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ARBEITSRECHT AKTUELL // 14/078

Kün­di­gung we­gen Ne­ben­tä­tig­keit trotz Krank­heit

Klei­ne­re Ne­ben­jobs ge­fähr­den die Hei­lung kaum, so dass ei­ne frist­lo­se Kün­di­gung we­gen ge­ne­sungs­wid­ri­gen Ver­hal­tens un­zu­läs­sig ist: Lan­des­ar­beits­ge­richt Köln, Ur­teil vom 16.10.2013, 11 Sa 915/12
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU), Krankschreibung, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall Ar­beit­ge­ber se­hen ih­re er­krank­ten Mit­ar­bei­ter am liebs­ten im Bett

08.03.2014. Ist man als Ar­beit­neh­mer ar­beits­un­fä­hig krank und hat ein ärzt­li­ches At­test ein­ge­reicht, kann man vom Ar­beit­ge­ber Ent­gelt­fort­zah­lung im Krank­heits­fall ver­lan­gen.

Im Ge­gen­zug müs­sen Ar­beit­neh­mer al­les un­ter­las­sen, was die Ge­ne­sung ver­zö­gern könn­te, d.h. sie müs­sen an der Wie­der­her­stel­lung ih­rer Ge­sund­heit mit­wir­ken.

Ver­sto­ßen Ar­beit­neh­mer wäh­rend ei­ner Krank­schrei­bung ge­gen die Pflicht, sich "ge­ne­sungs­för­der­lich" zu ver­hal­ten, ris­kie­ren sie ei­ne ver­hal­tens­be­ding­te Kün­di­gung. Für ei­ne frist­lo­se Kün­di­gung reicht ein ge­ring­fü­gi­ger Ne­ben­job aber nicht aus: Lan­des­ar­beits­ge­richt Köln, Ur­teil vom 16.10.2013, 11 Sa 915/12.

Darf man während ei­ner Krank­schrei­bung ei­nen Ne­ben­job ausüben, von dem der Ar­beit­ge­ber nichts weiß?

Nein, in der Re­gel nicht, aber das hat mit dem The­ma Krank­heit erst ein­mal nichts zu tun. Die meis­ten Ar­beits­verträge se­hen in punc­to Ne­ben­job nämlich vor, dass der Ar­beit­neh­mer sei­nen Ar­beit­ge­ber über je­de Ne­bentätig­keit vor­ab in­for­mie­ren und sei­ne Zu­stim­mung ein­ho­len muss.

Aber auch dann, wenn ei­ne Ne­bentätig­keits­er­laub­nis be­steht, re­agie­ren Ar­beit­ge­ber sau­er, wenn sie er­fah­ren, dass ein krank­ge­schrie­be­ner Ar­beit­neh­mer wo­an­ders ar­bei­tet. Dann wer­den meist zwei Vorwürfe er­ho­ben:

Ers­tens: Der krank­ge­schrie­be­ne Ar­beit­neh­mer hat sei­ne Krank­heit nur vor­getäuscht und be­geht da­her ei­nen Be­trug. Denn da er ja wo­an­ders ar­bei­tet, ist er of­fen­bar gar nicht krank.

Zwei­tens: Soll­te der Ar­beit­neh­mer da­ge­gen wirk­lich krank sein, verhält er sich nicht "ge­ne­sungsfördernd", d.h. er un­terlässt nicht al­les, was sei­ne Ge­ne­sung verzögert. Da­mit verstößt er ge­gen sei­ne Pflicht, an ei­ner ra­schen Hei­lung mit­zu­wir­ken.

Kommt es zur (frist­lo­sen) Kündi­gung und zu ei­ner an­sch­ließen­den Kündi­gungs­schutz­kla­ge, muss das Ge­richt erst ein­mal klären, ob die Ne­bentätig­keit so an­stren­gend war, dass sie den Be­weis­wert der ärzt­li­chen Krank­schrei­bung erschüttert hat. Dann muss über die Ar­beits­unfähig­keit vor Ge­richt Be­weis er­ho­ben wer­den, wo­bei die be­han­deln­den Ärz­te als Zeu­gen gehört wer­den. Stellt sich her­aus, dass der Ar­beit­neh­mer wirk­lich krank war, ist der Vor­wurf des Vortäuschens ei­ner Ar­beits­unfähig­keit vom Tisch.

Aber auch ein ge­ne­sungs­wid­ri­ges Ver­hal­ten kann ei­ne Kündi­gung nach sich zie­hen. Al­ler­dings sind nicht al­le Ne­ben­jobs ge­ne­sungs­wid­rig, und auch ge­ne­sungs­wid­ri­ge Ne­ben­jobs recht­fer­ti­gen nicht im­mer ei­ne frist­lo­se Kündi­gung.

Der Fall des LAG Köln: Ver­sand­hel­fer hilft trotz Leis­ten­bruchs und Erkältung ne­ben­her beim Trans­port von Zei­tungs­pa­ke­ten aus

Im Streit­fall war ein zehn Jah­re beschäftig­ter Ver­sand­hel­fer ab Mit­te Ja­nu­ar 2012 krank­ge­schrie­ben und wur­de An­fang Fe­bru­ar 2012 we­gen ei­nes Leis­ten­bruchs an der rech­ten Leis­te ope­riert. Trotz der Krank­schrei­bung half er spät abends für ei­ne St­un­de beim Ver­la­den von Zei­tungs­pa­ke­ten aus.

Der Ar­beit­ge­ber er­fuhr da­von und erklärte ei­ne außer­or­dent­li­che und frist­lo­se Kündi­gung we­gen an­geb­li­chen Vortäuschens ei­ner Ar­beits­unfähig­keit, hilfs­wei­se we­gen des drin­gen­den Ver­dachts ei­nes sol­chen Be­trugs (Ver­dachtskündi­gung). In je­dem Fall, so der Ar­beit­ge­ber, war er zur frist­lo­sen Ent­las­sung be­rech­tigt, weil der Ar­beit­neh­mer sich ge­ne­sungs­wid­rig ver­hal­ten hat­te. Ei­ni­ge Ta­ge schob der Ar­beit­ge­ber we­gen die­ser Vorwürfe ei­ne or­dent­li­che ver­hal­tens­be­ding­te Kündi­gung nach.

Da­ge­gen er­hob der Ver­sand­hel­fer Kündi­gungs­schutz­kla­ge und hat­te vor dem Ar­beits­ge­richt Köln Er­folg (Ar­beits­ge­richt Köln, Ur­teil vom 10.08.2012, 1 Ca1510/12). Das Ge­richt mein­te, dass der strei­ti­ge Ne­ben­job kein Grund für die An­nah­me sei, der Ar­beit­neh­mer hätte die Krank­heit nur vor­getäuscht. Dar­auf­hin leg­te der Ar­beit­ge­ber Be­ru­fung zum Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Köln ein.

LAG Köln: Klei­ne­re Ne­ben­jobs gefähr­den die Hei­lung kaum, so dass ei­ne frist­lo­se Kündi­gung we­gen ge­ne­sungs­wid­ri­gen Ver­hal­tens un­zulässig ist

Auch das LAG ent­schied ge­gen den Ar­beit­ge­ber. Sei­ner Mei­nung nach wa­ren al­le Kündi­gun­gen un­wirk­sam.

Denn ob­wohl der Be­weis­wert der Krank­schrei­bun­gen hier im Streit­fall erschüttert war, er­gab die Zeu­gen­ein­ver­nah­me der be­han­deln­den Ärz­te vor dem LAG, dass der Ver­sand­hel­fer we­gen ei­nes Leis­ten­bruchs und ei­ner Erkältung tatsächlich (ob­jek­tiv) ar­beits­unfähig war. Ein Be­trug oder Be­trugs­ver­such in Form des Vortäuschens ei­ner Ar­beits­unfähig­keit lag da­her nicht vor.

Da­her hätten die Kündi­gun­gen nur auf den Vor­wurf des ge­ne­sungs­wid­ri­gen Ver­hal­tens gestützt wer­den können. Hier hat­te der Ver­sand­hel­fer zwar ei­nen Pflicht­ver­s­toß be­gan­gen, aber kei­nen schwer­wie­gen­den. Denn die Ne­bentätig­keit war zeit­lich ge­ringfügig (et­wa ei­ne St­un­de), und sie führ­te auch nicht zu ei­ner Verzöge­rung der Hei­lung, da der Ar­beit­neh­mer so oder so erst durch die Leis­ten-OP An­fang Fe­bru­ar ge­sund wer­den konn­te. Für ei­ne außer­or­dent­li­che und frist­lo­se Kündi­gung war das zu we­nig.

Al­so hätte der Ar­beit­ge­ber nur mit der nach­ge­scho­be­nen or­dent­li­chen ver­hal­tens­be­ding­ten Kündi­gung Er­folg ha­ben können. Die­se Kündi­gung schei­ter­te aber dar­an, dass der Ar­beit­neh­mer nicht zu­vor be­reits ein­schlägig ab­ge­mahnt wor­den war. Im Er­geb­nis hätte der trotz der Krank­schrei­bung aus­geübte (klei­ne) Ne­ben­job nur für ei­ne Ab­mah­nung ge­reicht.

Fa­zit: Ist der Be­weis­wert ei­ner ärzt­li­chen Krank­schrei­bung durch ei­nen Ne­ben­job erschüttert, muss das Ge­richt erst ein­mal die Ärz­te als Zeu­gen ver­neh­men (LAG Rhein­land-Pfalz, Ur­teil vom 06.06.2013, 10 Sa 17/13 - wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 13/171 Frist­lo­se Kündi­gung we­gen Täuschung über Krank­heit). Dar­an hat sich LAG Köln ge­hal­ten und ei­ne ob­jek­tiv be­ste­hen­de Ar­beits­unfähig­keit fest­ge­stellt.

Auf die­ser Grund­la­ge ist im nächs­ten Schritt zu prüfen, ob die Ne­bentätig­keit so an­stren­gend und zeit­in­ten­siv ist, dass sie ei­ne schwer­wie­gen­de Ver­let­zung der Pflicht zum ge­ne­sungsfördern­den Ver­hal­ten dar­stellt. Fälle die­ser Art sind sel­ten. Ei­nen hat vor kur­zem das LAG Rhein­land-Pfalz mit Ur­teil vom 11.07.2013 (10 Sa 100/13) ent­schie­den (wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 13/229 Frist­lo­se Kündi­gung we­gen Ar­beit trotz Krank­schrei­bung).

Im Nor­mal­fall gilt: Über Ne­ben­jobs während der Dau­er ei­ner me­di­zi­nisch kor­rek­ten Krank­schrei­bung kann sich der Ar­beit­ge­ber ärgern, und er kann ei­ne Ab­mah­nung aus­spre­chen. Kündi­gun­gen sind da­ge­gen meist un­wirk­sam.

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Letzte Überarbeitung: 16. November 2020

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