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Krank­heit: At­test für den ers­ten Krank­heits­tag

Ar­beit­ge­ber kön­nen schon für den ers­ten Krank­heits­tag ein ärzt­li­ches At­test ver­lan­gen: Lan­des­ar­beits­ge­richt Köln, Ur­teil vom 14.09.2011, 3 Sa 597/11
Frau zu Hause im Bett vor dem Fernsehen At­test bei Krank­heit muss so­fort dem dem Ar­beit­ge­ber vor­ge­legt wer­den

19.12.2011. Ar­beit­neh­mer sind ver­pflich­tet, dem Ar­beit­ge­ber ei­ne krank­heits­be­ding­te die Ar­beits­un­fä­hig­keit und auch de­ren vor­aus­sicht­li­che Dau­er "un­ver­züg­lich" mit­zu­tei­len. Das heißt man muss mög­lichst rasch, so gut es im Krank­heits­fall eben geht, dem Ar­beit­ge­ber bzw. dem Vor­ge­setz­ten sa­gen, dass und wie lan­ge man vor­aus­sicht­lich nicht bei der Ar­beit er­schei­nen kann.

Da­zu braucht man erst ein­mal we­der ein At­test noch ei­ne ärzt­li­che Un­ter­su­chung, denn mit "vor­aus­sicht­lich" ist ja nur ein vor­läu­fi­ger Blick in die Zu­kunft ge­meint. Wem es beim Auf­ste­hen schlecht geht, kann im Be­trieb an­ru­fen und dem Vor­ge­setz­ten sa­gen, dass er je­den­falls heu­te nicht kom­men kann, son­dern erst ein­mal zum Arzt muss, so dass er al­so "vor­aus­sicht­lich" heu­te nicht kom­men kann. Und wenn man dann vom Arzt zwei Ta­ge krank­ge­schrie­ben wird, muss man eben noch ein­mal an­ru­fen.

Nur wenn die Ar­beits­un­fä­hig­keit län­ger als drei Ka­len­der­ta­ge dau­ert, muss man dem Ar­beit­ge­ber ge­mäß § 5 Abs.1 Satz 2 Ent­gelt­fort­zah­lungs­ge­setz (EFZG) ein At­test vor­le­gen. Das At­test kann der Ar­beit­ge­ber al­ler­dings ge­mäß § 5 Abs.1 Satz 3 EFZG auch schon frü­her ver­lan­gen. Aber kann er das auch oh­ne je­de sach­li­che Be­grün­dung im Ein­zel­fall, d.h. "ein­fach so"? Das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Köln meint ja: LAG Köln, Ur­teil vom 14.09.2011, 3 Sa 597/11.

Der Ar­beit­ge­ber kann schon ab dem ers­ten Krank­heits­tag ein At­test ver­lan­gen - aber auch be­son­de­ren Grund?

Manch­mal scheint die Rechts­la­ge schon nach dem Ge­setz ziem­lich klar zu sein. So auch bei der Fra­ge, ob der Ar­beit­ge­ber vom Ar­beit­ge­ber ge­ne­rell ver­lan­gen kann, bei je­der Krank­heit ein At­test vor­zu­le­gen, al­so auch schon ab dem ers­ten Krank­heits­tag. Denn in § 5 Abs.1 Sätze 2 und 3 EFZG heißt es:

"Dau­ert die Ar­beits­unfähig­keit länger als drei Ka­len­der­ta­ge, hat der Ar­beit­neh­mer ei­ne ärzt­li­che Be­schei­ni­gung über das Be­ste­hen der Ar­beits­unfähig­keit so­wie de­ren vor­aus­sicht­li­che Dau­er spätes­tens an dem dar­auf­fol­gen­den Ar­beits­tag vor­zu­le­gen. Der Ar­beit­ge­ber ist be­rech­tigt, die Vor­la­ge der ärzt­li­chen Be­schei­ni­gung früher zu ver­lan­gen."

Aber weil die Ju­ris­ten ei­ne dis­kus­si­ons­freu­di­ge Bevölke­rungs­grup­pe sind, gibt es auch hierüber ei­ne De­bat­te. Der Ein­hak­punkt ist die Über­le­gung, dass die Auf­for­de­rung an den Ar­beit­neh­mer, bei je­der Krank­heit und al­so schon all­ge­mein ab dem ers­ten Krank­heits­tag ein At­test vor­zu­le­gen, ei­ne Wei­sung ist, und ei­ne Wei­sung muss gemäß § 106 Ge­wer­be­ord­nung (Ge­wO) "nach bil­li­gem Er­mes­sen" er­teilt wer­den.

Das wie­der­um würde be­deu­ten, dass auch die Auf­for­de­rung, ab dem ers­ten Krank­heits­tag ein At­test bei­zu­brin­gen, sach­lich be­gründet sein soll­te.

An­der­seits lässt sich ei­ne Be­gründungs­pflicht für die­se at­test­be­zo­ge­ne Wei­sung des Ar­beit­ge­bers § 5 Abs.1 Satz 3 EFZG ge­ra­de nicht ent­neh­men, und die­se Vor­schrift ist ja spe­zi­ell auf die Abläufe bei Krank­mel­dun­gen zu­ge­schnit­ten. Wel­che Rechts­mei­nung ist nun rich­tig?

LAG Köln: Die Auf­for­de­rung, schon ab dem ers­ten Krank­heits­tag ein At­test vor­zu­le­gen, be­darf kei­ner Be­gründung.

In dem Fall des LAG Köln hat­te ei­ne 52jähri­ge Re­dak­teu­rin ei­ner Kölner Rund­funk­an­stalt mehr­fach um die Er­laub­nis ge­be­ten, am 30. No­vem­ber 2010 ei­ne Dienst­rei­se un­ter­neh­men zu können - oh­ne Er­folg. Dann mel­de­te sie sich für den 30. No­vem­ber 2010 krank. Ihr Vor­ge­setz­ter nahm das zum An­lass für die Bit­te, bei künf­ti­gen Krank­heitsfällen schon am ers­ten Tag der Krank­mel­dung ei­nen Arzt auf­zu­su­chen und ein At­test vor­zu­le­gen.

Die Re­dak­teu­rin fühl­te sich auf den Schlips ge­tre­ten und ver­lang­te von der Rund­funk­an­stalt, die­se Auf­for­de­rung nach­voll­zieh­bar zu be­gründen oder zurück­zu­neh­men. Das wie­der­um sah die Rund­funk­an­stalt nicht ein. Die Re­dak­teu­rin zog vor das Ar­beits­ge­richt Köln und kla­ge auf Wi­der­ruf der An­wei­sung - oh­ne Er­folg. Ar­beits­ge­richt Köln (Ur­teil vom 03.05.2011, 8 Ca 2519/11 ) und LAG Köln wie­sen ih­re Kla­ge ab (LAG Köln, Ur­teil vom 14.09.2011, 3 Sa 597/11).

Das LAG Köln be­gründe­te sein Ur­teil da­mit, dass § 5 EFZG ei­ne spe­zi­el­le­re Re­ge­lung für den Be­reich der Nach­weis­pflicht in der Ent­gelt­fort­zah­lung enthält, die den all­ge­mei­nen Be­stim­mun­gen zum Wei­sungs­recht in § 106 Ge­wO vor­geht. Die Auf­for­de­rung, ab dem ers­ten Tag ein At­test vor­zu­le­gen, ist da­her nicht auf ih­re An­ge­mes­sen­heit hin zu über­prüfen, so das LAG. Nur wenn ei­ne sol­che An­wei­sung aus­nahms­wei­se ein­mal willkürlich oder dis­kri­mi­nie­rend ist, kann der Ar­beit­neh­mer da­ge­gen vor­ge­hen.

Vorläufi­ges Fa­zit: Die Auf­for­de­rung des Ar­beit­ge­bers nach § 5 Abs.1 Satz 3 EFZG muss der Ar­beit­ge­ber nicht be­gründen, und er braucht auch kei­ne An­halts­punk­te dafür, dass sich der Ar­beit­neh­mer rechts­miss­bräuch­lich krank­mel­det. Vorläufig ist die­ses Fa­zit des­halb, weil das LAG Köln die Re­vi­si­on zum Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) zu­ge­las­sen hat und weil die Re­dak­teu­rin mitt­ler­wei­le Re­vi­si­on ein­ge­legt hat. Da­her liegt der Fall der­zeit beim BAG, das über ihn demnächst früher oder später wird.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BAG über die­sen Fall ent­schie­den, und zwar eben­falls zu­guns­ten der Rund­funk­an­stalt (BAG, Ur­teil vom 14.11.2012, 5 AZR 886/11). Ei­ne Be­spre­chung der BAG-Ent­schei­dung fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 20. Juli 2016

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