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Ent­gelt­fort­zah­lung bei neu­er Erst­be­schei­ni­gung

Lie­gen zwi­schen zwei Krank­heits­zei­ten nur ein frei­er Tag oder ein Wo­chen­en­de, en­det die Ent­gelt­fort­zah­lung in der Re­gel nach sechs Wo­chen: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 11.12.2019, 5 AZR 505/18
Krankheit, Arbeitsunfähig krankgeschrieben, Grippewelle, Krankenstand

07.07.2020. Im Krank­heits­fall muss der Ar­beits­ge­ber dem Ar­beits­neh­mer den Lohn für ma­xi­mal sechs Wo­chen fort­zah­len.

Folgt auf ei­ne sechs­wö­chi­ge Krank­heit ei­ne zwei­te - an­de­re - Krank­heit, gin­gen die Ar­beits­ge­rich­te bis­her von zwei ver­schie­de­nen "Ver­hin­de­rungs­fäl­len" aus, d.h. die zwei­te Krank­heit lös­te ei­ne wei­te­re Pflicht zur Ent­gelt­fort­zah­lung aus, wie­der­um bis zur Höchst­dau­er von sechs Wo­chen. Vor­aus­ge­setzt war da­bei nur, dass die wei­te­re Er­kran­kung von ei­nem an­de­ren Arzt als sog. "neue Erst­be­schei­ni­gung" at­tes­tiert wur­de.

An die­ser Stel­le hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) in ei­nem Grund­satz­ur­teil die Be­weis­last zu­las­ten der Ar­beit­neh­mer­sei­te ver­scho­ben und da­mit sei­ne Recht­spre­chung zu Ent­gelt­fort­zah­lung er­heb­lich ge­än­dert:

Lie­gen zwi­schen zwei Krank­heits­zei­ten nur ein frei­er Tag oder ein Wo­chen­en­de, ist in der Re­gel von ei­nem ein­heit­li­chen Ver­hin­de­rungs­fall aus­zu­ge­hen: BAG, Ur­teil vom 11.12.2019, 5 AZR 505/18

Wann bil­den Erst- und Fol­ge­er­kran­kung ei­nen "ein­heit­li­chen Ver­hin­de­rungs­fall"?

Bis­her konn­ten Ar­beit­neh­mer nach sechs Wo­chen Ent­gelt­fort­zah­lung im Krank­heits­fall (z.B. we­gen Rücken­lei­dens) trotz der ge­setz­li­chen Höchst­gren­ze (§ 3 Abs.1 Satz 1 Ent­gelt­fort­zah­lungs­ge­setz - EFZG)) durch ei­ne „neue Erst­be­schei­ni­gung“ über ei­ne an­de­re Krank­heit (z.B. über ei­ne psy­chi­sche Er­kran­kung) ei­ne wei­te­re Ent­gelt­fort­zah­lung durch­set­zen.

Denn dann gin­gen die Ge­rich­te bis­her von zwei ge­trenn­ten Krank­hei­ten aus, d.h. es lag kein "ein­heit­li­cher Ver­hin­de­rungs­fall" vor. Denn dafür hätte der Ar­beit­ge­ber be­wei­sen müssen, dass sich die Krank­heits­zei­ten über­schnit­ten ha­ben. Mit die­sem Nach­wei­se schei­ter­ten Ar­beit­ge­ber meist, denn ei­ne Über­schnei­dung er­gibt sich we­der aus den At­tes­ten über die ers­te Er­kran­kung noch aus den At­tes­ten über die zwei­te.

Völlig un­be­zwei­fel­bar war der An­spruch auf wei­te­re Ent­gelt­fort­zah­lung, wenn zwi­schen Erst- und Zwei­ter­kran­kung ein oder zwei Ka­len­der­ta­ge oh­ne Krank­schrei­bung la­gen. Das ist z.B. der Fall, wenn die ers­te Krank­heit laut At­test an ei­nem Frei­tag en­det und die wei­te­re (an­de­re) Krank­heit laut At­test ei­nes an­de­ren Arz­tes ("neu Erst­be­schei­ni­gung") am nächs­ten Mon­tag be­ginnt.

Die­se Recht­spre­chung hat das BAG mit Ur­teil vom 11.12.2019 (5 AZR 505/18) über Bord ge­wor­fen.

Der Fall des BAG: Al­ten­pfle­ge­rin ist vor und nach ei­ner OP für länger Zeit psy­chisch er­krankt

Im Streit­fall war ei­ne Al­ten­pfle­ge­rin für drei­ein­halb Mo­na­te we­gen ei­nes psy­chi­schen Lei­dens er­krankt. Sie be­kam für sechs Wo­chen Ent­gelt­fort­zah­lung und da­nach Kran­ken­geld.

Am letz­ten Tag der be­schei­nig­ten psy­chi­schen Er­kran­kung (18.05.2017) at­tes­tier­te ihr ei­ne Frau­enärz­tin durch ei­ne Erst­be­schei­ni­gung ei­ne wei­te­re Ar­beits­unfähig­keit (AU), da sich die Pfle­ge­rin am nächs­ten Tag ei­ner gynäko­lo­gi­schen Ope­ra­ti­on un­ter­zie­hen muss­te. Die da­durch be­ding­te AU dau­er­te bis zum 30.06.2017. Im An­schluss dar­an, im Ju­li 2017, nahm die Pfle­ge­rin Ur­laub und Frei­zeit­aus­gleich und be­gann mit ei­ner Psy­cho­the­ra­pie. En­de Ju­li 2017 en­de­te das Ar­beits­verhält­nis.

Die Al­ten­pfle­ge­rin klag­te we­gen der gynäko­lo­gi­schen AU Ent­gelt­fort­zah­lung im Krank­heits­fall ein. Das Ar­beits­ge­richt Han­no­ver gab ihr Recht (Ur­teil vom 07.03.2018, 11 Ca 378/17), während das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Nie­der­sach­sen die Kla­ge ab­wies.

Denn nach Be­fra­gung der be­han­deln­den Ärz­te als Zeu­gen war das LAG da­von über­zeugt, dass die psy­chi­sche Er­kran­kung nicht schon bei Be­ginn der gynäko­lo­gi­schen Krank­schrei­bung aus­ge­heilt war. Da­her be­stand ein ein­heit­li­cher Ver­hin­de­rungs­fall und der Ar­beit­ge­ber muss­te kei­ne wei­te­re Ent­gelt­fort­zah­lung leis­ten (LAG Nie­der­sach­sen, Ur­teil vom 26. Sep­tem­ber 2018 - 7 Sa 336/18).

BAG: Lie­gen zwi­schen zwei Krank­hei­ten nur ein frei­er Tag oder ein Wo­chen­en­de, en­det die Ent­gelt­fort­zah­lung nach sechs Wo­chen

Auch vor dem BAG hat­te die Pfle­ge­rin kei­nen Er­folg. Das BAG wies ih­re Re­vi­si­on zurück. In Leit­satz 2.) des BAG-Ur­teils heißt es:

„Ein ein­heit­li­cher Ver­hin­de­rungs­fall ist re­gelmäßig hin­rei­chend in­di­ziert, wenn zwi­schen ei­ner >ers­ten< krank­heits­be­ding­ten Ar­beits­unfähig­keit und ei­ner dem Ar­beit­neh­mer im We­ge der >Erst­be­schei­ni­gung< at­tes­tier­ten wei­te­ren Ar­beits­unfähig­keit ein en­ger zeit­li­cher Zu­sam­men­hang be­steht. Hier­von ist aus­zu­ge­hen, wenn die be­schei­nig­ten Ar­beits­ver­hin­de­run­gen zeit­lich ent­we­der un­mit­tel­bar auf­ein­an­der­fol­gen oder zwi­schen ih­nen le­dig­lich ein für den er­krank­ten Ar­beit­neh­mer ar­beits­frei­er Tag oder ein ar­beits­frei­es Wo­chen­en­de liegt.“

Das war hier der Fall, d.h. ein ein­heit­li­cher Ver­hin­de­rungs­fall war in­di­ziert, weil die gynäko­lo­gi­sche Krank­schrei­bung schon am letz­ten Tag der psy­cho­lo­gi­schen AU (18.05.2017) aus­ge­stellt wor­den war (Ur­teil, Rn.23).

Da­her hätte die Pfle­ge­rin nach­wei­sen müssen, dass ih­re psy­chi­sche Er­kran­kung ex­akt mit Ab­lauf des 18.05.2017 ge­en­det hat­te (Ur­teil, Rn.24-26). So ge­nau woll­ten sich die als Zeu­gen ver­nom­me­nen Ärz­te aber (natürlich) nicht fest­le­gen.

Fa­zit: Gibt es ei­nen en­gen zeit­li­chen Zu­sam­men­hang zwi­schen ei­ner ers­ten AU und ei­ner wei­te­ren, die durch ei­ne neue Erst­be­schei­ni­gung be­legt ist, muss künf­tig der Ar­beit­neh­mer be­wei­sen, dass kein ein­heit­li­cher Ver­hin­de­rungs­fall vor­ge­le­gen hat. Oh­ne deut­li­chen Puf­fer zwi­schen den ver­schie­de­nen Er­kran­kun­gen nützt ei­ne neue Erst­be­schei­ni­gung al­so künf­tig nichts mehr.

Ein sol­cher en­ger Zu­sam­men­hang liegt vor,

  • wenn die zwei­te Krank­heit un­mit­tel­bar auf die ers­te folgt, oder
  • wenn zwi­schen den Krank­hei­ten nur ein ar­beits­frei­er Tag oder ein ar­beits­frei­es Wo­chen­en­de lie­gen.

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Letzte Überarbeitung: 26. Mai 2022

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