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ARBEITSRECHT AKTUELL // 12/354

Bei Krank­mel­dung At­test ab dem ers­ten Tag

Ar­beit­ge­ber kön­nen ein ärzt­li­ches At­test schon ab dem ers­ten Krank­heits­tag ver­lan­gen, oh­ne das be­grün­den zu müs­sen: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 14.11.2012, 5 AZR 886/11
At­test schon ab dem ers­ten Fehl­tag?

14.11.2012. Ar­beit­ge­ber ha­ben nach dem Ge­setz das Recht, vom er­krank­ten Ar­beit­neh­mer be­reits ab dem ers­ten Tag der Ar­beits­un­fä­hig­keit ein At­test zu ver­lan­gen, d.h. ei­ne ärzt­li­che Be­schei­ni­gung der Ar­beits­un­fä­hig­keit. Das steht in § 5 Abs.1 Satz 3 Ent­gelt­fort­zah­lungs­ge­setz (EFZG).

Bis­lang hat­te das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) al­ler­dings noch nicht ver­bind­lich ent­schie­den, ob der Ar­beit­ge­ber die­ses Recht mög­li­cher­wei­se nur dann aus­üben kann, wenn er da­für im Ein­zel­fall sach­li­che Grün­de hat.

Heu­te hat das BAG klar­ge­stellt, dass der Ar­beit­ge­ber da­für kei­ne Sach­grün­de braucht, d.h. die Be­ru­fung auf das Ge­setz ge­nügt: BAG, Ur­teil vom 14.11.2012, 5 AZR 886/11.

Krank­mel­den muss man sich am ers­ten Tag der Er­kran­kung, aber muss man auch ein ärzt­li­ches At­test vor­le­gen, bloß weil der Ar­beit­ge­ber das möch­te?

Er­krank­te Ar­beit­neh­mer müssen ih­rem Ar­beit­ge­ber die krank­heits­be­ding­te Ar­beits­unfähig­keit "un­verzüglich" mit­tei­len, und auch de­ren vor­aus­sicht­li­che Dau­er. Dem­zu­fol­ge muss man möglichst rasch, so gut es eben bei ei­ner Er­kran­kung geht, beim Ar­beit­ge­ber bzw. beim Vor­ge­setz­ten an­ru­fen und sa­gen, dass und wie lan­ge man vor­aus­sicht­lich nicht bei der Ar­beit er­schei­nen kann.

Um die­se ge­setz­li­che Pflicht zu erfüllen braucht man zunächst ein­mal we­der ein At­test noch ei­ne ärzt­li­che Un­ter­su­chung. Denn mit "vor­aus­sicht­li­cher Dau­er" ist nur die sub­jek­ti­ve und mo­men­ta­ne Einschätzung des Ar­beit­neh­mers ge­meint.

Wem frühmor­gens speiübel ist, der braucht über sei­ne Krank­heit nichts ge­nau­es zu wis­sen, um im Be­trieb an­ru­fen und dem Vor­ge­setz­ten sa­gen zu können, dass er heu­te nicht kom­men kann, son­dern zum Arzt muss und da­her "vor­aus­sicht­lich" heu­te nicht kom­men kann. Und wenn der Arzt dann ei­ne Ar­beits­unfähig­keit für zwei Ta­ge at­tes­tiert, muss der Ar­beit­neh­mer noch ein­mal im Be­trieb an­ru­fen.

Ein ärzt­li­ches At­test muss man gemäß § 5 Abs.1 Satz 2 EFZG erst dann vor­le­gen, wenn die Ar­beits­unfähig­keit länger als drei Ka­len­der­ta­ge dau­ert. Al­ler­dings gilt das nur im Re­gel­fall, d.h. so­lan­ge der Ar­beit­ge­ber nichts an­de­res an­ge­ord­net hat. Denn der Ar­beit­ge­ber kann ein At­test gemäß § 5 Abs.1 Satz 3 EFZG auch schon früher ver­lan­gen.

Frag­lich ist, ob er dies auch oh­ne je­de sach­li­che Be­gründung im Ein­zel­fall tun kann oder ob er für ein sol­ches Ver­lan­gen Gründe braucht. Da­von steht zwar nichts in § 5 Abs.1 Satz 3 EFZG, aber im­mer­hin ist die Vor­ga­be, bei ei­ner Krank­heit schon ab dem ers­ten Tag ein At­test vor­zu­le­gen, ei­ne Wei­sung, und die muss gemäß § 106 Ge­wer­be­ord­nung (Ge­wO) "nach bil­li­gem Er­mes­sen" er­teilt wer­den. Dar­aus könn­te man ab­lei­ten, dass die Auf­for­de­rung, ab dem ers­ten Krank­heits­tag ein At­test bei­zu­brin­gen, sach­lich be­gründet sein soll­te.

Der Streit­fall: Re­dak­teu­rin be­an­tragt oh­ne Er­folg für den 30. No­vem­ber ei­ne Dienst­rei­se - und mel­det sich dann für die­sen Tag krank

Im Streit­fall hat­te ei­ne 52jähri­ge Re­dak­teu­rin ei­ner Kölner Rund­funk­an­stalt mehr­fach um die Er­laub­nis ge­be­ten, am 30. No­vem­ber 2010 ei­ne Dienst­rei­se un­ter­neh­men zu können - oh­ne Er­folg. Dann mel­de­te sie sich für den 30. No­vem­ber 2010 krank. Ihr Vor­ge­setz­ter nahm das zum An­lass für die Bit­te, bei künf­ti­gen Krank­heitsfällen schon am ers­ten Tag der Krank­mel­dung ei­nen Arzt auf­zu­su­chen und ein At­test vor­zu­le­gen.

Die Re­dak­teu­rin woll­te sich das nicht ge­fal­len las­sen und ver­lang­te von der Rund­funk­an­stalt, die­se Auf­for­de­rung nach­voll­zieh­bar zu be­gründen oder zurück­zu­neh­men. Nach­dem die Rund­funk­an­stalt das nicht tun woll­te, zog die Re­dak­teu­rin vor das Ar­beits­ge­richt Köln und kla­ge auf Wi­der­ruf der An­wei­sung.

Mit die­ser Kla­ge hat­te sie we­der vor dem Ar­beits­ge­richt Köln (Ur­teil vom 03.05.2011, 8 Ca 2519/11 ) noch vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Köln Er­folg (LAG Köln, Ur­teil vom 14.09.2011, 3 Sa 597/11 - wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 11/253 Krank­heit: At­test für den ers­ten Krank­heits­tag).

Das LAG Köln be­gründe­te sein Ur­teil da­mit, dass § 5 EFZG ei­ne spe­zi­el­le Re­ge­lung für den Be­reich der Nach­weis­pflicht in der Ent­gelt­fort­zah­lung enthält, die den all­ge­mei­nen Be­stim­mun­gen zum Wei­sungs­recht in § 106 Ge­wer­be­ord­nung (Ge­wO) vor­geht. Die Auf­for­de­rung, ab dem ers­ten Tag ein At­test vor­zu­le­gen, ist da­her nicht auf ih­re An­ge­mes­sen­heit hin zu über­prüfen, so das LAG. Nur wenn ei­ne sol­che An­wei­sung aus­nahms­wei­se ein­mal willkürlich oder dis­kri­mi­nie­rend ist, kann der Ar­beit­neh­mer da­ge­gen vor­ge­hen.

BAG: Der Ar­beit­ge­ber kann je­der­zeit und oh­ne Be­gründung ver­lan­gen, dass ihm ab dem ers­ten Krank­heits­tag ein ärzt­li­ches At­test vor­ge­legt wird

Das BAG ent­schied eben­so wie die Vor­in­stan­zen, wo­mit die streit­lus­ti­ge Re­dak­teu­rin in al­len In­stan­zen den kürze­ren ge­zo­gen hat. Zur Be­gründung heißt es in der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mit­tei­lung des BAG:

Ob der Ar­beit­ge­ber vom Ar­beit­neh­mer ein At­test ab dem ers­ten Krank­heits­tag ver­langt oder nicht, steht in sei­nem Er­mes­sen, und die­ses Er­mes­sen ist "nicht ge­bun­den". Dem­zu­fol­ge braucht der Ar­beit­ge­ber kei­ner­lei "Sach­gründe", wenn er vom Ar­beit­neh­mer un­ter Ver­weis auf § 5 Abs.1 Satz 3 EFZG ab dem ers­ten Fehl­tag ei­ne ärzt­li­che Be­schei­ni­gung ver­langt.

Der Ent­schei­dung des BAG ist zu­zu­stim­men, da § 5 Abs.1 Satz 3 EFZG ei­ne Re­ge­lung ist, die ge­genüber dem all­ge­mein ge­hal­te­nen Pa­ra­gra­phen zum Wei­sungs­recht (§ 106 Ge­wO) spe­zi­el­ler ist und da­her ge­genüber den all­ge­mei­nen Leh­ren zum Wei­sungs­recht vor­ran­gig be­ach­tet wer­den muss.

Es wäre auch im Er­geb­nis we­nig sinn­voll, dem Ar­beit­ge­ber Be­gründungs­pflich­ten für die Ausübung ei­nes ge­setz­li­chen Rechts auf­zu­er­le­gen, das für den Ar­beit­neh­mer mit kei­nen be­son­de­ren Be­las­tun­gen ver­bun­den ist. Wer nicht zur Ar­beit kommt, weil er krank ist, mag sich das vom Arzt be­schei­ni­gen las­sen. Für den Arzt­be­such müssen ge­setz­lich kran­ken­ver­si­cher­te Ar­beit­neh­mer nichts be­zah­len, und wer pri­vat ver­si­chert ist, mag mit den ggf. an­fal­len­den Selbst­be­halts-Kos­ten le­ben.

Fa­zit: Der Ar­beit­ge­ber muss ei­ne Auf­for­de­rung gemäß § 5 Abs.1 Satz 3 EFZG nicht be­gründen. Ins­be­son­de­re braucht er kei­ne An­halts­punk­te dafür, dass sich der Ar­beit­neh­mer in Ver­gan­gen­heit ein­mal rechts­miss­bräuch­lich krank­ge­mel­det hat.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BAG sei­ne Ent­schei­dungs­gründe veröffent­licht. Das vollständig be­gründe­te Ur­teil des BAG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 16. November 2020

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