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LAG Hamm, Urteil vom 30.01.2014, 8 Sa 942/13
Schlagworte: | Altersdiskriminierung, Diskriminierung: Alter, Arbeitszeitverringerung, Teilzeit | |
Gericht: | Landesarbeitsgericht Hamm | |
Aktenzeichen: | 8 Sa 942/13 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 30.01.2014 | |
Leitsätze: | 1. Sieht eine Betriebsvereinbarung die Ermäßigung der wöchentlichen Arbeitszeit von 38 Std./Woche ab dem 40. Lebensjahr auf 36,5 Std./Woche und ab dem 50. Lebensjahr auf 35 Std./Woche vor, so kann die hierin begründete Differenzierung nach dem Lebensalter nicht als durch das gesteigerte Erholungsbedürfnis älterer Arbeitnehmer gerechtfertigt angesehen werden, wenn die Altersermäßigung (anteilig) auch auf Teilzeitbeschäftigte Anwendung findet. Das Motiv der Gleichbehandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten vermag hieran nichts zu ändern. 2. Die Unwirksamkeit der Regelung hat eine „Anpassung nach oben“ in der Weise zur Folge, dass die Arbeitszeitverkürzung auf 35 Std./Wo bereits vor Vollendung des 50. Lebensjahres beansprucht werden kann. 3. Hat der AN danach wöchentlich mehr Stunden gearbeitet, als dies seiner reduzierten Arbeitsverpflichtung entsprach, steht ihm für die Vergangenheit ein Anspruch auf Schadensersatz in Geld zu. |
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Vorinstanzen: | Arbeitsgericht Herford, Urteil vom 18.06.2013, 1 Ca 1445/12 Nachgehend Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 22.10.2015, 8 AZR 168/14 |
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Tenor:
Die Berufungen gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom 18.06.2013 – 1 Ca 1445/13 – werden mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Urteilstenor nach Neufassung des Klageantrages hinsichtlich des Feststellungsbegehrens wie folgt gefasst wird:
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin Arbeitsvergütung zu zahlen in Höhe von der den Vollzeitbeschäftigten gewährten Vergütung.
Von den Kosten des 2. Rechtszuges trägt die Klägerin 1/6, die Beklagte 5/6.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Mit ihrer Klage macht die 1964 geborene Klägerin, welche seit dem Jahre 1990 bei der beklagten Gewerkschaft bzw. deren Rechtsvorgängerin als
Verwaltungsangestellte mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von derzeit 28,5 Stunden beschäftigt ist, einen Anspruch auf Schadensersatz wegen unzulässiger Altersdiskriminierung geltend.
Diesen Anspruch stützt die Klägerin auf den Standpunkt, die in § 9 der allgemeinen Arbeitsbedingungen (AAB) getroffene Regelung, nach welcher die wöchentliche Arbeitszeit der älteren Beschäftigten stufenweise ab dem 40. Lebensjahr und erneut ab dem 50. Lebensjahr um je 1,5 Std. abgesenkt werde, verstoße gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 i.V.m. § 1 AGG, da in unzulässiger Weise an das Merkmal des Alters angeknüpft werde. Entgegen der Auffassung der Beklagten liege keine zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters im Sinne des § 10 AGG vor. Insbesondere könne die Altersstaffelung nicht damit gerechtfertigt werden, dass hiermit dem altersbedingten Nachlassen der körperlichen und geistigen Kräfte und einem gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Arbeitnehmer Rechnung getragen werden soll. Zum einen sei nicht ersichtlich, dass bereits mit dem Lebensalter von 40 Jahren die Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers nachlasse und aus diesem Grunde eine Kompensation durch Arbeitszeitverkürzung geboten sei. Zum anderen stehe es mit dem angeblichen Ziel des Gesundheitsschutzes in Widerspruch, dass die Regelung auch auf Teilzeitkräfte Anwendung finde, welchen zusätzlich das Wahlrecht zugebilligt werde, anstelle einer anteiligen Arbeitszeitverkürzung eine entsprechende Vergütungserhöhung zu erhalten, wie dies anlässlich der Vollendung ihres 40. Lebensjahres auch bei der Klägerin selbst gehandhabt worden sei. Da im Falle der Unwirksamkeit einer Altersstaffelung allein eine Anpassung „nach oben“ in Betracht komme, müsse sie – die Klägerin - so gestellt werden, als habe sie bereits das 50. Lebensjahr vollendet und die Voraussetzungen einer entsprechenden anteiligen Arbeitszeitverkürzung erreicht. Da ihr die zu beanspruchende Arbeitszeitverkürzung in der Vergangenheit nicht gewährt worden sei, stehe ihr hierfür ein Ausgleich in Geld, und zwar in rechnerisch unstreitiger Höhe von 104,-- € brutto/Monat nebst Zinsen zu. Für den weiteren Zeitraum bis zum Erreichen des 50. Lebensjahres begehrt die Klägerin eine Klärung der Rechtslage in Form eines Feststellungsbegehrens. Demgegenüber hat die Beklagte im Wesentlichen vorgetragen, die in § 9 AAB vorgesehene Altersstaffelung diene dem gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Arbeitnehmer und stelle danach eine nach § 10 Satz 1 AAG zulässige unterschiedliche Behandlung wegen Alters dar. Dass die Regelung auch auf Teilzeitkräfte Anwendung finde, rechtfertige sich unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten und könne danach nicht beanstandet werden.
Durch Urteil vom 18.06.2013 (Bl. 82 ff. d. A.), auf welches wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und der Fassung der Anträge – gerichtet auf Zahlung von je 104,-- Euro brutto nebst Zinsen für die Monate Oktober 2011 bis einschließlich Mai 2013 sowie auf Feststellung der maßgeblichen Berechnungsgrundlagen für das Gehalt der Klägerin – verwiesen wird, hat das Arbeitsgericht die Zahlungsansprüche der Klägerin für den Zeitraum Oktober 2011 bis einschließlich Januar 2012 wegen Versäumung der Zweimonatsfrist des § 15 Abs. 4 AGG abgewiesen und im Übrigen den Zahlungsanträgen sowie dem verfolgten Feststellungsantrag auf der Grundlage des Klägervorbringens entsprochen. Mit ihrer rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung begehrt die Beklagte die Abänderung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung mit dem Ziel der vollständigen Klageabweisung, wohingegen die Klägerin mit ihrer – vom Arbeitsgericht zugelassenen – Berufung geltend macht, die in § 15 Abs. 4 AGG vorgesehene Zweimonatsfrist sei durch die Sechsmonatsfrist des § 26 ABB abgeändert worden. Zwar lasse § 15 Abs. 4 AGG eine Änderung der Zweimonatsfrist an sich nur durch eine tarifliche Regelung zu. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Gewerkschaften die Arbeitsbedingungen ihrer Beschäftigten nicht durch Tarifvertrag, sondern zulässigerweise durch Betriebsvereinbarung regelten, sei eine entsprechende Anwendung der genannten Vorschrift auch auf die hier vorliegende Regelung der Arbeitsbedingungen durch Gesamtbetriebsvereinbarung geboten, um eine Schlechterstellung der Gewerkschaftsbeschäftigten zu vermeiden. Von der weiteren Darstellung des Sachverhalts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG 5 abgesehen.
Entscheidungsgründe
Die beiderseits eingelegten Berufungen bleiben ohne Erfolg.
B. Die Berufung der Beklagten ist unbegründet.
I. Entgegen der Auffassung der Beklagten bestehen gegen die Zulässigkeit der Klageanträge keine Bedenken.
1. Mit der sprachlichen Neufassung des Feststellungsantrages ist dem Erfordernis Rechnung getragen, dass als Gegenstand der Feststellungsklage allein ein Rechtsverhältnis bzw. eine hieraus folgende Berechtigung oder Verpflichtung in Betracht kommt (§ 256 Abs. 1 ZPO).
2. Der Zulässigkeit der Feststellungsklage steht auch nicht der Umstand entgegen, dass im Laufe des Verfahrens weitere als die beziffert eingeklagten Monatsbeträge fällig geworden und bezifferbar geworden sind. Zu einer laufenden Aktualisierung und Klageerweiterung in Form eines bezifferten Antrages besteht jedenfalls dann keine Notwendigkeit, wenn der Streit der Parteien allein den Grund des Anspruchs betrifft und deshalb zu erwarten steht, dass auf die gerichtliche Feststellung hin nicht allein die beziffert eingeklagten Rückstände, sondern auch die bis zum Urteilserlass aufgelaufenen weiteren Differenzbeträge ausgezahlt werden.
3. Das Interesse an alsbaldiger Feststellung folgt ohne Weiteres daraus, dass die Beklagte eine entsprechende Zahlungsverpflichtung leugnet und das Bestehen dieser Verpflichtung vom Gericht nicht allein als Vorfrage der geltend gemachten Zahlungsanträge geprüft, sondern – wie in § 256 Abs. 2 ZPO vorgesehen - an der Rechtskraft der Entscheidung teilhaben soll.
4. Schließlich begründet auch der Umstand, dass die Klägerin zwischenzeitlich am 04.01.2014 das 50. Lebensjahr vollendet hat und zu erwarten steht, dass die Beklagte ab dem Monat Januar 2014 ihr die fragliche Ermäßigung der Arbeitszeit gem. § 9 AAB gewähren wird, keine Notwendigkeit, das Feststellungsbegehren ausdrücklich zeitlich zu begrenzen. Der Streit der Parteien betrifft nicht einen auf § 9 ABB gerichteten Erfüllungsanspruch für die Zeit ab Erreichen der maßgeblichen Altersgrenze von 50 Jahren, vielmehr verlangt die Klägerin Schadensersatz in Geld unter dem Gesichtspunkt der Altersdiskriminierung für einen Zeitraum, in welchem sie noch nicht das 50. Lebensjahr erreicht hat, jedoch so gestellt werden will, als hätte sie das betreffende Lebensalter bereits erreicht. Auf dieser Grundlage versteht es sich von selbst, dass das Feststellungsbegehren der Klägerin nicht zeitlich unbeschränkt, sondern auf den Zeitraum der angeblichen Altersdiskriminierung bezogen ist. Dieses Verständnis ist auch aus Sicht der Beklagten nicht zweifelhaft, nachdem die Klägerin – wie die Parteien in der mündlichen Verhandlung vorgetragen haben - für die Zeit ab Vollendung des 50. Lebensjahres keine anteilige Entgelterhöhung bei gleichbleibender Arbeitszeit, sondern eine tatsächliche Herabsetzung der zu leistenden Arbeitsstunden beantragt hat.
II. In der Sache erweisen sich Feststellungs- und Leistungsantrag der Klägerin als begründet. Die Kammer tritt der arbeitsgerichtlichen Entscheidung in der Begründung bei, dass die in § 9 AAB getroffene Regelung über die Ermäßigung der Arbeitszeit für ältere Arbeitnehmer in ihrer konkreten Ausprägung gegen das Verbot der Altersdiskriminierung in § 7 Abs. 1 i.V.m. § 1 AGG verstößt mit der Folge, dass die Beklagte der Klägerin gemäß § 15 Abs. 1 AGG Schadensersatz – und zwar in Geld – zu leisten hat.
1. Auch wenn man – abweichend vom Standpunkt des arbeitsgerichtlichen Urteils -davon ausgeht, dass die in § 9 Abs. 1 AAB vorgesehene Verkürzung der Arbeitszeit für ältere Arbeitnehmer insgesamt - oder jedenfalls, soweit sie in der zweiten Stufe an das 50. Lebensjahr anknüpft - das zulässige Ziel verfolgt, dem gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Beschäftigter Rechnung zu tragen, dieses Ziel eine unterschiedliche Behandlung wegen Alters im Sinne des § 10 Satz 1 AGG rechtfertigt und in der getroffenen Regelung hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt, folgt aus der Einbeziehung der Teilzeitbeschäftigten in die vorgesehene Arbeitszeitverkürzung sowie aus der diesem Personenkreis eingeräumten Wahlmöglichkeit, anstelle einer Arbeitszeitverkürzung einen Ausgleich in Geld im Wege der Aufstockung der Arbeitsvergütung zu erlangen, dass die Regelung in dieser Ausgestaltung nicht als sachlich gerechtfertigte Besserstellung älterer Arbeitnehmer angesehen werden kann. Der Gesichtspunkt des Gesundheitsschutzes trägt jedenfalls in Bezug auf die Gruppe der Teilzeitbeschäftigten die vorgenommene Differenzierung nicht.
Während in Bezug auf die Gruppe der Vollzeitbeschäftigten der Gedanke des Gesundheitsschutzes durch Arbeitszeitermäßigung für ältere Arbeitnehmer als nachvollziehbar erscheint und die gewählte Ausgestaltung der Regelung mit einer Absenkung der Wochenarbeitszeit von 38 auf 36,5 Stunden bereits ab dem 40. Lebensjahr noch von der Einschätzungsprärogative der Betriebsparteien gedeckt anzusehen sein mag, trifft der Gesichtspunkt des Überforderungsschutzes und des gesteigerten Erholungsbedürfnisses auf die Gruppe der Teilzeitkräfte ersichtlich nicht in vergleichbarer Weise zu. Wenn zur Kompensation der nachlassenden Arbeitskraft eines Vollzeitbeschäftigten diesem eine Arbeitszeitermäßigung gegenüber einem jungen Arbeitnehmer im Umfang von maximal drei Stunden gewährt wird und dementsprechend davon ausgegangen wird, dass bei einer verbleibenden Arbeitszeit von 35 Stunden/Woche eine Überforderung des älteren Arbeitnehmers vermieden wird, so ist nicht einsichtig, warum ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer, der nur 20 oder 30 Stunden/Woche arbeitet und aus diesem Grunde mit seiner arbeitsvertraglichen Tätigkeit von den angenommenen Grenzen der Leistungsfähigkeit weit entfernt bleibt, gleichwohl eine an das Lebensalter anknüpfende Arbeitszeitverkürzung erhalten soll, obwohl auf ihn der Gesichtspunkt eines gesteigerten Bedürfnisses, sich von der Arbeit zu erholen, ersichtlich nicht zutrifft. Auch wenn nicht verkannt wird, dass auch ein teilzeitbeschäftigter Arbeitnehmer infolge der Belastung durch Kinderziehung, Pflege naher Angehöriger o. ä. nicht weniger als ein Vollzeitbeschäftigter an seine Belastungsgrenzen gelangen kann und aus diesem Grunde ebenfalls die Verkürzung der Arbeitszeit der Kompensation altersbedingt nachlassender Leistungsfähigkeit dienen könnte, trifft dies jedenfalls nicht auf die gesamte Gruppe der Teilzeitbeschäftigten zu. Wie die Vorschrift des § 8 TzBfG zeigt, fordert ein Teilzeitverlangen des Arbeitnehmers keinerlei sachliche Begründung auf Seiten des Arbeitnehmers, vielmehr können auch individuelle Wünsche der Lebensführung dazu führen, dass ein Arbeitnehmer eine Teilzeitbeschäftigung wählt, um so mehr Freiraum für die private Lebensgestaltung zu erhalten und entweder aus wirtschaftlichen Gründen auf eine Vollzeitbeschäftigung nicht angewiesen oder zu einem gewissen Konsumverzicht bereit ist. Letztere Gruppe mag zwar eine Minderheit unter den Teilzeitbeschäftigten darstellen; demgegenüber kann aber jedenfalls nicht davon ausgegangen werden, dass typischerweise jeder Teilzeitbeschäftigte seine Leistungsfähigkeit im selben Maße wie ein vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer ausschöpft und wie dieser aus Gründen des gesteigerten Erholungsbedürfnisses auf eine Ermäßigung der wöchentlichen Arbeitszeit angewiesen ist. Erst recht zeigt der Umstand, dass den älteren Teilzeitbeschäftigten die Möglichkeit eingeräumt wird, anstelle einer proportionalen Arbeitszeitverkürzung eine entsprechende Vergütungserhöhung zu beanspruchen, dass das Ziel, dem altersbedingten Nachlassen der Arbeitskraft und einem hierdurch gesteigerten Erholungsbedürfnis Rechnung zu tragen, in Bezug auf die Gruppe der Teilzeitbeschäftigten vollkommen zurücktritt. Aus Sicht der
Teilzeitkraft, welche bei Erreichen des 40. und 50. Lebensjahres anstelle einer Arbeitszeitverkürzung jeweils eine Vergütungserhöhung erfährt, stellt sich die Regelung des § 9 AAB als eine am Lebensalter ausgerichtete Staffelung der Arbeitsvergütung dar, welche den Maßstäben des § 10 AGG nicht genügt.
2. Entgegen der Auffassung der Beklagten lässt sich die Einbeziehung der Teilzeitkräfte in das System des § 9 AAB auch nicht mit der Notwendigkeit begründen, Teilzeit- und Vollzeitkräfte gleich zu behandeln. Ausgehend davon, dass die Altersstaffelung in § 9 AAB dem Gesundheitsschutz älterer Arbeitnehmer dienen soll, die wegen ihrer Vollzeitbeschäftigung ein gesteigertes Erholungsbedürfnis aufweisen, liegt auf der Hand, dass für eine anteilige Leistungsgewährung an Teilzeitkräfte kein Raum ist. Der Grund für die vorgesehene Absenkung der Arbeitszeit - nämlich die Kompensation für das altersbedingte Absinken des Leistungsvermögens und des hierdurch gesteigerten Erholungsbedürfnisses – trifft auf die Gruppe der Teilzeitbeschäftigten nicht, und zwar auch nicht proportional im Verhältnis von Teilzeit zu Vollzeit, zu. Umgekehrt folgt aus der Tatsache, dass die Regelung des § 9 AAB nicht zwischen Vollzeit und Teilzeitbeschäftigten unterscheidet, dass die Regelung in dieser Ausgestaltung nicht als durch gesundheitspolitische Ziele gerechtfertigt angesehen werden kann.
3. Die Beklagte trägt auch nicht etwa vor, die Anwendung des § 9 AAB auf Teilzeitkräfte sei – abweichend vom wahren Regelungsgehalt – irrtümlich erfolgt, bei zutreffender Auslegung regele § 9 AAB in rechtlich unbedenklicher Weise allein Ansprüche der Vollzeitbeschäftigten. Wie sich vielmehr aus dem Vortrag der Beklagten ergibt, soll die Einbeziehung der Teilzeitbeschäftigten in die betreffende Regelung nach dem Willen der Betriebsparteien dem Ziel dienen, Teilzeitbeschäftigte und Vollzeitbeschäftigte gleich zu behandeln. Auf dieser Grundlage liegt aber nicht etwa eine fehlerhafte Anwendung des § 9 AAB vor, vielmehr enthält die Regelung des § 9 AAB selbst einen Verstoß gegen das Verbot der Altersdiskriminierung.
4. Erweist sich damit die in § 9 AAB vorgesehene Altersstaffelung als unwirksam, so ergibt sich als Rechtsfolge der unzulässigen Anknüpfung der Leistungsvoraussetzungen an das Lebensalter ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Schadensersatz gemäß § 15 Abs. 1 AGG. Dementsprechend ist die Klägerin so zu stellen, als wenn sie bereits das 50. Lebensjahr vollendet und damit eine Reduzierung ihrer Arbeitszeit auf 35 Stunden/Woche erreicht hätte. Zutreffend hat das Arbeitsgericht hierzu ausgeführt, dass die Beseitigung der Diskriminierung in einem derartigen Fall nur durch eine Anpassung „nach oben“ erfolgen kann.
5. Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt als Form des Schadensersatzes allein ein Ausgleich in Geld in Betracht. Anders als etwa beim Schadensersatz für zu Unrecht nicht gewährten Urlaub in Form der Naturalrestitution durch Nachgewährung von „Ersatzurlaub“ scheitert eine nachträgliche Verkürzung der Arbeitszeit schon deshalb aus, weil die Verpflichtung zur Arbeitsleistung strikt zeitgebunden ist. Infolge der unterbliebenen Arbeitszeitverkürzung hat die Klägerin zusätzliche Arbeitsleistung erbracht, welche entsprechend zu vergüten ist.
6. Gegen die Berechnung der Klageforderung sind keine Bedenken zu erkennen.
7. Aus den vorstehenden Gründen erweist sich auch der - sprachlich lediglich neu gefasste – Feststellungsantrag als begründet. Danach hat die Beklagte die Klägerin bei der Berechnung der Arbeitsvergütung so zu stellen, als ob sie bereits das 50. Lebensjahr vollendet hätte. Diese an ein fiktives Lebensalter anknüpfende Verpflichtung beschränkt sich der Natur der Sache nach auf den Zeitraum vor tatsächlicher Vollendung des 50. Lebensjahres, ohne dass es einer ausdrücklichen zeitlichen Begrenzung im Urteilstenor bedarf.
B. Auch die – vom Arbeitsgericht zugelassene – Berufung der Klägerin, betreffend die Abweisung der eingeklagten monatlichen Differenzbeträge für die Monate Oktober 2011 bis einschließlich Januar 2012, ist unbegründet.
I. Zutreffend hat das Arbeitsgericht erkannt, dass die von der Klägerin verfolgten Schadensersatzansprüche der Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG unterliegen. Mit ihrem Geltendmachungsschreiben vom 02.04.2012 hat die Klägerin danach allein Ansprüche ab dem Monat Februar 2012 rechtzeitig geltend gemacht.
II. Entgegen der Auffassung der Klägerin wird die in § 15 Abs. 4 AGG vorgesehene Zweimonatsfrist nicht durch die Regelung der sechsmonatigen Ausschlussfrist des § 26 AAB verdrängt.
1. Zwar sieht die Vorschrift des § 15 Abs. 4 eine Öffnungsklausel vor. Zum einen erscheint jedoch zweifelhaft, ob eine allgemeine Ausschlussfrist, die – wie § 26 AAB - alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erfasst, zur Abänderung der besonderen Frist des § 15 Abs. 4 AGG geeignet ist, wie dies im Schrifttum angenommen wird (vgl. z. B. Deinert in Däubler/Bertzbach, AGG 2. Aufl., § 15 Rn 103; Bauer/Göpfert/Krieger, AGG, 3. Aufl., § 15 Rn 61). Gegen ein solches Verständnis spricht immerhin der Umstand, dass die besonders kurz bemessene gesetzliche Zweimonatsfrist dem Ziel dient, eine zeitnahe Klärung der Anspruchsvoraussetzungen zu erreichen. Wenn das Gesetz speziell für derartige Ansprüche ein gesteigertes Bedürfnis nach Rechtssicherheit berücksichtigt wissen will und diesem Anliegen durch eine enge Fristenregelung Rechnung trägt, mit einer Öffnungsklausel allerdings Raum dafür lässt, dass die Tarifparteien aufgrund der ihnen zustehenden Verantwortung und unter Berücksichtigung der jeweiligen Besonderheiten der vom tariflichen Geltungsbereich erfassten Branchen und Betriebe abweichende Regelungen vereinbaren können, so erscheint nicht unzweifelhaft, ob in der Vereinbarung allgemeiner tarifliche Ausschlussfristen eine Abbedingung der speziellen Fristenregelung des § 15 Abs. 4 AGG gesehen werden kann. Diese Bedenken gelten erst recht für Fall, dass die tarifliche Regelung zu einem Zeitpunkt vor Inkrafttreten des AGG vereinbart worden ist und damit der Wille, von der gesetzlichen Öffnungsklausel Gebrauch zu machen, zwangläufig fehlt.
2. Zum anderen gewährt § 15 Abs. 4 AGG die Möglichkeit zu einer abweichenden Fristenregelung allein den Tarifparteien. Die in der Gesamtbetriebsvereinbarung vorgesehene Ausschlussfrist des § 26 AAB steht einer tariflichen Regelung nicht gleich. Allein der Umstand, dass die Arbeitsbedingungen der Gewerkschaftsbeschäftigten nicht durch Tarifverträge, sondern – zulässigerweise – durch Betriebsvereinbarung geregelt werden, rechtfertigt keine Gleichsetzung der Betriebsvereinbarungen mit der in § 15 Abs. 4 AGG geforderten tariflichen Regelung. Für die Annahme einer planwidrigen Gesetzeslücke sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Der Umstand, dass für den Bereich der Gewerkschaftsbeschäftigten eine tarifliche Regelung fehlt, beruht nicht etwa auf einem gesetzlich begründeten Regelungshindernis, sondern auf dem Willensentschluss, keine Tarifverträge abzuschließen. Insoweit besteht kein Unterschied zu den in kirchlichen Einrichtungen beschäftigten Arbeitnehmern, für welche die Arbeitsbedingungen ganz überwiegend auf dem sog. dritten Weg vereinbart werden. Auch ansonsten kann ein tarifunwilliger Arbeitgeber zum Abschluss eines Tarifvertrages nur veranlasst werden, wenn sich genügend Arbeitnehmer zu einer Gewerkschaft zusammenschließen und aufgrund entsprechender „Mächtigkeit“ rechtlich und tatsächlich in der Lage sind, einen Tarifabschluss zu erzwingen. Das Fehlen einer tariflichen Regelung stellt damit keine rechtlich vorgegebene Besonderheit dar, welche etwa vom Gesetzgeber übersehen worden wäre. Vielmehr trifft es für sämtliche Arbeitnehmer, deren Arbeitsbedingungen nicht tariflich geregelt sind, zu, dass sie die von § 15 AGG erfassten Ansprüche innerhalb der regulären Zweimonatsfrist geltend machen müssen.
Auch aus der von der Klägerin zitierten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 20.02.2001 (1 AZR 322/00) folgt nichts anderes. Nach dem Inhalt der genannten Entscheidung verstößt es zwar nicht gegen die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 BetrVG, wenn die Arbeitsbedingungen der Gewerkschaftsbeschäftigten durch Betriebsvereinbarung geregelt werden. Dies beruht indessen nicht auf einer Sonderstellung der Gewerkschaften und Gewerkschaftsbeschäftigten, sondern darauf, dass die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 tariflich geregelte oder üblicherweise tariflich geregelte Arbeitsbedingungen betrifft. Wenn die Gewerkschaft keine Tarifverträge abschließt, fehlt es am Merkmal der Tarifüblichkeit. Allein der Umstand, dass in derartigen Fällen die Sperrwirkung des Tarifvertrages zurücktritt, bedeutet nicht, dass die solchermaßen zulässigen Betriebsvereinbarungen tarifvertragsvertretenen Charakter beanspruch können und bei der Anwendung gesetzlicher Tariföffnungsklausel tariflichen Regeln gleichzustellen sind. Die Rechtsmacht, von der gesetzlichen Regelung des § 15 Abs. 4 AGG abzuweichen, hat der Gesetzgeber – sicher nicht ohne Grund, sondern mit Rücksicht auf deren verfassungsrechtlich geschützte Kompetenz zur Regelung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen - allein den Tarifvertragsparteien, nicht hingegen den Betriebsparteien eingeräumt. Hieran sind die Gerichte gebunden.
Dementsprechend muss es damit sein Bewenden haben, dass die Ansprüche der Klägerin bis einschließlich Januar 2012 mangels rechtzeitiger Geltendmachung erloschen sind.
C. Hinsichtlich der Kostenverteilung verbleibt es bei der arbeitsgerichtlichen Entscheidung.
D. Die Kammer hat die Revision gegen das Urteil gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG 31 zugelassen.
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