HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 07/41

LAG Ber­lin-Bran­den­burg ur­teilt zur Aus­tausch­kün­di­gung.

Die Fremd­ver­ga­be der in ei­nem Pfle­ge­wohn­heim an­fal­len­den So­zi­al­ar­beit an ei­ne vom Mehr­heits­ge­sell­schaf­ter be­trie­be­ne An­walts­kanz­lei ist kei­ne nach­voll­zieh­ba­re Un­ter­neh­mer­ent­schei­dung: LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 01.03.2007, 2 Sa 18/07
Schild vor Rollgitter WIR SCHLIESSEN Be­triebs­be­ding­te Kün­di­gun­gen wer­den manch­mal selt­sam be­grün­det

22.08.2007. Der Ar­beit­ge­ber kann ei­ne be­triebs­be­ding­te Kün­di­gung mit sei­ner Ent­schei­dung be­grün­den, dass er künf­tig die Ar­bei­ten des ge­kün­dig­ten Ar­beit­neh­mers durch ei­ne ex­ter­ne Fir­ma er­le­di­gen las­sen möch­te. Man spricht dann von Fremd­ver­ga­be oder Out­sour­cing.

Ei­ne Fremd­ver­ga­be setzt aber vor­aus, dass der Ar­beit­ge­ber künf­tig die Ar­bei­ten wirk­lich an ei­ne be­triebs­frem­de Fir­ma ab­gibt, d.h. dass die Ar­bei­ten künf­tig nicht mehr un­ter sei­ner Auf­sicht er­le­digt wer­den.

Wenn er trotz ei­ner an­geb­li­chen Fremd­ver­ga­be wei­ter­hin das Wei­sungs­recht be­hal­ten will, ist die an­geb­li­che Fremd­ver­ga­be nur vor­ge­scho­ben.

So lag es in ei­nem vor kur­zem vom Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ber­lin-Bran­den­burg ent­schie­de­nen Fall. Hier ging es um ei­ne an­geb­li­che Fremd­ver­ga­be der in ei­nem Pfle­ge­wohn­heim an­fal­len­den So­zi­al­ar­beit.

Die­se Ar­bei­ten soll­ten künf­tig von ei­ner An­walts­kanz­lei (!) er­le­digt wer­den, die noch da­zu von ei­nem zur Ge­schäfts­lei­tung ge­hö­ren­den Mehr­heits­ge­sell­schaf­ter des Pfle­ge­heims be­trie­ben wur­de: LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 01.03.2007, 2 Sa 18/07.

Wann liegt ei­ne rechts­miss­bräuch­li­che Aus­tauschkündi­gung vor?

Kündigt ein Ar­beit­ge­ber ei­nem dem Kündi­gungs­schutz­ge­setz (KSchG) un­ter­fal­len­den Ar­beit­neh­mer aus be­triebs­be­ding­ten Gründen und er­hebt der Ar­beit­neh­mer dar­auf­hin Kündi­gungs­schutz­kla­ge, so muss der Ar­beit­ge­ber das Ge­richt da­von über­zeu­gen, dass er ei­ne un­ter­neh­me­ri­sche Or­ga­ni­sa­ti­ons­ent­schei­dung ge­trof­fen hat, die den Ar­beits­be­darf in dem Be­reich, in dem der Ar­beit­neh­mer zu­letzt beschäftigt war, dau­er­haft ent­fal­len lässt.

Als ei­ne sol­che Un­ter­neh­mer­ent­schei­dung, die ein drin­gen­des be­trieb­li­ches Er­for­der­nis für ei­ne be­triebs­be­ding­te Kündi­gung dar­stel­len kann, ist die Ver­ga­be von bis­her im Be­trieb durch­geführ­ten Ar­bei­ten an ein an­de­res Un­ter­neh­men an­er­kannt („out­sour­cing“).

Da­bei müssen die fremd­ver­ge­be­nen Ar­bei­ten dem an­de­ren Un­ter­neh­men al­ler­dings zur selbständi­gen Durchführung über­tra­gen wer­den. Behält sich der mit Ver­weis auf ei­ne an­geb­li­che Fremd­ver­ga­be kündi­gen­de Ar­beit­ge­ber da­ge­gen die Wei­sungs­be­fug­nis ge­genüber den Ar­beit­neh­mern vor, die als Beschäftig­te des Fremd­un­ter­neh­mens ein­ge­setzt wer­den, so führt ei­ne sol­che or­ga­ni­sa­to­ri­sche Ge­stal­tung nicht zum Weg­fall der bis­he­ri­gen be­trieb­li­chen Ar­beitsplätze.

Viel­mehr liegt in ei­nem sol­chen Fall ei­ne un­zulässi­ge Aus­tauschkündi­gung vor. Der be­trieb­li­che Be­darf an der Ar­beits­leis­tung des gekündig­ten Ar­beit­neh­mers be­steht dann nämlich wei­ter­hin fort. Die or­ga­ni­sa­to­ri­sche Ge­stal­tung ist rechts­miss­bräuch­lich und kann da­her die Kündi­gung nicht recht­fer­ti­gen.

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ber­lin-Bran­den­burg hat­te mit Ur­teil vom 01.03.2007 (2 Sa 18/07) die Fra­ge zu ent­schei­den, ob Ar­beit­neh­mern ei­ner GmbH aus be­trieb­li­chen Gründen gekündigt wer­den kann, wenn die bis­her von ih­nen ver­rich­te­ten Ar­bei­ten des be­trieb­li­chen So­zi­al­diens­tes auf den ehr­heits­ge­sell­schaf­ter der GmbH, ei­nen Rechts­an­walt, über­tra­gen wer­den, oder ob in ei­ner sol­chen Kon­stel­la­ti­on ei­ne rechts­miss­bräuch­li­che Ge­stal­tung bzw. ei­ne Aus­tauschkündi­gung zu se­hen ist.

Der Streit­fall: Fremd­ver­ga­be von So­zi­al­ar­bei­tertätig­kei­ten an ei­ne An­walts­kanz­lei, die mit der Geschäfts­lei­tung ver­bun­den war

In dem vom LAG Ber­lin-Bran­den­burg ent­schie­de­nen Fall wur­den zwei Mit­ar­bei­te­rin­nen ei­nes zum dia­ko­ni­schen Werk gehören­den Pfle­ge­wohn­heims, de­ren Träger ei­ne gGmbH ist, aus be­triebs­be­ding­ten Gründen gekündigt. Die Mit­ar­bei­te­rin­nen, di­plo­mier­te So­zi­al­ar­bei­te­rin­nen, hat­ten die Auf­ga­be, die be­trieb­lich an­fal­len­de So­zi­al­ar­beit zu ver­rich­ten, wo­zu ins­be­son­de­re die Be­ra­tung und Be­treu­ung von neu ein­ge­wie­se­nen Heim­be­woh­nern gehört.

Die Kündi­gun­gen wur­den da­mit be­gründet, die Ar­beit­ge­be­rin ha­be die zu­vor von den bei­den Mit­ar­bei­te­rin­nen ver­rich­te­ten Auf­ga­ben nun­mehr an den Mehr­heits­ge­sell­schaf­ter der gGmbH, ei­nen Ber­li­ner Rechts­an­walt, zur ei­gen­ver­ant­wort­li­chen Wahr­neh­mung über­tra­gen.

Der Rechts­an­walt, der nicht Geschäftsführer der gGmbH war, un­ter­hielt sei­ne Kanz­lei auf dem Be­triebs­gelände des Pfle­ge­wohn­heims. Da er die ihm über­tra­ge­nen Auf­ga­ben der So­zi­al­ar­beit nicht selbst ver­rich­ten konn­te, stell­te er zu die­sem Zweck in sei­ner Kanz­lei ei­ne So­zi­al­ar­bei­te­rin ein, die un­ter sei­ner Re­gie nun­mehr die bis­lang von den gekündig­ten bei­den Mit­ar­bei­te­rin­nen der gGmbH ver­rich­te­ten Auf­ga­ben der So­zi­al­ar­beit er­le­di­gen soll­te.

Das Ar­beits­ge­richt Ber­lin hat den Kündi­gungs­schutz­kla­gen der bei­den So­zi­al­ar­bei­te­rin­nen statt­ge­ge­ben. In dem vom LAG Ber­lin-Bran­den­burg ent­schie­de­nen Fall ging es nur noch um die Kündi­gung ei­ner der bei­den Ar­beit­neh­me­rin­nen, da der an­de­re Fall oh­ne Ur­teil er­le­digt wer­den konn­te.

LAG Ber­lin-Bran­den­burg: Kein ech­tes Out­sour­cing, son­dern Aus­tauschkündi­gung, wenn Ar­beit­ge­ber die Ar­bei­ten wei­ter di­ri­gie­ren will

Das LAG Ber­lin-Bran­den­burg bestätig­te die Ent­schei­dung des Ar­beits­ge­richts Ber­lin, d.h. es hielt die Kündi­gung für un­wirk­sam.

Zur Be­gründung ver­weist das LAG auf ein Ur­teil des BAG vom 26.09.2002 (2 AZR 636/01), in dem es um ei­ne Aus­tauschkündi­gung in ei­ner Rheum­akli­nik ging.

Im Rheum­akli­nik-Fall hat­te der Kli­nik­be­trei­ber den Mit­ar­bei­tern in der Rei­ni­gung, der Küche, dem Ser­vier­be­reich und der Diätab­tei­lung gekündigt, da er die­se Dienst­leis­tun­gen auf ei­ne Ser­vice­ge­sell­schaft über­tra­gen hat­te. An die­ser Ser­vice­ge­sell­schaft war der Kli­nik­be­trei­ber aber mehr­heit­lich be­tei­ligt und hat­te sich auch im De­tail Ein­flussmöglich­kei­ten auf die Leis­tungs­er­brin­gung ge­si­chert.

Un­ter Be­ru­fung auf die Rheum­akli­nik-Ent­schei­dung, in der das BAG die Kündi­gung ei­ner Küchen­kraft als miss­bräuch­li­che bzw. un­zulässi­ge Aus­tauschkündi­gung an­ge­se­hen hat­te, nahm das LAG Ber­lin-Bran­den­burg auch im vor­lie­gen­den Fall ei­ne Aus­tauschkündi­gung an.

Da­zu heißt es: Die An­nah­me des Miss­brauchs der Ge­stal­tungs­form sei ge­recht­fer­tigt, weil der Rechts­an­walt die So­zi­al­ar­bei­te­rin ei­gens im Hin­blick auf die der Kläge­rin ent­zo­ge­nen Auf­ga­ben in sei­ner Kanz­lei ein­ge­stellt ha­be. Es sei nicht üblich, dass Rechts­anwälte in ih­rer Kanz­lei ei­ne So­zi­al­ar­bei­te­rin mit So­zi­al­ar­bei­tertätig­kei­ten beschäftig­ten.

Viel­mehr sei er­kenn­bar und auch gar nicht strei­tig, dass die neu ein­ge­stell­te So­zi­al­ar­bei­te­rin al­lei­ne zur Ar­beits­leis­tung für die Be­klag­te ab­ge­stellt sei. Die Be­klag­te ha­be nicht dar­ge­legt, dass die­se Kraft auch an­de­re Auf­ga­ben hätte.

Da der Rechts­an­walt nicht ei­ge­ne an­walt­li­che Zie­le mit dem Ein­satz der neu ein­ge­stell­ten So­zi­al­ar­bei­te­rin ver­fol­ge, sei er­kenn­bar, dass die Ausübung des Di­rek­ti­ons­rechts im In­ter­es­se der Be­klag­ten, d.h. al­lein im Hin­blick auf die Ver­wirk­li­chung ih­rer be­trieb­li­chen Zie­le er­folg­te.

Im übri­gen setzt sich das LAG da­mit aus­ein­an­der, dass der Rechts­an­walt „nur“ Mehr­heits­ge­sell­schaf­ter, nicht aber Geschäftsführer der kündi­gen­den gGmbH war. Dies war das zen­tra­le Ar­gu­ment der Be­klag­ten, die der Mei­nung war, dass die Ver­rich­tung der So­zi­al­ar­beit in der Kanz­lei des Mehr­heits­ge­sell­schaf­ters ein Vor­gang „außer­halb“ des Be­triebs der GmbH sei.

Es war al­ler­dings zwi­schen den Par­tei­en un­strei­tig und im übri­gen ge­richts­be­kannt, dass der Rechts­an­walt in al­len we­sent­li­chen Fra­gen der Ge­sell­schaft stets mit ent­schied, so dass er von der Be­klag­ten selbst als ein Geschäftsführungs­mit­glied be­zeich­net wur­de. Vor die­sem Hin­ter­grund war die Be­zie­hung zwi­schen dem Rechts­an­walt und der Geschäfts­lei­tung der kündi­gen­den gGmbH so eng, dass un­ter Berück­sich­ti­gung der an­de­ren Umstände des Fal­les ein Miss­brauch der Ge­stal­tungs­form an­zu­neh­men war.

Fa­zit: Die Fremd­ver­ga­be der in ei­nem Pfle­ge­wohn­heim an­fal­len­den So­zi­al­ar­beit an ei­ne An­walts­kanz­lei, die von ei­nem fak­tisch zur Geschäfts­lei­tung gehören­den Mehr­heits­ge­sell­schaf­ter be­trie­ben wird, ist kei­ne sach­lich nach­voll­zieh­ba­re Un­ter­neh­mer­ent­schei­dung, die ei­ne be­triebs­be­ding­te Kündi­gung recht­fer­ti­gen könn­te.

Das Ur­teil ist mitt­ler­wei­le rechts­kräftig.

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Letzte Überarbeitung: 28. Februar 2018

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