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BAG, Ur­teil vom 21.07.2009, 9 AZR 431/08

   
Schlagworte: Schwerbehinderung, Öffentlicher Dienst, Vorstellungsgespräch
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 9 AZR 431/08
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 21.07.2009
   
Leitsätze:

1. Zur Erhöhung seiner Chancen im Auswahlverfahren ist ein schwerbehinderter Bewerber nach § 82 Satz 2 SGB IX von einem öffentlichen Arbeitgeber regelmäßig zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Nach § 82 Satz 3 SGB IX entfällt diese Pflicht ausnahmsweise, wenn dem schwerbehinderten Bewerber offensichtlich die fachliche Eignung fehlt.

2. Ob die fachliche Eignung offensichtlich fehlt, ist an dem vom öffentlichen Arbeitgeber mit der Stellenausschreibung bekannt gemachten Anforderungsprofil zu messen.

Vorinstanzen: Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 24.04.2008, 4 Sa 1077/07
   


BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT


9 AZR 431/08
4 Sa 1077/07
Lan­des­ar­beits­ge­richt
Nie­der­sach­sen

 

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet

am 21. Ju­li 2009

UR­TEIL

Brüne, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläger, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­onskläger,

pp.

Be­klag­ter, Be­ru­fungs­be­klag­ter und Re­vi­si­ons­be­klag­ter,

hat der Neun­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 21. Ju­li 2009 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Düwell, den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Krasshöfer, die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Gall­ner so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Jun­ger­mann und Müller für Recht er­kannt:
 


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Auf die Re­vi­si­on des Klägers wird das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Nie­der­sach­sen vom 24. April 2008 - 4 Sa 1077/07 - auf­ge­ho­ben.


Die Sa­che wird zur neu­en Ver­hand­lung und Ent­schei­dung - auch über die Kos­ten des Re­vi­si­ons­ver­fah­rens - an das Be­ru­fungs­ge­richt zurück­ver­wie­sen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten darüber, ob der be­klag­te Land­kreis ei­ne Entschädi­gung zu zah­len hat, weil er den schwer­be­hin­der­ten Kläger bei der Be­gründung ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses we­gen sei­ner Be­hin­de­rung be­nach­tei­lig­te.

Der Kläger hat ei­nen Grad der Be­hin­de­rung von 50. Er hat die bei­den ju­ris­ti­schen Staats­ex­ami­na mit „aus­rei­chend“ - 5,59 Punk­te in der Ers­ten und 4,60 Punk­te in der Zwei­ten ju­ris­ti­schen Staats­prüfung - be­stan­den. Der Kläger war in den Jah­ren 1997 bis 2001 auf­grund meh­re­rer be­fris­te­ter Ar­beits­verträge als Voll­ju­rist im Rechts­amt der Stadt O beschäftigt. Da­nach war er von Ja­nu­ar 2002 bis De­zem­ber 2003 als Lei­ter der Rechts­schutz­ab­tei­lung O des S e. V. tätig. Er ar­bei­tet seit En­de des Jah­res 2004 als selbständi­ger Rechts­an­walt mit den Tätig­keits­schwer­punk­ten So­zi­al-, Ar­beits-, Miet-, Haf­tungs- und Ver­wal­tungs­recht.


Der Be­klag­te schrieb am 19. Sep­tem­ber 2006 auf der In­ter­net­sei­te der Bun­des­agen­tur für Ar­beit ei­ne auf zwei Jah­re be­fris­te­te Teil­zeit­stel­le in Ent­gelt-grup­pe 13, Stu­fe 2 TVöD aus. Die Ar­beits­zeit soll­te 50 % ei­ner Voll­zeit­beschäfti­gung be­tra­gen. Die Stel­len­aus­schrei­bung lau­te­te aus­zugs­wei­se:


Stel­len­be­schrei­bung


Ih­re Auf­ga­be: Rechts­be­ra­tung ein­sch­ließlich Pro­zessführung für die ge­sam­te Kreis­ver­wal­tung.


Wir er­war­ten ein ab­ge­schlos­se­nes Stu­di­um der Rechts­wis­sen­schaf­ten, I. oder II. Staats­ex­amen. Gewünscht


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wer­den be­son­de­re Kennt­nis­se im all­ge­mei­nen und be­son­de­ren Ver­wal­tungs­recht.

Schwer­be­hin­der­te wer­den bei glei­cher Eig­nung be­vor­zugt berück­sich­tigt.
...


Be­rufs-/Aus­bil­dungs­be­zeich­nung

Ju­rist/in (Uni) (I. oder II. Staats­ex­amen)

Kennt­nis­se und Fer­tig­kei­ten

Be­ra­tung: vor­han­den Kom­mu­nal­recht: vor­han­den
Ver­wal­tungs­recht: gut“

Der Be­klag­te hat­te der Stel­len­be­schrei­bung nach den Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts ein An­for­de­rungs­pro­fil vom 24. Au­gust 2006 zu­grun­de ge­legt. Da­nach ver­lang­te er die Ers­te und die Zwei­te ju­ris­ti­sche Staats­prüfung. Ne­ben be­son­de­ren Kennt­nis­sen im all­ge­mei­nen und be­son­de­ren Ver­wal­tungs­recht setz­te er aus­ge­zeich­ne­te Rechts­kennt­nis­se vor­aus, ins-be­son­de­re auf dem Ge­biet des öffent­li­chen Rechts. Die­se Kennt­nis­se soll­ten nach den Ausführun­gen im Be­ru­fungs­ur­teil durch ent­spre­chen­de Ex­amens­no­ten do­ku­men­tiert sein.


Der Kläger be­warb sich mit Schrei­ben vom 22. Sep­tem­ber 2006 um die auf der Home­page der Bun­des­agen­tur für Ar­beit aus­ge­schrie­be­ne Stel­le. Ins­ge­samt be­war­ben sich 180 Per­so­nen. Der Be­klag­te berück­sich­tig­te Be­wer­bun­gen mit zwei aus­rei­chen­den Staats­ex­ami­na - ua. die des Klägers - von vorn­her­ein nicht. In ei­ner zwei­ten Stu­fe schie­den al­le Be­wer­ber mit zwei be-frie­di­gen­den Ex­ami­na aus dem Aus­wahl­ver­fah­ren aus. In die en­ge­re Aus­wahl ka­men 25 Be­wer­ber mit ei­nem min­des­tens voll­be­frie­di­gen­den und ei­nem be­frie­di­gen­den Staats­ex­amen. Der Be­klag­te lud acht Be­wer­ber zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein. Der Kläger wur­de nicht ein­ge­la­den.


Der Be­klag­te lehn­te die Be­wer­bung des Klägers mit Schrei­ben vom 13. De­zem­ber 2006 mit dem Hin­weis ab, dass er sich für ei­nen Mit­be­wer­ber ent­schie­den ha­be. Das Ab­leh­nungs­schrei­ben ging dem Kläger am 19. De­zem­ber 2006 zu. Der Kläger mach­te ge­genüber dem Be­klag­ten un­ter dem 6. Fe­bru­ar 2007 ua. we­gen des Ver­s­toßes ge­gen die Ein­la­dungs­pflicht aus
 


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§ 82 Satz 2 SGB IX ei­ne Entschädi­gung von drei Mo­nats­vergütun­gen in der Ge­samthöhe von 4.929,75 Eu­ro gel­tend. Das Schrei­ben ging dem Be­klag­ten am 8. Fe­bru­ar 2007 zu.


Der Kläger stützt sei­ne am 14. März 2007 beim Ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­ne und dem Be­klag­ten am 21. März 2007 zu­ge­stell­te Entschädi­gungs­kla­ge dar­auf, dass der Be­klag­te ihn nicht zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­ge­la­den und da­mit ge­gen § 82 Satz 2 SGB IX ver­s­toßen ha­be. Der Be­klag­te ha­be außer­dem die Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung ent­ge­gen § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX nicht oder nicht ord­nungs­gemäß über den Ein­gang sei­ner Be­wer­bung in­for­miert und die Pflicht zur Un­ter­rich­tung des Klägers über die Gründe der Ab­leh­nung aus § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX ver­letzt.


Der Kläger hat be­an­tragt,

den Be­klag­ten zu ver­ur­tei­len, an ihn 4.929,75 Eu­ro nebst Zin­sen in Höhe von fünf Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz der Eu­ropäischen Zen­tral­bank seit dem 21. Fe­bru­ar 2007 zu zah­len.

Der Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. Er meint, ei­ne Ver­let­zung der Ein­la­dungs­pflicht aus § 82 Satz 2 SGB IX schei­de im Hin­blick auf das An­for­de­rungs­pro­fil aus. Der Be­klag­te hätte in ei­ner Kon­kur­ren­ten­kla­ge nicht dar­le­gen können, wes­halb der Kläger sei­nen Mit­be­wer­bern mit bes­se­ren Ex­amens­no­ten hätte vor­ge­zo­gen wer­den sol­len. Die vom Ge­setz be­ab­sich­tig­te Bes­ser­stel­lung des schwer­be­hin­der­ten ge­genüber dem nicht be­hin­der­ten Be­wer­ber durch ein Vor­stel­lungs­gespräch könne hier nicht er­reicht wer­den. Dem Kläger feh­le of­fen­sicht­lich die fach­li­che Eig­nung. Je­den­falls ha­be der Be­klag­te die Ver­mu­tung ei­ner Be­nach­tei­li­gung wi­der­legt. Die Be­wer­bung des Klägers sei zu­dem nicht ernst­haft ge­we­sen, wie die Viel­zahl sei­ner Entschädi­gungs­kla­gen zei­ge.


Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Be­ru­fung des Klägers zurück­ge­wie­sen. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt der Kläger sei­nen Kla­ge­an­trag wei­ter. Der Be­klag­te be­an­tragt, die Re­vi­si­on zurück­zu­wei­sen.
 


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Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on ist be­gründet. Sie führt zur Auf­he­bung des Be­ru­fungs­ur­teils und zur Zurück­ver­wei­sung der Sa­che an das Lan­des­ar­beits­ge­richt (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Kla­ge durf­te mit der Be­gründung des Be­ru­fungs­ge­richts nicht ab­ge­wie­sen wer­den. Der Kläger hat dem Grun­de nach An­spruch auf ei­ne Entschädi­gung. Der Se­nat kann nicht ab­sch­ließend über die Höhe des An­spruchs ent­schei­den. In­so­weit feh­len tatsächli­che Fest­stel­lun­gen, die das Lan­des­ar­beits­ge­richt in­ner­halb sei­nes tatrich­ter­li­chen Be­ur­tei­lungs­spiel­raums recht­lich zu würdi­gen ha­ben wird.


A. Das Be­ru­fungs­ur­teil ist auf­zu­he­ben. Dem Kläger steht ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Lan­des­ar­beits­ge­richts aus § 81 Abs. 2 Satz 1 und 2, § 82 Satz 2 und 3 SGB IX iVm. §§ 1, 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 Satz 1, § 6 Abs. 1 Satz 2, § 15 Abs. 2, § 22 AGG ei­ne der Höhe nach noch fest­zu­set­zen­de Entschädi­gung zu.


I. Nach § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX dürfen Ar­beit­ge­ber schwer­be­hin­der­te Beschäftig­te nicht we­gen ih­rer Be­hin­de­rung be­nach­tei­li­gen. Bei ei­ner Ver­let­zung des Be­nach­tei­li­gungs­ver­bots schul­det der Ar­beit­ge­ber nach § 15 Abs. 2 Satz 1 und 2 AGG ei­ne an­ge­mes­se­ne Entschädi­gung in Geld, die drei Mo­nats­vergütun­gen nicht über­stei­gen darf, wenn der Beschäftig­te auch bei be­nach­tei­li­gungs­frei­er Aus­wahl nicht ein­ge­stellt wor­den wäre. Als Beschäftig­te gel­ten auch Be­wer­be­rin­nen und Be­wer­ber für ein Beschäfti­gungs­verhält­nis (§ 6 Abs. 1 Satz 2 AGG).


II. Die Rechts­fol­gen der Be­nach­tei­li­gungs­hand­lung des Be­klag­ten be­stim­men sich be­reits nach dem am 18. Au­gust 2006 in Kraft ge­tre­te­nen AGG.


1. Für das an­zu­wen­den­de Recht kommt es auf den Zeit­punkt der Be­nach­tei­li­gungs­hand­lung an. IdR ist die zu­grun­de lie­gen­de Ent­schei­dung des Ar­beit­ge­bers maßgeb­lich, et­wa die Ent­schei­dung, ei­nen Be­wer­ber nicht ein­zu-
 


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stel­len (Se­nat 16. Sep­tem­ber 2008 - 9 AZR 791/07 - Rn. 22, AP SGB IX § 81 Nr. 15 = EzA SGB IX § 81 Nr. 17).

2. Der Be­klag­te lehn­te die Be­wer­bung mit Schrei­ben vom 13. De­zem­ber 2006 ab, das dem Kläger am 19. De­zem­ber 2006 zu­ging. Der Be­klag­te traf sei­ne Ent­schei­dung da­mit erst nach In­kraft­tre­ten des AGG am 18. Au­gust 2006.

III. Die Kla­ge­frist ist ge­wahrt.

1. Nach § 61b Abs. 1 ArbGG muss ei­ne Kla­ge auf Entschädi­gung nach § 15 AGG in­ner­halb von drei Mo­na­ten, nach­dem der An­spruch schrift­lich gel­tend ge­macht wor­den ist, er­ho­ben wer­den.


2. Das Gel­tend­ma­chungs­schrei­ben des Klägers vom 6. Fe­bru­ar 2007 ging dem Be­klag­ten am 8. Fe­bru­ar 2007 zu. Die Kla­ge ist am 14. März 2007 anhängig und am 21. März 2007 rechtshängig ge­wor­den (§ 253 Abs. 1, § 167 ZPO).

IV. Die vom Lan­des­ar­beits­ge­richt fest­ge­stell­ten Tat­sa­chen las­sen ei­ne Be­nach­tei­li­gung des Klägers we­gen sei­ner Be­hin­de­rung ver­mu­ten. Der Kläger wur­de zu Un­recht nicht zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­ge­la­den. Die dar­aus fol­gen­de Ver­mu­tung hat der Be­klag­te nicht wi­der­legt. Die recht­li­che Würdi­gung der fest­ge­stell­ten Tat­sa­chen trägt die vom Be­ru­fungs­ge­richt an­ge­nom­me­ne Wi­der­le­gung der Be­nach­tei­li­gungs­ver­mu­tung und da­mit die Kla­ge­ab­wei­sung nicht.

1. Der Be­klag­te be­nach­tei­lig­te den Kläger im Rah­men der Be­set­zung der aus­ge­schrie­be­nen Stel­le ei­nes Ju­ris­ten we­gen sei­ner Be­hin­de­rung. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt ist im Er­geb­nis zu Recht da­von aus­ge­gan­gen, die un­ter­blie­be­ne Ein­la­dung zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch sei ge­eig­net, ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen der Schwer­be­hin­de­rung des Klägers ver­mu­ten zu las­sen.

a) Der öffent­li­che Ar­beit­ge­ber hat den schwer­be­hin­der­ten Be­wer­ber nach § 82 Satz 2 SGB IX zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch ein­zu­la­den. Die­se Pflicht be­steht nach § 82 Satz 3 SGB IX nur dann nicht, wenn dem schwer­be­hin­der­ten
 


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Men­schen die fach­li­che Eig­nung of­fen­sicht­lich fehlt. Ein schwer­be­hin­der­ter Be­wer­ber muss bei ei­nem öffent­li­chen Ar­beit­ge­ber die Chan­ce ei­nes Vor­stel­lungs­gesprächs be­kom­men, wenn sei­ne fach­li­che Eig­nung zwei­fel­haft, aber nicht of­fen­sicht­lich aus­ge­schlos­sen ist. Selbst wenn sich der öffent­li­che Ar­beit­ge­ber auf­grund der Be­wer­bungs­un­ter­la­gen schon die Mei­nung ge­bil­det hat, ein oder meh­re­re an­de­re Be­wer­ber sei­en so gut ge­eig­net, dass der schwer­be­hin­der­te Be­wer­ber nicht mehr in die nähe­re Aus­wahl kom­me, muss er den schwer­be­hin­der­ten Be­wer­ber nach dem Ge­set­zes­ziel ein­la­den. Der schwer­be­hin­der­te Be­wer­ber soll den öffent­li­chen Ar­beit­ge­ber im Vor­stel­lungs­gespräch von sei­ner Eig­nung über­zeu­gen können. Wird ihm die­se Möglich­keit ge­nom­men, liegt dar­in ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung, als sie das Ge­setz zur Her­stel­lung glei­cher Be­wer­bungs­chan­cen ge­genüber an­de­ren Be­wer­bern für er­for­der­lich hält. Der Aus­schluss aus dem wei­te­ren Be­wer­bungs­ver­fah­ren ist ei­ne Be­nach­tei­li­gung, die in ei­nem ursächli­chen Zu­sam­men­hang mit der Be­hin­de­rung steht (Se­nat 16. Sep­tem­ber 2008 - 9 AZR 791/07 - Rn. 44, AP SGB IX § 81 Nr. 15 = EzA SGB IX § 81 Nr. 17; 12. Sep­tem­ber 2006 - 9 AZR 807/05 - Rn. 24, BA­GE 119, 262). Der Aus­schluss be­nach­tei­ligt den schwer­be­hin­der­ten Men­schen un­mit­tel­bar iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG.

b) Die Würdi­gung des Lan­des­ar­beits­ge­richts, wo­nach dem Kläger für die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le nicht of­fen­sicht­lich die fach­li­che Eig­nung iSv. § 82 Satz 3 SGB IX fehl­te, ist re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­an­stan­den.

aa) Ob ein Be­wer­ber of­fen­sicht­lich nicht die not­wen­di­ge fach­li­che Eig­nung hat, be­ur­teilt sich nach den Aus­bil­dungs- oder Prüfungs­vor­aus­set­zun­gen für die zu be­set­zen­de Stel­le und den ein­zel­nen Auf­ga­ben­ge­bie­ten (Se­nat 16. Sep­tem­ber 2008 - 9 AZR 791/07 - Rn. 45 und 48, AP SGB IX § 81 Nr. 15 = EzA SGB IX § 81 Nr. 17; 12. Sep­tem­ber 2006 - 9 AZR 807/05 - Rn. 25, BA­GE 119, 262). Die­se Er­for­der­nis­se wer­den von den in der Stel­len­aus­schrei­bung ge­for­der­ten Qua­li­fi­ka­ti­ons­merk­ma­len kon­kre­ti­siert. Nach Art. 33 Abs. 2 GG hat je­der Deut­sche nach sei­ner Eig­nung, Befähi­gung und fach­li­chen Leis­tung glei­chen Zu­gang zu je­dem öffent­li­chen Amt. Durch die Be­stim­mung des An­for­de­rungs­pro­fils für ei­nen Dienst­pos­ten legt der Dienst­herr die Kri­te­ri­en
 


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für die Aus­wahl der Be­wer­ber fest (vgl. Se­nat 12. Sep­tem­ber 2006 - 9 AZR 807/05 - Rn. 32 f., aaO). Das An­for­de­rungs­pro­fil muss die ob­jek­ti­ven An­for­de­run­gen der Stel­le ab­bil­den. Die Aus­schrei­bung dient der Ab­si­che­rung des Be­wer­bungs­ver­fah­rens­an­spruchs po­ten­zi­el­ler Be­wer­ber. Für das Aus­wahl­ver­fah­ren bleibt die Dienst­pos­ten­be­schrei­bung ver­bind­lich. Die Funk­ti­ons­be­schrei­bung des Dienst­pos­tens be­stimmt ob­jek­tiv die Kri­te­ri­en, die der In­ha­ber erfüllen muss (Se­nat 15. März 2005 - 9 AZR 142/04 - zu III 2 b aa der Gründe, BA­GE 114, 80).

bb) Der Kläger hat mit Be­ste­hen der bei­den Staats­ex­ami­na die Befähi­gung zum Rich­ter­amt, dh. die Qua­li­fi­ka­ti­on ei­nes sog. Voll­ju­ris­ten er­langt. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Be­klag­ten fehl­te ihm auch nicht des­halb of­fen­sicht­lich die fach­li­che Eig­nung für die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le iSv. § 82 Satz 3 SGB IX, weil er bei­de Staats­prüfun­gen nur mit der No­te „aus­rei­chend“ ab­leg­te.

(1) Nach der von der Bun­des­agen­tur für Ar­beit am 19. Sep­tem­ber 2006 im In­ter­net veröffent­lich­ten Stel­len­aus­schrei­bung ver­lang­te der Be­klag­te nur ei­nes der bei­den Staats­ex­ami­na, be­son­de­re Kennt­nis­se im all­ge­mei­nen und be­son­de­ren Ver­wal­tungs­recht, gu­te Kennt­nis­se und Fer­tig­kei­ten im Ver­wal­tungs­recht so­wie vor­han­de­ne Kennt­nis­se und Fer­tig­kei­ten im Kom­mu­nal­recht. Be­stimm­te Min­des­te­x­amens­no­ten for­der­te er nicht. Die­se Vor­aus­set­zun­gen erfüll­te der Kläger. Er be­stand bei­de Staats­prüfun­gen. Darüber hin­aus sam­mel­te er von 1997 bis 2001 im Rechts­amt ei­ner Ge­mein­de, der Stadt O, prak­ti­sche Er­fah­run­gen im Ver­wal­tungs- und Kom­mu­nal­recht und ist seit En­de 2004 als Rechts­an­walt ua. auf dem Ge­biet des Ver­wal­tungs­rechts tätig. Er war da­mit für die zu be­set­zen­de Stel­le ge­eig­net.


(2) Der Be­klag­te kann sich für ei­ne of­fen­sicht­lich feh­len­de fach­li­che Eig­nung des Klägers nicht mit Er­folg dar­auf be­ru­fen, er ha­be auf­grund des schon im Au­gust 2006 fest­ge­leg­ten An­for­de­rungs­pro­fils ei­ne Vor­aus­wahl vor­ge­nom­men und Be­wer­ber mit nur aus­rei­chen­den Ex­amens­no­ten nicht in die en­ge­re Aus­wahl ein­be­zo­gen.
 


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(a) Auch das An­for­de­rungs­pro­fil von Au­gust 2006 nennt kei­ne kon­kre­ten Min­dest­no­ten, son­dern ver­langt aus­ge­zeich­ne­te, nach den Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts durch ent­spre­chen­de Ex­amens­no­ten zu do­ku­men­tie­ren­de Rechts­kennt­nis­se ins­be­son­de­re auf dem Ge­biet des öffent­li­chen Rechts. Der Be­klag­te änder­te mit der Vor­aus­wahl da­her nicht nachträglich das An­for­de­rungs­pro­fil der Stel­le. Er traf viel­mehr ei­ne sche­ma­ti­sche ne­ga­ti­ve Aus­wahl an­hand der Ex­amen­s­er­geb­nis­se. Der Kläger blieb im Hin­blick auf § 82 Satz 2 SGB IX für die Stel­le wei­ter ge­eig­net. Der Aus­schluss­tat­be­stand des § 82 Satz 3 SGB IX setzt ei­ne of­fen­sicht­lich feh­len­de Eig­nung vor­aus. Die Re­ge­lung lässt die Pflicht des öffent­li­chen Ar­beit­ge­bers zur Ein­la­dung zum Vor­stel­lungs­gespräch nicht schon dann ent­fal­len, wenn der schwer­be­hin­der­te Mensch mut­maßlich schlech­ter ge­eig­net ist als ein oder meh­re­re Mit­be­wer­ber. Der schwer­be­hin­der­te Be­wer­ber soll durch die Ein­la­dung zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch die Chan­ce be­kom­men, den öffent­li­chen Ar­beit­ge­ber trotz der schlech­te­ren „Pa­pier­form“ von sei­ner Eig­nung zu über­zeu­gen.

(b) Selbst wenn zu­guns­ten des Be­klag­ten un­ter­stellt wird, dass die im An­for­de­rungs­pro­fil ver­lang­ten „aus­ge­zeich­ne­ten Rechts­kennt­nis­se“ zu­min­dest ein voll­be­frie­di­gen­des Prüfungs­er­geb­nis vor­aus­setz­ten, darf die­ses Er­for­der­nis nicht berück­sich­tigt wer­den.


(aa) Der Ar­beit­ge­ber bleibt für die Dau­er des Aus­wahl­ver­fah­rens an das in der veröffent­lich­ten Stel­len­be­schrei­bung be­kannt ge­ge­be­ne An­for­de­rungs­pro­fil ge­bun­den (vgl. BVerfG 28. Fe­bru­ar 2007 - 2 BvR 2494/06 - Rn. 6 f., ZTR 2007, 586; BVerwG 25. April 2007 - 1 WB 31.06 - Rn. 55, BVerw­GE 128, 329; Klar­stel­lung von Se­nat 19. Fe­bru­ar 2008 - 9 AZR 70/07 - Rn. 32 f., AP GG Art. 33 Abs. 2 Nr. 69 = EzA GG Art. 33 Nr. 34 mit in­so­weit kri­ti­scher Anm. von Ro­et­te­ken ju­ris­PR-ArbR 36/2008 Anm. 1 zu C).


(bb) Das be­kannt ge­mach­te An­for­de­rungs­pro­fil war hier in der Stel­len­be­schrei­bung ent­hal­ten, die am 19. Sep­tem­ber 2006 auf der Home­page der Bun­des­agen­tur für Ar­beit veröffent­licht wor­den war. Es ver­lang­te le­dig­lich be­son­de­re Kennt­nis­se im all­ge­mei­nen und be­son­de­ren Ver­wal­tungs­recht, gu­te
 


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Kennt­nis­se und Fer­tig­kei­ten im Ver­wal­tungs­recht so­wie vor­han­de­ne Kennt­nis­se und Fer­tig­kei­ten im Kom­mu­nal­recht, kei­ne Min­dest­no­ten.


2. Der Be­klag­te hat die Ver­mu­tung der Be­nach­tei­li­gung des Klägers we­gen sei­ner Schwer­be­hin­de­rung ent­ge­gen der An­sicht des Lan­des­ar­beits­ge­richts nicht wi­der­legt.


a) Be­weist ein schwer­be­hin­der­ter Beschäftig­ter oder Be­wer­ber In­di­zi­en, die ei­ne Be­nach­tei­li­gung we­gen sei­ner Be­hin­de­rung ver­mu­ten las­sen, trägt der Ar­beit­ge­ber nach § 22 AGG die Be­weis­last dafür, dass kein Ver­s­toß ge­gen die Be­stim­mun­gen zum Schutz vor Be­nach­tei­li­gun­gen vor­liegt. Ent­spre­chen­des gilt für un­strei­ti­ge Hilfs­tat­sa­chen wie hier die un­ter­blie­be­ne Ein­la­dung des Klägers zum Vor­stel­lungs­gespräch. Die Ver­mu­tung ei­nes Ver­s­toßes ge­gen das Ver­bot der Be­nach­tei­li­gung schwer­be­hin­der­ter Men­schen aus § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX lei­tet sich aus der Hilfs­tat­sa­che der un­ter­blie­be­nen Ein­la­dung zum Vor­stel­lungs­gespräch ent­ge­gen § 82 Satz 2 SGB IX ab.


b) Nach § 8 Abs. 1 AGG ist da­ge­gen schon ei­ne Ver­let­zung des Be­nach­tei­li­gungs­ver­bots nicht ge­ge­ben, son­dern ei­ne un­ter­schied­li­che Be­hand­lung we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des zulässig, wenn die­ser Grund we­gen der Art der aus­zuüben­den Tätig­keit oder der Be­din­gun­gen ih­rer Ausübung ei­ne we­sent­li­che und ent­schei­den­de be­ruf­li­che An­for­de­rung dar­stellt, so­fern der Zweck rechtmäßig und die An­for­de­rung an­ge­mes­sen ist. Auf Tat­sa­chen, die die­se Rechts­be­grif­fe ausfüllen und ei­ne un­ter­schied­li­che Be­hand­lung zu­las­sen, be­ruft sich der Be­klag­te selbst nicht.

c) Der Be­klag­te stützt sich im Rah­men der an­ge­streb­ten Wi­der­le­gung der Be­nach­tei­li­gungs­ver­mu­tung oh­ne Er­folg dar­auf, er ha­be den Kläger oh­ne Be­nach­tei­li­gung von den Vor­stel­lungs­gesprächen aus­sch­ließen dürfen, weil er an­hand der Ex­amens­no­ten ei­ne ob­jek­ti­ve Vor­aus­wahl ge­trof­fen ha­be. Es be­ru­he nicht auf der Be­hin­de­rung, Be­wer­ber mit der No­te „aus­rei­chend“ von vorn­her­ein nicht in die en­ge­re Aus­wahl ein­zu­be­zie­hen und sie nicht zum Vor­stel­lungs­gespräch ein­zu­la­den.
 


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aa) Der Se­nat hat für das frühe­re Recht an­ge­nom­men, der Ar­beit­ge­ber tra­ge nach § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Satz 3 SGB IX aF die Be­weis­last dafür, dass nicht auf die Be­hin­de­rung be­zo­ge­ne, sach­li­che Gründe ei­ne un­ter­schied­li­che Be­hand­lung (ob­jek­tiv) recht­fer­tig­ten. Er­brin­ge er die­sen Be­weis, ha­be er die Ver­mu­tung der Be­nach­tei­li­gung we­gen der Schwer­be­hin­de­rung nach § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Satz 3 SGB IX aF wi­der­legt (vgl. Se­nat 16. Sep­tem­ber 2008 - 9 AZR 791/07 - Rn. 30, AP SGB IX § 81 Nr. 15 = EzA SGB IX § 81 Nr. 17; 12. Sep­tem­ber 2006 - 9 AZR 807/05 - Rn. 29, BA­GE 119, 262).

bb) Um die Be­nach­tei­li­gungs­ver­mu­tung zu wi­der­le­gen, muss der Ar­beit­ge­ber das Ge­richt auch nach neu­em Recht da­von über­zeu­gen, dass die Be­nach­tei­li­gung nicht auf der Schwer­be­hin­de­rung be­ruht.

(1) Der Entschädi­gungs­an­spruch setzt ei­nen Ver­s­toß ge­gen das in § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX ge­re­gel­te Ver­bot der Be­nach­tei­li­gung schwer­be­hin­der­ter Beschäftig­ter vor­aus. Da­nach darf der Schwer­be­hin­der­te nicht „we­gen sei­ner Be­hin­de­rung“ be­nach­tei­ligt wer­den. Die Be­hin­de­rung muss (mit-)ursächlich für die be­nach­tei­li­gen­de Hand­lung ge­we­sen sein. Das ist im­mer dann aus­ge­schlos­sen, wenn der Ar­beit­ge­ber be­weist, dass aus­sch­ließlich an­de­re Gründe er­heb­lich wa­ren (vgl. Se­nat 18. No­vem­ber 2008 - 9 AZR 643/07 - Rn. 24, NZA 2009, 728; 16. Sep­tem­ber 2008 - 9 AZR 791/07 - Rn. 36, AP SGB IX § 81 Nr. 15 = EzA SGB IX § 81 Nr. 17; zu ge­schlechts­be­zo­ge­nen Be­nach­tei­li­gun­gen BAG 5. Fe­bru­ar 2004 - 8 AZR 112/03 - zu II 2 b cc der Gründe, BA­GE 109, 265). Die­sen Be­weis kann er auch mit sol­chen Gründen führen, die die Be­nach­tei­li­gung nicht oh­ne wei­te­res ob­jek­tiv sach­lich recht¬fer­ti­gen (von Me­dem NZA 2007, 545, 547).


(2) Bei der Über­zeu­gungs­bil­dung des Ge­richts ist der sach­li­che Ge­halt der vor­ge­tra­ge­nen Mo­ti­ve schon des­we­gen nicht ent­schei­dend, weil § 22 AGG sonst re­gelmäßig „leer­lie­fe“. Ei­ne un­ter­schied­li­che Be­hand­lung ist nach § 8 Abs. 1 AGG zulässig, dh. ei­ne Ver­let­zung des Be­nach­tei­li­gungs­ver­bots ist be­reits nicht ge­ge­ben, wenn für die un­ter­schied­li­che Be­hand­lung die in § 8 Abs. 1 AGG ge­nann­ten Gründe vor­lie­gen.
 


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(3) Ein Entschädi­gungs­an­spruch be­steht je­doch schon dann, wenn nicht aus­ge­schlos­sen wer­den kann, dass in dem Mo­tivbündel, das die Ent­schei­dung des Ar­beit­ge­bers be­ein­flusst hat, die Schwer­be­hin­de­rung als ne­ga­ti­ves Kri­te­ri­um ent­hal­ten ist. Die Be­hin­de­rung darf bei der Ein­stel­lungs­ent­schei­dung über­haupt nicht zu­las­ten des schwer­be­hin­der­ten Be­wer­bers berück­sich­tigt wer­den (vgl. zu ge­schlechts­be­zo­ge­nen Be­nach­tei­li­gun­gen BVerfG 16. No­vem­ber 1993 - 1 BvR 258/86 - zu C I 2 d der Gründe, BVerfGE 89, 276). Für die An­nah­me ei­ner Be­nach­tei­li­gung we­gen ei­ner Be­hin­de­rung reicht es aus, dass die­ser Be­nach­tei­li­gungs­grund mit­ursächlich war (Se­nat 18. No­vem­ber 2008 - 9 AZR 643/07 - Rn. 24, NZA 2009, 728; 12. Sep­tem­ber 2006 - 9 AZR 807/05 - Rn. 43, BA­GE 119, 262).


cc) Der Be­klag­te be­ruft sich oh­ne Er­folg dar­auf, dass die zu Vor­stel­lungs­gesprächen ein­ge­la­de­nen acht Mit­be­wer­ber bes­ser als der Kläger qua­li­fi­ziert ge­we­sen sei­en.


(1) Die bes­se­re Eig­nung von Mit­be­wer­bern schließt ei­ne Be­nach­tei­li­gung nicht aus. Das folgt schon aus § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG. Da­nach ist selbst dann ei­ne Entschädi­gung zu leis­ten, wenn der schwer­be­hin­der­te Be­wer­ber auch bei be­nach­tei­li­gungs­frei­er Aus­wahl nicht ein­ge­stellt wor­den wäre. Dar­an zeigt sich, dass die Be­stim­mun­gen in § 81 Abs. 2 Satz 1, § 82 Satz 2 SGB IX iVm. § 15 Abs. 2 AGG das Recht des Be­wer­bers auf ein dis­kri­mi­nie­rungs­frei­es Be­wer­bungs­ver­fah­ren schützen (vgl. Se­nat 3. April 2007 - 9 AZR 823/06 - Rn. 33, BA­GE 122, 54). Un­ter das Be­nach­tei­li­gungs­ver­bot fal­len auch Ver­fah­rens­hand­lun­gen. Sind die Chan­cen ei­nes Be­wer­bers be­reits durch ein dis­kri­mi­nie­ren­des Ver­fah­ren be­ein­träch­tigt wor­den, kommt es nicht mehr dar­auf an, ob die (Schwer-)Be­hin­de­rung bei der ab­sch­ließen­den Ein­stel­lungs­ent­schei­dung noch ei­ne nach­weis­ba­re Rol­le ge­spielt hat (vgl. zu ge­schlechts­be­zo­ge­nen Be­nach­tei­li­gun­gen BVerfG 16. No­vem­ber 1993 - 1 BvR 258/86 - zu C I 2 c der Gründe, BVerfGE 89, 276). Für den Be­wer­bungs­ver­fah­rens­an­spruch gel­ten des­halb an­de­re Kri­te­ri­en als für die Bes­ten­aus­le­se nach Art. 33 Abs. 2 GG.

(2) Es genügt al­so nicht, dass die Ex­amens­no­ten als Aus­wahl­kri­te­ri­um nicht an die Schwer­be­hin­der­ten­ei­gen­schaft an­knüpfen. Da­mit ist nicht aus-
 


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ge­schlos­sen, dass die Be­hin­de­rung im Mo­tivbündel des Be­klag­ten nicht doch ent­hal­ten war.

(a) Der Ar­beit­ge­ber muss be­wei­sen, dass in sei­nem Mo­tivbündel we­der die Be­hin­de­rung als ne­ga­ti­ves noch die feh­len­de Be­hin­de­rung als po­si­ti­ves Kri­te­ri­um ent­hal­ten ist (vgl. BAG 5. Fe­bru­ar 2004 - 8 AZR 112/03 - zu II 2 b cc der Gründe, BA­GE 109, 265). Für die Berück­sich­ti­gung ei­ner feh­len­den Be­hin­de­rung als po­si­ti­ves Kri­te­ri­um reicht es aus, dass vom Ar­beit­ge­ber un­ter­las­se­ne Maßnah­men - et­wa die Ein­la­dung zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch - ob­jek­tiv ge­eig­net sind, schwer­be­hin­der­ten Be­wer­bern kei­ne oder we­ni­ger güns­ti­ge Chan­cen ein­zuräum­en, als sie nach dem Ge­setz zu gewähren sind (vgl. Se­nat 12. Sep­tem­ber 2006 - 9 AZR 807/05 - Rn. 44, BA­GE 119, 262).

(b) Der Be­klag­te hat die von § 82 Satz 2 SGB IX ge­bo­te­ne Bes­ser­stel­lung des Klägers ge­genüber nicht schwer­be­hin­der­ten Be­wer­bern durch die Ein­la­dung zu ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch un­ter­las­sen.

aa) Die­ser Um­stand war ob­jek­tiv ge­eig­net, die Chan­cen des Klägers im Be­wer­bungs­ver­fah­ren zu ver­schlech­tern. Der Kläger hat­te nicht die Möglich­keit, den Be­klag­ten in ei­nem Vor­stel­lungs­gespräch von sei­ner Eig­nung zu über­zeu­gen.

(bb) Auf die Ein­be­zie­hung der Schwer­be­hin­de­rung in das Mo­tivbündel des Be­klag­ten deu­tet außer­dem hin, dass die Aus­schrei­bung auf der Home­page der Bun­des­agen­tur für Ar­beit nicht nur ein be­stan­de­nes Staats­ex­amen, son­dern auch gu­te Kennt­nis­se und Fer­tig­kei­ten im Ver­wal­tungs­recht so­wie vor­han­de­ne Kennt­nis­se und Fer­tig­kei­ten im Kom­mu­nal­recht ver­lang­te. Bei ei­ner Vor­aus­wahl nach die­sen Kri­te­ri­en hätte der Kläger im Hin­blick auf sei­ne in den vor­ge­leg­ten Zeug­nis­sen gut be­wer­te­ten Leis­tun­gen im Rechts­amt der Stadt O von 1997 bis 2001 in den en­ge­ren Be­wer­ber­kreis ein­be­zo­gen wer­den müssen. Der Be­klag­te hat die Ver­mu­tung der Be­nach­tei­li­gung des Klägers da­her nicht wi­der­legt.

(cc) Dem Ar­beit­ge­ber wird es nach die­sen Grundsätzen nicht unmöglich ge­macht, die Be­nach­tei­li­gungs­ver­mu­tung im Fall ei­nes An­for­de­rungs­pro­fils, das - im Un­ter­schied zum Streit­fall - Min­dest­no­ten ver­langt, zu wi­der­le­gen. Ge­gen
 


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ei­ne po­si­ti­ve Berück­sich­ti­gung der feh­len­den Be­hin­de­rung an­de­rer Be­wer­ber spricht es zB, wenn der Ar­beit­ge­ber schwer­be­hin­der­te Be­wer­ber einlädt, die die in der Stel­len­aus­schrei­bung ge­for­der­te Min­dest­no­te er­reicht ha­ben, während er schwer­be­hin­der­te Be­wer­ber un­ter­halb die­ser No­ten­gren­ze nicht zu Vor­stel­lungs­gesprächen bit­tet.


V. Die Be­wer­bungs­ab­sicht des Klägers war ent­ge­gen der An­sicht des Be­klag­ten ernst­haft.


1. Im Stel­len­be­set­zungs­ver­fah­ren kann nur be­nach­tei­ligt wer­den, wer sich sub­jek­tiv ernst­haft be­wor­ben hat und ob­jek­tiv für die zu be­set­zen­de Stel­le in Be­tracht kommt. Ei­ne Viel­zahl er­folg­lo­ser Be­wer­bun­gen al­lein lässt nicht dar­auf schließen, der Be­wer­ber sei nicht ernst­haft in­ter­es­siert. Von ei­nem sol­chen Aus­nah­me­fall ist nur aus­zu­ge­hen, wenn von vorn­her­ein der Wil­le fehlt, die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le tatsächlich ein­zu­neh­men, al­so in Wirk­lich­keit nur ei­ne Entschädi­gung an­ge­strebt wird (Se­nat 16. Sep­tem­ber 2008 - 9 AZR 791/07 - Rn. 57, AP SGB IX § 81 Nr. 15 = EzA SGB IX § 81 Nr. 17).


2. Die Ausübung der Tätig­keit als Rechts­an­walt recht­fer­tigt nicht die An­nah­me, dass die Be­wer­bung des Klägers sub­jek­tiv nicht ernst­haft ge­wollt war. Der Kläger hat mit der Be­wer­bung von sei­nem Recht, den Ar­beits­platz frei zu wählen (Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG), Ge­brauch ge­macht. Er hätte die selbständi­ge Tätig­keit im Fall des Er­folgs sei­ner Be­wer­bung oh­ne wei­te­res auf­ge­ben können.


3. Selbst wenn der Kläger tatsächlich ei­ne Viel­zahl von Entschädi­gungs­kla­gen ge­gen öffent­li­che Ar­beit­ge­ber an­ge­strengt ha­ben soll­te, steht die­ser Um­stand sei­nem Entschädi­gungs­an­spruch nicht ent­ge­gen. Dar­in liegt für sich be­trach­tet kein aus­rei­chen­des In­diz für ei­ne nicht ernst­haf­te Be­wer­bung (aA Dahl ju­ris­PR-ArbR 4/2009 Anm. 1 zu D, der Se­ri­en­kla­gen als „AGG-Hop­ping“ aus­rei­chen las­sen will). Ein Be­wer­ber ist nicht dar­an ge­hin­dert, aus sei­ner Sicht be­ste­hen­de Rech­te aus­zuüben.
 


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VI. Der ent­stan­de­ne Entschädi­gungs­an­spruch ist nicht un­ter­ge­gan­gen. Der An­spruch wur­de in­ner­halb der ge­setz­li­chen Aus­schluss­frist des § 15 Abs. 4 Satz 1 1. Alt., Satz 2 AGG schrift­lich gel­tend ge­macht. Das Ab­leh­nungs-schrei­ben des Be­klag­ten vom 13. De­zem­ber 2006 ging dem Kläger am 19. De­zem­ber 2006 zu. Der Zu­gang des Gel­tend­ma­chungs­schrei­bens des Klägers vom 6. Fe­bru­ar 2007 beim Be­klag­ten wur­de am 8. Fe­bru­ar 2007 be­wirkt.

B. Dem Kläger steht nach § 15 Abs. 2 Satz 1 und 2 AGG ei­ne an­ge­mes­se­ne Entschädi­gung von höchs­tens drei Mo­nats­vergütun­gen zu. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat - nach sei­nem Lösungs­weg kon­se­quent - kei­ne Fest­stel­lun­gen zu der an­ge­mes­se­nen Höhe der Entschädi­gung ge­trof­fen. Der Se­nat muss die Sa­che we­gen feh­len­der Fest­stel­lun­gen zu an­de­ren mögli­chen Ver­let­zun­gen von Förde­rungs­pflich­ten zurück­ver­wei­sen. Dem Lan­des­ar­beits­ge­richt ist bei der Würdi­gung der fest­zu­stel­len­den Tat­sa­chen zu­dem ein tatrich­ter­li­cher Be­ur­tei­lungs­spiel­raum ein­geräumt.


I. Für die Höhe der fest­zu­set­zen­den Entschädi­gung sind Art und Schwe­re der Verstöße so­wie die Fol­gen für den schwer­be­hin­der­ten Kläger von Be­deu­tung (zu den Kri­te­ri­en der Entschädi­gungshöhe zB Se­nat 18. No­vem­ber 2008 - 9 AZR 643/07 - Rn. 60, NZA 2009, 728; 12. Sep­tem­ber 2006 - 9 AZR 807/05 - Rn. 47, BA­GE 119, 262).

II. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt wird hin­sicht­lich der Art und Schwe­re der Verstöße auf­zuklären ha­ben, ob der Be­klag­te ne­ben der un­ter­las­se­nen Ein­la­dung zum Vor­stel­lungs­gespräch und der dem Kläger da­mit ver­wehr­ten Chan­ce der Präsen­ta­ti­on wei­te­re Pflich­ten zur Förde­rung schwer­be­hin­der­ter Be­wer­ber ver­letz­te. Je häufi­ger und ge­wich­ti­ger der Ar­beit­ge­ber ge­gen Förde­rungs­pflich­ten verstößt, des­to eher ist es ge­recht­fer­tigt, den von § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG vor­ge­ge­be­nen Höchst­rah­men von drei Mo­nats­vergütun­gen aus­zuschöpfen. Der Kläger hat sich dar­auf be­ru­fen, der Be­klag­te ha­be ge­gen die Pflicht zur Un­ter­rich­tung der Schwer­be­hin­der­ten­ver­tre­tung aus § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX und die Be­gründungs­pflicht des § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX ver­s­toßen.
 


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III. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt wird für die Aus­wir­kun­gen der Be­nach­tei­li­gungs­hand­lung auf den Kläger zu berück­sich­ti­gen ha­ben, dass er ei­ner zu­min­dest teil­wei­se exis­tenz­si­chern­den be­ruf­li­chen Tätig­keit nach­geht und die an­ge­streb­te Stel­le nur auf zwei Jah­re be­fris­tet be­setzt wer­den soll­te (vgl. Se­nat 16. Sep­tem­ber 2008 - 9 AZR 791/07 - Rn. 63, AP SGB IX § 81 Nr. 15 = EzA SGB IX § 81 Nr. 17).


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