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ARBEITSRECHT AKTUELL // 13/338

An­hö­rung des Be­triebs­rats bei Kün­di­gung in der Pro­be­zeit

Die An­ga­be, dass kein In­ter­es­se an der Fort­set­zung des Ar­beits­ver­hält­nis­ses be­steht, ge­nügt in der War­te­zeit für ei­ne An­hö­rung des Be­triebs­rats: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 12.09.2013, 6 AZR 121/12
Betriebsratsbüro Betriebsratsbeschluss Stol­per­fal­le An­hö­rung des Be­triebs­rats

16.11.2013. Ge­mäß § 102 Abs.1 Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG) muss der Ar­beit­ge­ber vor je­der Kün­di­gung den Be­triebs­rat an­hö­ren, sonst ist die Kün­di­gung un­wirk­sam.

Im Rah­men der An­hö­rung hat der Ar­beit­ge­ber dem Be­triebs­rat die Grün­de für die ge­plan­te Kün­di­gung mit­zu­tei­len.

Wel­che In­for­ma­tio­nen über sei­ne Kün­di­gungs­grün­de muss der Ar­beit­ge­ber aber lie­fern, wenn er für ei­ne Kün­di­gung gar kei­ne Grün­de braucht, weil sich der Ar­beit­neh­mer noch in der Pro­be­zeit bzw. in der sechs­mo­na­ti­gen War­te­zeit ge­mäß § 1 Abs.1 Kün­di­gungs­schutz­ge­setz (KSchG) be­fin­det?

Zu die­ser Fra­ge hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) vor ei­ni­gen Wo­chen Stel­lung ge­nom­men: BAG, Ur­teil vom 12.09.2013, 6 AZR 121/12.

Wel­che Kündi­gungs­gründe muss der Ar­beit­ge­ber dem Be­triebs­rat vor ei­ner Pro­be­zeitkündi­gung mit­tei­len?

In § 102 Abs.1 Satz 1 Be­trVG heißt es, dass der Ar­beit­ge­ber den Be­triebs­rat vor "je­der" Kündi­gung anhören muss. Es gibt al­so kei­ne Kündi­gung, die der Ar­beit­ge­ber oh­ne vor­he­ri­ge Anhörung des Be­triebs­rats aus­spre­chen kann. Da­her ist der Be­triebs­rat nach all­ge­mei­ner Mei­nung auch zu Kündi­gun­gen an­zuhören, die der Ar­beit­ge­ber in den ers­ten sechs Mo­na­ten des Ar­beits­verhält­nis­ses aus­spre­chen möch­te.

Al­ler­dings hat der Ar­beit­neh­mer während der ers­ten sechs Mo­na­te des Ar­beits­verhält­nis­ses gemäß § 1 Abs.1 KSchG noch kei­nen Kündi­gungs­schutz nach dem KSchG. Auch wenn im Ar­beits­ver­trag kei­ne Pro­be­zeit ver­ein­bart ist (die ei­ne auf zwei Wo­chen verkürz­te Kündi­gungs­frist zur Fol­ge hat), sind die ers­ten sechs Mo­na­te ei­ne Art ge­setz­li­che Pro­be­zeit. Denn während die­ser sog. War­te­zeit gemäß § 1 Abs.1 KSchG braucht der Ar­beit­ge­ber kei­ne Gründe für ei­ne frist­gemäße Kündi­gung. Es be­steht Kündi­gungs­frei­heit.

Vor die­sem Hin­ter­grund fragt sich, wel­che Be­deu­tung § 102 Abs.1 Satz 2 Be­trVG bei War­te­zeitkündi­gun­gen hat. Nach die­ser Vor­schrift hat der Ar­beit­ge­ber dem Be­triebs­rat im Rah­men der Anhörung "die Gründe für die Kündi­gung mit­zu­tei­len". Wenn der Ar­beit­ge­ber aber nach dem KSchG gar kei­ne Gründe für sei­ne Kündi­gung braucht, son­dern "ein­fach so" kündi­gen kann, wel­che "Gründe" muss er dann dem Be­triebs­rat bei der Anhörung mit­tei­len?

Der Streit­fall: Der Ar­beit­ge­ber teilt in der Anhörung mit, dass die Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses nicht in sei­nem In­ter­es­se sei

Im Streit­fall ging es um ei­ne Ar­beit­neh­me­rin, die zum 01. Ju­li 2010 ein­ge­stellt wur­de. Da im Ar­beits­ver­trag ei­ne Pro­be­zeit ver­ein­bart war, war die Kündi­gungs­frist auf zwei Wo­chen ab­gekürzt (§ 622 Abs.3 Bürger­li­ches Ge­setz­buch - BGB).

Mit­te De­zem­ber 2010, d.h. kurz vor Ab­lauf der War­te­zeit, ent­schloss sich der Ar­beit­ge­ber da­zu, das Ar­beits­verhält­nis or­dent­lich zu kündi­gen. Er hörte da­her den Be­triebs­rat zu der ge­plan­ten Kündi­gung an. In der Be­triebs­rats­anhörung teil­te er die So­zi­al­da­ten, das Ein­tritts­da­tum und den Ein­satz­ort mit. Zu den Kündi­gungs­gründen heißt es in dem Anhörungs­schrei­ben:

"Auf das Ar­beits­verhält­nis fin­det das KSchG noch kei­ne An­wen­dung, es wur­de zu­dem ei­ne sechs­mo­na­ti­ge Pro­be­zeit ver­ein­bart. Ei­ne Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses ist nicht in un­se­rem In­ter­es­se."

Der Be­triebs­rat wi­der­sprach der Kündi­gung, weil er sich nicht aus­rei­chend über die Kündi­gungs­gründe in­for­miert fühl­te. Der Ar­beit­ge­ber mach­te sich nichts dar­aus und sprach am 28. De­zem­ber ei­ne or­dent­li­che Kündi­gung zum 15. Ja­nu­ar aus.

Die Ar­beit­neh­me­rin er­hob Kündi­gungs­schutz­kla­ge, wo­bei sie sich auf ei­nen Ver­s­toß des Ar­beit­ge­bers ge­gen § 102 Abs.1 Be­trVG be­rief. Aus ih­rer Sicht hätte der Ar­beit­ge­ber dem Be­triebs­rat ge­nau­er erklären müssen, aus wel­chen Gründen er kündi­gen wol­le. Das Ar­beits­ge­richt Wup­per­tal (Ur­teil vom 12.05.2011, 6 Ca 166/11) hielt die Anhörung für aus­rei­chend und wies die Kla­ge ab. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Düssel­dorf da­ge­gen gab der Kläge­rin recht (Ur­teil vom 22.11.2011, 17 Sa 961/11).

Denn, so das LAG: Die dürre Mit­tei­lung, dass der Ar­beit­ge­ber kein In­ter­es­se an der Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses hat, gibt nur das Er­geb­nis ei­ner Be­wer­tung wie­der, nicht aber die Umstände, die den Ar­beit­ge­ber zu die­ser Be­wer­tung geführt ha­ben. Das feh­len­de In­ter­es­se an der Wei­ter­beschäfti­gung kann ver­schie­de­ne Ur­sa­chen ha­ben. Und die hätte der Ar­beit­ge­ber dem Be­triebs­rat mit­tei­len müssen. Das LAG ver­miss­te an die­ser Stel­le ei­nen kon­kre­ten "Le­bens­sach­ver­halt", der der Kündi­gungs­ent­schei­dung zu­grun­de liegt.

BAG: Die An­ga­be, dass kein In­ter­es­se an der Fort­set­zung des Ar­beits­verhält­nis­ses be­steht, genügt in der War­te­zeit für ei­ne Anhörung des Be­triebs­rats

Das BAG hob das LAG-Ur­teil auf und bestätig­te das Ur­teil der ers­ten In­stanz. Der Ar­beit­ge­ber hat­te bei der Be­triebs­rats­anhörung kei­nen Feh­ler ge­macht, so das BAG.

Denn dem sub­jek­ti­ven Wert­ur­teil des Ar­beit­ge­bers, das Ar­beits­verhält­nis nicht wei­ter fort­set­zen zu wol­len, lie­gen zwar meis­tens Tat­sa­chen zu­grun­de, die nach Zeit, Ort und Umständen kon­kre­ti­siert wer­den könn­ten, doch muss der Ar­beit­ge­ber den Be­triebs­rat über die­se Tat­sa­chen (= die tatsächli­chen Hin­ter­gründe für sein sub­jek­ti­ves Wert­ur­teil) in der Anhörung zu ei­ner War­te­zeitkündi­gung nicht in­for­mie­ren.

Es genügt da­her für ei­ne ord­nungs­gemäße Anhörung, wenn der Ar­beit­ge­ber al­lein das Wert­ur­teil selbst als das Er­geb­nis sei­nes Ent­schei­dungs­pro­zes­ses mit­teilt, so das BAG. Denn das Wert­ur­teil selbst und nicht et­wa die Tat­sa­chen, auf de­nen es be­ruht, ist bei ei­ner Kündi­gung in der War­te­zeit ein recht­lich aus­rei­chen­der "Grund" für die Kündi­gung.

Kon­kre­ter muss der Ar­beit­ge­ber nach An­sicht des BAG bei der Be­triebs­rats­anhörung nur wer­den, wenn er die Kündi­gung in der War­te­zeit nicht auf ein per­so­nen­be­zo­ge­nes sub­jek­ti­ves Wert­ur­teil stützt, son­dern auf kon­kre­te Tat­sa­chen, d.h. be­son­de­re "Vorfälle" während der Pro­be­zeit. Dann (aber auch nur dann) muss er dem Be­triebs­rat die­se Vorfälle mit­tei­len.

Im vor­lie­gen­den Streit­fall war aber klar, dass sich der Ar­beit­ge­ber bei der ge­plan­ten Kündi­gung al­lein auf ein Wert­ur­teil über die Ar­beit­neh­me­rin stützen woll­te. Dann genügten aber auch die In­for­ma­tio­nen, die der Be­triebs­rat hier im Rah­men der Anhörung er­hal­ten hat­te. Oder mit den Wor­ten des BAG:

"Ge­nau­so gut hätte die Be­klag­te mit­tei­len können, dass sie sich ent­schlos­sen ha­be, von ih­rer Kündi­gungs­frei­heit Ge­brauch zu ma­chen."

Fa­zit: Während der ers­ten sechs Mo­na­te des Ar­beits­verhält­nis­ses be­steht Kündi­gungs­frei­heit, und das heißt für den Ar­beit­ge­ber, dass er "aus dem Bauch her­aus" kündi­gen darf. Er ist nicht ver­pflich­tet, sich über die tatsächli­chen Gründe für sei­ne ne­ga­ti­ve Ent­schei­dung, das Ar­beits­verhält­nis fortführen zu wol­len, klar zu wer­den. Da­her kann der Be­triebs­rat auch kei­ne dies­bezügli­chen In­for­ma­tio­nen in der Anhörung gemäß § 102 Be­trVG ver­lan­gen.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 19. Oktober 2016

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