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ARBEITSRECHT AKTUELL // 09/213

Pflicht zu fal­scher For­mu­lie­rung im Zeug­nis

Ar­beit­ge­ber kann sich zu un­rich­ti­ger For­mu­lie­rung im Zeug­nis ver­pflich­ten: Lan­des­ar­beits­ge­richt Nürn­berg, Ur­teil vom 16.06.2009, 7 Sa 641/08
Zeugnis mit Stempel, Datum und Unterschrift Be­schö­ni­gen­de Zeug­nis­be­ur­tei­lung: kei­ne Sit­ten­wid­rig­keit

18.11.2009. Ar­beit­neh­mer kön­nen bei Be­en­di­gung des Ar­beits­ver­hält­nis­ses ein Zeug­nis ver­lan­gen (§ 109 Abs. 1 Satz 1 Ge­wer­be­ord­nung - Ge­wO). Auf Wunsch des Ar­beit­neh­mers hin muss der Ar­beit­ge­ber auch Leis­tung und Ver­hal­ten des Ar­beit­neh­mers be­wer­ten (qua­li­fi­zier­tes Zeug­nis).

Ein qua­li­fi­zier­tes Zeug­nis ist heu­te die Re­gel­form des Zeug­nis­ses, d.h. wer von „Zeug­nis“ spricht oder ei­nes vom Ar­beit­ge­ber ver­langt, meint meist ein qua­li­fi­zier­tes Zeug­nis.

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Nürn­berg hat­te in ei­nem ak­tu­el­len Fall die Fra­ge zu klä­ren, ob Ab­spra­chen zwi­schen Ar­beit­neh­mer und Ar­beit­ge­ber über den In­halt ei­nes Zeug­nis­ses auch dann ver­bind­lich sind, wenn der ver­ein­bar­te Zeug­nis­in­halt ei­ne ob­jek­tiv un­rich­ti­ge Leis­tungs­be­ur­tei­lung ent­hält: LAG Nürn­berg , Ur­teil vom 16.06.2009, 7 Sa 641/08.

Kann sich der Ar­beit­ge­ber zu ei­ner un­rich­ti­gen Zeug­nis-For­mu­lie­rung ver­pflich­ten?

Ist der Ar­beit­ge­ber mit den Leis­tun­gen des Ar­beit­neh­mers nicht sehr zu­frie­den, muss er ein Zeug­nis so ab­fas­sen, dass es zwei ge­gensätz­li­che An­for­de­run­gen erfüllt: Zum Ei­nen muss das Zeug­nis wahr sein, zum An­de­ren wohl­wol­lend. Auch wenn der Ar­beit­ge­ber die Leis­tun­gen des Ar­beit­neh­mers kri­ti­siert (oder je­den­falls nicht aus­drück­lich lobt), soll­te es dem Fort­kom­men des Ar­beit­neh­mers nicht hin­der­lich sein. Das heißt bei schlech­ten Leis­tun­gen des aus­ge­schie­de­nen Ar­beit­neh­mers: Je näher das Zeug­nis bei der Wahr­heit bleibt, des­to we­ni­ger wohl­wol­lend ist es (und um­ge­kehrt).

Da heut­zu­ta­ge vie­le Ar­beit­neh­mer selbst Ein­fluss auf die Zeug­nis­for­mu­lie­rung neh­men, hat es sich ein­gebürgert, bei der gütli­chen Bei­le­gung von Kündi­gungs­schutz­pro­zes­sen den Zeug­nis­in­halt gleich mit zu re­geln, in­dem man dem Ar­beit­ge­ber ei­ne be­stimm­te Zeug­nis­no­te oder kon­kre­te For­mu­lie­run­gen ver­pflich­tend vor­gibt. Ein be­son­ders miss­traui­scher Ar­beit­neh­mer bzw. sein Rechts­an­walt wird so­gar dar­auf be­ste­hen, dass das ge­sam­te Zeug­nis dem ar­beits­ge­richt­li­chen Ver­gleich als An­la­ge bei­gefügt wird und sich der Ar­beit­ge­ber da­zu ver­pflich­tet, das Zeug­nis mit ge­nau die­sem In­halt aus­zu­fer­ti­gen.

Im Er­geb­nis führt die­ser Um­gang mit dem Ar­beits­zeug­nis da­zu, dass Ar­beit­ge­ber ver­pflich­tet sein können, aus ih­rer Sicht un­wah­re Be­haup­tun­gen in das von ih­nen zu er­tei­len­de Zeug­nis auf­zu­neh­men. Frag­lich ist, ob da­mit die Gren­zen recht­lich zulässi­ger Ver­ein­ba­run­gen über den Zeug­nis­in­halt nicht über­schrit­ten wer­den. Zu die­ser Fra­ge hat sich das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Nürn­berg in ei­ner ak­tu­el­len Ent­schei­dung geäußert (Ur­teil vom 16.06.2009, 7 Sa 641/08).

Der Fall des LAG Nürn­berg: Ver­hal­ten ge­genüber Kun­den - ein­wand­frei oder ka­ta­stro­phal?

Ei­ne Büroan­ge­stell­te wehr­te sich ge­gen die von ih­rem Ar­beit­ge­ber aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung mit ei­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge. Im Pro­zess ei­nig­te man sich im We­ge des Ver­gleichs auf die Wirk­sam­keit der Be­en­di­gung. Der Ver­gleich war al­ler­dings wi­der­ruf­lich, so dass die Büroan­ge­stell­te die Möglich­keit hat­te, den Ver­gleich noch­mals zu über­den­ken.

Während der Wi­der­rufs­frist führ­te sie Nach­ver­hand­lun­gen mit dem Ar­beit­ge­ber und ver­lang­te ein gu­tes Zeug­nis. Der Ar­beit­ge­ber soll­te ihr dar­in be­schei­ni­gen, ihr Ver­hal­ten ge­genüber Vor­ge­setz­ten, Kol­le­gen und Kun­den sei „je­der­zeit ein­wand­frei“ ge­we­sen. Dar­auf ließ sich der Ar­beit­ge­ber ein, so dass die Ar­beit­neh­me­rin den Ver­gleich nicht wi­der­rief.

Das dar­auf­hin er­teil­te Zeug­nis ent­hielt al­ler­dings nicht die zwi­schen den Par­tei­en ver­ein­bar­te For­mu­lie­rung. Viel­mehr hieß es hier nur, das Ver­hal­ten der Ar­beit­neh­me­rin sei „ge­genüber Vor­ge­setz­ten und Kol­le­gen“ stets ein­wand­frei ge­we­sen. Ob sich die Ar­beit­neh­me­rin auch ge­genüber Kun­den so ver­hal­ten hat­te, war dem Zeug­nis nicht zu ent­neh­men.

Da der Ar­beit­ge­ber ei­ne Abände­rung des Zeug­nis­ses ent­spre­chend sei­ner ursprüng­li­chen Zu­sa­ge ver­wei­ger­te, er­hob die Ar­beit­neh­me­rin er­neut Kla­ge - dies­mal auf Zeug­nis­be­rich­ti­gung.

Im Pro­zess recht­fer­tig­te der Ar­beit­ge­ber sein Ver­hal­ten mit der Be­haup­tung, die Ar­beit­neh­me­rin ha­be sich ge­genüber Kun­den nicht nur nicht ein­wand­frei, son­dern ka­ta­stro­phal ver­hal­ten. Die be­gehr­te Abände­rung des Zeug­nis­ses würde auf ei­ne grob un­wah­re und da­her sit­ten­wid­ri­ge Be­haup­tung hin­aus­lau­fen. Da­zu sei er nicht ver­pflich­tet. Im­mer­hin würden sich künf­ti­ge Ar­beit­ge­ber an dem Zeug­nis ori­en­tie­ren und könn­ten da­her in die Ir­re ge­lei­tet wer­den. Letzt­lich müsse er bei grob un­rich­ti­gen Zeug­nis­in­hal­ten befürch­ten, dass künf­ti­ge Ar­beit­ge­ber ihn we­gen des fal­schen Zeug­nis­in­hal­tes auf Scha­dens­er­satz in An­spruch neh­men würden.

Das Ar­beits­ge­richt Wei­den ver­ur­teil­te den Ar­beit­ge­ber den­noch zur Zeug­nis­be­rich­ti­gung (Ur­teil vom 31.07.2008, 2 Ca 215/08). Da­ge­gen ging der Ar­beit­ge­ber in Be­ru­fung.

LAG Nürn­berg: Ver­ein­ba­run­gen über Leis­tungs­be­ur­tei­lun­gen ge­hen vor

Das LAG ent­schied eben­falls für die Ar­beit­neh­me­rin und bestätig­te da­mit die Ver­ur­tei­lung des Ar­beit­ge­bers zur Zeug­nis­be­rich­ti­gung.

Ei­ne „nur“ ob­jek­tiv un­rich­ti­ge Leis­tungs­be­ur­tei­lung macht das Zeug­nis nämlich nach An­sicht des LAG noch nicht sit­ten­wid­rig.

Die vom ver­klag­ten Ar­beit­ge­ber be­schwo­re­ne Ge­fahr ei­ner Haf­tung auf Scha­dens­er­satz konn­te das LAG nicht nach­voll­zie­hen. In der Tat kommt dies nach der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung der Zi­vil­ge­rich­te nur in Be­tracht, wenn der zeug­nis­aus­stel­len­de al­te Ar­beit­ge­ber ekla­tant fal­sche An­ga­ben über die Red­lich­keit bzw. Zu­verlässig­keit des aus­ge­schie­de­nen Ar­beit­neh­mers macht und da­mit ein von die­sem be­gan­ge­nes Vermögens­de­likt ver­schweigt. Erhält der aus­ge­schie­de­ne Ar­beit­neh­mer in sol­chen Ex­tremfällen auf­grund ei­ner im Zeug­nis ent­hal­te­nen Bemänte­lung sei­ner Vermögens­de­lik­te die Möglich­keit, Vermögen oder Ei­gen­tum ei­nes nach­fol­gen­den neu­en Ar­beit­ge­bers zu schädi­gen, kann die­ser von sei­nem Vorgänger mögli­cher­wei­se Scha­dens­er­satz ver­lan­gen.

Im vor­lie­gen­den Fall ging es aber nicht um die Ehr­lich­keit der aus­ge­schie­de­nen Büroan­ge­stell­ten, son­dern um ih­re Leis­tun­gen. Ge­nau­er ge­sagt ging es um ihr Ver­hal­ten ge­genüber Kun­den. Da­zu meint das LAG, der neue Ar­beit­ge­ber könn­te sich auf Grund­la­ge sei­ner ei­ge­nen Leis­tungs­an­for­de­run­gen ein Bild von der Ar­beit­neh­me­rin ma­chen. Außer­dem ha­be er die Möglich­keit, sie in­ner­halb der ers­ten sechs Mo­na­te des Ar­beits­verhält­nis­ses wie­der zu kündi­gen.

Fa­zit: Tref­fen Ar­beit­ge­ber und Ar­beit­neh­mer ver­trag­li­che Ver­ein­ba­run­gen über Zeug­nis­aus­sa­gen, so sind die­se recht­lich ver­bind­lich. Es ist da­her auch sinn­voll, Ver­ein­ba­run­gen die­ser Art in ei­nen Ab­fin­dungs­ver­gleich auf­zu­neh­men.

So gab auch das LAG Köln vor kur­zem ei­nem Ar­beit­neh­mer recht, der ent­spre­chend ei­ner in ei­nem ge­richt­li­chen Ver­gleich ent­hal­te­nen Ver­ein­ba­rung dar­auf be­stand, dass ihm ein Zeug­nis ent­spre­chend sei­nem Ent­wurf aus­ge­stellt würde (Be­schluss vom 02.01.2009, 9 Ta 530/08). Dass der vom Ar­beit­neh­mer über­reich­te Ent­wurf dem Ar­beit­ge­ber zu­fol­ge nicht der Wahr­heit ent­sprach, änder­te nichts an sei­ner im Ver­gleich über­nom­me­nen Pflicht, den Zeug­nis­ent­wurf des Ar­beit­neh­mers zu über­neh­men (wir be­rich­te­ten darüber in Ar­beits­recht ak­tu­ell 09/037 Pflicht zur Zeug­nis­er­tei­lung ent­spre­chend ei­nem For­mu­lie­rungs­vor­schlag des Ar­beit­neh­mers).

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Letzte Überarbeitung: 1. November 2018

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