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ARBEITSRECHT AKTUELL // 07/06

Bun­des­ar­beits­ge­richt er­laubt Streiks um Ta­rif­so­zi­al­plä­ne.

Ge­werk­schaf­ten kön­nen bei Be­triebs­schlie­ßun­gen und Mas­sen­ent­las­sun­gen ak­tiv wer­den und für ta­rif­li­che Re­ge­lun­gen strei­ken: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 24.04.2007, 1 AZR 252/06
Streik sechs Streikende Das BAG er­laubt Streiks um Zie­le, für die "ei­gent­lich" der Be­triebs­rat zu­stän­dig ist

28.04.2007. Nach ei­nem Ur­teil des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) vom De­zem­ber 2006 kön­nen sich Ge­werk­schaf­ten bei Be­triebs­schlie­ßun­gen und Mas­sen­ent­las­sun­gen ein­schal­ten und mit dem Ar­beit­ge­ber ei­nen Fir­men­ta­rif­ver­trag ver­ein­ba­ren, der als sog. "Ta­rif­so­zi­al­plan die Fol­gen für die be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer ab­mil­dert.

Dass in sol­chen Fäl­len zu­gleich auch ei­ne Be­trieb­s­än­de­rung vor­liegt und dass da­her ne­ben der Ge­werk­schaft der Be­triebs­rat ei­nen So­zi­al­plan aus­han­deln kann, än­dert nichts an der recht­li­chen Zu­läs­sig­keit von ta­rif­li­chen Re­ge­lun­gen (BAG, Ur­teil 06.12.2006, 4 AZR 798/05).

Jetzt hat das BAG in ei­ner wei­te­ren Ent­schei­dung nach­ge­legt und klar­ge­stellt, dass die Ge­werk­schaft auch Streiks mit dem Ziel ei­nes Ta­rif­so­zi­al­plans füh­ren kann: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 24.04.2007, 1 AZR 252/06.

Kann die Ge­werk­schaft für Ta­rif­so­zi­alpläne strei­ken?

Kommt es zu Be­triebs­sch­ließun­gen oder zu Mas­sen­ent­las­sun­gen, kann der Be­triebs­rat auf der Grund­la­ge von § 111 und § 112 Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG) den Ab­schluss ei­nes So­zi­al­plans ver­lan­gen und ggf. un­ter Ein­schal­tung der Ei­ni­gungs­stel­le er­zwin­gen.

Ty­pi­sche Ge­genstände von So­zi­alplänen sind Ansprüche auf Ab­fin­dun­gen für Ar­beit­neh­mer, de­ren Ar­beits­platz nicht er­hal­ten wer­den kann, Um­zugs­bei­hil­fen für Ar­beit­neh­mer, de­ren Ar­beits­platz nur bei ei­nem Orts­wech­sel ge­ret­tet wer­den kann oder Maßnah­men der be­ruf­li­chen Qua­li­fi­zie­rung.

In den letz­ten Jah­ren schal­ten sich bei größeren Be­triebs­sch­ließun­gen zu­neh­mend die Ge­werk­schaf­ten ein und ver­han­deln ne­ben dem Be­triebs­rat, in dem sie natürlich auch maßgeb­lich ver­tre­ten sind, über die­sel­ben Re­ge­lungs­ge­genstände, über die So­zi­al­plan­ver­hand­lun­gen geführt wer­den (könn­ten), al­ler­dings mit dem Ziel, ei­nen Ta­rif­ver­trag ab­zu­sch­ließen.

Die recht­li­che Zulässig­keit sol­cher "Ta­rif­so­zi­alpläne" wird von der Ar­beit­ge­ber­sei­te in Zwei­fel ge­zo­gen, un­ter an­de­rem mit dem Ar­gu­ment, die Zulässig­keit von Ta­rif­so­zi­alplänen führe auf­grund der mit Ta­rif­strei­tig­kei­ten ver­bun­de­nen Möglich­keit des Streiks zu ei­ner stärke­ren Be­schränkung der un­ter­neh­me­ri­schen Frei­heit als dies bei den oh­ne Streik­dro­hung zu ver­han­deln­den ei­gent­li­chen So­zi­alplänen der Fall sei.

Die Fra­ge der grundsätz­li­chen Zulässig­keit von Ta­rif­so­zi­alplänen hat­te das Bun­des­ar­beits­ge­richt be­reits im De­zem­ber 2006 (Ur­teil 06.12.2006, 4 AZR 798/05) im Sin­ne der Ge­werk­schaf­ten ent­schie­den. In der dies­bezügli­chen Pres­se­mit­tei­lung des Bun­des­ar­beits­ge­richts heißt es:

"Die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en sind frei, im Rah­men ih­rer Ta­rif­zuständig­keit ei­nen Ta­rif­ver­trag zu ver­ein­ba­ren, der die so­zia­len und wirt­schaft­li­chen Fol­gen ei­ner Be­triebs­teil­sch­ließung für die da­von be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer aus­gleicht oder mil­dert. Hier­an sind sie durch die et­wa von Rechts we­gen eröff­ne­te Möglich­keit des Be­triebs­rats oder Per­so­nal­rats und des Ar­beit­ge­bers, ei­nen So­zi­al­plan ab­zu­sch­ließen, nicht ge­hin­dert."

Nun­mehr hat­te das Bun­des­ar­beits­ge­richt über die An­schluss­fra­ge zu ent­schei­den, ob auch Streiks zum Zwe­cke der Er­zwin­gung ei­nes Ta­rif­so­zi­al­plans recht­lich zulässig sind.

Der Streit­fall: IG Me­tall ber­streikt die Hei­del­ber­ger Druck­ma­schi­nen AG, um ei­nen Ta­rif­so­zi­al­plan für 500 ent­las­se­ne Ar­beit­neh­mer zu er­zwin­gen

Die Hei­del­ber­ger Druck­ma­schi­nen AG (kurz: "Hei­del­ber­ger Druck"), ei­ner der führen­den Her­stel­ler von Druck­ma­schi­nen und da­mit ein Un­ter­neh­men der Me­tall­in­dus­trie, ver­han­del­te mit dem Be­triebs­rat und der IG Me­tall von En­de 2002 bis Ju­ni 2003 über den Ab­schluss ei­nes So­zi­al­plans bzw. über den Ab­schluss ei­nes Ta­rif­ver­trags.

Bei­de Re­ge­lun­gen hat­ten ei­nen ge­plan­ten Ar­beits­platz­ab­bau im Um­fang von über 500 Ar­beitsplätzen zum Ge­gen­stand. Nach Streiks im Kie­ler Werk der Hei­del­ber­ger Druck kam es im Ju­ni 2003 zu ei­ner Ei­ni­gung.

Al­ler­dings mit ei­nem ju­ris­ti­schen Nach­spiel: Der Ar­beit­ge­ber­ver­band Nord­me­tall ver­klag­te die IG Me­tall vor dem Ar­beits­ge­richt Frank­furt und in der Be­ru­fungs­in­stanz vor dem Hes­si­schen Lan­des­ar­beits­ge­richt auf Un­ter­las­sung von Streik­hand­lun­gen zur Er­zwin­gung ei­nes Ta­rif­so­zi­al­plans. Ar­beits­ge­richt Frank­furt und Hes­si­sches Lan­des­ar­beits­ge­richt (Ur­teil vom 02.02.2006, 9 Sa 915/05) wie­sen die Kla­ge ab.BAG:

Sind Ta­rif­so­zi­alpläne recht­lich zulässig, kann die Ge­werk­schaft auch dafür strei­ken

Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat die Ur­tei­le der Vor­in­stan­zen bestätigt.

Zur Be­gründung führt das BAG aus, dass das Be­trVG die Re­ge­lungs­be­fug­nis von Ta­rif­ver­trags­par­tei­en nicht ein­schränke. Ty­pi­sche So­zi­al­plan­in­hal­te sind da­her zu­gleich auch ta­rif­lich re­gel­ba­re An­ge­le­gen­hei­ten, so das BAG.

Ist der Ar­beit­ge­ber(ver­band) zum Ab­schluss ei­nes ent­spre­chen­den Ta­rif­ver­trags nicht be­reit, darf die Ge­werk­schaft strei­ken. Die Ge­werk­schaf­ten können mit dem Streik auch sehr weit­ge­hen­de Ta­rif­for­de­run­gen ver­fol­gen. Der Um­fang ei­ner Streik­for­de­rung, die auf ein ta­rif­lich re­gel­ba­res Ziel ge­rich­tet ist, un­ter­liegt we­gen der durch Art. 9 Abs. 3 Grund­ge­setz (GG) gewähr­leis­te­ten Ko­ali­ti­ons­frei­heit und im In­ter­es­se der Funk­ti­onsfähig­keit der Ta­rif­au­to­no­mie kei­ner ge­richt­li­chen Kon­trol­le.

Fa­zit: Ge­werk­schaf­ten dürfen bei Be­triebs­sch­ließun­gen und bei Mas­sen­ent­las­sun­gen Ta­rif­so­zi­alpläne for­dern und sie dürfen dafür strei­ken. Ne­ben­her kann der Be­triebs­rat ei­nen So­zi­al­plans ver­lan­gen und ggf. un­ter Ein­schal­tung der Ei­ni­gungs­stel­le er­zwin­gen, denn in sol­chen Fällen liegt ei­ne Be­triebsände­rung vor.

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Letzte Überarbeitung: 18. März 2020

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