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LAG Hes­sen, Ur­teil vom 23.11.2015, 16 Sa 494/15

   
Schlagworte: Vergütung, Arbeitszeit, Umkleidezeit
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Hessen
Aktenzeichen: 16 Sa 494/15
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 23.11.2015
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Kassel, Urteil vom 28.01.2015 - 4 Ca 57/14
   

LAG Hes­sen, 23.11.2015 - 16 Sa 494/15

Te­nor:

Auf die Be­ru­fung der Be­klag­ten wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Kas­sel vom 28. Ja­nu­ar 2015 - 4 Ca 57/14 - un­ter Zurück­wei­sung der Be­ru­fung im Übri­gen teil­wei­se ab­geändert:

Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, dem Ar­beits­zeit­kon­to des Klägers 26,67 St­un­den gut­zu­schrei­ben.

Im Übri­gen wird die Kla­ge ab­ge­wie­sen.

Die Kos­ten des Rechts­streits tra­gen der Kläger zu ei­nem Drit­tel und die Be­klag­te zu zwei Drit­tel.

Für die Be­klag­te wird die Re­vi­si­on zu­ge­las­sen.

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über die Gut­schrift von Um­klei­de- und in­ner­be­trieb­li­chen We­ge­zei­ten auf dem Ar­beits­zeit­kon­to des Klägers.

Die Be­klag­te be­treibt ein Müll­heiz­kraft­werk. Der Kläger ist bei die­ser bzw. ih­rer Rechts­vorgänge­rin seit 1. Au­gust 2001 beschäftigt. Auf das Ar­beits­verhält­nis fin­det der Ta­rif­ver­trag Ver­sor­gungs­be­trie­be Hes­sen (TV-V) in der Fas­sung vom 27. Fe­bru­ar 2010 An­wen­dung.

Der Kläger ist aus Gründen des Ar­beits­schut­zes ver­pflich­tet, während sei­ner Ar­beits­zeit Ar­beits­klei­dung zu tra­gen; we­gen des äußeren Er­schei­nungs­bil­des der Ar­beits­klei­dung wird auf Bl. 271, 297-299 der Ak­ten Be­zug ge­nom­men. Beim Be­tre­ten des Werks­geländes betätigt er die Ar­beits­zeit­er­fas­sung und be­gibt sich so­dann zur Um­klei­de. Für die Zurück­le­gung die­ses We­ges benötigt er 1-2 min. Dort zieht er sich um und be­gibt sich da­nach zu sei­nem Ar­beits­platz, wo 15 min vor dem Schicht­be­ginn ei­ne Überg­a­be statt­fin­det. Die Überg­a­be­zeit wird gemäß § 3 der Be­triebs­ver­ein­ba­rung Ar­beits­zeit­ge­stal­tung Stand­ort Müll­heiz­kraft­werk A Schicht­be­trieb (Bl. 8 d.A.) dem Ar­beits­zeit­kon­to gut­ge­schrie­ben. Nach Schich­ten­de wird ent­spre­chend ver­fah­ren.

Mit sei­ner Kla­ge macht der Kläger im Zeit­raum No­vem­ber 2012 bis April 2013 an­ge­fal­le­ne Um­klei­de- und in­ner­be­trieb­li­che We­ge­zei­ten im Um­fang von ins­ge­samt 39,68 h gel­tend; in­so­weit wird auf die Auf­stel­lung Bl. 19 der Ak­ten so­wie die Ar­beits­zeit­nach­wei­se Bl. 21-39 der Ak­ten Be­zug ge­nom­men.

Hin­sicht­lich der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des un­strei­ti­gen Sach­ver­halts, des erst­in­stanz­li­chen Vor­brin­gens der Par­tei­en und der ge­stell­ten Anträge wird auf den Tat­be­stand der Ent­schei­dung des Ar­beits­ge­richts (Bl. 156R bis 159R der Ak­ten) Be­zug ge­nom­men.

Das Ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge im We­sent­li­chen statt­ge­ge­ben. Die Um­klei­de- und We­ge­zei­ten von der Um­klei­de zum Ar­beits­platz sei­en Teil der ge­schul­de­ten Ar­beits­zeit. Der Kläger sei ver­pflich­tet Ar­beits­klei­dung zu tra­gen. Zwar be­ste­he kei­ne be­trieb­li­che Re­ge­lung, wo­nach die Mit­ar­bei­ter sich zwin­gend im Be­trieb um­klei­den müssen. Die Be­klag­te ha­be ei­ne der­ar­ti­ge An­wei­sung je­doch kon­klu­dent er­teilt. Durch die Ein­rich­tung der Um­klei­deräume so­wie der Sam­mel­stel­le für ver­schmutz­te Ar­beits­klei­dung ha­be die Be­klag­te die Ar­beits­leis­tung der Mit­ar­bei­ter der­ge­stalt or­ga­ni­siert, dass das Um­klei­den fak­tisch vor Ort er­fol­gen müsse. Hin­zu kom­me, dass das Tra­gen der Ar­beits­schutz­klei­dung für die Ar­beit­neh­mer fremdnützig sei, da es ar­beits­schutz­recht­lich vor­ge­schrie­ben sei. Auch oh­ne ent­spre­chen­de aus­drück­li­che An­wei­sung müss­ten sich die Mit­ar­bei­ter fak­tisch im Be­trieb um­klei­den.

Die­ses Ur­teil wur­de der Be­klag­ten am 1. April 2015 zu­ge­stellt. Sie hat da­ge­gen mit ei­nem am 24. April 2015 ein­ge­gan­ge­nen Schrift­satz Be­ru­fung ein­ge­legt und die­se nach Verlänge­rung der Be­ru­fungs­be­gründungs­frist bis 13. Ju­li 2015 am 8. Ju­li 2015 be­gründet.

Die Be­klag­te rügt, das Ar­beits­ge­richt ge­he zu Un­recht von ei­ner still­schwei­gen­den An­ord­nung, sich im Be­trieb um­zu­zie­hen, aus. Es über­se­he, dass zwei Merk­ma­le von­ein­an­der ge­trennt wer­den und bei­de vor­lie­gen müss­ten: Zunächst das In­ter­es­se des Ar­beit­ge­bers am Tra­gen der Schutz­klei­dung; so­dann die Fra­ge, ob das Um­zie­hen zwin­gend im Be­trieb er­fol­gen müsse. Das Ar­beits­ge­richt be­ja­he die Um­klei­de­pflicht we­gen ei­nes vor­wie­gen­den und primären Ar­beit­ge­ber­in­ter­es­ses. Dem­ge­genüber ver­lan­ge das Bun­des­ar­beits­ge­richt ei­ne aus­sch­ließlich fremdnützi­ge Tätig­keit. Un­abhängig da­von hätten die gel­tend ge­mach­ten Zei­ten nicht vollständig zu­ge­spro­chen wer­den dürfen. Das Ar­beits­ge­richt ge­he da­von aus, dass nur die Um­klei­de­zeit und die sich an­sch­ließen­de We­ge­zeit zwi­schen Um­klei­de und Ar­beits­platz vergütungs­pflich­ti­ge Ar­beits­zeit sei. Wenn der Kläger das Be­triebs­gelände be­tritt, müsse er erst noch zur Um­klei­de ge­hen. Auf die­ses Teilstück des We­ges ent­fal­le ein Teil der von ihm gel­tend ge­mach­ten Zei­ten. Des­halb sei die Kla­ge un­schlüssig. Sch­ließlich sei der Kläger je­den Vor­trag dafür schul­dig ge­blie­ben, wie lan­ge er für das Um­klei­den und den Weg zum Leit­stand benöti­ge. Im Durch­schnitt ha­be die gel­tend ge­mach­te Um­klei­de­zeit des Klägers beim Kom­men 11,4 min und beim Ge­hen 9,6 min be­tra­gen. Teil­wei­se ha­be er rund 17 oder mehr Mi­nu­ten ge­braucht. Es bestünden Zwei­fel, ob die vor­ge­leg­ten Zei­ten un­ter An­span­nung der persönli­chen Kräfte not­wen­dig ge­we­sen sei­en. Selbst der Mi­ni­mum­wert des Klägers von 8 min dürf­te noch zu hoch sein, weil er noch den Weg vom Tor zur Um­klei­de er­fas­se. Zwar ha­be die Be­klag­te Um­klei­den ein­ge­rich­tet und rei­ni­ge die Ar­beits­klei­dung. Die­ses Ver­hal­ten ha­be je­doch kei­nen Erklärungs­wert. Es sei der Be­klag­ten egal, wo und wann die Mit­ar­bei­ter ih­re Ar­beits­klei­dung an­le­gen. Auch die Möglich­keit, die Ar­beits­klei­dung rei­ni­gen zu las­sen, las­se nicht den Schluss zu, das Um­klei­den sei nur im Be­trieb zulässig. Ein schlüssi­ges Ver­hal­ten der Be­klag­ten, das auf ei­ne be­stimm­te Rechts­fol­ge schließen las­se, lie­ge nicht vor.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

un­ter teil­wei­ser Abände­rung des Ur­teils des Ar­beits­ge­richts Kas­sel vom 28. Ja­nu­ar 2015 -4 Ca 57/14- die Kla­ge in vol­lem Um­fang ab­zu­wei­sen.

Der Kläger be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Die Fremdnützig­keit er­ge­be sich aus der Ge­fahr von Gift­stof­fen, die der Ar­beits­klei­dung an­haf­ten können. Fak­tisch be­ste­he auch ei­ne Ver­pflich­tung, sich im Be­trieb um­zu­zie­hen. Der Kläger müss­te die ge­wa­sche­ne Klei­dung im so ge­nann­ten weißen Be­reich ab­ho­len und mit ihr nach­hau­se fah­ren, um sie dort am nächs­ten Tag an­zu­zie­hen. Für den Kläger und die Öffent­lich­keit sei es nicht zu­mut­bar, dass er in der ver­schmutz­ten Ar­beits­klei­dung nach­hau­se fah­re. Wie sich aus dem Fo­to Blatt 271 der Ak­ten er­ge­be, han­de­le es sich nicht um nor­ma­le hand­werk­li­che Klei­dung. Die Weg­stre­cke zwi­schen dem Eins­tem­peln und den Um­klei­de­ka­bi­nen be­ste­he im We­sent­li­chen in ei­ner Fahrt mit dem Auf­zug und daue­re 1-2 min, abhängig vom Be­trieb des Auf­zugs.

We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des bei­der­sei­ti­gen Par­tei­vor­brin­gens wird auf die ge­wech­sel­ten Schriftsätze nebst An­la­gen so­wie die Sit­zungs­pro­to­kol­le Be­zug ge­nom­men.

Ent­schei­dungs­gründe

I.

Die Be­ru­fung ist statt­haft, § 8 Abs. 2 ArbGG , § 511 Abs. 1 ZPO , § 64 Abs. 2b ArbGG . Sie ist auch form- und frist­ge­recht ein­ge­legt und be­gründet wor­den, § 66 Abs. 1 ArbGG , § 519 , § 520 ZPO und da­mit ins­ge­samt zulässig.

II.

Die Be­ru­fung ist teil­wei­se be­gründet. Dem Ar­beits­zeit­kon­to des Klägers sind (nur) 26,67 St­un­den gut­zu­schrei­ben. Dies er­gibt sich aus § 611 Abs. 1 BGB .

Die Um­klei­de­zei­ten und in­ner­be­trieb­li­chen We­ge­zei­ten von der Um­klei­de­stel­le bis zum Ar­beits­platz sind Teil der vom Kläger ge­schul­de­ten ta­rif­li­chen Ar­beits­zeit. Zwar enthält der auf das Ar­beits­verhält­nis an­wend­ba­re Ta­rif­ver­trag Ver­sor­gungs­be­trie­be Hes­sen (TV-V) in der Fas­sung vom 27. Fe­bru­ar 2010 kei­ne aus­drück­li­che Be­stim­mung über die Vergütung von Um­klei­de- und in­ner­be­trieb­li­chen We­ge­zei­ten. Nach der Recht­spre­chung des 5. Se­nats des Bun­des­ar­beits­ge­richts gehört aber je­de Tätig­keit, die als sol­che der Be­frie­di­gung ei­nes frem­den Bedürf­nis­ses dient, zur Ar­beits­zeit. Da­zu zählt auch das Um­klei­den für die Ar­beit, wenn der Ar­beit­ge­ber das Tra­gen ei­ner be­stimm­ten Klei­dung vor­schreibt und das Um­klei­den im Be­trieb er­fol­gen muss. Die Fremdnützig­keit des Um­klei­dens er­gibt sich schon aus ei­ner Wei­sung des Ar­beit­ge­bers, die ein An­le­gen der Ar­beits­klei­dung zu­hau­se und ein Tra­gen auf dem Weg zur Ar­beitsstätte aus­sch­ließt. Zu berück­sich­ti­gen sei auch, ob das Tra­gen der Be­rufs- und Be­reichs­lei­tung primär hy­gie­ni­schen Zwe­cken und da­mit be­trieb­li­chen Be­lan­gen des Ar­beit­ge­bers dient. Da die Ar­beit in die­sem Fal­le mit dem Um­klei­den be­ginnt, zählen auch die in­ner­be­trieb­li­chen We­ge zur Ar­beits­zeit, die da­durch ver­an­lasst sind, dass der Ar­beit­ge­ber das Um­klei­den nicht am Ar­beits­platz ermöglicht, son­dern dafür ei­ne vom Ar­beits­platz ge­trenn­te Um­klei­de­stel­le ein­rich­tet, die der Ar­beit­neh­mer zwin­gend be­nut­zen muss. Nicht zur Ar­beits­zeit zählen­de We­ge­zeit bleibt aber der Weg von der Woh­nung des Ar­beit­neh­mers bis zu der Stel­le, an der die Ar­beit be­ginnt. In wel­chem Um­fang Um­klei­de- und in­ner­be­trieb­li­chen We­ge­zei­ten zu Ar­beits­zeit rech­nen, er­gibt sich-so­weit ei­ne an­der­wei­ti­ge Re­ge­lung nicht be­steht-nach den all­ge­mei­nen Grundsätzen. Der Ar­beit­neh­mer darf sei­ne Leis­tungs­pflicht nicht willkürlich be­stim­men. Er muss viel­mehr un­ter an­ge­mes­se­ner Ausschöpfung sei­ner persönli­chen Leis­tungsfähig­keit ar­bei­ten. Die­ser mo­di­fi­zier­te sub­jek­ti­ve Maßstab gilt auch für das Um­klei­den und das Zurück­le­gen des We­ges von der Um­klei­de- zur Ar­beits­stel­le ( Bun­des­ar­beits­ge­richt 19. Sep­tem­ber 2012-5 AZR 678/11 -Rn. 23, 24).

Nach der Recht­spre­chung des 1. Se­nats des Bun­des­ar­beits­ge­richts gehören Um­klei­de­zei­ten zur ver­trag­lich ge­schul­de­ten Ar­beits­leis­tung, wenn das Um­klei­den ei­nem frem­den Bedürf­nis dient und nicht zu­gleich ein ei­ge­nes Bedürf­nis erfüllt. Das An­klei­den mit vor­ge­schrie­be­ner Dienst­klei­dung ist nicht le­dig­lich fremdnützig und da­mit nicht Ar­beits­zeit, wenn sie zu­hau­se an­ge­legt und -oh­ne be­son­ders auffällig zu sein- auch auf dem Weg zur Ar­beit ge­tra­gen wer­den kann. An der aus­sch­ließli­chen Fremdnützig­keit fehlt es auch, wenn es dem Ar­beit­neh­mer ge­stat­tet ist, ei­ne an sich auffälli­ge Dienst­klei­dung außer­halb der Ar­beits­zeit zu tra­gen und er sich ent­schei­det, die­se nicht im Be­trieb an- und ab­zu­le­gen. Dann dient das Um­klei­den auch ei­nem ei­ge­nen Bedürf­nis, weil der Ar­beit­neh­mer kei­ne ei­ge­nen Klei­dungsstücke auf dem Ar­beits­weg ein­set­zen muss oder sich aus an­de­ren, selbst­be­stimm­ten Gründen ge­gen das An- und Ab­le­gen der Dienst­klei­dung im Be­trieb ent­schei­det ( Bun­des­ar­beits­ge­richt 12. No­vem­ber 2013 -1 ABR 59/12 - Rn. 33).

Da­nach sind die Um­klei­de­zei­ten des Klägers im Kla­ge­zeit­raum so­wie der an­sch­ließen­de Weg zum Ar­beits­platz vergütungs­pflich­ti­ge Ar­beits­zeit. Das Tra­gen der Ar­beits­klei­dung ist aus­sch­ließlich fremdnützig. Es han­delt sich um Ar­beits­schutz­klei­dung, die der Kläger im In­ter­es­se sei­nes Ge­sund­heits­schut­zes tra­gen muss. Es be­ste­hen ver­schie­de­ne An­wei­sun­gen, die das Tra­gen der Schutz­klei­dung vor­schrei­ben; in­so­weit wird auf die Fest­stel­lun­gen im Tat­be­stand des Ur­teils des Ar­beits­ge­richts Be­zug ge­nom­men. Das Um­klei­den muss auch im Be­trieb er­fol­gen. Zwar be­steht in­so­weit kei­ne Wei­sung der Be­klag­ten und die Be­ru­fungs­kam­mer teilt die An­sicht des Ar­beits­ge­richts, es lie­ge ei­ne kon­klu­den­te Wei­sung vor, nicht. Denn die Be­klag­te weist zu Recht dar­auf hin, dass we­der dem Zur-Verfügung-stel­len ei­ner Um­klei­demöglich­keit noch der Rei­ni­gungsmöglich­keit der ver­schmutz­ten Ar­beits­klei­dung ein Erklärungs­wert da­hin zu­kommt, die Ar­beit­neh­mer müss­ten von die­ser Möglich­keit auch tatsächlich Ge­brauch ma­chen. Auf ei­ne ent­spre­chen­de Wei­sung des Ar­beit­ge­bers kommt es je­doch nach Über­zeu­gung der Be­ru­fungs­kam­mer nicht ent­schei­dend an. Zwar lag in dem der Ent­schei­dung des Bun­des­ar­beits­ge­richts vom 19. Sep­tem­ber 2012 zu Grun­de lie­gen­den Fall ei­ne der­ar­ti­ge Wei­sung vor. Hier­an knüpft der 5. Se­nat an, wenn er ausführt es er­ge­be sich schon aus der Wei­sung des Ar­beit­ge­bers, dass die Um­klei­de­zeit Ar­beits­zeit sei. Hier­aus folgt je­doch nicht, dass die Wei­sung das al­lein ent­schei­den­de Kri­te­ri­um ist. Viel­mehr stellt das Bun­des­ar­beits­ge­richt auf wei­te­re Merk­ma­le ab, z.B. ob das Tra­gen der Be­rufs­klei­dung primär hy­gie­ni­schen Zwe­cken und da­mit be­trieb­li­chen Be­lan­gen des Ar­beit­ge­bers dient. Im Ge­gen­satz zu dem der Ent­schei­dung des 5. Se­nats zu Grun­de lie­gen­den Ent­schei­dung, in der es um ei­ne OP-Schwes­ter ging, dient das Tra­gen der Schutz­klei­dung hier nicht dem Schutz Drit­ter, son­dern im We­sent­li­chen dem Schutz des die Schutz­klei­dung tra­gen­den Ar­beit­neh­mers selbst. Die­se hat die Be­ru­fungs­kam­mer im Ter­min am 23. No­vem­ber 2015 in Au­gen­schein ge­nom­men. Es han­delt sich um ei­ne sehr auffälli­ge Schutz­klei­dung, un­abhängig da­von ob man auf die vom Kläger übli­cher­wei­se ge­tra­ge­ne Klei­dung (Blatt 271 der Ak­ten) oder die auch zulässi­ge, vom Kläger übli­cher­wei­se aber nicht ge­tra­ge­ne Klei­dung (Bl. 299 der Ak­ten) ab­stellt. Zum ei­nen ist die Klei­dung in ei­ner Art und Wei­se auffällig, dass ein Zurück­le­gen des We­ges von der Woh­nung zum Ar­beits­platz den Kläger nicht zu­zu­mu­ten ist. Hin­zu kommt, dass auf der Schutz­klei­dung Blatt 299 d.A. sich ei­ne deut­lich les­ba­re Fir­men­auf­schrift der Be­klag­ten be­fin­det, was dem Kläger ein Tra­gen die­ser Klei­dung in der Öffent­lich­keit un­zu­mut­bar macht. Zum an­de­ren hat der Kläger im Ter­min ei­nen von ihm während der Ar­beit ge­tra­ge­nen Blau­mann (Bl. 297 der Ak­ten) vor­ge­zeigt, der hell­braun ein­ge­staubt war und bin­nen Mi­nu­ten die Luft des Sit­zungs­saa­les deut­lich wahr­nehm­bar nach­tei­lig veränder­te. Mit die­sen An­haf­tun­gen an der Ar­beits­klei­dung ei­nen Ar­beits­weg zurück­zu­le­gen -sei es im Pri­vat-PKW oder mit öffent­li­chen Ver­kehrs­mit­teln- ist so­wohl dem Kläger als auch Pas­san­ten schlech­ter­dings un­zu­mut­bar. Ent­spre­chen­des gilt für die vorüber­ge­hen­de Auf­be­wah­rung der be­reits ge­tra­ge­nen Schutz­klei­dung zu­hau­se. Nach Über­zeu­gung der Be­ru­fungs­kam­mer be­steht da­her für den Kläger kei­ne an­de­re Möglich­keit, als die Ar­beits­klei­dung im Be­trieb an- und ab­zu­le­gen. Ent­spre­chend verhält sich der Kläger auch tatsächlich.

Der Kläger kann je­doch nur die Gut­schrift von 26,67 h für den Kla­ge­zeit­raum ver­lan­gen. Dies steht auf­grund ei­ner von der Kam­mer vor­ge­nom­me­nen Schätzung nach § 287 ZPO fest. Die­se Vor­schrift er­laubt un­ter den im Ge­setz ge­nann­ten Vor­aus­set­zun­gen auch die Schätzung des Um­fangs von Erfüllungs­ansprüchen (Bun­des­ar­beits­ge­richt vom 12. März 2015 -5 AZR 602/13- Rn. 20). Nach § 287 Abs. 1 ZPO ent­schei­det der Tatrich­ter un­ter Würdi­gung al­ler Umstände nach sei­ner Über­zeu­gung, ob ein Scha­den ent­stan­den ist und wie hoch die­ser ist. Das Ge­setz nimmt aber in Kauf, dass das Er­geb­nis der Schätzung mit der Wirk­lich­keit viel­fach nicht übe­rein­stimmt; al­ler­dings soll die Schätzung möglichst na­he an die­se her­anführen. Der Tatrich­ter muss nach pflicht­gemäßem Er­mes­sen auch be­ur­tei­len, ob nach § 287 Abs. 1 ZPO nicht we­nigs­tens die Schätzung ei­nes Min­dest­scha­dens möglich ist. Ei­ne Schätzung darf nur dann un­ter­blei­ben, wenn sie man­gels jeg­li­cher kon­kre­ter An­halts­punk­te voll­kom­men "in der Luft hin­ge" und da­her willkürlich wäre. Die für ei­ne Schätzung un­ab­ding­ba­ren An­knüpfungs­tat­sa­chen muss der Geschädig­te im Re­gel­fall dar­le­gen und be­wei­sen (Bun­des­ar­beits­ge­richt a.a.O., Rn. 19).

Un­ter Zu­grun­de­le­gung der vom Kläger an­ge­ge­be­nen Zei­ten, die sich aus der Ar­beits­zeit­er­fas­sung der Be­klag­ten er­ge­ben, hat er beim Kom­men durch­schnitt­lich 11,4 min und beim Ge­hen 9,6 min für den Weg vom Be­tre­ten des Be­triebs­geländes, dem Um­klei­den und den sich an­sch­ließen­den Weg zum Ar­beits­platz benötigt. Für die vor­zu­neh­men­de Schätzung hat die Be­ru­fungs­kam­mer auf die beim Ge­hen fest­ge­stell­ten Zei­ten ab­ge­stellt. Dies hat sei­ne Ur­sa­che dar­in, dass der Kläger beim Kom­men, um ei­nen pünkt­li­chen Ar­beits­an­tritt zu gewähr­leis­ten, stets ei­nen ge­wis­sen Zeit­puf­fer ein­kal­ku­lie­ren muss. Des­sen Länge dürf­te -abhängig vom Vor­lie­gen be­son­de­rer Vor­komm­nis­se auf dem Ar­beits­weg- zu­meist un­ter­schied­lich sein. Dem­ge­genüber ist beim Ver­las­sen des Ar­beits­plat­zes da­von aus­zu­ge­hen, dass der Kläger nach Schich­ten­de zügig Fei­er­abend ha­ben möch­te und des­halb so­wohl den in­ner­be­trieb­li­chen Weg zur Um­klei­de als auch das Um­klei­den selbst un­ter an­ge­mes­se­ner Ausschöpfung sei­ner persönli­chen Leis­tungsfähig­keit vor­nimmt. So­weit die an­ge­ge­be­nen Zei­ten gleich­wohl stark dif­fe­rie­ren, er­gibt sich dies nach den Erklärun­gen des Klägers im Ter­min vor der Be­ru­fungs­kam­mer dar­aus, dass er an ein­zel­nen Ta­gen als Schicht­lei­ter ein­ge­plant war und in­so­weit ge­ra­de nicht zügig Fei­er­abend ma­chen konn­te. Hier­bei han­delt es sich eben­falls um vergütungs­pflich­ti­ge Ar­beits­zeit. Der Durch­schnitts­wert von 9,6 min er­scheint der Be­ru­fungs­kam­mer ins­ge­samt für das Zurück­le­gen des We­ges vom Tor bis zur Um­klei­de, dem Um­klei­den und dem Weg zum Ar­beits­platz rea­lis­tisch. Hier­von ist der Weg vom Be­triebs­tor zur Um­klei­de in Ab­zug zu brin­gen, den der Kläger mit 1-2 min an­gibt. Die Be­ru­fungs­kam­mer hat in­so­weit ei­nen Durch­schnitts­wert von 1,6 min an­ge­nom­men, so dass sich ins­ge­samt für die Um­klei­de­zeit und den in­ner­be­trieb­li­chen Weg zum Ar­beits­platz ei­ne als vergütungs­pflich­ti­ge Ar­beits­zeit an­zu­neh­men­de Zeit von 8 min er­gibt. Ent­spre­chen­des gilt für den Rück­weg.

Im Kla­ge­zeit­raum fie­len 100 Ar­beits­ta­ge an, so dass sich für 16 min tägli­che Um­klei­de- und in­ner­be­trieb­li­che We­ge­zeit 1600 min, mit­hin 26,67 h er­ge­ben. Die­se sind dem Ar­beits­zeit­kon­to des Klägers gut­zu­schrei­ben.

We­gen der darüber hin­aus­ge­hend gel­tend ge­mach­ten Ar­beits­stun­den ist die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

III.

Die Kos­ten­ent­schei­dung er­gibt sich aus § 92 Ab­satz 1 ZPO .

Die Zu­las­sung der Re­vi­si­on für die Be­klag­te folgt aus § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG .

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