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BAG, Be­schluss vom 16.05.2007, 7 ABR 63/06

   
Schlagworte: Konzernbetriebsrat, Betriebsrat, Konzernspitze im Ausland
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 7 ABR 63/06
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 16.05.2007
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Hamburg, Beschluss vom 19.07.2006, 18 BV 11/06
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

7 ABR 63/06

18 BV 11/06
Ar­beits­ge­richt
Ham­burg

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am
16. Mai 2007

BESCHLUSS

Schie­ge, Ur­kunds­be­am­ter
der Geschäfts­stel­le

In dem Be­schluss­ver­fah­ren

mit den Be­tei­lig­ten

[...]


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[...]

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[…]

hat der Sieb­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf Grund der Be­ra­tung vom 16. Mai 2007 durch den Vi­ze­präsi­den­ten des Bun­des­ar­beits­ge­richts Dörner, die Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Gräfl, den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Koch so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Hoff­mann und Schil­ler für Recht er­kannt:

Auf die Sprung­rechts­be­schwer­den der S mbH, der V Ser­vices GmbH, der B GmbH und Co., der H GmbH so­wie der Su GmbH wird der Be­schluss des Ar­beits­ge­richts Ham­burg vom 19. Ju­li 2006 - 18 BV 11/06 - teil­wei­se auf­ge­ho­ben, so­weit er den An­trag der S mbH (Be­tei­lig­te zu 1)) zurück­ge­wie­sen und dem Ge­ge­n­an­trag zu 1. des Kon­zern­be­triebs­rats so­wie der Be­triebsräte der S mbH, der H GmbH und der Su GmbH ent­spro­chen hat.

Es wird fest­ge­stellt, dass ein Kon­zern­be­triebs­rat für die Un­ter­neh­men V Ser­vices GmbH, S mbH, B GmbH und Co., H GmbH und Su GmbH nicht wirk­sam er­rich­tet wor­den ist.

Die Ge­gen­anträge des Kon­zern­be­triebs­rats so­wie der Be­triebs­räte der S mbH, der H GmbH und der Su GmbH aus der An­trags­schrift vom 23. Mai 2006 wer­den als un­zulässig zurück­ge­wie­sen.


Von Rechts we­gen!

 

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Gründe

A. Die Be­tei­lig­ten strei­ten über die Fra­ge, ob der zu 3) be­tei­lig­te Kon­zern­be­triebs­rat wirk­sam er­rich­tet wor­den ist. 
Die zu 1), 4), 6), 7) und 9) be­tei­lig­ten Ar­beit­ge­be­rin­nen sind im Bun­des­ge­biet ansässi­ge Ein­zel­han­dels­un­ter­neh­men im Be­reich von Bahnhöfen und Flughäfen. Ge­sell­schaf­te­rin der in der Rechts­form der GmbH ver­fass­ten Ar­beit­ge­be­rin­nen ist die V AG mit Sitz in der Schweiz. Wei­te­re Ein­zel­hei­ten über die Be­tei­li­gungs­verhält­nis­se sind nicht fest­ge­stellt. In den Un­ter­neh­men der be­tei­lig­ten Ar­beit­ge­be­rin­nen sind die zu 2), 5), 8), 10) so­wie zu 11) - 13) be­tei­lig­ten Be­triebsräte ge­bil­det. 2
Der zu 2) be­tei­lig­te Be­triebs­rat der zu 1) be­tei­lig­ten Ar­beit­ge­be­rin be­schloss am 16. No­vem­ber 2004 und am 21. Ju­ni 2005 die Er­rich­tung ei­nes Kon­zern­be­triebs­rats. Die zu 5), 8) und 10) be­tei­lig­ten Be­triebsräte fass­ten ent­spre­chen­de Be­schlüsse, wo­bei der Zeit­punkt der Be­schluss­fas­sung nicht fest­ge­stellt ist. Der auf Grund der zwei­ten Be­schluss­fas­sung im Jahr 2005 ge­bil­de­te Kon­zern­be­triebs­rat kon­sti­tu­ier­te sich in der Sit­zung am 21. Ju­ni 2005. In der Fol­ge­zeit ver­lang­te der Kon­zern­be­triebs­rat von der zu 1) be­tei­lig­ten Ar­beit­ge­be­rin ua. Aus­kunft über die Adres­sen al­ler Ar­beitsplätze des Kon­zerns. Fer­ner mach­ten sei­ne Mit­glie­der Schu­lungs- und Rei­se­kos­ten gel­tend. 3
Die zu 1) be­tei­lig­te Ar­beit­ge­be­rin lehn­te die Ansprüche ab und lei­te­te das vor­ lie­gen­de Be­schluss­ver­fah­ren ein. Sie hat be­an­tragt,

1. fest­zu­stel­len, dass ein Kon­zern­be­triebs­rat für die Un­ter­neh­men V Ser­vices GmbH, S mbH, B GmbH & Co, H GmbH und Su GmbH nicht wirk­sam er­rich­tet wor­den ist,

2. fest­zu­stel­len, dass ein Kon­zern­be­triebs­rat für die Un­ter­neh­men V Ser­vices GmbH, S mbH, B GmbH & Co, H GmbH und Su GmbH nicht er­rich­tet wer­den kann, so­lan­ge der Kon­zern, dem die­se Un­ter­neh­men an­gehören, nicht über ei­ne inländi­sche Kon­zer­no­ber­ge­sell­schaft oder ei­ne inländi­sche Teil­kon­zern­spit­ze verfügt.

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Der Kon­zern­be­triebs­rat und die zu 2), 8) und 10) be­tei­lig­ten Be­triebsräte ha­ben be­an­tragt, die Anträge zurück­zu­wei­sen. Sie ha­ben ih­rer­seits be­an­tragt,

1. fest­zu­stel­len, dass sich ein Kon­zern­be­triebs­rat für die

Un­ter­neh­men V Ser­vices GmbH, S mbH, B GmbH & Co, H GmbH und Su GmbH mit sei­ner ers­ten Sit­zung vom 21. Ju­ni 2005 wirk­sam kon­sti­tu­iert hat,

hilfs­wei­se

 

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2. fest­zu­stel­len, dass ein Kon­zern­be­triebs­rat für die Un­ter-

neh­men V Ser­vices GmbH, S mbH, B GmbH & Co, H GmbH und Su GmbH auch er­rich­tet wer­den kann, wenn der Kon­zern, dem die­se Un­ter­neh­men an­gehören, nicht über ei­ne inländi­sche Kon­zer­no­ber­ge­sell­schaft oder ei­ne inländi­sche Teil­kon­zern­spit­ze verfügt.

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Das Ar­beits­ge­richt hat den von der zu 1) be­tei­lig­ten Ar­beit­ge­be­rin ge­stell­ten An­trag zu 1. zurück­ge­wie­sen, ih­ren An­trag zu 2. als „un­zulässig ver­wor­fen“ und dem zu 1. ge­stell­ten Ge­gen­an­trag des Kon­zern­be­triebs­rats und der zu 2), 8) und 10) be­tei­lig­ten Be­triebsräte ent­spro­chen. Hier­ge­gen rich­ten sich die vom Ar­beits­ge­richt in dem verkünde­ten Te­nor sei­ner Ent­schei­dung zu­ge­las­se­nen Sprung­rechts­be­schwer­den der be­tei­lig­ten Ar­beit­ge­be­rin­nen, mit der sie nur noch den zu 1. ge­stell­ten An­trag wei­ter ver­fol­gen. Der Kon­zern­be­triebs­rat und die erst­in­stanz­lich am Ver­fah­ren be­tei­lig­ten Be­triebsräte zu 2), 5), 8) und 10) ha­ben der Durchführung der Sprung­rechts­be­schwer­de zu­ge­stimmt. Der Se­nat hat in der Rechts­be­schwer­de­instanz zusätz­lich die bei der zu 6) be­tei­lig­ten Ar­beit­ge­be­rin ge­bil­de­ten Be­triebsräte zu 11) - 13) be­tei­ligt. 6
B. Die zulässi­gen Sprung­rechts­be­schwer­den der Ar­beit­ge­be­rin­nen sind be­grün­det. Das Ar­beits­ge­richt hat den auf die un­wirk­sa­me Er­rich­tung des Kon­zern­be­triebs­rats ge­rich­te­ten Fest­stel­lungs­an­trag zu Un­recht ab­ge­wie­sen und dem Haupt­ge­gen­an­trag des Kon­zern­be­triebs­rats und der zu 2), 8) und 10) be­tei­lig­ten Be­triebsräte zu Un­recht ent­spro­chen. Für die Un­ter­neh­men der Ar­beit­ge­be­rin­nen kann ein Kon­zern­be­triebs­rat nicht er­rich­tet wer­den, da die von den Be­triebsräten als Kon­zer­no­ber­ge­sell­schaft an­ge­se­he­ne Ge­sell­schaft ih­ren Sitz nicht im In­land hat und ei­ne an­der­wei­ti­ge Kon­zern­spit­ze im In­land nicht be­steht. Die Ge­gen­anträge des Kon­zern­be­triebs­rats und der zu 2), 8) und 10) be­tei­lig­ten Be­triebsräte sind un­zulässig. 7

I. Die Sprung­rechts­be­schwer­den der Ar­beit­ge­be­rin­nen sind zulässig. Nach § 96a ArbGG kann ge­gen ei­nen das Ver­fah­ren be­en­den­den Be­schluss des Ar­beits­ge­richts un­mit­tel­bar Rechts­be­schwer­de beim Bun­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­legt wer­den. Vor­aus­set­zung ist, dass das Ar­beits­ge­richt die­se auf An­trag zu­ge­las­sen hat und die übri­gen Be­tei­lig­ten zu­stim­men. Ei­ne Be­gren­zung auf Strei­tig­kei­ten be­son­de­rer Art fin­det - an­ders als nach § 76 Abs. 2 ArbGG bei der Sprung­re­vi­si­on - nicht statt. Ist die Zu­las­sung in dem ver­fah­rens­be­en­den­den Be­schluss des Ar­beits­ge­richts selbst er­folgt, sind die Zu­stim­mungs­erklärun­gen der Be­tei­lig­ten der Rechts­be­schwer­de­schrift bei­zu­fügen. Aus­weis­lich der Sit­zungs­nie­der­schrift vom 19. Ju­li 2006 ha­ben al­le Be­tei­lig­ten um die Zu­las­sung der Sprung­rechts­be­schwer­de ge­be­ten. Dem hat das Ar­beits­ge­richt

 

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ent­spro­chen. Den Rechts­be­schwer­den der Ar­beit­ge­be­rin­nen war die Zu­stim­mungser­klärung der erst­in­stanz­lich am Ver­fah­ren be­tei­lig­ten Be­triebsräte so­wie des Kon­zern­be­triebs­rats bei­gefügt. Das genügt den ge­setz­li­chen An­for­de­run­gen. Die Sprung­rechts-be­schwer­den sind auch nicht des­halb un­zulässig, weil die in der Rechts­be­schwer­dein-stanz zu 11) - 13) erst­mals be­tei­lig­ten Be­triebsräte der Ein­le­gung der Sprung­rechts­be-schwer­de nicht zu­ge­stimmt ha­ben. Die nach § 96a Abs. 1 ArbGG er­for­der­li­che Zu­stim­mung der übri­gen Be­tei­lig­ten be­trifft nur die vom Ar­beits­ge­richt als Be­tei­lig­ten hin­zu­ge­zo­ge­nen Per­so­nen und Stel­len (Ger­mel­mann/Mat­thes/Prütting/ Müller-Glöge/Mat­thes ArbGG 5. Aufl. § 96a Rn. 8; GK-ArbGG/Mi­kosch Stand März 2007 § 96a Rn. 13).

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II. Der die wirk­sa­me Er­rich­tung des Kon­zern­be­triebs­rat leug­nen­de Fest­s­tel­lungs­an­trag der Ar­beit­ge­be­rin­nen ist zulässig, während der vom Kon­zern­be­triebs­rat und den zu 2), 8) und 10) be­tei­lig­ten Be­triebsräten ge­stell­te Ge­gen­an­trag zu 1. un­zu­lässig ist. 9
1. Der Kon­zern­be­triebs­rat und die in den Un­ter­neh­men der an­trag­stel­len­den Ar­beit­ge­be­rin­nen ge­bil­de­ten Be­triebsräte sind am Ver­fah­ren be­tei­ligt. 10
Nach § 83 Abs. 3 ArbGG ha­ben in ei­nem Be­schluss­ver­fah­ren ne­ben dem An­trag­stel­ler die­je­ni­gen Stel­len ein Recht auf Anhörung, die nach dem Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz im ein­zel­nen Fall be­tei­ligt sind. Be­tei­lig­te in An­ge­le­gen­hei­ten des Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­set­zes ist je­de Stel­le, die durch die be­gehr­te Ent­schei­dung in ih­rer be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Rechts­stel­lung un­mit­tel­bar be­trof­fen ist (BAG 28. März 2006 - 1 ABR 59/04 - AP Be­trVG 1972 § 87 Lohn­ge­stal­tung Nr. 128 = EzA ArbGG 1979 § 83 Nr. 10, zu B I 1 der Gründe mwN). Dies hat das Ge­richt von Amts we­gen auch noch in der Rechts­be­schwer­de­instanz zu be­ach­ten. 11

Da­nach sind nicht nur der Kon­zern­be­triebs­rat, über des­sen rechtmäßige Er­rich­tung zwi­schen den Be­tei­lig­ten un­ter­schied­li­che Auf­fas­sun­gen be­ste­hen, son­dern auch al­le in den Un­ter­neh­men der Ar­beit­ge­be­rin­nen be­ste­hen­den Be­triebsräte am Ver­fah­ren be­tei­ligt. Die zu 2), 5), 8) und 10) be­tei­lig­ten Be­triebsräte wären bei ei­ner wirk­sa­men Er­rich­tung des Kon­zern­be­triebs­rats zur Ent­sen­dung von Mit­glie­dern in den Kon­zern­be­triebs­rat be­rech­tigt. Auch die erst in der Rechts­be­schwer­de­instanz zu 11) - 13) be­tei­lig­ten Be­triebsräte der zu 6) be­tei­lig­ten Ar­beit­ge­be­rin wer­den durch die Ent­schei­dung in ih­rer be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Rechts­stel­lung be­trof­fen. Nach § 55 Abs. 1 Satz 1, § 54 Abs. 2 Be­trVG steht ih­nen zwar ein Ent­sen­dungs­recht in den Kon-

 

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zern­be­triebs­rat nicht zu. Je­doch tre­ten bei der wirk­sa­men Er­rich­tung ei­nes Kon­zern­be­triebs­rats Kom­pe­tenz­ver­schie­bun­gen bei der be­trieb­li­chen Mit­be­stim­mung ein, die auch von ih­nen be­ach­tet wer­den müssen.

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Die un­ter­las­se­ne Be­tei­li­gung der zu 11) - 13) be­tei­lig­ten Be­triebsräte konn­te in der Rechts­be­schwer­de­instanz von Amts we­gen nach­ge­holt wer­den. Da de­ren un­ter­blie­be­ne Be­tei­li­gung nicht gerügt wur­de, ist der Ver­fah­rens­feh­ler des Ar­beits­ge­richts für die Über­prüfung des an­ge­foch­te­nen Be­schlus­ses oh­ne Be­deu­tung. 13
2. Die Ar­beit­ge­be­rin­nen sind hin­sicht­lich der be­gehr­ten Fest­stel­lung an­trags­be­fugt. Sie ver­fol­gen mit ih­rem die wirk­sa­me Er­rich­tung des Kon­zern­be­triebs­rats leug­nen­den Fest­stel­lungs­an­trag ein ei­ge­nes be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­ches Recht. 14
3. Für den An­trag der Ar­beit­ge­be­rin­nen be­steht das nach § 256 Abs. 1 ZPO er­for­der­li­che Fest­stel­lungs­in­ter­es­se, während der vom Kon­zern­be­triebs­rat und den zu 2), 8) und 10) be­tei­lig­ten Be­triebsräten als Ge­gen­an­trag zu 1. ge­stell­te Fest­stel­lungs­an­trag un­zulässig ist. 15
Das be­son­de­re Fest­stel­lungs­in­ter­es­se für den ne­ga­ti­ven Fest­stel­lungs­an­trag der Ar­beit­ge­be­rin­nen folgt aus den un­ter­schied­li­chen Auf­fas­sun­gen der Be­tei­lig­ten über das Vor­lie­gen der Vor­aus­set­zun­gen für die Er­rich­tung ei­nes Kon­zern­be­triebs­rats. Die­ser Streit wird durch den An­trag der Ar­beit­ge­be­rin­nen ei­ner um­fas­sen­den Klärung zu­geführt. Das Fest­stel­lungs­in­ter­es­se für ih­ren An­trag ist auch nicht des­halb ent­fal­len, weil der Kon­zern­be­triebs­rat und die zu 2), 8) und 10) be­tei­lig­ten Be­triebsräte mit Schrift­satz vom 23. Mai 2006 ei­nen auf die wirk­sa­me Er­rich­tung des Kon­zern­be­triebs­rats ge­rich­te­ten (po­si­ti­ven) Fest­stel­lungs­an­trag er­ho­ben ha­ben. Al­ler­dings entfällt das Fest­stel­lungs­in­ter­es­se für ei­ne ne­ga­ti­ve Fest­stel­lungs­kla­ge re­gelmäßig, wenn der Be­klag­te we­gen des­sel­ben Streit­ge­gen­stands ei­ne trotz § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO zulässi­ge po­si­ti­ve Fest­stel­lungs­kla­ge er­hebt und die­se oh­ne Zu­stim­mung des Klägers nicht mehr zurück­neh­men kann (vgl. Zöller/Gre­ger ZPO 26. Aufl. § 256 Rn. 7d mwN). 16

Da­nach be­steht für den An­trag der Ar­beit­ge­be­rin­nen das be­son­de­re Fest­s­tel­lungs­in­ter­es­se auch in der Rechts­be­schwer­de­instanz fort. Zwar könn­ten der Kon­zern­be­triebs­rat und die zu 2), 8) und 10) be­tei­lig­ten Be­triebsräte ih­ren Ge­gen­an­trag zu 1. nach Ein­le­gung der Sprungs­rechts­be­schwer­den nicht mehr oh­ne Zu­stim­mung der Ar­beit­ge­be­rin­nen zurück­neh­men (§ 92 Abs. 2 Satz 3 ArbGG). Der vom Kon­zern­be­triebs­rat und den zu 2), 8) und 10) be­tei­lig­ten Be­triebsräten ge­stell­te Ge­gen­an­trag zu 1. ist aber un­zulässig. Ihm steht das Hin­der­nis der dop­pel­ten Rechtshängig­keit nach § 261

 

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Abs. 3 Nr. 1 ZPO ent­ge­gen, das auch im ar­beits­ge­richt­li­chen Be­schluss­ver­fah­ren (BAG 16. Ju­li 1996 - 3 ABR 13/95 - BA­GE 83, 288 = AP Be­trVG 1972 § 76 Nr. 53 = EzA ArbGG 1979 § 80 Nr. 1, zu II 2 a der Gründe) als ne­ga­ti­ve Pro­zess­vor­aus­set­zung in der Rechts­be­schwer­de­instanz von Amts we­gen zu be­ach­ten ist (zum Re­vi­si­ons­ver­fah­ren: BAG 12. De­zem­ber 2000 - 9 AZR 1/00 - BA­GE 96, 352 = AP TVG § 4 Aus­schluss­fris­ten Nr. 154 = EzA TVG § 4 Aus­schluss­fris­ten Nr. 135, zu I 1 a der Gründe). Der mit dem Ge­gen­an­trag zu 1. zur Ent­schei­dung ge­stell­te Ver­fah­rens­ge­gen­stand, die wirk­sa­me Er­rich­tung des Kon­zern­be­triebs­rats am 21. Ju­ni 2005, wird von dem ers­tin-stanz­lich von der zu 1) be­tei­lig­ten Ar­beit­ge­be­rin ge­stell­ten ne­ga­ti­ven Fest­stel­lungs­an­trag er­fasst. Wird dem in der Rechts­be­schwer­de­instanz von al­len Ar­beit­ge­be­rin­nen ge­stell­ten An­trag ent­spro­chen, steht da­mit zu­gleich fest, dass der Kon­zern­be­triebs­rat von den be­tei­lig­ten Be­triebsräten bis zum Schluss der Anhörung vor dem Ar­beits­ge­richt nicht wirk­sam er­rich­tet wor­den ist.

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4. Der An­schluss der zu 4), 6), 7) und 9) be­tei­lig­ten Ar­beit­ge­be­rin­nen an den erst­in­stanz­lich nur von der zu 1) be­tei­lig­ten Ar­beit­ge­be­rin ge­stell­ten Fest­stel­lungs­an­trag stellt ei­ne in der Rechts­be­schwer­de­instanz zulässi­ge An­tragsände­rung dar. 18

Zwar sind An­tragsände­run­gen in der Rechts­be­schwer­de­instanz grundsätz­lich nicht mehr zulässig (vgl. BAG 26. Ok­to­ber 2004 - 1 ABR 37/03 - BA­GE 112, 238 = AP Be­trVG 1972 § 99 Ein­grup­pie­rung Nr. 29 = EzA Be­trVG 2001 § 99 Um­grup­pie­rung Nr. 2, zu B I 1 a der Gründe). Der Schluss der Anhörung vor dem Be­schwer­de­ge­richt bil­det nicht nur bezüglich des tatsächli­chen Vor­brin­gens, son­dern auch bezüglich der Anträge der Be­tei­lig­ten die Ent­schei­dungs­grund­la­ge für das Rechts­be­schwer­de­ge­richt (BAG 14. Fe­bru­ar 2007 - 7 ABR 26/06 - Rn. 31). Hier­von be­steht aus pro­zessöko­no­mi­schen Gründen ei­ne Aus­nah­me, wenn sich der geänder­te Sach­an­trag auf den in der Be­schwer­de­instanz fest­ge­stell­ten Sach­ver­halt stützen kann und der bis­he­ri­ge Streit­stoff so­wie das Ver­fah­ren­s­er­geb­nis für die Ent­schei­dung über den geänder­ten An­trag nutz­bar ge­macht wer­den können (BAG 26. Ok­to­ber 2004 - 1 ABR 37/03 - aaO mwN). Die­se Vor­aus­set­zun­gen sind im Streit­fall ge­ge­ben. Der in Form ei­nes selbständi­gen Rechts­mit­tel­an­trags der bis­her be­reits for­mell und ma­te­ri­ell-recht­lich am Ver­fah­ren be­tei­lig­ten Ar­beit­ge­be­rin­nen zu 4), 6), 7) und 9) geänder­te An­trag kann auf der Grund­la­ge der erst­in­stanz­li­chen Fest­stel­lun­gen be­ur­teilt wer­den.

 

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III. Die Rechts­be­schwer­den der Ar­beit­ge­be­rin­nen sind be­gründet. Das Ar­beits­ge­richt hat den ne­ga­ti­ven Fest­stel­lungs­an­trag der zu 1) be­tei­lig­ten Ar­beit­ge­be­rin zu Un­recht ab­ge­wie­sen. Für die Un­ter­neh­men der Ar­beit­ge­be­rin­nen kann ein Kon­zern­be­triebs­rat nicht er­rich­tet wer­den, da die von den Be­triebsräten als herr­schen­des Un­ter­neh­men an­ge­se­he­ne Ge­sell­schaft ih­ren Sitz in der Schweiz hat. Die Bil­dung ei­nes Kon­zern­be­triebs­rats nach den Grundsätzen des Kon­zern im Kon­zern kommt nicht in Be­tracht, da kei­ne der be­tei­lig­ten Ar­beit­ge­be­rin­nen als inländi­sches herr­schen­des Un­ter­neh­men ge­genüber den Un­ter­neh­men der an­de­ren Ar­beit­ge­be­rin­nen an­zu­se­hen ist. Die Möglich­keit zur Er­rich­tung ei­nes Kon­zern­be­triebs­rats folgt auch nicht aus ei­ner ana­lo­gen An­wen­dung von § 5 Abs. 3 Mit­bestG. 20
Der zu 2. ge­stell­te Ge­gen­an­trag des Kon­zern­be­triebs­rats und der zu 2), 8) und 10) be­tei­lig­ten Be­triebsräte ist un­zulässig. 21
1. Nach § 54 Abs. 1 Satz 1 iVm. § 54 Abs. 2 Be­trVG kann für ei­nen Kon­zern (§ 18 Abs. 1 AktG) durch Be­schlüsse der Ge­samt­be­triebsräte bzw. Be­triebsräte ein Kon­zern­be­triebs­rat er­rich­tet wer­den. Die Er­rich­tung er­for­dert die Zu­stim­mung der Ge­samt­be­triebsräte der Kon­zern­un­ter­neh­men, in de­nen ins­ge­samt mehr als 50% der Ar­beit­neh­mer der Kon­zern­un­ter­neh­men beschäftigt sind (§ 54 Abs. 1 Satz 2 Be­trVG). Nach § 54 Abs. 2 Be­trVG nimmt der Be­triebs­rat die Auf­ga­ben ei­nes Ge­samt­be­triebs­rats nach den §§ 54 ff. Be­trVG wahr, wenn in ei­nem Kon­zern­un­ter­neh­men nur ein Be­triebs­rat be­steht. 22

Das Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz be­stimmt da­bei nicht selbst, wann ein Kon­zern vor­liegt und wel­che Un­ter­neh­men dem Kon­zern an­gehören. § 54 Abs. 1 Be­trVG ver­weist in­so­weit auf § 18 Abs. 1 AktG. Es gilt des­halb kein ei­genständi­ger be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­cher Kon­zern­be­griff. Maßgeb­lich sind viel­mehr die Re­ge­lun­gen des Ak­ti­en­ge­set­zes. Auf Grund der Ver­wei­sung auf § 18 Abs. 1 AktG kann ein Kon­zern­be­triebs­rat nur in ei­nem sog. Un­ter­ord­nungs­kon­zern er­rich­tet wer­den (BAG 22. No­vem­ber 1995 - 7 ABR 9/95 - AP Be­trVG 1972 § 54 Nr. 7 = EzA Be­trVG 1972 § 54 Nr. 5, zu B II 1 der Gründe). Nach § 18 Abs. 1 Satz 1 AktG bil­den ein herr­schen­des und ein oder meh­re­re abhängi­ge Un­ter­neh­men ei­nen Kon­zern, wenn sie un­ter der ein­heit­li­chen Lei­tung des herr­schen­den Un­ter­neh­mens zu­sam­men­ge­fasst sind (sog. Un­ter­ord­nungs­kon­zern). Von ei­nem abhängi­gen Un­ter­neh­men wird nach § 18 Abs. 1 Satz 3 AktG ver­mu­tet, dass es mit dem herr­schen­den Un­ter­neh­men ei­nen Kon­zern bil­det. Nach § 17 Abs. 1 AktG sind abhängi­ge Un­ter­neh­men recht­lich selbständi­ge Un­ter­neh­men, auf die ein an­de­res Un­ter­neh­men (herr­schen­des Un­ter­neh­men) un­mit­tel-

 

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bar oder mit­tel­bar ei­nen be­herr­schen­den Ein­fluss hat. Nach § 17 Abs. 2 AktG wird von ei­nem in Mehr­heits­be­sitz ste­hen­den Un­ter­neh­men ver­mu­tet, dass es von dem an ihm mit Mehr­heit be­tei­lig­ten Un­ter­neh­men abhängig ist. Gehört die Mehr­heit der An­tei­le ei­nes recht­lich selbständi­gen Un­ter­neh­mens ei­nem an­de­ren Un­ter­neh­men, ist das Un­ter­neh­men nach § 16 Abs. 1 AktG ein in Mehr­heits­be­sitz ste­hen­des Un­ter­neh­men. Für das Vor­lie­gen der ge­setz­li­chen Vor­aus­set­zun­gen von § 17 Abs. 1, § 18 Abs. 1 AktG ist es un­er­heb­lich, in wel­cher Rechts­form das herr­schen­de und die abhängi­gen Un­ter­neh­men geführt wer­den. Der Un­ter­neh­mens­be­griff wird in den §§ 15 ff. AktG rechts-form­neu­tral ver­wen­det (BAG 5. Mai 1988 - 2 AZR 795/87 - AP AÜG § 1 Nr. 8 = EzA AÜG § 1 Nr. 1, zu III 2 d cc der Gründe; BGH 23. Sep­tem­ber 1991 - II ZR 135/90 - BGHZ 115, 187 = AP AktG § 303 Nr. 1, zu 1 a der Gründe).

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2. Da­nach kann ein Kon­zern­be­triebs­rat für die Un­ter­neh­men der Ar­beit­ge­be­rin­nen nicht er­rich­tet wer­den. Das Ar­beits­ge­richt hat zu Un­recht Fest­stel­lun­gen zu der nach § 54 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Be­trVG er­for­der­li­chen Be­schluss­fas­sung der zu 2), 5), 8) und 10) be­tei­lig­ten Be­triebsräte und zu den ge­sell­schafts­recht­li­chen Vor­aus­set­zun­gen für das Be­ste­hen ei­nes Un­ter­ord­nungs­kon­zerns für ent­behr­lich ge­hal­ten. Dies führt zur Auf­he­bung der an­ge­foch­te­nen Ent­schei­dung. Die Sa­che muss nicht zur an­der­wei­ten Anhörung und Ent­schei­dung an die Vor­in­stanz zurück­ver­wie­sen wer­den. Selbst wenn zu Guns­ten des Kon­zern­be­triebs­rats und der be­tei­lig­ten Be­triebsräte un­ter­stellt wird, dass die Be­schluss­fas­sung zur Er­rich­tung des Kon­zern­be­triebs­rats ord­nungs­gemäß er­folgt ist und die in der Schweiz ansässi­ge V AG über ih­re Ge­sell­schafts­an­tei­le ge­genüber den Un­ter­neh­men der be­tei­lig­ten Ar­beit­ge­be­rin­nen als herr­schen­des Un­ter­neh­men an­zu­se­hen ist, wäre ihr An­trag be­gründet. Für ei­nen Un­ter­ord­nungs­kon­zern mit ei­nem in der Schweiz ansässi­gen herr­schen­den Un­ter­neh­men als Kon­zern­spit­ze kann ein Kon­zern­be­triebs­rat nicht er­rich­tet wer­den. 24

a) Das Ar­beits­ge­richt hat kei­ne Fest­stel­lun­gen über die nach § 54 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Be­trVG er­for­der­li­che Be­schluss­fas­sung der be­tei­lig­ten Be­triebsräte ge­trof­fen. Es hat un­ter Be­zug­nah­me auf die in der Anhörung vor der Kam­mer ab­ge­ge­be­ne Erklärung al­ler Ver­fah­rens­be­tei­lig­ten, wo­nach „Be­den­ken ge­gen die Ein­hal­tung von Form- und Ver­fah­rens­vor­schrif­ten be­tref­fend die der Kon­sti­tu­ie­rung vom 21. Ju­ni 2005 zu­grun­de lie­gen­den Be­schluss­fas­sun­gen der ein­zel­nen Be­triebsräte“ nicht be­ste­hen, un­ter Ver­s­toß ge­gen § 83 Abs. 1 Satz 1 ArbGG von ei­ner wei­te­ren Sach­ver­halts­aufklä­rung ab­ge­se­hen, was zur Auf­he­bung der an­ge­foch­te­nen Ent­schei­dung führt. Die für die Be­ur­tei­lung der Be­schluss­fas­sung nach § 54 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Be­trVG er-

 

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for­der­li­che Sach­ver­halts­fest­stel­lung durf­te das Ar­beits­ge­richt an­ge­sichts des mit dem An­trag zur Ent­schei­dung ge­stell­ten Ver­fah­rens­ge­gen­stands nicht für ent­behr­lich hal­ten.

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§ 83 Abs. 1 Satz 1 ArbGG ver­pflich­tet das Ge­richt, den Sach­ver­halt von Amts we­gen auf­zuklären. Das Ar­beits­ge­richts­ge­setz nor­miert da­nach für das Be­schluss­ver­fah­ren aus­drück­lich die Gel­tung des Un­ter­su­chungs­grund­sat­zes. Das Ge­richt hat den­je­ni­gen Sach­ver­halt auf­zuklären, der zur Ent­schei­dung über den ge­stell­ten An­trag er­for­der­lich ist. Ge­gen­stand des erst­in­stanz­lich nur von der zu 1) be­tei­lig­ten Ar­beit­ge­be­rin ge­stell­ten ne­ga­ti­ven Fest­stel­lungs­an­trags war die aus ih­rer Sicht un­wirk­sa­me Er­rich­tung des Kon­zern­be­triebs­rats. Die­sen An­trag durf­te das Ar­beits­ge­richt nur ab­wei­sen, wenn sich nach sei­ner Auf­fas­sung ein Kon­zern­be­triebs­rat bis zum Zeit­punkt der letz­ten Anhörung der Be­tei­lig­ten vor dem Ar­beits­ge­richt wirk­sam kon­sti­tu­iert hätte. Da for­mel­le Vor­aus­set­zung für die Er­rich­tung ei­nes Kon­zern­be­triebs­rats das Vor­lie­gen der nach § 54 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Be­trVG not­wen­di­gen Be­schluss­fas­sung der zu­ständi­gen Be­triebs­rats­gre­mi­en ist, muss­te das Ar­beits­ge­richt aufklären, wann ei­ne ent­spre­chen­de Be­schluss­fas­sung statt­ge­fun­den hat, wie vie­le Ar­beit­neh­mer in den Kon­zern­un­ter­neh­men beschäftigt wer­den und ob in den Un­ter­neh­men der be­sch­ließen­den Be­triebsräte ins­ge­samt mehr als 50 vom Hun­dert der Ar­beit­neh­mer der Kon­zern­un­ter­neh­men beschäftigt sind (§ 54 Abs. 1 Satz 2 Be­trVG). 26

Die in der Anhörung vor der Kam­mer von den Ver­fah­rens­be­tei­lig­ten ab­ge­ge­be­ne Erklärung konn­te das Ar­beits­ge­richt nicht von der Pflicht zur Aufklärung der Tat­sa­chen ent­bin­den, die für die Ent­schei­dung über den von der zu 1) be­tei­lig­ten Ar­beit­ge­be­rin ge­stell­ten ne­ga­ti­ven Fest­stel­lungs­an­trag er­for­der­lich wa­ren. Das Ar­beits­ge­richt hat im Be­schluss­ver­fah­ren den für die Ent­schei­dung be­deut­sa­men Sach­ver­halt un­ab­hängig von der recht­li­chen Würdi­gung durch die Ver­fah­rens­be­tei­lig­ten zu er­for­schen. Hier­zu zählt auch die Er­mitt­lung der Tat­sa­chen, die bis­her von kei­nem Ver­fah­rens­be­tei­lig­ten in das Ver­fah­ren ein­geführt wor­den sind, so­weit sie für die Ent­schei­dung über den ge­stell­ten An­trag von Be­deu­tung sind. Das Ar­beits­ge­richt kann erst von ei­ner wei­ter­ge­hen­den Sach­ver­halts­aufklärung ab­se­hen, wenn die ent­schei­dungs­er­heb­li­chen Tat­sa­chen von ei­nem der Ver­fah­rens­be­tei­lig­ten vor­ge­tra­gen wor­den sind, sie nicht wirk­sam be­strit­ten wer­den und sich über­dies kei­ne Zwei­fel an ih­rer Rich­tig­keit auf­drän­gen (BAG 10. De­zem­ber 1992 - 2 ABR 32/92 - AP ArbGG 1979 § 87 Nr. 4 = EzA Be­trVG 1972 § 103 Nr. 33, zu B II 5 c aa der Gründe). Die Be­tei­lig­ten iSd. § 83 Abs. 3 ArbGG können nur Tat­sa­chen, nicht aber Tat­be­stands­merk­ma­le un­strei­tig stel­len.

 

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b) Das Ar­beits­ge­richt hat gleich­falls kei­ne Fest­stel­lun­gen zur Be­tei­li­gung der in der Schweiz ansässi­gen V AG am Stamm­ka­pi­tal der be­tei­lig­ten Ar­beit­ge­be­rin­nen und ih­rer Zu­sam­men­fas­sung un­ter ei­ner ein­heit­li­chen Lei­tung ge­trof­fen. Es hat zwar in den tat­be­stand­li­chen Ausführun­gen sei­nes Be­schlus­ses aus­geführt, dass die be­tei­lig­ten Ar­beit­ge­be­rin­nen mit die­ser Ge­sell­schaft ei­nen „Kon­zern” bil­den. Da­bei han­delt es sich um kei­ne das Rechts­be­schwer­de­ge­richt nach § 559 Abs. 2 ZPO bin­den­de Fest­s­tel­lung, da das Be­ste­hen ei­nes Kon­zern­verhält­nis­ses kei­ne Tat­sa­che ist, son­dern sich als Rechts­fol­ge bei ei­ner Zu­sam­men­fas­sung ei­nes herr­schen­den und zu­min­dest ei­nes abhängi­gen Un­ter­neh­mens un­ter ei­ner ein­heit­li­chen Lei­tung (vgl. § 18 Abs. 1 Satz 1 AktG) er­gibt. Auch die­ser Rechts­feh­ler be­gründet die Auf­he­bung der an­ge­foch­te­nen Ent­schei­dung. 28
c) Der An­trag der Ar­beit­ge­be­rin­nen ist aber selbst dann be­gründet, wenn zu Guns­ten der be­tei­lig­ten Be­triebsräte un­ter­stellt wird, dass ei­ne ord­nungs­gemäße Be­schluss­fas­sung nach § 54 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Be­trVG über die Er­rich­tung ei­nes Kon­zern­be­triebs­rats er­folgt ist, die V AG auf Grund ei­ner Ka­pi­tal­mehr­heit als herr­schen­des Un­ter­neh­men ge­genüber den be­tei­lig­ten Ar­beit­ge­be­rin­nen an­zu­se­hen ist und die­se als un­ter ei­ner ein­heit­li­chen Lei­tung zu­sam­men­ge­fasst an­zu­se­hen sind. Auch in die­sem Fall wäre ein Kon­zern­be­triebs­rat nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Be­trVG nicht zu bil­den. Die Vor­schrift knüpft ih­rem Wort­laut nach an den Kon­zern­tat­be­stand des § 18 Abs. 1 AktG an. Der Se­nat hat be­reits in sei­ner Ent­schei­dung vom 14. Fe­bru­ar 2007 ent­schie­den, dass die Er­rich­tung ei­nes Kon­zern­be­triebs­rats we­gen des Ter­ri­to­ria­litätsprin­zips des AktG nur in Be­tracht kommt, wenn nicht nur die un­ter ei­ner ein­heit­li­chen Lei­tung zu­sam­men­ge­fass­ten Un­ter­neh­men, son­dern auch ei­ne Kon­zer­ober­ge­sell­schaft ih­ren Sitz im In­land hat (BAG - 7 ABR 26/06 - Rn. 53), wor­an es im Streit­fall fehlt. 29

d) Die Er­rich­tung ei­nes Kon­zern­be­triebs­rats für die be­tei­lig­ten Ar­beit­ge­be­rin­nen kommt auch nicht nach den Grundsätzen des Kon­zerns im Kon­zern in Be­tracht. Die zu 1) be­tei­lig­te Ar­beit­ge­be­rin verfügt ge­genüber den zu 4), 6), 7) und 9) be­tei­lig­ten Ar­beit­ge­be­rin­nen über kei­ne Ent­schei­dungs­be­fug­nis in per­so­nel­len, so­zia­len und wirt­schaft­li­chen An­ge­le­gen­hei­ten.

 

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aa) Nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts kann in ei­nem mehr­stu­fi­gen Kon­zern ein sog. „Kon­zern im Kon­zern” be­ste­hen, wenn das herr­schen­de Un­ter­neh­men („Mut­ter”) von sei­ner Lei­tungs­macht zwar in we­sent­li­chem Um­fang, aber doch nur teil­wei­se (et­wa als Richt­li­ni­en­kom­pe­tenz) Ge­brauch macht und ei­nem abhängi­gen Un­ter­neh­men („Toch­ter”) noch we­sent­li­che Lei­tungs­auf­ga­ben zur ei­genständi­gen Aus­übung ge­genüber den die­sem nach­ge­ord­ne­ten Un­ter­neh­men („En­kel”) ver­blei­ben. Der Wort­laut von § 54 Abs. 1 Be­trVG um­fasst mehr­stu­fi­ge Kon­zern­ver­tre­tun­gen, wenn die Zu­sam­men­fas­sung von ein­heit­li­cher ar­beits­recht­li­cher Lei­tungs­macht auf un­te­ren E­be­nen ei­nes de­zen­tra­li­sier­ten, ver­ti­kal ge­glie­der­ten Kon­zerns über wei­te­re abhängi­ge Un­ter­neh­men ge­ge­ben ist. Die­se Zu­sam­men­fas­sung erfüllt eben­falls die Merk­ma­le ei­nes Kon­zerns iSv. § 18 Abs. 1 AktG, auf den § 54 Abs. 1 Be­trVG Be­zug nimmt, so dass auch hier die Er­rich­tung ei­nes Kon­zern­be­triebs­rats in Be­tracht kommt (BAG 21. Ok­to­ber 1980 - 6 ABR 41/78 - BA­GE 34, 230 = AP Be­trVG 1972 § 54 Nr. 1 = EzA Be­trVG 1972 § 54 Nr. 1, zu III 2 a der Gründe). Das ent­spricht dem Sinn und Zweck der Vor­schrif­ten über die Er­rich­tung ei­nes Kon­zern­be­triebs­rats, mit dem die Be­tei­li­gung der Ar­beit­neh­mer des Kon­zerns an den Ent­schei­dun­gen der Kon­zern­lei­tung si­cher­ge­stellt wer­den soll. Die­ser ge­setz­ge­be­ri­sche Zweck würde nicht er­reicht, wenn in ei­nem mehr­stu­fi­gen Kon­zern die Toch­ter­ge­sell­schaft über ei­nen we­sent­li­chen ei­genständi­gen Ent­schei­dungs­spiel­raum verfügt, bei ihr aber kein Kon­zern­be­triebs­rat er­rich­tet wer­den könn­te, weil be­reits bei der Mut­ter­ge­sell­schaft ein sol­cher be­steht. Verfügt die Toch­ter­ge­sell­schaft ge­genüber den Ar­beit­neh­mern der En­kel­ge­sell­schaf­ten über we­sent­li­che Ent­schei­dungs­be­fug­nis­se in per­so­nel­len, so­zia­len und wirt­schaft­li­chen An­ge­le­gen­hei­ten, würde ein le­dig­lich bei der Mut­ter­ge­sell­schaft er­rich­te­ter Kon­zern­be­triebs­rat den Be­lan­gen der Ar­beit­neh­mer der En­kel­ge­sell­schaf­ten nicht ge­recht. Der bei der Mut­ter­ge­sell­schaft er­rich­te­te Kon­zern­be­triebs­rat wäre da­mit an ei­ner Stel­le an­ge­sie­delt, an der die für die Ar­beit­neh­mer der En­kel­ge­sell­schaf­ten maßgeb­li­chen Ent­schei­dun­gen in per­so­nel­len, so­zia­len und wirt­schaft­li­chen An­ge­le­gen­hei­ten nicht ge­trof­fen wer­den. Dies wäre mit Sinn und Zweck der Be­triebs­ver­fas­sung, die be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Be­tei­li­gungs­rech­te dort an­zu­sie­deln, wo un­ter­neh­me­ri­sche Lei­tungs­macht kon­kret ent­fal­tet und aus­geübt wird, nicht zu ver­ein­ba­ren. Aus die­sem Grund ist die Bil­dung ei­nes Kon­zern­be­triebs­rats auch bei der Toch­ter­ge­sell­schaft ei­nes Kon­zerns als Kon­zern­spit­ze ei­nes Un­ter­kon­zerns zulässig, wenn ihr hin­sicht­lich mit­be­stim­mungs­pflich­ti­ger (per­so­nel­ler, so­zia­ler und wirt­schaft­li­cher) An­ge­le­gen­hei­ten ein Ent­sch­ei­dungs­spiel­raum zu­steht, sie al­so nicht durch kon­kre­te Wei­sun­gen der Mut­ter­ge­sell-

 

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schaft ge­bun­den ist (BAG 21. Ok­to­ber 1980 - 6 ABR 41/78 - aaO, zu III 2 c bb der Gründe).

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bb) Da­nach be­steht im In­land kei­ne Toch­ter­ge­sell­schaft der V AG mit ei­nem Ent­schei­dungs­spiel­raum in mit­be­stim­mungs­recht­lich re­le­van­ten An­ge­le­gen­hei­ten ge­gen­über den Ar­beit­ge­be­rin­nen. Zwar hat das Ar­beits­ge­richt kei­ne Fest­stel­lun­gen zu den ge­sell­schafts­recht­li­chen Be­tei­li­gungs­verhält­nis­sen der Un­ter­neh­men der Ar­beit­ge­be­rin­nen ge­trof­fen, son­dern le­dig­lich aus­geführt, dass „mögli­cher­wei­se kei­ne Teil­kon­zern­spit­ze in Deutsch­land be­steht”. Die Exis­tenz ei­nes in Deutsch­land ansässi­gen Kon­zern­un­ter­neh­mens mit we­sent­li­chen Lei­tungs­auf­ga­ben ge­genüber dem die­sem nach­ge­ord­ne­ten Un­ter­neh­men wird je­doch von kei­nem Be­tei­lig­ten be­haup­tet, zu­mal die be­tei­lig­ten deut­schen Un­ter­neh­men ins­ge­samt Toch­ter­ge­sell­schaf­ten der V AG und da­mit „Schwes­ter­ge­sell­schaf­ten“ und kei­ne En­kel­ge­sell­schaf­ten sein dürf­ten. 32
e) Die Er­rich­tung ei­nes Kon­zern­be­triebs­rats für die be­tei­lig­ten Ar­beit­ge­be­rin­nen ist auch nicht des­halb zulässig, weil die zu 1) be­tei­lig­te Ar­beit­ge­be­rin als inländi­sche Teil­kon­zern­spit­ze ei­nes Un­ter­ord­nungs­kon­zerns mit der V AG als ei­nem im Aus­land ansässi­gen herr­schen­den Un­ter­neh­men an­zu­se­hen ist. Der Se­nat hat sich in sei­ner Ent­schei­dung vom 14. Fe­bru­ar 2007 (- 7 ABR 26/06 -) auch mit der Möglich­keit ei­ner ana­lo­gen An­wen­dung der im Be­reich der Un­ter­neh­mens­mit­be­stim­mung be­ste­hen­den Teil­kon­zern­re­ge­lung des § 5 Abs. 3 Mit­bestG so­wie der Her­an­zie­hung des in die­ser Vor­schrift und in § 11 Abs. 3 Pu­blG ent­hal­te­nen Rechts­ge­dan­kens im We­ge der Rechts­ana­lo­gie be­fasst. Die Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne der­ar­ti­ge Rechts­fort­bil­dung lie­gen je­doch nicht vor. Es be­steht we­der die für ei­nen Ana­lo­gie­schluss er­for­der­li­che un­be­wuss­te Re­ge­lungslücke, noch sind die von § 5 Abs. 3 Mit­bestG, § 11 Abs. 3 Pu­blG er­fass­ten Tat­bestände mit den §§ 54 ff. Be­trVG ver­gleich­bar. Da­ne­ben ist selbst bei Be­ste­hen ei­ner un­be­wuss­ten Re­ge­lungslücke ei­ne rich­ter­li­che Rechts­fort­bil­dung un­zu­lässig, weil dem Ge­setz­ge­ber für die Re­ge­lung des Sach­ver­halts ver­schie­de­ne Ge­s­tal­tungsmöglich­kei­ten zur Verfügung ste­hen und nicht fest­steht, für wel­che er sich ent­schie­den hätte. Hier­an hält der Se­nat fest, wo­bei er zur Ver­mei­dung von Wie­der­ho­lun­gen auf die ausführ­li­che Be­gründung in sei­ner Ent­schei­dung vom 14. Fe­bru­ar 2007 Be­zug nimmt (- 7 ABR 26/06 - Rn. 52-64). 33

3. Da der zu 1. ge­stell­te Ge­gen­an­trag des Kon­zern­be­triebs­rats und der zu 2), 8) und 10) be­tei­lig­ten Be­triebsräte un­zulässig ist, fällt dem Se­nat ihr erst­in­stanz­lich zu 2. ge­stell­ter Hilfs­ge­gen­an­trag in der Rechts­be­schwer­de­instanz zur Ent­schei­dung an. Der

 

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Hilfs­ge­gen­an­trag ist un­zulässig, da er nicht hin­rei­chend be­stimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist.

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Im Be­schluss­ver­fah­ren muss ein An­trag eben­so be­stimmt sein wie im Ur­teils­ ver­fah­ren. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ist auf das Be­schluss­ver­fah­ren und die in ihm ge­stell­ten Anträge ent­spre­chend an­wend­bar. Der Ver­fah­rens­ge­gen­stand muss so ge­nau be­zeich­net wer­den, dass die ei­gent­li­che Streit­fra­ge zwi­schen den Be­tei­lig­ten mit Rechts­kraft­wir­kung ent­schie­den wer­den kann (BAG 3. Mai 2006 - 1 ABR 63/04 - AP ArbGG 1979 § 81 Nr. 61, zu B I 2 a der Gründe mwN). Die­sen An­for­de­run­gen genügt der zu 2. ge­stell­te Ge­gen­an­trag nicht. Durch die Auf­nah­me der Rechts­be­grif­fe „Kon­zern“, „inländi­sche Kon­zer­no­ber­ge­sell­schaft“ so­wie „inländi­sche Teil­kon­zern­spit­ze“ enthält der An­trag Un­be­stimmt­hei­ten, die ei­ner Sach­ent­schei­dung ent­ge­gen­ste­hen. Um über den Fest­stel­lungs­an­trag in der Sa­che mit ob­jek­ti­ver Rechts­kraft­wir­kung ent­schei­den zu können, müss­te da­her hin­rei­chend klar sein, was un­ter den im An­trag ver­wand­ten Be­griff­lich­kei­ten zu ver­ste­hen ist. Die Be­deu­tung die­ser Be­grif­fe ist nicht of­fen­kun­dig. Es wird nicht deut­lich, wel­cher Be­griff des Kon­zerns bzw. Teil­kon­zern­spit­ze dem An­trag zu­grun­de liegt. Würde über die­sen An­trag in der Sa­che ent­schie­den, blie­be der Um­fang der ob­jek­ti­ven Rechts­kraft der Ent­schei­dung völlig un­klar. 35

 

Dörner Gräfl Koch

Hoff­mann Schil­ler

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