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ARBEITSRECHT AKTUELL // 08/068

Fik­ti­ve Be­rech­nung des Ar­beits­lo­sen­gel­des nach El­tern­zeit

Pau­scha­le Be­rech­nung des Ar­beits­lo­sen­gel­des ist ver­fas­sungs­eg­mäß: Bun­des­so­zi­al­ge­richt, Ur­teil vom 30.05.2008, B 11a AL 23/07R
Auktionshammer bzw. Gerichtshammer auf Geldscheinen Ar­beits­lo­sen­geld nach El­tern­zeit darf wei­ter pau­schal be­rech­net wer­den

02.07.2008. Ar­beit­neh­mer, die nach dem En­de ih­rer El­tern­zeit ar­beits­los wer­den, ha­ben zu die­sem Zeit­punk in­ner­halb der letz­ten zwei Jah­re in al­ler Re­gel nicht min­des­tens 150 Ta­ge ge­ar­bei­tet und ein Ar­beits­ein­kom­men er­zielt.

Dann wird das Ar­beits­lo­sen­geld I auf der Grund­la­ge ei­nes fik­ti­ven Ge­halts be­rech­net. Grund­la­ge die­ser Be­rech­nung ist § 152 Abs.1 Drit­tes Buch So­zi­al­ge­setz­buch - Ar­beits­för­de­rung (SGB III) (frü­her: § 132 Abs.1 SGB ).

Die­se Be­rech­nungs­wei­se führt oft zu ei­ner fi­nan­zi­el­len Be­nach­tei­li­gung im Ver­gleich zum dem Ar­beits­lo­sen­geld, das sich auf Ba­sis des vor der El­tern­zeit er­ziel­ten Ein­kom­mens er­rech­nen würd.

In ei­nem ak­tu­el­len Ur­teil hat das Bun­des­so­zi­al­ge­richt (BSG) die­se Ge­set­zes­la­ge für ver­fas­sungs­ge­mäß er­klärt: BSG, Ur­teil vom 30.05.2008, B 11a AL 23/07R.

Wie soll­te das Ar­beits­lo­sen­geld be­rech­net wer­den, wenn Ar­beit­neh­mer nach ei­ner El­tern­zeit ar­beits­los wer­den und da­her die letz­ten Ge­halts­zah­lun­gen lan­ge zurück lie­gen?

Wer­den El­tern kurz nach Be­en­di­gung ih­rer El­tern­zeit ar­beits­los und ha­ben sie nicht min­des­tens 150 Ta­ge (Be­mes­sungs­zeit­raum) in­ner­halb der letz­ten zwei Jah­re ge­ar­bei­tet und da­bei ihr frühe­res Ar­beits­ein­kom­men er­zielt, ist seit dem 01.01.2005 bei der Be­mes­sung des Ar­beits­lo­sen­gel­des gemäß § 152 Abs.1 SGB III (früher: § 132 SGB III) ein fik­ti­ves Ge­halt zu­grun­de zu le­gen.

An­ge­setzt wird dann ein fik­ti­ver Pau­schal­be­trag als Be­mes­sungs­ent­gelt, der sich aus ei­ner Ein­grup­pie­rung nach Qua­li­fi­ka­ti­ons­stu­fen in An­wen­dung des § 152 Abs.2 SGB III er­gibt und oft­mals er­heb­lich un­ter dem zu­letzt er­ziel­ten Ar­beits­ent­gelt liegt. Frag­lich ist, ob die­se Re­ge­lung ver­fas­sungs­kon­form ist.

Da­ge­gen könn­te spre­chen, dass gemäß Art.6 Abs.4 Grund­ge­setz (GG) je­de Mut­ter An­spruch auf den Schutz und die Fürsor­ge des Staa­tes hat. Die­ser Vor­schrift gilt auch für Väter.

Die o.g. Re­ge­lung des SGB III führt je­doch da­zu, dass die el­tern­zeit­be­ding­te Un­ter­bre­chung der Er­werbstätig­keit zu ei­ner Min­de­rung der Höhe des Ar­beits­lo­sen­gel­des führt und da­mit zu ei­ner Schlech­ter­stel­lung von ar­beits­lo­sen El­tern: Wer­den die­se nach Be­en­di­gung ih­rer El­tern­zeit ar­beits­los, er­hal­ten sie ein pau­scha­lier­tes bzw. gekürz­tes Ar­beits­lo­sen­geld, wo­hin­ge­gen Ar­beits­lo­se, die oh­ne ei­ne er­zie­hungs­be­ding­te Un­ter­bre­chung ih­rer Er­werbstätig­keit, d.h. „un­mit­tel­bar“ im An­schluss an ih­re ver­si­cher­te Beschäfti­gung ar­beits­los wer­den, ein un­gekürz­tes Ar­beits­lo­sen­geld auf der Grund­la­ge ih­res zu­letzt be­zo­ge­nen Ein­kom­mens er­hal­ten.

Der Fall des BSG: Ar­beit­neh­me­rin pau­siert schwan­ger­schafts­be­dingt ab An­fang 2002 und ist ab April 2005 ar­beits­los

Die Kläge­rin, ei­ne ge­lern­te Kauf­frau im Groß- und Außen­han­del, war seit dem 01.10.1998 als Dis­po­nen­tin im Kun­den­dienst beschäftigt. In der Zeit ab Ja­nu­ar 2002 fiel sie zunächst in­fol­ge von Mut­ter­schutz aus und nahm an­sch­ließend Er­zie­hungs­ur­laub in An­spruch. Un­mit­tel­bar nach des­sen Be­en­di­gung im Ja­nu­ar 2005 er­hielt sie die be­triebs­be­ding­te Kündi­gung zum 31.03.2005, wor­auf­hin sie sich zum 01.04.2005 ar­beits­los mel­de­te.

Die Agen­tur für Ar­beit be­wil­lig­te Ar­beits­lo­sen­geld in Höhe von ka­len­dertäglich 21,69 EUR und leg­te da­bei zur Be­rech­nung ein tägli­ches Ar­beits­ent­gelt von 64,40 EUR, Steu­er­klas­se V und den erhöhten Leis­tungs­satz von 67 Pro­zent zu­grun­de.

Be­gründet wur­de dies da­mit, dass der Be­mes­sung nach § 132 Abs.1 SGB III (heu­te: § 152 Abs.1 SGB III) ein fik­ti­ves Ar­beits­ent­gelt zu­grun­de zu le­gen sei, weil die Kläge­rin in­ner­halb der letz­ten zwei Jah­re nicht 150 Ta­ge ge­gen Ar­beits­ent­gelt ge­ar­bei­tet ha­be. Die Agen­tur für Ar­beit grup­pier­te die Leis­tungs­empfänge­rin nach der Qua­li­fi­ka­ti­ons­stu­fe drei ein (Beschäfti­gung mit Aus­bil­dung).

Ge­gen die­sen Be­scheid er­hob die Kläge­rin nach er­folg­lo­sem Wi­der­spruchs­ver­fah­ren Kla­ge vor dem So­zi­al­ge­richt Dort­mund mit dem An­trag, ihr ein höhe­res Ar­beits­lo­sen­geld un­ter Berück­sich­ti­gung ih­res vor den Mut­ter­schafts- und Er­zie­hungs­zei­ten be­zo­ge­nen Ar­beits­ent­gelts zu gewähren.

Das So­zi­al­ge­richt Dort­mund wies die Kla­ge mit Ur­teil vom 27.06.2006 (S 31 AL 236/05) ab. Die da­ge­gen von der Kläge­rin beim Lan­des­so­zi­al­ge­richt (LSG) Nord­rhein-West­fa­len ein­ge­leg­te Be­ru­fung wies das LSG mit Ur­teil vom 21.03.2007 (L 12 AL 113/06) zurück. Zur Be­gründung heißt es:

Da die Kläge­rin im Be­mes­sungs­rah­men we­gen der Mut­ter­schutz- bzw. Er­zie­hungs­zei­ten we­ni­ger als 150 Ta­ge Ar­beits­ent­gelt be­an­spru­chen konn­te, sei nach der ge­setz­li­chen Re­ge­lung ein fik­ti­ves Ar­beits­ent­gelt in An­satz zu brin­gen. Ei­ne Verlänge­rung, Ver­schie­bung oder Tei­lung des Be­mes­sungs­rah­mens sei nicht möglich.

Dem ste­he der ein­deu­ti­ge Wort­laut der Vor­schrift so­wie der Sinn und Zweck des Be­mes­sungs­rechts, dem Lohn­er­satz­cha­rak­ter des Ar­beits­lo­sen­gel­des Rech­nung zu tra­gen, ent­ge­gen. Die von der Kläge­rin geäußer­ten ver­fas­sungs­recht­li­chen Be­den­ken konn­te das LSG nicht tei­len. Der Ge­setz­ge­ber ha­be ei­nen Einschätzungs­spiel­raum, der nur be­schränkt zu über­prüfen sei.

Mit der vom LSG zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt die Kläge­rin ihr Ziel wei­ter. Da­her hat­te nun­mehr das Bun­des­so­zi­al­ge­richt (BSG) über die Höhe des Ar­beits­lo­sen­geld­an­spruchs und die Fra­ge der Aus­wei­tung des Be­mes­sungs­rah­mens zu ent­schei­den.

Bun­des­so­zi­al­ge­richt: Fik­ti­ve Be­rech­nung des Ar­beits­lo­sen­gel­des nach El­tern­zeit ist kei­ne ver­bo­te­ne Be­nach­tei­li­gung von Fa­mi­li­en und da­her ver­fas­sungs­gemäß

Das BSG bestätig­te mit Ur­teil vom 29.05.2008 (B 11a AL 23/07) die Ent­schei­dung der Vor­in­stan­zen und recht­fer­tig­te da­mit zu­gleich die dem Ge­setz ent­spre­chen­de Be­rech­nungs­pra­xis der Ar­beits­agen­tu­ren.

Nach dem bis­lang al­lein vor­lie­gen­den Ter­min­be­richt ließ sich das BSG von fol­gen­de Über­le­gun­gen lei­ten:

Das SGB III in der hier maßgeb­li­chen Fas­sung se­he für die Be­rech­nung des Ar­beits­lo­sen­gel­des ei­nen Be­mes­sungs­rah­men von ma­xi­mal zwei Jah­ren vor, in­ner­halb des­sen der Leis­tungs­empfänger ei­nen An­spruch auf Ar­beits­ent­gelt für min­des­tens 150 Ta­ge er­wor­ben ha­ben muss. Kann der Leis­tungs­empfänger für we­ni­ger als 150 Ta­ge vor dem En­de des Ar­beits­verhält­nis­ses Ar­beits­ent­gelt für sich in An­spruch neh­men, ist ein fik­ti­ves Ar­beits­ent­gelt zu­grun­de zu le­gen. Die Be­mes­sung die­ses fik­ti­ven Ar­beits­ent­gel­tes er­folgt durch Ein­tei­lung in vier Qua­li­fi­ka­ti­ons­stu­fen, wo­bei die Kläge­rin zu­tref­fend in Stu­fe 3 ein­ge­stuft wor­den sei.

Den ver­fas­sungs­recht­li­chen Be­den­ken woll­te sich das BSG eben­so we­nig wie das LSG an­sch­ließen. In die­sem Zu­sam­men­hang weist das BSG ergänzend dar­auf hin, dass die Kläge­rin ih­ren An­spruch auf Ar­beits­lo­sen­geld nicht al­lein durch ih­re vor­he­ri­ge Beschäfti­gung er­wor­ben ha­be. Sie ha­be die An­wart­schafts­zeit viel­mehr nur erfüllt, weil sie während der Zeit der Er­zie­hung des ei­ge­nen Kin­des bis zur Voll­endung des drit­ten Le­bens­jah­res in­fol­ge des neu ein­gefügten § 26 Abs.2a SGB III ver­si­che­rungs­pflich­tig ge­we­sen sei und da­her auch während der Er­zie­hungs­zeit Beiträge an die Ar­beits­lo­sen-ver­si­che­rung ge­leis­tet wor­den sei­en.

In ei­nem Par­al­lel­ver­fah­ren ent­schied das BSG eben­falls zu­las­ten der Kläge­rin (Ur­teil vom 29.05.2008, B 11a/7a AL 64/06, Vor­in­stanz: LSG Ba­den-Würt­tem­berg, Ur­teil vom 15.09.2006, L 8 AL 3082/06). Auch das LSG Ber­lin-Bran­den­burg hat­te be­reits im Ok­to­ber 2007 in ei­nem ähn­lich ge­la­ger­ten Fall die Kla­ge ei­ner Mut­ter ab­ge­wie­sen (Ar­beits­recht ak­tu­ell 07/83: LSG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 16.10.2007, L 12 AL 318/06).

Nähe­re In­for­ma­tio­nen zu die­sem Vor­gang fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das Ge­richt sei­ne Ent­schei­dungs­gründe schrift­lich ab­ge­fasst und veröffent­licht. Die Ent­schei­dungs­gründe im Voll­text fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 17. September 2018

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