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BAG, Be­schluss vom 14.09.2010, 1 ABR 30/09

   
Schlagworte: Einigungsstelle
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 1 ABR 30/09
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 14.09.2010
   
Leitsätze: Ein vom Vorsitzenden der Einigungsstelle nicht unterzeichneter Einigungsstellenspruch ist unwirksam.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Hameln, Beschluss vom 16.06.2008, 2 BV 8/07
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Beschluss vom 9.02.2009, 8 TaBV 70/08
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

1 ABR 30/09

8 TaBV 70/08

Lan­des­ar­beits­ge­richt

Nie­der­sach­sen

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

14. Sep­tem­ber 2010

BESCHLUSS

Rad­t­ke, Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

In dem Be­schluss­ver­fah­ren mit den Be­tei­lig­ten

1.

An­trag­stel­ler, Be­schwer­deführer und Rechts­be­schwer­deführer,

2.

Ar­beit­ge­be­rin,

hat der Ers­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der Anhörung vom 14. Sep­tem­ber 2010 durch die Präsi­den­tin des Bun­des­ar­beits­ge­richts Schmidt, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Linck und Dr. Koch so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Wiss­kir­chen und Pla­tow für Recht er­kannt:


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1. Auf die Rechts­be­schwer­de des Be­triebs­rats wird der Be­schluss des Lan­des­ar­beits­ge­richts Nie­der­sach­sen vom 9. Fe­bru­ar 2009 - 8 TaBV 70/08 - auf­ge­ho­ben.

2. Auf die Be­schwer­de des Be­triebs­rats wird der Be­schluss des Ar­beits­ge­richts Ha­meln vom 16. Ju­ni 2008 - 2 BV 8/07 - ab­geändert.

3. Es wird fest­ge­stellt, dass der Spruch der ta­rif­li­chen Sch­lich­tungs­stel­le vom 15. Mai 2007 zum Re­ge­lungs-

ge­gen­stand Be­triebs­ver­ein­ba­rung - Ziel­ver­ein­ba­rung
mit Ent­gelt­kop­pe­lung im AT-Be­reich un­wirk­sam ist.

Von Rechts we­gen!

Gründe

A. Die Be­tei­lig­ten strei­ten über die Wirk­sam­keit des Spruchs ei­ner ta­rif­li­chen Sch­lich­tungs­stel­le.

Die Ar­beit­ge­be­rin be­treibt ei­ne Ma­schi­nen­fa­brik. An­trag­stel­ler ist der bei

ihr ge­bil­de­te Be­triebs­rat. Die Ar­beit­ge­be­rin ist an die Ta­rif­verträge der nie­dersäch­si­schen Me­tall­in­dus­trie ge­bun­den. Gem. § 30 Abs. 1 des Ge­mein­sa­men Man­tel­ta­rif­ver­trags für die Beschäftig­ten in der nie­dersäch­si­schen Me­tall­in­dus­trie vom 17. Ok­to­ber 1994 idF vom 23. No­vem­ber 2006 (MTV) tritt im Fall der Nicht­ei­ni­gung zwi­schen Be­triebs­rat und Geschäfts­lei­tung die ta­rif­li­che Sch­lich­tungs­stel­le an die Stel­le der Ei­ni­gungs­stel­le nach § 76 Be­trVG.

Nach­dem sich die Be­tei­lig­ten nicht über die Re­ge­lung von Ziel­ver­ein-

ba­run­gen mit Ent­gelt­kop­pe­lung für AT-An­ge­stell­te ei­ni­gen konn­ten, rief die Ar­beit­ge­be­rin die ta­rif­li­che Sch­lich­tungs­stel­le an. Die­se be­stand aus je zwei Bei­sit­zern auf Ar­beit­ge­ber- und Be­triebs­rats­sei­te so­wie ei­nem un­par­tei­ischen Vor­sit­zen­den. In der vier­ten Sit­zung der Sch­lich­tungs­stel­le vom 15. Mai 2007 stell­te die Ar­beit­ge­be­rin ei­nen An­trag zur Ab­stim­mung, die mit zwei Ja-Stim­men und zwei Nein-Stim­men en­de­te. Im Rah­men der an­sch­ließen­den Erörte­rung änder­te die Ar­beit­ge­be­rin auf An­re­gung des Vor­sit­zen­den ih­ren An­trag in­halt­lich


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ab und stell­te den neu ge­fass­ten Ent­wurf zur zwei­ten Ab­stim­mung. Die­se er­brach­te un­ter Be­tei­li­gung des Vor­sit­zen­den drei Ja-Stim­men und zwei Nein-Stim­men.

Der Vor­sit­zen­de der Sch­lich­tungs­stel­le über­mit­tel­te den Be­tei­lig­ten je

weils ein von ihm mit dem Zu­satz „für die Rich­tig­keit des Pro­to­kolls“ un­ter­zeich­ne­tes Pro­to­koll der Sit­zung vom 15. Mai 2007 so­wie ei­nen nicht un­ter­zeich­ne­ten Aus­druck des Sch­lich­tungs­stel­len­spruchs nebst An­la­gen.

Mit sei­nem am 29. Mai 2007 beim Ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen An­trag

hat der Be­triebs­rat gel­tend ge­macht, der Sch­lich­tungs­stel­len­spruch sei un­wirk­sam.

Der Be­triebs­rat hat be­an­tragt

fest­zu­stel­len, dass der Spruch der ta­rif­li­chen Sch­lich­tungs­stel­le vom 15. Mai 2007 zum Re­ge­lungs­ge­gen­stand Be­triebs­ver­ein­ba­rung - Ziel­ver­ein­ba­rung mit Ent­gelt-kop­pe­lung im AT-Be­reich un­wirk­sam ist.

Die Ar­beit­ge­be­rin hat be­an­tragt, den An­trag zurück­zu­wei­sen. Sie hat

ge­meint, der Sch­lich­tungs­stel­len­spruch sei wirk­sam. Das For­mer­for­der­nis des § 76 Abs. 3 Satz 4 Be­trVG sei ge­wahrt. Der Vor­sit­zen­de ha­be den Spruch nach der Sit­zung am 16. Mai 2007 im Ori­gi­nal un­ter­zeich­net und zu sei­ner Ak­te ge­nom­men. Den Be­tei­lig­ten ha­be der Spruch nicht mit ei­ner Ori­gi­nal­un­ter­schrift zu­ge­lei­tet wer­den müssen.

Die Vor­in­stan­zen ha­ben den An­trag des Be­triebs­rats ab­ge­wie­sen. Mit

sei­ner Rechts­be­schwer­de ver­folgt der Be­triebs­rat sein Be­geh­ren wei­ter.

B. Die Rechts­be­schwer­de des Be­triebs­rats ist be­gründet.

I. Der An­trag ist zulässig. Strei­ten die Be­triebs­par­tei­en über die Rechts-

wirk­sam­keit ei­nes Spruchs der nach § 76 Abs. 8 Be­trVG an die Stel­le der be­trieb­li­chen Ei­ni­gungs­stel­le ge­tre­te­nen ta­rif­li­chen Sch­lich­tungs­stel­le, ist die Fest­stel­lung der Un­wirk­sam­keit des Be­schlus­ses und nicht des­sen Auf­he­bung zu be­an­tra­gen (vgl. BAG 23. März 2010 - 1 ABR 82/08 - Rn. 11, DB 2010, 1765).


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II. Der An­trag ist be­gründet. Der Spruch der ta­rif­li­chen Sch­lich­tungs­stel­le

vom 15. Mai 2007 ist un­wirk­sam.

1. Die ta­rif­li­che Sch­lich­tungs­stel­le war ent­ge­gen der Auf­fas­sung des

Be­triebs­rats gem. § 30 Abs. 1 Satz 1 MTV zur Re­ge­lung der zwi­schen den Be­tei­lig­ten strei­ti­gen An­ge­le­gen­heit zuständig.

a) Die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ha­ben nach § 76 Abs. 8 Be­trVG die Möglich
keit, an­stel­le der be­trieb­li­chen Ei­ni­gungs­stel­le ei­ne ta­rif­li­che Sch­lich­tungs­stel­le ein­zu­rich­ten. Die­se ver­drängt in­ner­halb ih­res Zuständig­keits­be­reichs die Ei­ni­gungs­stel­le. Die Zuständig­keit der Sch­lich­tungs­stel­le kann sich auf den ge­sam­ten Be­reich oder nur ein­zel­ne Teil­as­pek­te der Zuständig­keit der Ei­ni­gungs­stel­le er­stre­cken (Kreutz GK-Be­trVG 9. Aufl. Bd. II § 76 Rn. 180; Fit­ting Be­trVG 25. Aufl. § 76 Rn. 115; ErfK/Ka­nia 10. Aufl. § 76 Be­trVG Rn. 33).

b) Da­nach war die ta­rif­li­che Sch­lich­tungs­stel­le zuständig. § 30 Abs. 1 14
Satz 1 MTV weist ihr ei­ne un­ein­ge­schränk­te Zuständig­keit in den Fällen zu, in de­nen sich Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat nicht ei­ni­gen können und nach § 76 Be­trVG die Ei­ni­gungs­stel­le zuständig ist. Der Zuständig­keit der ta­rif­li­chen Sch­lich­tungs­stel­le steht ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Be­triebs­rats nicht ent­ge­gen, dass die zu re­geln­de An­ge­le­gen­heit aus­sch­ließlich AT-An­ge­stell­te be­traf. Die Her­aus­nah­me der AT-An­ge­stell­ten aus dem persönli­chen Gel­tungs­be­reich des MTV durch § 1 Abs. 3 Buchst. b MTV gilt nicht für die Zuständig­keit der ta­rif­li­chen Sch­lich­tungs­stel­le. Die­se Be­stim­mung be­trifft al­lein die In­halts­nor­men des Ta­rif­ver­trags. § 30 Abs. 1 Satz 1 MTV re­gelt dem­ge­genüber ei­ne be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­che Fra­ge iSd. § 3 Abs. 2 TVG. Dafür ist le­dig­lich die hier ge­ge­be­ne Ta­rif­bin­dung des Ar­beit­ge­bers er­for­der­lich (Kreutz § 76 Rn. 185; Ri­char­di Be­trVG 12. Aufl. § 76 Rn. 148; DKKW/Berg Be­trVG 12. Aufl. § 76 Rn. 101).

2. Sprüche ei­ner ta­rif­li­chen Sch­lich­tungs­stel­le nach § 76 Abs. 8 Be­trVG

un­ter­lie­gen der Form­vor­schrift des § 76 Abs. 3 Satz 4 Be­trVG (Kreutz § 76 Rn. 182; Ri­char­di § 76 Rn. 150; Fit­ting § 76 Rn. 116; ErfK/Ka­nia § 76 Be­trVG Rn. 33). Wie die Be­gründung zum Re­gie­rungs­ent­wurf des Be­triebs­ver-

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fas­sungs­ge­set­zes 1972 zeigt, be­ab­sich­tig­te der Ge­setz­ge­ber in Ab­wei­chung von § 50 Abs. 5 Be­trVG 1952 ei­ne Bin­dung der Sch­lich­tungs­stel­le an das im Ge­setz ge­re­gel­te Ver­fah­ren (vgl. BT-Drucks. VI/1786 S. 47). Aus § 30 MTV er­gibt sich nichts an­de­res. So­weit es in § 30 Abs. 4 Satz 1 MTV heißt, die Sch­lich­tungs­stel­le ent­schei­de durch Be­schluss, wel­cher der Mehr­heit der an­we­sen­den Mit­glie­der bedürfe, folgt hier­aus kein Ver­zicht auf die in § 76 Abs. 3 Satz 4 Be­trVG ge­nann­ten Form­vor­schrif­ten. Glei­ches gilt für § 30 Abs. 4 Satz 2 MTV, wo­nach der Spruch der Sch­lich­tungs­stel­le ver­bind­lich iSv. § 76 Abs. 5 Be­trVG ist und die Ei­ni­gung zwi­schen Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat er­setzt. Die­se Be­stim­mung stellt le­dig­lich die Rechts­wir­kun­gen des Sch­lich­tungs­spruchs klar, wei­ter­ge­hen­de Wir­kun­gen kom­men ihr nicht zu. Es be­darf da­her kei­ner Ent­schei­dung, ob die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en zur Re­ge­lung ab­wei­chen­der Form­vor­schrif­ten be­fugt sind.

3. Nach § 76 Abs. 3 Satz 4 Be­trVG sind die Be­schlüsse der Ei­ni­gungs-

stel­le schrift­lich nie­der­zu­le­gen, vom Vor­sit­zen­den zu un­ter­schrei­ben und Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat zu­zu­lei­ten.

a) § 76 Abs. 3 Satz 4 Be­trVG enthält ei­ne ver­bind­li­che Hand­lungs­an-
lei­tung für den Vor­sit­zen­den der Ei­ni­gungs­stel­le. Be­reits der Wort­laut die­ser Be­stim­mung macht deut­lich, dass ein Ei­ni­gungs­stel­len­spruch nur wirk­sam ist, wenn er schrift­lich nie­der­ge­legt und mit der Un­ter­schrift des Vor­sit­zen­den ver­se­hen bei­den Be­triebs­par­tei­en zu­ge­lei­tet wird. Die Zu­lei­tung ei­nes zwar schrift­lich nie­der­ge­leg­ten, aber nicht un­ter­zeich­ne­ten Spruchs genügt nicht den ge­setz­li­chen An­for­de­run­gen.

b) Das aus dem Wort­laut des § 76 Abs. 3 Satz 4 Be­trVG fol­gen­de Norm-
verständ­nis wird durch den sich aus dem ge­setz­li­chen Ge­samt­zu­sam­men­hang er­ge­ben­den Zweck der Re­ge­lung bestätigt. Die­se dient in ers­ter Li­nie der Rechts­klar­heit. Die Un­ter­schrift des Vor­sit­zen­den be­ur­kun­det und do­ku­men­tiert den Wil­len der Ei­ni­gungs­stel­len­mit­glie­der (BAG 29. Ja­nu­ar 2002 - 1 ABR 18/01 - zu B I 1 der Gründe, BA­GE 100, 239). Für die Be­triebs­par­tei­en und für die im Be­trieb beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer wird da­mit rechts­si­cher bestätigt, dass das vom Vor­sit­zen­den un­ter­zeich­ne­te Schriftstück das von der Ei­ni­gungs-


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stel­le be­schlos­se­ne Re­gel­werk enthält. Die Be­ur­kun­dung und Do­ku­men­ta­ti­on ist er­for­der­lich, weil der Ei­ni­gungs­stel­len­spruch die feh­len­de Ei­ni­gung zwi­schen Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat er­setzt (Fit­ting § 76 Rn. 93; Kreutz § 76 Rn. 136 f.; Ri­char­di § 76 Rn. 30) und ihm da­her die glei­che nor­ma­ti­ve Wir­kung (§ 77 Abs. 4 Satz 1 Be­trVG) zu­kommt wie ei­ner von den Be­triebs­par­tei­en ge­schlos­se­nen Be­triebs­ver­ein­ba­rung. Da der Ar­beit­ge­ber gem. § 77 Abs. 2 Satz 3 Be­trVG den Spruch an ge­eig­ne­ter Stel­le aus­zu­le­gen hat, können die im Be­trieb beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer so er­ken­nen, dass das aus­ge­leg­te und vom Vor­sit­zen­den un­ter­zeich­ne­te Re­gel­werk auch tatsächlich von der Ei­ni­gungs­stel­le be­schlos­sen wur­de und da­mit auf ei­ner er­zwun­ge­nen Ei­ni­gung der Be­triebs­par­tei­en be­ruht.

c) Die Ein­hal­tung der ge­setz­li­chen Schrift­form ist Wirk­sam­keits­vor­aus-

set­zung ei­nes Ei­ni­gungs­stel­len­spruchs. Ein schrift­li­cher Spruch oh­ne Un­ter­schrift des Vor­sit­zen­den ist un­wirk­sam (Kreutz § 76 Rn. 116). Ei­ne nachträgli­che, rück­wir­ken­de Hei­lung der Ver­let­zung des Un­ter­schrifts­er­for­der­nis­ses ist nicht möglich. Da­ge­gen spricht be­reits die un­mit­tel­ba­re und zwin­gen­de Wir­kung des Ei­ni­gungs­stel­len­spruchs in den Fällen, in de­nen die Be­triebs­par­tei­en über den Ab­schluss ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung ge­strit­ten ha­ben. Die­se nor­ma­ti­ve Wir­kung er­for­dert aus Gründen der Rechts­si­cher­heit und Rechts­klar­heit ei­nen von An­fang an form­wirk­sa­men Be­schluss der Ei­ni­gungs­stel­le.

4. Der Spruch der ta­rif­li­chen Sch­lich­tungs­stel­le vom 15. Mai 2007 erfüllt

nicht die for­ma­len An­for­de­run­gen des § 76 Abs. 3 Satz 4 Be­trVG und ist des­halb un­wirk­sam. Der Vor­sit­zen­de hat den Be­triebs­par­tei­en kein von ihm un­ter­zeich­ne­tes Ex­em­plar des Sch­lich­tungs­stel­len­spruchs zu­ge­lei­tet. Es genügt nicht, dass er ei­ne un­ter­zeich­ne­te Fas­sung des Spruchs zu sei­nen Un­ter­la­gen ge­nom­men hat. Auch die Un­ter­schrift des Vor­sit­zen­den un­ter dem Pro­to­koll der Sit­zung der Sch­lich­tungs­stel­le vom 15. Mai 2007 wahrt nicht das Un­ter­schrifts­er­for­der­nis des § 76 Abs. 3 Satz 4 Be­trVG. Der bei­gefügte Zu­satz „für die Rich­tig­keit des Pro­to­kolls“ macht deut­lich, dass mit der Un­ter­schrift al­lein die in­halt­li­che Rich­tig­keit des Pro­to­kolls do­ku­men­tiert wer­den soll­te, nicht je­doch auch die des dem Pro­to­koll als An­la­ge bei­gefügten Be­schlus­ses der Sch­lich-


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tungs­stel­le. Dass am En­de des Pro­to­kolls auf den Spruch un­ter An­ga­be der kon­kre­ten Sei­ten­zahl ver­wie­sen wird und sich auf je­der Sei­te des durch­num­me­rier­ten Spruchs die Über­schrift „Spruch der ta­rif­li­chen Sch­lich­tungs­stel­le vom 15. Mai 2007“ und in der Fußzei­le der Zu­satz „Spruch der TSS am 16. Mai 2007.doc“ fin­det, ändert dar­an nichts. Die mit dem Un­ter­schrifts­er­for­der­nis be­zweck­te Rechts­klar­heit wird nur er­reicht, wenn sich die Un­ter­schrift ent­we­der un­mit­tel­bar am En­de des Be­schlus­ses oder am En­de der dem Be­schluss un­mit­tel­bar an­gefügten Be­gründung be­fin­det. Nur in die­sem Fall steht zwei­fels­frei fest, wel­chen In­halt die durch die Sch­lich­tungs­stel­le be­schlos­se­nen und im Be­trieb gel­ten­den Re­ge­lun­gen ha­ben.

5. Der Spruch der ta­rif­li­chen Sch­lich­tungs­stel­le vom 15. Mai 2007 be­ruht

des Wei­te­ren auf ei­nem we­sent­li­chen Ver­fah­rens­feh­ler, der eben­falls zu des­sen Un­wirk­sam­keit führt.

a) Nach § 76 Abs. 3 Satz 2 Be­trVG fasst die Ei­ni­gungs­stel­le ih­re Be-
schlüsse nach münd­li­cher Be­ra­tung mit Stim­men­mehr­heit. Bei der Be­schluss­fas­sung hat sich der Vor­sit­zen­de zunächst der Stim­me zu ent­hal­ten. Kommt ei­ne Stim­men­mehr­heit nicht zu­stan­de, nimmt er gem. § 76 Abs. 3 Satz 3 Be­trVG nach wei­te­rer Be­ra­tung an der er­neu­ten Be­schluss­fas­sung teil.

b) Die ta­rif­li­che Sch­lich­tungs­stel­le hat die­ses Ab­stim­mungs­ver­fah­ren nicht
ein­ge­hal­ten.

aa) Aus­weis­lich des vom Vor­sit­zen­den ge­fer­tig­ten Pro­to­kolls, des­sen

in­halt­li­che Rich­tig­keit die Be­tei­lig­ten in der Anhörung vor dem Se­nat bestätigt ha­ben, hat die Sch­lich­tungs­stel­le in der Sit­zung vom 15. Mai 2007 über den ar­beit­ge­ber­sei­tig ein­ge­brach­ten An­trag in ei­ner ers­ten Ab­stim­mung mit zwei Ja-Stim­men und zwei Nein-Stim­men ab­ge­stimmt. Dar­auf­hin hat die Ar­beit­ge­be­rin auf An­re­gung des Vor­sit­zen­den ih­ren An­trag in­halt­lich ab­geändert und den so neu ge­fass­ten Ent­wurf zur zwei­ten Ab­stim­mung ge­stellt. Da­mit wur­de bei den bei­den Ab­stim­mun­gen je­weils über un­ter­schied­li­che Ge­genstände ab­ge­stimmt. Die zwei­te Ab­stim­mung hat je­doch gem. § 76 Abs. 3 Satz 3 Be­trVG über die­sel­be Vor­la­ge wie die ers­te zu er­fol­gen. Nur so wird si­cher­ge­stellt, dass der


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vom Ge­setz an­ge­streb­te Vor­rang ei­ner ein­ver­nehm­li­chen Ei­ni­gung der Be­triebs­par­tei­en er­reicht wer­den kann. Der Vor­sit­zen­de hätte da­her rich­ti­ger­wei­se den mo­di­fi­zier­ten Ent­wurf der Ar­beit­ge­be­rin zunächst zu ei­ner Ab­stim­mung oh­ne sei­ne Be­tei­li­gung stel­len müssen und erst bei Stim­men­gleich­heit an der zwei­ten Ab­stim­mung über die­sen Ent­wurf teil­neh­men dürfen.

bb) Dem steht die pro­to­kol­lier­te Äußerung des Be­triebs­rats, so­lan­ge sei­ne

Po­si­tio­nen kei­ne Auf­nah­me in die §§ 7 und 8 des Ent­wurfs fänden, sei der Vor­schlag der Ar­beit­ge­be­rin für ihn un­an­nehm­bar, nicht ent­ge­gen. Un­abhängig da­von, ob ein Ver­zicht auf ei­ne neu­er­li­che Ab­stim­mung über den geänder­ten An­trag der Ar­beit­ge­be­rin oh­ne Be­tei­li­gung des Vor­sit­zen­den über­haupt zulässig ist, kann der Äußerung schon nicht hin­rei­chend deut­lich ent­nom­men wer­den, dass der Be­triebs­rat hier­auf ver­zich­tet hat. Im Übri­gen ist zu berück­sich­ti­gen, dass sich die vom Vor­sit­zen­den an­ge­reg­ten Ände­run­gen auf die vom Be­triebs­rat ge­nann­ten Be­stim­mun­gen des Be­schluss­ent­wurfs aus­ge­wirkt hat­ten, so dass ei­ne neue Ab­stim­mung oh­ne den Vor­sit­zen­den er­for­der­lich war, an die sich dann nach wei­te­rer Be­ra­tung die zwei­te Ab­stim­mung un­ter Mit­wir­kung des Vor­sit­zen­den hätte an­sch­ließen können.

Schmidt Koch Linck

Wiss­kir­chen Pla­tow

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