs­vor­gang be­tref­fend das Ver­fah­ren zum Er­lass der Ver­ord­nung ha­ben vor­ge­le­gen und sind Ge­gen­stand der münd­li­chen Ver­hand­lung ge­we­sen.

Ent­schei­dungs­gründe

Die teil­wei­se Ein­stel­lung des Ver­fah­rens ist die durch § 92 Abs. 3 Vw­GO vor­ge­se­he­ne Fol­ge der Rück­nah­me der Kla­ge der P_____ G_____ A_____.

A. Zulässig­keit der Kla­gen

Die übri­gen Fest­stel­lungs­kla­gen sind zulässig. An die­ser be­reits in dem den Be­tei­lig­ten be­kann­ten Be­schluss vom 11. Fe­bru­ar 2008 - VG 4 A 15.08 - in Be­zug auf den BdKEP geäußer­ten Wer­tung hält das Ge­richt auch un­ter dem Ein­druck der münd­li­chen Ver­hand­lung und ent­spre­chen­der Über­prüfung fest.

1. Nach § 43 Abs. 1 Vw­GO kann durch Kla­ge die Fest­stel­lung des Be­ste­hens oder Nicht­be­ste­hens ei­nes Rechts­verhält­nis­ses be­gehrt wer­den, wenn der Kläger ein be­rech­tig­tes In­ter­es­se an der bal­di­gen Fest­stel­lung hat. Die Be­klag­te meint, dass die Ver­ord­nung zwi­schen ihr und den Klägern kein Rechts­verhält­nis be­gründe. Das über­zeugt das Ge­richt nicht. Mit dem Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt (Ur­teil vom 23. Au­gust 2007 - BVerwG 7 C 13.06 -, NVwZ 2007, 1311 [1313]) ver­steht das Ge­richt un­ter ei­nem Rechts­verhält­nis im Sin­ne von § 43 Abs. 1 Vw­GO die sich aus ei­nem kon­kre­ten Sach­ver­halt auf­grund ei­ner öffent­lich-recht-

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li­chen Norm er­ge­ben­den recht­li­chen Be­zie­hun­gen für das Verhält­nis von (natürli­chen oder ju­ris­ti­schen) Per­so­nen un­ter­ein­an­der oder zu ei­ner Sa­che. Sub­su­miert man den vor­lie­gen­den Sach­ver­halt un­ter die­se Merk­ma­le, dann er­scheint es dem Ge­richt zwin­gend, hier von ei­nem Rechts­verhält­nis aus­zu­ge­hen. Es liegt ein kon­kre­ter Sach­ver­halt vor. Der BdKEP ist Par­tei ei­nes Ver­trags, den er, sei­ne Mit­glie­der, dar­un­ter die P_____ M_____ A_____, und sein Ver­trags­part­ner, die GN­BZ, als Ta­rif­ver­trag für die Bran­che Brief­dienst­leis­tun­gen an­se­hen. Die übri­gen Kläger sind Mit­glie­der des AGV NBZ, der eben­falls mit der GN­BZ ei­nen Ver­trag schloss, den die Ver­trags­par­tei­en und die übri­gen Kläger als Ta­rif­ver­trag an­se­hen. Die Re-ge­lun­gen die­ser Verträge sol­len mit­tels der strei­ti­gen Ver­ord­nung durch Re­ge­lun­gen ei­nes an­de­ren Ta­rif­ver­trags über­la­gert wer­den, wie die Be­klag­te in der münd­li­chen Ver­hand­lung deut­lich ge­macht hat. Die­se Ver­ord­nung ist öffent­lich-recht­lich, weil sie ho­heit­lich auf ei­ne pri­vat­recht­li­che Ver­ein­ba­rung ein­wirkt. In der Ein­wir­kung des Ho­heits­trägers, ei­ner ju­ris­ti­schen Per­son des öffent­li­chen Rechts, liegt zu­gleich die Be­gründung ei­ner recht­li­chen Be­zie­hung zwi­schen ihm, dem Ver­ord­nungs­ge­ber, und den an die Verträge ge­bun­de­nen Par­tei­en, dar­un­ter die Kläger, die ju­ris­ti­sche Per­so­nen des Pri­vat­rechts sind. Der Ver­ord­nungs­ge­ber ver­langt von ih­nen die Be­fol­gung der Norm. Sie sind auch ihm (und nicht nur et­wa ih­ren Ar­beit­neh­mern) ge­genüber zur Norm­be­fol­gung ver­pflich­tet. Dass die­se Pflicht nicht mit­tels ei­ner Kla­ge der Be­klag­ten ge­gen ein­zel­ne Ar­beit­ge­ber durch­ge­setzt würde, steht der An­nah­me ei­ner Pflicht nicht ent­ge­gen.

Dem Ge­richt ist be­kannt, dass das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt im ge­nann­ten Ur­teil aus­sprach, dass im Re­gel­fall kein Rechts­verhält­nis zwi­schen Nor­madres­sat und Norm­ge­ber be­steht, da letz­te­rer an der Um­set­zung der Norm ge­genüber dem Adres­sa­ten nicht be­tei­ligt ist. Das er­scheint der Kam­mer wei­ter­hin nicht über­zeu­gend. Der Be­griff des Rechts­verhält­nis­ses, den auch das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt zu­grun­de­legt, ver­langt ei­ne Be­tei­li­gung an der Um­set­zung der Norm nicht. Norm und Norm­ge­ber las­sen sich nicht tren­nen. Die der Norm in­ne­woh­nen­de Gel­tungs­an­ord­nung setzt den An­ord­nen­den vor­aus. Geht er et­wa er­satz­los un­ter, dann ver­liert die Norm ih­re Wir­kung. Die Norm bringt den Norm­ge­ber und den ihr Un­ter­wor­fe­nen in ei­ne Be­zie­hung, eben weil der Norm­ge­ber mit ihr auf das Ver­hal­ten der Be­trof­fe­nen ein­wir­ken will. Er­for­der­li­che Um­set­zungs­ak­te mögen da­zu führen, dass Rechts­schutz­su­chen­de in An­wen­dung ei­nes Sub­si­dia­ritätsprin­zips un­ter be­stimm­ten Vor­aus­set­zun­gen auf ei­ne an­de­re Kla­ge­art ver­wie­sen wer­den müssen; das wie dar­ge­legt schon be­gründe­te Rechts­verhält­nis zwi­schen dem Norm­ge­ber und dem der Norm Un­ter­wor­fe­nen brin­gen sie nicht in Weg­fall. Die münd­li­che Ver­hand­lung hat nicht er­ge­ben, was an die­sen Erwägun­gen falsch sein soll. Das von der Be­klag­ten an­geführ­te Ur­teil des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts vom 23. Ja­nu­ar 1992 - BVerwG 3 C 50.89 - (BVerw­GE 89, 327) er­gibt da­zu nichts. Es un­ter­schei­det zwi­schen recht­li­chen Be­zie­hun­gen zwi­schen Be­tei­lig­ten,

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ei­nem (be­stimm­ten kon­kre­ti­sier­ten) Rechts­verhält­nis zwi­schen ih­nen und ei­nem fest­stel­lungsfähi­gen Rechts­verhält­nis. Um die dort the­ma­ti­sier­ten Kon­kre­ti­sie­rungs­stu­fen geht es hier nicht. Die von der Be­klag­ten an­ge­spro­che­ne Ge­fahr von Po­pu­lar­fest­stel­lungs­kla­gen ge­gen die Be­klag­te zieht mit dem hier ver­tre­te­nen Verständ­nis nicht her­auf, weil die Fest­stel­lungs­kla­ge von wei­te­ren Vor­aus­set­zun­gen abhängt, die Kla­gen Fern­ste­hen­der oder nur an abs­trak­ten Fra­gen In­ter­es­sier­ter aus­sch­ließt.

2. Der Ver­weis der Be­klag­ten auf § 47 Vw­GO, des­sen Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne Norm­kon­trol­le hier nicht erfüllt sind, greift nicht (mehr) durch. Die­ses Ver­fah­ren sperrt die Fest­stel­lungs­kla­ge nicht (vgl. Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt, Be­schluss vom 17. Ja­nu­ar 2006 - 1 BvR 541/02 -, NVwZ 2006, 922 [924]).

3. Die Kläger ha­ben das gemäß § 43 Abs. 1 Vw­GO er­for­der­li­che be­rech­tig­te In­ter­es­se an der bal­di­gen Fest­stel­lung. Es liegt auf der Hand, dass je­mand, der mo­nat­lich Lohn zu zah­len hat, bald wis­sen will, wie­viel er zu zah­len hat. Zu­dem ha­ben al­le Kläger Umstände dar­ge­tan, die ei­ne bal­di­ge Exis­tenz­ver­nich­tung von Un­ter­neh­men bzw. ih­re Auf­ga­be aus Gründen wirt­schaft­li­cher Ver­nunft in­fol­ge der An­wen­dung der strei­ti­gen Ver­ord­nung na­he­le­gen. Der in­so­weit oh­ne Tat­sa­chen­vor­trag aus­kom­men­de Stand­punkt der Be­klag­ten, die zur Be­ur­tei­lung er­heb­li­che Fak­ten erst durch ein Sach­verständi­gen­gut­ach­ten hat er­mit­teln las­sen wol­len, gibt zu ei­ner ge­las­se­ne­ren Sicht kei­nen An­lass. Der Hin­weis der Be­klag­ten auf § 121 Vw­GO führt zu kei­ner an­de­ren Be­trach­tung die­ses Zulässig­keits­merk­mals. Die zu­ge­las­se­ne Be­ru­fung wird zu ei­ner ober­ge­richt­li­chen Klärung führen, von der im Bestäti­gungs­fall an­zu­neh­men ist, dass sie re­spek­tiert und be­folgt wer­den wird (vgl. Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt, Ur­teil vom 23. Au­gust 2007, aaO, Sei­te 1313 Rn. 24).

4. Die Sub­si­dia­ritätsklau­sel des § 43 Abs. 2 Satz 1 Vw­GO steht der Fest­stel­lungs­kla­ge nicht ent­ge­gen. Denn da­zu müss­ten die Kläger ih­re Rech­te durch Ge­stal­tungs- oder Leis­tungs­kla­ge (vor dem Ver­wal­tungs­ge­richt) ver­fol­gen können. Das ist nicht der Fall. Die Kläger wen­den sich mit ih­ren Fest­stel­lungs­kla­gen ge­gen ei­ne Ver­ord­nung, die kei­nes Um­set­zungs­ak­tes be­darf, son­dern aus sich selbst her­aus (un­mit­tel­bar) vom 1. Ja­nu­ar 2008 an den Min­dest­lohn in der be­zeich­ne­ten Bran­che fest­legt. Die durch § 2 Abs. 1 AEntG vor­ge­se­he­ne Prüfung der Ar­beits­be­din­gun­gen nach § 1 AEntG durch die Behörden der Zoll­ver­wal­tung ist kein An­satz für ei­ne vor­ran­gi­ge an­de­re Kla­ge­art. Denn der­ar­ti­ge Prüfun­gen eröff­ne­ten nicht den Rechts­weg zum Ver­wal­tungs­ge­richt, son­dern zum Fi­nanz­ge­richt (vgl. § 23 Schwarz­ar­beits­bekämp­fungs­ge­setz). Auf Ord­nungs­wid­rig­kei­ten­ver­fah­ren und de­ren ge­richt­li­che Über­prüfung muss sich nie­mand ver­wei­sen las­sen.

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Die bloße Möglich­keit, die Fra­ge nach der Rechtmäßig­keit der Ver­ord­nung auch in ei­nem an­de­ren Ge­richts­zweig auf­zu­wer­fen, hin­dert die Fest­stel­lungs­kla­ge we­gen der Gleich­wer­tig­keit der Ge­richts­zwei­ge nicht. Ei­nen auch in der münd­li­chen Ver­hand­lung zur Spra­che ge­brach­ten un­ge­schrie­be­nen Sub­si­dia­ritäts­grund­satz, wie er im Verhält­nis zwi­schen Ver­fas­sungs- und Fach­ge­richts­bar­keit be­steht (sie­he Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt, Be­schluss vom 17. Ja­nu­ar 2006, aaO), gibt es zwi­schen der Ver­wal­tungs­ge­richts­bar­keit und an­de­ren Ge­richts­bar­kei­ten nicht. Art. 19 Abs. 4 Satz 2 GG, der ei­ne Auf­fang­zuständig­keit des or­dent­li­chen Rechts­wegs be­gründet, ist an die­ser Stel­le un­er­gie­big.

Hin­ge­gen misst das Ge­richt Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG Be­deu­tung bei der Be­ant­wor­tung der zur Zulässig­keit auf­ge­wor­fe­nen Fra­gen zu. Da­nach steht je­man­dem der Rechts­weg of­fen, wenn er durch die öffent­li­che Ge­walt in sei­nen Rech­ten ver­letzt wird. Dies ga­ran­tiert nicht nur, dass über­haupt ein Rechts­weg zu den Ge­rich­ten of­fen steht, son­dern auch die Ef­fek­ti­vität des Rechts­schut­zes. Strit­ti­ge Rechts­verhält­nis­se müssen in an­ge­mes­se­ner Zeit geklärt wer­den (vgl. et­wa Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt, Be­schluss vom 20. Sep­tem­ber 2007 - 1 BvR 775/05 -, NJW 2008, 503). Die­se Norm recht­fer­tigt es nicht, sich über kla­re Pro­zess­re­geln hin­weg­zu­set­zen, ge­bie­tet es aber, bei der Aus­le­gung von Nor­men des Pro­zess­rechts dem (ver­tret­ba­ren) Verständ­nis den Vor­zug zu ge­ben, das ei­ne Klärung des strei­ti­gen Rechts­verhält­nis­ses in an­ge­mes­se­ner Zeit bes­ser ermöglicht. Nach La­ge der Din­ge ist dem Ge­richt die für ei­ne Ent­schei­dung zur Verfügung ste­hen­de „an­ge­mes­se­ne Zeit“ zu knapp be­mes­sen er­schie­nen, um die Kläger auf die wei­te­re Su­che nach ei­nem Rechts­schutz­weg zu ver­wei­sen. Da­bei berück­sich­tigt es, dass für der­ar­ti­ge Fest­stel­lungs­kla­gen kein Be­darf be­stand, so­lan­ge selbst, ge­genwärtig und un­mit­tel­bar Be­trof­fe­ne (wie es die Kläger in Be­zug auf die strei­ti­ge Ver­ord­nung sind) so­gleich ei­ne Ver­fas­sungs­be­schwer­de er­he­ben konn­ten. Die­sen Weg hat das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt mit dem Be­schluss vom 17. Ja­nu­ar 2006 ver­engt. Es ver­weist Per­so­nen, die von ei­nem un­ter­ge­setz­li­chen Rechts­akt be­trof­fen sind, der kei­nes Um­set­zungs­akts be­darf, auf ei­ne Fest­stel­lungs­kla­ge, wenn ei­ne in­zi­den­te Über­prüfung des un­ter­ge­setz­li­chen Rechts­sat­zes im Rah­men von Ver­fah­ren ge­gen de­ren An­wen­dung im Ein­zel­fall nicht möglich ist oder ei­ne in­zi­den­te Prüfung al­lein nicht zur Be­sei­ti­gung der Grund­rechts­ver­let­zung führt. So liegt es aber nicht nur in dem Fall, in dem es um ei­nen Ver­s­toß ge­gen Art. 3 Abs. 1 GG geht, der vom Norm­ge­ber auf ver­schie­de­ne Wei­sen be­ho­ben wer­den könn­te, son­dern auch in der vor­lie­gen­den Kon­stel­la­ti­on.

B. Be­gründet­heit der Kla­gen

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Die zulässi­gen Kla­gen sind be­gründet, weil die Ver­ord­nung den BdKEP in sei­nem Recht aus Art. 9 Abs. 3 GG, T_____ und P_____ in ih­ren Rech­ten aus den Artt. 9 Abs. 3 und 12 Abs. 1 GG ver­letzt. Ob bei P_____ und T_____ noch wei­te­re Grund­rech­te ver­letzt sind, be­darf da­nach kei­ner Ent­schei­dung.

I. Die Ver­ord­nung ist rechts­wid­rig, weil sie nicht gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 1 GG durch die Ermäch­ti­gungs­grund­la­ge des § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG ge­deckt ist, die in ver­fas­sungs­kon­for­mer Aus­le­gung nur ei­ne Re­ge­lung ermöglicht, dass die Rechts­nor­men des Ta­rif­ver­trags aus­sch­ließlich auf al­le nicht (an­der­wei­tig) ta­rif­ge­bun­de­nen Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer An­wen­dung fin­den. Darüber hin­aus­ge­hend er­streckt die Ver­ord­nung den Ta­rif­ver­trag aber auf al­le nicht an ihn ge­bun­de­nen Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer.

1. Mit den Wor­ten „nicht ta­rif­ge­bun­de­nen“ be­stimmt § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG ei­nen Teil des Aus­maßes der Ermäch­ti­gung. Die­se Wor­te sind - wie auch die wi­der­strei­ten­den Auf­fas­sun­gen der Be­tei­lig­ten zei­gen - aus­le­gungs­bedürf­tig. Sie ent­stam­men nicht der All­tags- und Um­gangs­spra­che, son­dern sind ursprüng­lich ein Fach­be­griff aus dem Ta­rif­ver­trags­recht, der al­ler­dings von sei­nem fach­li­chen Ge­halt gelöst über die ar­beits­recht­li­chen Fach­krei­se hin­aus Ver­wen­dung fin­det. Das Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­setz knüpft auch be­griff­lich an das Ta­rif­ver­trags­ge­setz an, was die Maßgeb­lich­keit des­sen Be­griffs­verständ­nis­ses be­gründen könn­te. Das Ta­rif­ver­trags­ge­setz be­ur­teilt die Fra­ge der Ta­rif­ge­bun­den­heit aus der Sicht des je­wei­li­gen Ta­rif­ver­trags (vgl. Ri­char­di, ZfA 2003, 655 [671]), wie sich aus der Ver­wen­dung des be­stimm­ten Ar­ti­kels in § 3 Abs. 1 und Abs. 3 TVG er­gibt. Ta­rif­ge­bun­den sind nach § 3 Abs. 1 TVG die Mit­glie­der der (und nicht „von“) Ta­rif­ver­trags­par­tei­en und der Ar­beit­ge­ber, der selbst Par­tei des (und nicht „ei­nes“) Ta­rif­ver­trags ist. Nach § 3 Abs. 3 TVG bleibt die Ta­rif­ge­bun­den­heit be­ste­hen, bis der Ta­rif­ver­trag en­det. Nach § 5 Abs. 4 TVG er­fas­sen die Rechts­nor­men des Ta­rif­ver­trags mit der All­ge­mein­ver­bind­li­cherklärung „auch die bis­her nicht ta­rif­ge­bun­de­nen Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer“. Dort wer­den die­se Wor­te auf al­le Außen­sei­ter (be­trach­tet vom für all­ge­mein ver­bind­lich erklärten Ta­rif­ver­trag) be­zo­gen, gleichgültig, ob sie nicht oder nur an­ders or­ga­ni­siert sind (vgl. Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 20. März 1991 - 4 AZR 455/90 -, BA­GE 67, 330 ff.; Kem­pen/Za­chert [Hrsg.], TVG, 4. Aufl. 2005, § 5 TVG Rn. 41). Die strei­ti­ge Ver­ord­nung (und mit ihr an­de­re auf § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG gestütz­te) drückt die­ses Verständ­nis mit den Wor­ten „nicht an ihn ge­bun­de­nen“ aus.

2. So ver­stan­den wäre die Ermäch­ti­gungs­grund­la­ge aber ver­fas­sungs­wid­rig. Der im Rechts­staats­prin­zip und im De­mo­kra­tie­prin­zip wur­zeln­de Par­la­ments­vor­be­halt ge­bie­tet es, in grund­le­gen­den nor­ma­ti­ven Be­rei­chen, zu­mal im Be­reich der Grund­rechts­ausübung, so­weit

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die­se staat­li­cher Re­ge­lung zugäng­lich ist, al­le we­sent­li­chen Ent­schei­dun­gen dem Ge­setz­ge­ber zu über­las­sen (vgl. Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt, Ur­teil vom 6. Ju­li 1999 - 2 BvF 3/90 -, BVerfGE 101, 1 [34]). Im Be­schluss vom 27. No­vem­ber 1990 - 1 BvR 402/87 -, BVerfGE 83, 130 führ­te das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt da­zu aus:

„Rechts­staats­prin­zip und De­mo­kra­tie­ge­bot ver­pflich­ten den Ge­setz­ge­ber, die für die Grund­rechts­ver­wirk­li­chung maßgeb­li­chen Re­ge­lun­gen im we­sent­li­chen selbst zu tref­fen und die­se nicht dem Han­deln und der Ent­schei­dungs­macht der Exe­ku­ti­ve zu über­las­sen ... Wie weit der Ge­setz­ge­ber die für den frag­li­chen Le­bens­be­reich er­for­der­li­chen Leit­li­ni­en selbst be­stim­men muß, rich­tet sich maßgeb­lich nach des­sen Grund­rechts­be­zug. Ei­ne Pflicht da­zu be­steht, wenn mit­ein­an­der kon­kur­rie­ren­de grund­recht­li­che Frei­heits­rech­te auf­ein­an­der­tref­fen und de­ren je­wei­li­ge Gren­zen fließend und nur schwer aus­zu­ma­chen sind. Dies gilt vor al­lem dann, wenn die be­trof­fe­nen Grund­rech­te nach dem Wort­laut der Ver­fas­sung vor­be­halt­los gewähr­leis­tet sind und ei­ne Re­ge­lung, wel­che die­sen Le­bens­be­reich ord­nen will, da­mit not­wen­di­ger­wei­se ih­re ver­fas­sungs­im­ma­nen­ten Schran­ken be­stim­men und kon­kre­ti­sie­ren muß. Hier ist der Ge­setz­ge­ber ver­pflich­tet, die Schran­ken der wi­der­strei­ten­den Frei­heits­ga­ran­ti­en je­den­falls so weit selbst zu be­stim­men, wie sie für die Ausübung die­ser Frei­heits­rech­te we­sent­lich sind.“

Die­sen ver­fas­sungs­recht­li­chen An­for­de­run­gen, die auf das vor­be­halt­lo­se Grund­recht aus Art. 9 Abs. 3 GG über­trag­bar sind, genügte § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG nicht, wenn er ei­ne Er­stre­ckung ei­nes Ta­rif­ver­trags durch ei­ne Ver­ord­nung auch auf an­der­wei­tig Ta­rif­ge­bun­de­ne zu­ließe. Art. 9 Abs. 3 Satz 1 GG schützt un­ter­schied­lich stark. Be­son­ders stark ist sei­ne Schutz­wir­kung in Be­zug auf Ta­rif­verträge, die Kern­be­rei­che der Ar­beits­be­din­gun­gen wie den Ar­beits­lohn re­geln. In die­sem Be­reich müssen die Gründe schwer­wie­gend sein, die den Ein­griff in den Schutz­be­reich des Art. 9 Abs. 3 GG recht­fer­ti­gen sol­len (vgl. Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt, Be­schluss vom 27. April 1999 - 1 BvR 2203/93 u.a. -, BVerfGE 100, 271 [283 f.]). Ei­ne Ver­ord­nung nach § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG wäre ein Ein­griff, denn sie wirk­te zwin­gend (§ 1 Abs. 3a Satz 3 AEntG) und ver­dräng­te ei­nen et­wai­gen an­de­ren Ta­rif­ver­trag. Die Vor­aus­set­zun­gen für die­sen schwer­wie­gen­den Ein­griff in die po­si­ti­ve Ko­ali­ti­ons­frei­heit, die kei­nem Ge­set­zes­vor­be­halt un­ter­liegt, durch den Ver­ord­nungs­ge­ber hätte der Ge­setz­ge­ber zu be­stim­men. § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG enthält aber kei­ne in­halt­li­chen Vor­ga­ben, von de­nen die Ver­ord­nungs­be­fug­nis abhängt. Die ver­fah­rens­recht­li­chen An­for­de­run­gen der Norm (An­trag auf All­ge­mein­ver­bind­li­cherklärung ei­nes Ta­rif­ver­trags, Ge­le­gen­heit zur schrift­li­chen Stel­lung­nah­me) genügen nicht, um die ge­bo­te­ne Abwägung zwi­schen den wi­der­strei­ten­den Po­si­tio­nen zu si­chern und in­halt­lich vor­zu­prägen.
Das da­ge­gen ge­rich­te­te Vor­brin­gen der Be­klag­ten bestärkt das Ge­richt in die­ser Wer­tung. Sie be­ruft sich für die Aus­wahl zwi­schen meh­re­ren zu ver­ord­nen­den Ta­rif­verträgen auf die ta­rif­ver­trags­ge­setz­li­chen Re­geln für den Fall, dass ein für all­ge­mein ver­bind­lich erklärter Ta­rif­ver­trag auf ei­nen an­de­ren Ta­rif­ver­trag trifft. Das über­geht aber, dass die All­ge­mein­ver­bind­li­cherklärung nach § 5 Abs. 1 TVG An­for­de­run­gen (Quo­rum, Ein­ver­neh­men

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mit Ta­rif­aus­schuss) un­ter­liegt, die es für die Ver­ord­nung (be­wusst) nicht gibt. Zu­dem ist in der münd­li­chen Ver­hand­lung deut­lich ge­wor­den, dass sich die Be­klag­te un­ter Be­ru­fung auf ei­ne Rich­tig­keits­gewähr von Ta­rif­verträgen und ein aus der Ta­rif­au­to­no­mie fol­gen­des Ver­bot der In­halts­kon­trol­le von Ta­rif­verträgen nicht um die Fol­gen der Ver­ord­nung für die be­trof­fe­ne Bran­che kümmert. Von der Be­klag­ten sind sub­stan­ti­el­le Einwände ge­gen die ne­ga­ti­ven Pro­gno­sen der Kläger zur wei­te­ren wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lung der Kon­kur­ren­ten der Deut­sche Post AG nicht zu er­lan­gen ge­we­sen; sie hat in­so­weit nur ei­nen Hilfs­be­weis­an­trag (Sach­ver­halts­er­mitt­lung durch ei­nen Sach­verständi­gen) ge­stellt. Hin­ge­gen hat sie sich auf ei­ne Einschätzungs­präro­ga­ti­ve des Ver­ord­nungs­ge­bers be­ru­fen, die sie von der­ar­ti­gen Erwägun­gen frei­stel­len sol­le. Das wird aus Sicht des Ge­richts der Be­deu­tung der durch die Ver­ord­nung be­trof­fe­nen Grund­rech­te nicht ge­recht.
Der Be­schluss des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts vom 18. Ju­li 2000 (1 BvR 948/00, NJW 2000, 3704) steht die­ser Be­trach­tung nicht ent­ge­gen. Zwar heißt es dort, dass die Ver­ord­nungs­ermäch­ti­gung des § 1 Abs. 3a AEntG nicht ge­gen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG verstößt, da sie hin­rei­chend ge­nau be­stimmt ist (aaO, Sei­te 3705 am En­de). Doch erörtert der Be­schluss die von den Be­schwer­deführern of­fen­bar nicht auf­ge­wor­fe­ne Fra­ge der Er­stre­ckung ei­nes Ta­rif­ver­trags auf an­der­wei­tig Ta­rif­ge­bun­de­ne nicht (wenn­gleich auch die dort an­ge­grif­fe­ne Ver­ord­nung die Er­stre­ckung ermöglicht hätte, was der Be­schluss aber durch ab­ge­wan­del­te Wort­wahl nicht zum Aus­druck bringt).

3. Die ver­fas­sungs­kon­for­me, nämlich die Ver­fas­sungs­wid­rig­keit des § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG ver­mei­den­de Aus­le­gung der Wor­te „nicht ta­rif­ge­bun­de­nen“ ist möglich. Das setzt vor­aus, dass an­de­re Aus­le­gungs­me­tho­den zu ei­nem ver­fas­sungsmäßigen Er­geb­nis führen und das ge­setz­ge­be­ri­sche Ziel nicht in ei­nem we­sent­li­chen Punkt ver­fehlt oder verfälscht wird (vgl. Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt, Be­schluss vom 19. Sep­tem­ber 2007 - 2 BvF 3/02 -, NVwZ 2007, 1396 [1401]). So liegt es hier.

a. Außer­halb ta­rif­ver­trags­recht­li­cher Zu­sam­menhänge können die Wor­te „nicht ta­rif­ge­bun­de­nen“ als Ver­nei­nung jeg­li­cher Ta­rif­bin­dung ver­stan­den wer­den und wer­den of­fen­bar von al­len, die die ta­rif­ver­trags­recht­li­che Prägung nicht mit­brin­gen, so ver­stan­den. So mein­te das Ober­ver­wal­tungs­ge­richt Ber­lin (Ur­teil vom 10. März 2004 - OVG 1 B 2.02 -, Ab­druck Sei­te 19), dass ei­ne Rechts­ver­ord­nung nach § 1 Abs. 3 a Satz 1 AEntG nur Adres­sa­ten be­tref­fe, die kei­ner Ko­ali­ti­on an­gehören und für die da­her kein Ar­beit­ge­ber­ver­band und kei­ne Ge­werk­schaft ei­ne Ver­bands­zu­gehörig­keit be­an­spru­chen könne (so auch Däubler/Lak­ies, TVG, § 1 AEntG Rn. 104) - ob­wohl auch dort die Ver­ord­nung den Ta­rif­ver­trag für „al­le nicht an ihn ge­bun­de­nen Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer“ in An­wen­dung brach­te. Es stütz­te sich da­bei auf das von Os­senbühl/Cor­nils

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für das Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Ar­beit und So­zi­al­ord­nung im Ja­nu­ar 2000 er­stat­te­te Gut­ach­ten „Ta­rif­au­to­no­mie und staat­li­che Ge­setz­ge­bung“, das auf den Sei­ten 64 - 68 be­gründet, dass „§ 1 Abs. 3a AEntG … wie § 1 Abs. 1 AEntG die Ar­beits­verhält­nis­se an­der­wei­tig or­ga­ni­sier­ter und ta­rif­ge­bun­de­ner inländi­scher Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer von dem Gel­tungs­an­spruch des er­streck­ten Min­dest­ta­rifs“ ver­schont. In ei­nem über­wie­gend von Be­am­ten des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Ar­beit und So­zi­al­ord­nung ver­fass­ten Kom­men­tar zum Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­setz (Ko­ber­ski/Ass­hoff/ Hold/ Rog­gen­dorff, AEntG, 2. Aufl. 2002, § 1 Rn. 103) wird un­ter Be­ru­fung auf den Wort­laut des § 1 Abs. 3a AEntG ver­tre­ten, dass das Ge­setz „so­mit an­der­wei­tig ta­rif­ge­bun­de­ne Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer ge­ra­de nicht er­fas­sen will“. Im Grun­de ist auch die ein­ge­hen­de, den Wort­laut („nicht ta­rif­ge­bun­de­nen“) re­la­ti­vie­ren­de Ar­gu­men­ta­ti­on der Be­klag­ten ein Be­leg dafür, dass die­ser Wort­laut außer­halb ta­rif­ver­trags­recht­li­cher Fach­krei­se da­hin ver­stan­den wird, dass er jeg­li­che Ta­rif­bin­dung ne­giert und nicht nur die Bin­dung an ei­nen be­stimm­ten Ta­rif­ver­trag.

b. Die Ma­te­ria­li­en zu § 1 Abs. 3a AEntG be­kräfti­gen das hier ver­tre­te­ne Verständ­nis. In der Ent­wurfs­be­gründung (vgl. Deut­scher Bun­des­tag, Druck­sa­che 14/45, Sei­te 26) heißt es:

„Ei­ne Rechts­ver­ord­nung nach Ab­satz 3a fin­det mit Rück­sicht auf die Ta­rif­au­to­no­mie kei­ne An­wen­dung auf Ar­beits­verhält­nis­se, de­ren Par­tei­en ta­rif­ge­bun­den sind. In Be­zug auf die Ver­bind­lich­keit der ein­zu­hal­ten­den Ar­beits­be­din­gun­gen er­gibt sich hier­aus je­doch kein Un­ter­schied: Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 des Ta­rif­ver­trags­ge­set­zes gel­ten die Rechts­nor­men ei­nes Ta­rif­ver­trags zwi­schen bei­der­seits ta­rif­ge­bun­de­nen un­mit­tel­bar und zwin­gend. Die­se recht­li­che Bin­dungs­wir­kung wird für nicht bei­der­seits Ta­rif­ge­bun­de­ne durch ei­ne Rechts­ver­ord­nung nach dem neu­en Ab­satz 3a her­ge­stellt.“

Die Ta­rif­au­to­no­mie, de­ren Schutz der Ge­setz­ge­ber vor Au­gen hat­te, drückt sich aber in je­dem Ta­rif­ver­trag aus. Soll­te ei­ne nach ei­nem An­trag ei­ner Ta­rif­ver­trags­par­tei er­gan­ge­ne Ver­ord­nung nach § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG zur Er­stre­ckung ih­res Ta­rif­ver­trags über­haupt ein Ein­griff in die Ta­rif­au­to­no­mie die­ser Ta­rif­ver­trags­par­tei sein, dann wäre er von weit ge­rin­ge­rem Ge­wicht als der Ein­griff in die Ta­rif­au­to­no­mie ei­ner Ta­rif­ver­trags­par­tei, de­ren Ta­rif­ver­trag von der Ver­ord­nung ver­drängt würde. Es er­scheint aus­ge­schlos­sen, dass der Ge­setz­ge­ber die al­len­falls von ei­nem schwa­chen Ein­griff Be­trof­fe­nen schützen woll­te, die von ei­nem stärke­ren aber nicht.

So leuch­tet es ein, dass O_____/C_____ in dem erwähn­ten Gut­ach­ten auf Sei­te 93 schrei­ben, dass es kei­nen An­halts­punkt für die An­nah­me ge­be, dass der Ge­setz­ge­ber bei die­ser Ge­le­gen­heit (des Er­las­ses von § 1 Abs. 3a AEntG) auch die au­to­no­me Ta­rif­fin­dung im deut­schen Bau­ge­wer­be ha­be ab­schaf­fen und durch ei­ne ein­heit­li­che staat­li­che Ta­rif­ord­nung ha­be er­set­zen wol­len. Nicht vor­stell­bar und von der Be­klag­ten trotz dies­bezügli­cher Fra­ge

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nicht ein­mal plau­si­bi­li­siert wor­den ist, dass K_____/A_____/H_____/R_____ trotz ih­rer be­ruf­li­chen Nähe zu der Ma­te­rie sol­che An­halts­punk­te ent­gan­gen sein soll­ten.

c. Das hier ver­tre­te­ne Verständ­nis des § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG steht im Ein­klang mit dem er­kenn­ba­ren Zweck der Ver­ord­nungs­ermäch­ti­gung, die Er­stre­ckung ei­nes be­stimm­ten Ta­rif­ver­trags auf nicht Ta­rif­ge­bun­de­ne durch ei­ne Rechts­ver­ord­nung zu ermögli­chen. Mit die­sem Verständ­nis hätte die Ermäch­ti­gung auch noch ei­nen Sinn, wie die Be­klag­te mit dem Ein­wand be­legt, dass der Bun­des­mi­nis­ter auch bei en­ge­rer Ermäch­ti­gungs­grund­la­ge ei­ne dar­auf an­ge­pass­te Ver­ord­nung zur Er­stre­ckung des Ta­rif­ver­trags er­las­sen hätte.

d. Das Zwei­te Ge­setz zur Ände­rung des Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­set­zes vom 21. De­zem­ber 2007 (BGBl. I Sei­te 3140) führt zu kei­ner an­de­ren Be­ur­tei­lung. Mit die­sem Ge­setz wur­den in § 1 Abs. 1 Satz 4 AEntG die Wörter „und für Ta­rif­verträge für Brief­dienst­leis­tun­gen, wenn der Be­trieb oder die selbständi­ge Be­triebs­ab­tei­lung über­wie­gend ge­werbs- oder geschäftsmäßig Brief­sen­dun­gen für Drit­te befördert“ ein­gefügt und da­mit erst die Vor­aus­set­zung ge­schaf­fen, die in der An­la­ge der hier strei­ti­gen Ver­ord­nung auf­geführ­ten Rechts­nor­men auf an­de­re zu er­stre­cken. Al­ler­dings ziel­te die­se Ände­rung dar­auf, die Kon­kur­ren­ten der im Ar­beit­ge­ber­ver­band Post­diens­te e.V. maßge­ben­den Deut­sche Post AG zu tref­fen. Die­se wa­ren zu Be­ginn des Ge­setz­ge­bungs­ver­fah­rens nicht ta­rif­ge­bun­den. Erst kurz vor Be­schluss­fas­sung über das Ge­setz veränder­te sich die Sach­la­ge durch den Ab­schluss zwei­er Verträge, die die Ver­trags­par­tei­en als Ta­rif­verträge an­se­hen. Man mag an­neh­men, dass be­deu­ten­de Kräfte gleich­wohl und erst recht die Kon­kur­ren­ten der Deut­sche Post AG mit höhe­ren Per­so­nal­kos­ten be­las­ten woll­ten. Vor dem Hin­ter­grund der Ent­ste­hung des § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG mit der be­wuss­ten Be­gren­zung auf nicht an­der­wei­tig Ta­rif­ge­bun­de­ne und ein­ge­denk der An­for­de­rung des Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG ist die An­nah­me aus­ge­schlos­sen, der Ge­setz­ge­ber ha­be oh­ne Ände­rung des Wort­lauts des § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG die­sem jetzt ei­nen an­de­ren Zweck ge­ben wol­len, so dass nun­mehr für al­le in § 1 Abs. 1 AEntG ge­nann­ten Bran­chen durch Rechts­ver­ord­nung ein Ta­rif­ver­trag auch auf an­der­wei­tig Ta­rif­ge­bun­de­ne er­streckt wer­den soll­te. Die An­nah­me, die­se un­aus­ge­spro­che­ne Ände­rung ha­be nur für die im Zwei­ten Ge­setz zur Ände­rung des Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­set­zes ge­nann­te Bran­che gel­ten sol­len, ver­bie­tet sich wohl oh­ne wei­te­re Wor­te.

e. Dar­an hat sich auch durch die neue­re Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts nichts geändert. Die von der Be­klag­ten an­ge­spro­che­nen Ent­schei­dun­gen (et­wa Ur­teil vom 25. Ju­ni 2002, aaO, und vom glei­chen Tag, - 9 AZR 439/01 -, AP Nr. 15 zu § 1 AEntG = BA­GE 102, 1; Ur­teil vom 20. Ju­li 2004 - 9 AZR 343/03 -, AP Nr. 18 zu § 1 AEntG = BA­GE 111, 247)

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be­tra­fen § 1 Abs. 1 und Abs. 3 AEntG und de­ren von der bloßen All­ge­mein­ver­bind­li­cherklärung ab­wei­chen­de Rechts­fol­ge, die sich mit der des § 1 Abs. 3a Satz 3 AEntG deckt. Aus der Rechts­fol­ge lässt sich aber nicht auf ih­re tat­be­stand­li­chen Vor­aus­set­zun­gen zurück­schließen. Dass die Ver­ord­nung zwin­gend gilt, be­sagt nicht, dass sie ge­genüber je­der­mann gilt. Auch ei­ne nur ei­nem be­schränk­ten Per­so­nen­kreis (hier: den nicht an­der­wei­tig Ta­rif­ge­bun­de­nen) ge­genüber gel­ten­de Re­ge­lung kann zwin­gend sein.

f. Der An­wen­dungs­vor­rang eu­ro­pa­recht­li­cher (ge­mein­schafts­recht­li­cher) Nor­men vor in­ner­staat­li­chen Nor­men steht dem hier ver­tre­te­nen Verständ­nis nicht ent­ge­gen. Zu­tref­fend ist, dass es auf ei­ne ge­mein­schafts­recht­lich ver­bo­te­ne Dis­kri­mi­nie­rung hin­aus­lie­fe, wenn nur inländi­sche Ar­beit­ge­ber ei­ner Rechts­ver­ord­nung nach § 1 Abs. 3a Satz 1 AEntG durch vor­he­ri­gen Ab­schluss ei­nes Ta­rif­ver­trags aus­wei­chen könn­ten. Man wird wohl auch da­von aus­ge­hen können, dass die­se Norm nur die durch ei­nen dem Ta­rif­ver­trags­ge­setz un­ter­fal­len­den Ta­rif­ver­trag Ge­bun­de­nen aus­nimmt, da das ge­sam­te Ta­rif­ver­trags­ge­setz, auf das sich das Ar­beit­neh­mer-Ent­sen­de­ge­setz be­zieht, nur für Ar­beits­verhält­nis­se gilt, die deut­schem Ar­beits­recht un­ter­lie­gen (vgl. Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 25. Ju­ni 2002 - 9 AZR 404/00 -, AP Nr. 12 zu § 1 AEntG), wes­halb der von der Be­klag­ten erörter­te Fall ei­nes por­tu­gie­si­schen Ta­rif­ver­trags nicht ein­schlägig ist. Zu ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung ausländi­scher Ar­beit­ge­ber führ­te das aber nur, wenn sie kei­ne Ta­rif­verträge nach dem Ta­rif­ver­trags­ge­setz ab­sch­ließen oder kei­ner Ko­ali­ti­on bei­tre­ten dürf­ten, die ei­nen sol­chen Ver­trag ge­schlos­sen hat. Das ist aber nicht der Fall. Ins­be­son­de­re be­schränkt § 2 Abs. 1 TVG die Ta­riffähig­keit nicht auf ein­zel­ne inländi­sche Ar­beit­ge­ber. Der an­ders­lau­ten­de Hin­weis des Amts­ge­richts Tau­ber­bi­schofs­heim (zi­tiert in Eu­ropäischer Ge­richts­hof, Ur­teil vom 24. Ja­nu­ar 2002 - Rs C 164/99 - [P_____ C_____], AP Nr. 4 zu Art. 49 EG bei Nr. 12) war un­zu­tref­fend. Die va­gen An­deu­tun­gen der Be­klag­ten zu ei­ner fak­ti­schen Dis­kri­mi­nie­rung ausländi­scher Ar­beit­ge­ber ge­ben zu an­de­rer Be­trach­tung und ins­be­son­de­re zu der be­an­trag­ten Aus­set­zung und Ein­ho­lung ei­ner Vor­ab­ent­schei­dung nach Art. 234 EGV durch das erst­in­stanz­li­che Ge­richt kei­nen An­lass. Dafür spielt auch ei­ne Rol­le, dass im Fal­le der Be­ja­hung der be­an­trag­ten Vor­la­ge­fra­ge nicht das von der Be­klag­ten ver­tre­te­ne Verständ­nis der Ermäch­ti­gungs­grund­la­ge die Fol­ge sein müss­te, son­dern auch die Berück­sich­ti­gung ausländi­scher Ta­rif­verträge in Be­tracht käme.

g. Dem ein­dring­li­chen Hin­weis der Be­klag­ten auf die Fol­gen der hier ver­tre­te­nen Auf­fas­sung („Axt an die Min­dest­lohn­ver­ord­nun­gen“) ver­mag das Ge­richt kei­nen Raum zu ge­ben. Das Ge­richt hält es für ge­bo­ten, die Fol­gen ei­ner mögli­chen Ent­schei­dung zu be­den­ken, und dann, wenn die übli­chen Aus­le­gungs­me­tho­den kein ein­deu­ti­ges Er­geb­nis brin­gen, den Weg zu wählen, der die we­nigs­ten Fol­ge­pro­ble­me schafft. Ei­ne sol­che La­ge ist hier aber nicht

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ge­ge­ben. Bis auf den Wort­laut, den man nur mit dem Wis­sen um das Ta­rif­ver­trags­ge­setz für zwei­deu­tig hal­ten kann, führen al­le an­de­ren Aus­le­gungs­kri­te­ri­en auf das hier ver­tre­te­ne Er­geb­nis. Sich un­ter die­sen Umständen von den durch das Bun­des­mi­nis­te­ri­um, das spätes­tens durch das ihm im Jahr 2000 er­stat­te­te Gut­ach­ten um die Gren­zen der Ermäch­ti­gungs­grund­la­ge wuss­te, her­bei­geführ­ten Fol­gen zu ei­ner an­de­ren Be­trach­tung be­we­gen zu las­sen, scheint dem Ge­richt un­ver­tret­bar.

II. Die Ver­ord­nung des Bun­des­mi­nis­te­ri­ums für Ar­beit und So­zia­les über zwin­gen­de Ar­beits­be­din­gun­gen für die Bran­che Brief­dienst­leis­tun­gen vom 28. De­zem­ber 2007 ver­letzt den BdKEP in sei­nem Grund­recht aus Art. 9 Abs. 3 GG und PIN so­wie TNT in ih­ren Grund­rech­ten aus Artt. 9 Abs. 3 und 12 Abs. 1 GG.

1. Die Kläger wer­den durch die Ver­ord­nung in ih­ren Rech­ten aus Art. 9 Abs. 3 GG un­abhängig da­von ver­letzt, ob die GN­BZ ei­ne Ge­werk­schaft bzw. ei­ne ta­riffähi­ge Ge­werk­schaft ist und ob die von ihr ge­schlos­se­nen Ta­rif­verträge wirk­sam sind. Denn zwei­fels­oh­ne sind sie Träger des Grund­rechts. Von sei­nem Schutz­be­reich er­fasst sind so­wohl die Bil­dung ei­ner Ko­ali­ti­on, wie sie der BdKEP dar­stellt, als auch de­ren Wir­ken zur Wah­rung und Förde­rung der Ar­beits- und Wirt­schafts­be­din­gun­gen, die Mit­glie­der ei­ner Ko­ali­ti­on, wie T_____ und P_____, als für sich ver­bind­lich an­se­hen. Die Verträge mit der GN­BZ, mit de­nen Min­destlöhne ver­ein­bart wur­den, sind ein sol­ches in den Schutz­be­reich des Art. 9 Abs. 3 GG fal­len­des Wir­ken. Das hängt nicht da­von ab, dass ih­nen die nor­ma­ti­ven Wir­kun­gen ei­nes Ta­rif­ver­trags zu­kom­men (vgl. Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 28. März 2006 - 1 ABR 58/04 -, BA­GE 117, 308 = AP Nr. 4 zu § 2 TVG bei Rn. 35). Auch in ei­ne man­gels Ta­riffähig­keit des Ver­trags­part­ners nur schwa­che Grund­rechts­po­si­ti­on aus Art. 9 Abs. 3 GG dürf­te aber nur durch ei­ne Norm ein­ge­grif­fen wer­den, die der ver­fas­sungsmäßigen Ord­nung ent­spricht. Dar­an fehlt es hier, weil die strei­ti­ge Ver­ord­nung nicht von ih­rer Ermäch­ti­gungs­grund­la­ge ge­deckt ist.

Die­ser Man­gel führt zur Nich­tig­keit der Ver­ord­nung. Die Auf­fas­sung der Be­klag­ten, der (von ihr be­strit­te­ne) Man­gel führe al­len­falls zur Teil­nich­tig­keit der Ver­ord­nung in Be­zug auf die­je­ni­gen, die - an­ders als die Kläger - durch ei­nen wirk­sa­men Ta­rif­ver­trag ge­bun­den sei­en, teilt die Kam­mer nicht. Die Fol­gen von Feh­lern beim Er­lass von Ver­ord­nun­gen sind nicht ge­re­gelt. In der Li­te­ra­tur ist vom (bis­lang nicht in Fra­ge ge­stell­ten) Nich­tig­keits­dog­ma die Re­de (vgl. Os­senbühl in Hand­buch des Staats­rechts, Band V, 3. Aufl. 2007, § 103 Rn. 79; v. Man­goldt/ Klein/ St­arck, GG, Band 2, 5. Aufl. 2005, Art. 80 Abs. 1 Rn. 78; Drei­er, GG, Band II, 1998, Art. 80 Rn. 43), wo­nach feh­ler­haf­te Ver­ord­nun­gen grundsätz­lich nich­tig sind. Mit Be­zug auf den Be­schluss des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts vom 11. Ok­to­ber 1994 - 1 BvR

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337/92 -, BVerfGE 91, 148 [175] wird ver­tre­ten, dass in­halt­li­che Un­ver­ein­bar­keit der Ver­ord­nung mit dem Grund­ge­setz, wo­zu et­wa die Über­schrei­tung von Kom­pe­tenz­gren­zen gehört, re­gelmäßig zur Nich­tig­keit führt; als Aus­nah­men kom­men Fälle in Be­tracht, bei de­nen die Nich­tig­keit der Ver­ord­nung zu ei­ner La­ge führt, die noch we­ni­ger in Ein­klang mit dem Grund­ge­setz stünde als die vorüber­ge­hen­de Hin­nah­me des ver­fas­sungs­wid­ri­gen Zu­stands (vgl. Um­bach/Cle­mens, GG, Band II, 2002, Art. 80 Rn. 62). Das ist über­zeu­gend. Das Ur­teil des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts vom 6. Ju­li 1999 (BVerfGE 101, 1 [37]) stellt das nicht in Fra­ge, ob­gleich dort die Un­wirk­sam­keit (nur) ein­zel­ner Vor­schrif­ten der Hen­nen­hal­tungs­ver­ord­nung aus­ge­spro­chen ist. Denn letzt­lich erklärte das Ge­richt die ge­sam­te Ver­ord­nung we­gen der Miss­ach­tung des Zi­tier­ge­bots für nich­tig. Ei­ne Aus­nah­me von der re­gelmäßigen Feh­ler­fol­ge ist hier nicht be­gründet, zu­mal da der Wett­be­werb auf dem be­schränk­ten Brief­markt über Jah­re hin­weg oh­ne die­se Ver­ord­nung geführt wur­de und ein plau­si­bler Grund für ihr In­kraft­tre­ten schon zum 1. Ja­nu­ar 2008 statt nach ei­ner Frist zur An­pas­sung trotz ge­richt­li­cher Nach­fra­gen in der münd­li­chen Ver­hand­lung nicht hat er­mit­telt wer­den können.

Den von der Be­klag­ten in der münd­li­chen Ver­hand­lung an­geführ­ten Ge­dan­ken ei­ner ge­set­zes­kon­for­men Aus­le­gung der Ver­ord­nung ver­mag das Ge­richt nicht frucht­bar zu ma­chen. Das setz­te wie bei der ver­fas­sungs­kon­for­men Aus­le­gung ei­nes Ge­set­zes vor­aus, dass das Ziel des Ver­ord­nungs­ge­bers nicht in ei­nem we­sent­li­chen Punkt verfälscht wird. Das aber wäre hier der Fall. Der Ver­ord­nungs­ge­ber woll­te die Er­stre­ckung der Ver­ord­nung auch auf die Kläger.

Die hier erörter­te Nich­tig­keit der Ver­ord­nung führt zur Rechts­ver­let­zung, be­sei­tigt sie nicht. Denn un­ge­ach­tet die­ses Ur­teils er­scheint die Ver­ord­nung bis zu ih­rer Auf­he­bung, zu der das Ge­richt nicht be­fugt ist, wei­ter als an­wend­ba­res Recht. Dies be­gründet trotz zur Nich­tig­keit führen­der Feh­ler­haf­tig­keit die Rechts­ver­let­zung.

2. T_____ und P_____ sind in ih­ren Rech­ten aus Art. 12 Abs. 1 GG ver­letzt. Die Geschäftstätig­keit der bei­den fällt in den Schutz­be­reich des Art. 12 Abs. 1 GG. Nor­ma­ti­ve Vor­ga­ben darüber, wie von den bei­den in ih­rer Tätig­keit beschäftig­te Ar­beit­neh­mer zu ent­loh­nen sind, grei­fen in die­sen geschütz­ten Be­reich ein. Das ist zwar möglich, weil die­ses Grund­recht un­ter ei­nem Ge­set­zes­vor­be­halt steht. Doch setzt die­ser Ein­griff ei­ne ver­fas­sungsmäßige Ein­griffs­grund­la­ge vor­aus. Dar­an fehlt es, wenn - wie dar­ge­legt - das Ge­setz, auf Grund des­sen die Be­rufs­ausübung mit­tels der Min­dest­lohn­ver­ord­nung ge­re­gelt wer­den soll, zu die­ser Ver­ord­nung nicht ermäch­tigt.

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3. Ob P_____ und T_____ auch we­gen Un­verhält­nismäßig­keit des Ein­griffs in ih­re Rech­te aus Art. 12 Abs. 1 GG ver­letzt sind, wofür die Kam­mer bei dem bis­he­ri­gen Sach­stand An­halts­punk­te sieht, ob die Kläger auch mit die­ser Über­le­gung in ih­ren Rech­ten aus Art. 9 Abs. 3 GG ver­letzt sind und ob noch an­de­re Rech­te ver­letzt sind, kann da­hin­ste­hen. Da­mit ist der be­an­trag­te Aus­for­schungs­be­weis auch we­gen Un­er­heb­lich­keit des Be­weisthe­mas nicht zu er­he­ben.

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Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus den §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 Vw­GO. Die Er­stat­tungs­gfähig­keit der außer­ge­richt­li­chen Kos­ten der Bei­ge­la­de­nen ist nicht an­zu­ord­nen (§ 162 Abs. 3 Vw­GO), die vorläufi­ge Voll­streck­bar­keit nach § 167 Vw­GO und § 709 ZPO aus­zu­ge­stal­ten ge­we­sen. Be­ru­fung und Sprung­re­vi­si­on sind nach den §§ 124 Abs. 2 Nr. 4, 132 Abs. 2 Nr. 2 und 134 Abs. 2 Satz 1 Vw­GO zu­zu­las­sen ge­we­sen, weil das Ge­richt vom Ur­teil des Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richts vom 23. Au­gust 2007 - BVerwG 7 C 13.06 - ab­weicht und des­halb die Kla­gen für zulässig ge­hal­ten hat.

Rechts­mit­tel­be­leh­rung

Ge­gen die­ses Ur­teil steht den Be­tei­lig­ten ent­we­der die Be­ru­fung oder bei schrift­li­cher Zu­stim­mung al­ler Kläger und Be­klag­ten die Re­vi­si­on zu.

Die Be­ru­fung ist bei dem Ver­wal­tungs­ge­richt Ber­lin, Kirch­s­traße 7, 10557 Ber­lin, in­ner­halb ei­nes Mo­nats nach Zu­stel­lung des Ur­teils ein­zu­le­gen.

Die Be­ru­fung ist in­ner­halb von zwei Mo­na­ten nach Zu­stel­lung des Ur­teils zu be­gründen. Die Be­gründung ist, so­fern sie nicht zu­gleich mit der Ein­le­gung der Be­ru­fung er­folgt, bei dem Ober­ver­wal­tungs­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, Har­den­berg­s­traße 31, 10623 Ber­lin, ein­zu­rei­chen.

Die Re­vi­si­on ist bei dem Ver­wal­tungs­ge­richt Ber­lin, Kirch­s­traße 7, 10557 Ber­lin, in­ner­halb ei­nes Mo­nats nach Zu­stel­lung des Ur­teils ein­zu­le­gen. Die Re­vi­si­ons­frist ist auch ge­wahrt, wenn die Re­vi­si­on in­ner­halb der Frist bei dem Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt, Sim­son­platz 1, 04107 Leip­zig, schrift­lich oder in elek­tro­ni­scher Form nach Maßga­be der Ver­ord­nung über den elek­tro­ni­schen Rechts­ver­kehr beim Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt und beim Bun­des­fi­nanz­hof vom 26. No­vem­ber 2004 (BGBl. I S. 3091) ein­ge­legt wird. Die Zu­stim­mung zu der Ein­le­gung der Re­vi­si­on ist der Re­vi­si­ons­schrift bei­zufügen oder in­ner­halb der Re­vi­si­ons­frist nach­zu­rei­chen.

Die Re­vi­si­on ist in­ner­halb von zwei Mo­na­ten nach Zu­stel­lung die­ses Ur­teils zu be­gründen. Die Be­gründung ist bei dem Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt, Sim­son­platz 1, 04107 Leip­zig, schrift­lich oder in elek­tro­ni­scher Form ein­zu­rei­chen.

Für das Be­ru­fungs­ver­fah­ren und das Re­vi­si­ons­ver­fah­ren be­steht Ver­tre­tungs­zwang; dies gilt auch für die Ein­le­gung der Be­ru­fung und für die Ein­le­gung der Re­vi­si­on. Da­nach muss sich

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je­der Be­tei­lig­te, so­weit er ei­nen An­trag stellt, durch ei­nen Rechts­an­walt oder ei­nen Rechts­leh­rer an ei­ner deut­schen Hoch­schu­le im Sin­ne des Hoch­schul­rah­men­ge­set­zes mit Befähi­gung zum Rich­ter­amt als Be­vollmäch­tig­ten ver­tre­ten las­sen. Ju­ris­ti­sche Per­so­nen des öffent­li­chen Rechts und Behörden können sich auch durch Be­am­te oder An­ge­stell­te mit Befähi­gung zum Rich­ter­amt so­wie Di­plom­ju­ris­ten im höhe­ren Dienst, Ge­bietskörper­schaf­ten auch durch Be­am­te oder An­ge­stell­te mit Befähi­gung zum Rich­ter­amt der zuständi­gen Auf­sichts­behörde oder des je­wei­li­gen kom­mu­na­len Spit­zen­ver­ban­des des Lan­des, dem sie als Mit­glied zu­gehören, ver­tre­ten las­sen.

 

Kiech­le

Dr. Lach

Pa­ter­mann

ap/Wr.


Aus­ge­fer­tigt


Jus­tiz­an­ge­stell­te
als Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

 


 

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