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BAG, Ur­teil vom 26.05.2011, 8 AZR 18/10

   
Schlagworte: Betriebsübergang, Unterrichtung, Verwirkung
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 8 AZR 18/10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 26.05.2011
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Chemnitz, Urteil vom 15.12.2008 - 10 Ca 1407/08
LAG Sachsen, Urteil vom 20.08.2009 - 6 Sa 765/08
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

8 AZR 18/10
6 Sa 765/08
Säch­si­sches
Lan­des­ar­beits­ge­richt

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am
26. Mai 2011

UR­TEIL

Förs­ter, Ur­kunds­be­am­tin
der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Kläge­rin, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Ach­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 26. Mai 2011 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des- 

 

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ar­beits­ge­richt Hauck, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Böck und Brein­lin­ger so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Dr. Um­fug und Brück­mann für Recht er­kannt:

Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ge­gen das Ur­teil des Säch­si­schen Lan­des­ar­beits­ge­richts vom 20. Au­gust 2009 - 6 Sa 765/08 - wird zurück­ge­wie­sen.

Die Kos­ten des Re­vi­si­ons­ver­fah­rens hat die Be­klag­te zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über den Fort­be­stand ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses

Die Kläge­rin war seit dem 1. No­vem­ber 1992 bei der Deut­schen Bun­des­post, der Rechts­vorgänge­rin der Be­klag­ten, beschäftigt.

Zu­letzt war die Kläge­rin für die Be­klag­te in der K (K) am Stand­ort C tätig.

Mit Schrei­ben vom 26. Ju­li 2007 in­for­mier­te die V GmbH (im Fol­gen­den: V) die Kläge­rin über die be­ab­sich­tig­te Veräußerung der K an die V zum 1. Sep­tem­ber 2007 und den hier­durch aus­gelösten Be­triebsüber­gang von der Be­klag­ten auf die V. Aus­zugs­wei­se lau­tet das Un­ter­rich­tungs­schrei­ben:

„- II - Un­ter­rich­tung über die Be­triebsüber­g­angs­fol­gen

Durch den Ver­kauf kommt es zu ei­nem so ge­nann­ten Be­triebsüber­gang. Ihr Ar­beits­verhält­nis geht auf die V über, d.h. die V wird kraft Ge­setz Ihr neu­er Ar­beit­ge­ber. Die für Sie und Ihr Ar­beits­verhält­nis ent­schei­den­de Vor­schrift in die­sem Zu­sam­men­hang ist § 613a BGB, der als An­hang im Wort­laut ab­ge­druckt ist.

Ver­ein­facht aus­ge­drückt lässt sich fest­hal­ten, dass der größte Teil der für Sie bis zum 29.02.04 (Zeit­punkt vor In­kraft­tre­ten der Wo­chen­ar­beits­zeit­verkürzung in der D AG) in der D AG gülti­gen Ar­beits­be­din­gun­gen bei dem Wech­sel in die V un­verändert be­ste­hen bleibt.

 

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Ih­re Ar­beits­be­din­gun­gen nach dem Wech­sel rich­ten sich nach den Re­ge­lun­gen des mit ver.di ver­ein­bar­ten Um­set­zungs­ta­rif­ver­trags der V. Da­nach gilt für Voll­zeit-beschäftig­te in der V ei­ne Wo­chen­ar­beits­zeit von 38 St­un­den. Ihr Ge­halt, das Sie am Tag vor der Über­lei­tung zur V bei der DAG ha­ben, wird ent­spre­chend der Sys­te­ma­tik der Ta­rif­verträge NBBS mit Stand vom 29.02.2004 um­ge­rech­net, d.h., Sie er­hal­ten bei der V wie­der Ur­laubs­geld und Son­der­zu­wen­dung. Gleich­zei­tig wird Ihr Ge­halt bei ei­ner 38-St­un­den-Wo­che auf 91,25 % ab­ge­senkt.

Das Glei­che gilt natürlich für Sie ent­spre­chend, wenn Sie der­zeit teil­zeit­beschäftigt sind.

Im Ein­zel­nen gel­ten fol­gen­de Grundsätze:

1. Durch den Be­triebsüber­gang tritt für Sie ein Ar­beit­ge­ber­wech­sel von der D AG zur V ein. Ihr Ar­beits­verhält­nis geht mit al­len zum Zeit­punkt des Be­triebsüber­gangs be­ste­hen­den Rech­ten und Pflich­ten auf die V über, de­ren Ar­beit­neh­mer Sie wer­den. Ihr bis­he­ri­ges Ar­beits­verhält­nis zur D AG er­lischt.

2. Die V hat sich mit der Ge­werk­schaft ver.di über ei­nen Ta­rif­ver­trag zur Über­lei­tung von be­stimm­ten Rech­ten auf das Ar­beits­verhält­nis bei der V ge­ei­nigt, dem so ge­nann­ten UTV (Ta­rif­ver­trag zur Um­set­zung des Beschäfti­gungsbünd­nis­ses). Das be­deu­tet für Sie, dass ein Großteil der ta­rif­li­chen Re­ge­lun­gen bei der D AG auch bei der V wei­ter gel­ten.

...

8. Die Dau­er Ih­rer Be­triebs­zu­gehörig­keit bei der D AG bleibt Ih­nen auch bei der V er­hal­ten.

9. Die V haf­tet auch für Ansprüche aus Ih­rem Ar­beits­verhält­nis, die Ih­nen vor dem Be­triebsüber­gang ge­gen die D AG zu­stan­den.“

Mit Wir­kung vom 1. Sep­tem­ber 2007 wur­de der Be­trieb der K auf die V über­tra­gen. Die Kläge­rin ar­bei­te­te dort zunächst wi­der­spruchs­los wei­ter.

Zum 1. März 2008 fand ein wei­te­rer Be­triebsüber­gang der K statt. Es er­folg­te ei­ne Über­tra­gung von der V auf die A GmbH (im Fol­gen­den: A). Die­sem Be­triebsüber­gang hat­te die Kläge­rin ge­genüber der V mit Schrei­ben vom 13. Fe­bru­ar 2008 wi­der­spro­chen.

 

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Mit An­walts­schrei­ben vom 28. April 2008 wi­der­sprach die Kläge­rin dann ge­genüber der Be­klag­ten dem Über­gang ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses von die­ser auf die V zum 1. Sep­tem­ber 2007.

Die Kläge­rin meint, ihr Ar­beits­verhält­nis sei nicht von der Be­klag­ten auf die V über­ge­gan­gen, weil sie dem Über­gang ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses wirk­sam wi­der­spro­chen ha­be. Im Zeit­punkt des Wi­der­spruchs sei die Wi­der­spruchs­frist nicht ab­ge­lau­fen ge­we­sen, da das Un­ter­rich­tungs­schrei­ben vom 26. Ju­li 2007, wel­ches den Be­triebsüber­gang von der Be­klag­ten auf die V zum 1. Sep­tem­ber 2007 be­traf, nicht den ge­setz­li­chen An­for­de­run­gen ent­spro­chen ha­be und in­halt­lich un­zu­rei­chend ge­we­sen sei. Die Ar­beit­neh­mer sei­en nicht vollständig über die Fol­gen des Be­triebsüber­gangs, ins­be­son­de­re nicht zu­tref­fend über die gel­ten­den Ta­rif­verträge, Ar­beits­be­din­gun­gen und die Haf­tungs­ver­tei­lung in­for­miert wor­den. Auch ha­be sie ihr Wi­der­spruchs­recht nicht ver­wirkt, da sie kei­ne Umstände ge­setzt ha­be, die das Ver­trau­en der Be­klag­ten hätten be­gründen können, das Wi­der­spruchs­recht wer­de nicht mehr aus­geübt.

Die Kläge­rin hat zu­letzt be­an­tragt 

fest­zu­stel­len, dass das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en zu un­veränder­ten Be­din­gun­gen über den 1. Sep­tem­ber 2007 hin­aus fort­be­steht.

Die Be­klag­te hat Kla­ge­ab­wei­sung be­an­tragt. 

Sie ver­tritt die An­sicht, der Wi­der­spruch der Kläge­rin sei ver­spätet. Die Un­ter­rich­tung über den Be­triebsüber­gang auf die V sei durch ihr Schrei­ben vom 26. Ju­li 2007 ord­nungs­gemäß er­folgt und ha­be die ein­mo­na­ti­ge Wi­der­spruchs­frist in Lauf ge­setzt. Je­den­falls ha­be die Kläge­rin ihr Recht zum Wi­der­spruch aber ver­wirkt. Das Zeit­mo­ment der Ver­wir­kung sei erfüllt, da die Kläge­rin ih­re Tätig­keit nach der Un­ter­rich­tung wi­der­spruchs­los über neun Mo­na­te für die V fort­ge­setzt ha­be. Auch das Um­stands­mo­ment sei ge­ge­ben, da die Kläge­rin mit Schrei­ben vom 13. Fe­bru­ar 2008 zunächst dem zeit­lich nach­fol­gen­den zwei­ten Be­triebsüber­gang von der V auf die A wi­der­spro­chen ha­be und erst zwei­ein­halb Mo­na­te später dem zeit­lich vor­ge­la­ger­ten ers­ten Be­triebsüber­gang von der Be­klag­ten auf die V. We­gen des zeit­lich vor­aus­ge­hen­den Wi­der­spruchs ge­gen

 

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den zeit­lich nach­fol­gen­den zwei­ten Be­triebsüber­gang sei bei der Be­klag­ten ein Ver­trau­en dar­auf be­gründet wor­den, dass die Kläge­rin dem ers­ten Be­triebsüber­gang nicht mehr wi­der­spre­chen wer­de.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat auf die Be­ru­fung der Kläge­rin das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts ab­geändert und der Kla­ge statt­ge­ge­ben. Mit der vom Se­nat zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt die Be­klag­te ih­ren Kla­ge­ab­wei­sungs­an­trag wei­ter, während die Kläge­rin die Zurück­wei­sung der Re­vi­si­on be­an­tragt.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on der Be­klag­ten ist nicht be­gründet. Das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en be­steht über den 1. Sep­tem­ber 2007 hin­aus fort. Die Kläge­rin hat dem Über­gang ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses wirk­sam wi­der­spro­chen.

I. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat sei­ne kla­ge­statt­ge­ben­de Ent­schei­dung im We­sent­li­chen wie folgt be­gründet: Das Un­ter­rich­tungs­schrei­ben der V vom 26. Ju­li 2007 ha­be nicht den An­for­de­run­gen des § 613a BGB ent­spro­chen und mit­hin die Wi­der­spruchs­frist für die Kläge­rin nicht in Lauf ge­setzt. Da­her sei der Wi­der­spruch vom 28. April 2008 nicht ver­spätet und ihr Ar­beits­verhält­nis nicht auf die V über­ge­gan­gen.

Es könne da­hin­ste­hen, ob die In­for­ma­tio­nen in dem Un­ter­rich­tungs­schrei­ben hin­sicht­lich der an­wend­ba­ren kol­lek­tiv­recht­li­chen Re­ge­lun­gen genügend sei­en. Je­den­falls sei die Kläge­rin nicht hin­rei­chend über das Haf­tungs­sys­tem des § 613a Abs. 2 BGB un­ter­rich­tet wor­den. Durch die For­mu­lie­run­gen in Zif­fer II.9. des Un­ter­rich­tungs­schrei­bens wer­de der Ein­druck er­weckt, es be­ste­he fort­an ei­ne al­lei­ni­ge Haf­tung der Über­neh­me­rin.

Ei­ne Ver­wir­kung des Wi­der­spruchs­rechts sei nicht ge­ge­ben. Ob das für die Ver­wir­kung er­for­der­li­che Zeit­mo­ment erfüllt sei, könne da­hin­ste­hen, da es am Um­stands­mo­ment feh­le. Die Kläge­rin ha­be kei­ne Umstände ge­setzt, die das Ver­trau­en der Be­klag­ten in die Nicht­ausübung ih­res Wi­der­spruchs­rechts

 

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hätten recht­fer­ti­gen können. Ins­be­son­de­re ha­be die Kläge­rin nicht in ei­ner bei der Be­klag­ten im Hin­blick auf den Be­triebsüber­gang vom 1. Sep­tem­ber 2007 ver­trau­ens­be­gründen­den Form über ihr Ar­beits­verhält­nis dis­po­niert. Zwar ha­be die Kläge­rin dem zeit­lich nach­fol­gen­den zwei­ten Be­triebsüber­gang wi­der­spro­chen und hier­durch ei­nen er­neu­ten Ar­beit­ge­ber­wech­sel ver­hin­dert. Hier­aus ha­be aber die Be­klag­te nicht den Schluss zie­hen dürfen, die Kläge­rin bestäti­ge den Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses mit der V und ver­zich­te endgültig auf die ar­beits­ver­trag­li­che Bin­dung zu der Be­klag­ten. Auch die wi­der­spruchs­lo­se Wei­ter­ar­beit der Kläge­rin ab dem 1. Sep­tem­ber 2008 (rich­tig wohl: 1. Sep­tem­ber 2007) bei der V be­gründe kei­ne Ver­wir­kung des Wi­der­spruchs­rechts.

II. Die Ausführun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts hal­ten ei­ner re­vi­si­ons­recht­li­chen Über­prüfung stand.

1. Zu­tref­fend ist das Lan­des­ar­beits­ge­richt da­von aus­ge­gan­gen, dass die Un­ter­rich­tung der Kläge­rin durch das Schrei­ben der V vom 26. Ju­li 2007 über den am 1. Sep­tem­ber 2007 er­fol­gen­den Be­triebsüber­gang von der Be­klag­ten auf die V nicht den ge­setz­li­chen An­for­de­run­gen des § 613a Abs. 5 BGB ent­spricht, so dass der Wi­der­spruch der Kläge­rin vom 28. April 2008 nicht ver­spätet war.

Hier­bei durf­te das Lan­des­ar­beits­ge­richt of­fen­las­sen, ob die Un­ter­rich­tung über die wei­te­re An­wend­bar­keit be­stimm­ter kol­lek­tiv­recht­li­cher Re-ge­lun­gen beim Be­triebs­er­wer­ber zu­tref­fend ist. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat nämlich zu Recht fest­ge­stellt, dass die Un­ter­rich­tung zu­min­dest hin­sicht­lich des Haf­tungs­sys­tems des § 613a Abs. 2 BGB, ins­be­son­de­re der ge­samt­schuld­ne­ri­schen Nach­haf­tung rechts­feh­ler­haft ist.

a) Nach § 613a Abs. 5 Nr. 3 BGB hat der bis­he­ri­ge Ar­beit­ge­ber oder der neue In­ha­ber die von ei­nem Be­triebsüber­gang be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer über die recht­li­chen, wirt­schaft­li­chen und so­zia­len Fol­gen des Über­gangs für die Ar­beit­neh­mer in Text­form zu un­ter­rich­ten. Die Un­ter­rich­tung muss präzi­se sein und darf kei­ne ju­ris­ti­schen Feh­ler ent­hal­ten (BAG 20. März 2008 - 8 AZR 1016/06 - NZA 2008, 1354).

 

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Zu der er­for­der­li­chen Un­ter­rich­tung über die recht­li­chen Fol­gen des Be­triebsüber­gangs für den Ar­beit­neh­mer nach § 613a Abs. 5 Nr. 3 BGB gehört ua. der Hin­weis auf das Haf­tungs­sys­tem, wel­ches sich aus dem Zu­sam­men­spiel der Re­ge­lun­gen in § 613a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BGB er­gibt. Die ge­bo­te­ne In­for­ma­ti­on be­inhal­tet auch die Dar­stel­lung der be­grenz­ten ge­samt­schuld­ne­ri­schen Nach­haf­tung gemäß § 613a Abs. 2 BGB. Hier­nach haf­tet der bis­he­ri­ge Ar­beit­ge­ber ge­samt­schuld­ne­risch mit dem neu­en In­ha­ber für Ver­pflich­tun­gen nach § 613a Abs. 1 BGB, so­weit sie vor dem Zeit­punkt des Über­gangs ent­stan­den sind und vor Ab­lauf von ei­nem Jahr nach dem Über­gang fällig wer­den. Wer­den sol­che ent­stan­de­nen Ver­pflich­tun­gen erst nach dem Zeit­punkt des Über­gangs fällig, so haf­tet der bis­he­ri­ge Ar­beit­ge­ber für sie nur zeit­an­tei­lig.

Nur die vollständi­ge Dar­stel­lung des Haf­tungs­sys­tems ver­setzt die Ar­beit­neh­mer in die La­ge, ge­ge­be­nen­falls nähe­ren Rechts­rat ein­zu­ho­len, wer in wel­chem Um­fang für wel­che Ansprüche haf­tet (BAG 23. Ju­li 2009 - 8 AZR 538/08 - BA­GE 131, 258 = AP BGB § 613a Un­ter­rich­tung Nr. 10 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 114).

b) Die­ses Haf­tungs­sys­tem wird im Un­ter­rich­tungs­schrei­ben vom 26. Ju­li 2007 nicht zu­tref­fend wie­der­ge­ge­ben. Während in Zif­fer II.1. des Schrei­bens der Über­gang des Ar­beits­verhält­nis­ses auf die V als neue Ar­beit­ge­be­rin zum Zeit­punkt des Be­triebsüber­gangs mit al­len Rech­ten und Pflich­ten auf­ge­zeigt wird, heißt es in Zif­fer II.9.: „Die V haf­tet auch für Ansprüche aus Ih­rem Ar­beits­verhält­nis, die Ih­nen vor dem Be­triebsüber­gang ge­gen die D AG zu­stan­den“. Zif­fer II.1. des Un­ter­rich­tungs­schrei­bens bringt zum Aus­druck, dass Ansprüche der über­ge­hen­den Ar­beit­neh­mer, die vor dem Zeit­punkt des Be­triebsüber­gangs ent­stan­den sind, ab die­sem Zeit­punkt ge­genüber der V be­ste­hen. Ob für sol­che Ansprüche ne­ben der V auch die Be­klag­te haf­tet, er­gibt sich aus Zif­fer II.1. nicht. Die­se Fra­ge wird auch durch Zif­fer II.9. des Un­ter­rich­tungs­schrei­bens nicht aus­drück­lich be­ant­wor­tet. Aus der For­mu­lie­rung wird nicht klar, ob die Be­klag­te aus der Haf­tung ab dem Zeit­punkt des Be­triebsüber­gangs aus­schei­det, da die V „auch“ für Ansprüche aus dem Ar­beits­verhält­nis haf­tet, die

 

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vor dem Be­triebsüber­gang ent­stan­den sind. Ent­schei­den­de Be­deu­tung in der gewähl­ten For­mu­lie­rung be­sitzt das Wort „auch“. „Auch“ kann ei­ner­seits ei­ne Haf­tung ne­ben der Be­klag­ten aus­drücken (nicht nur die Be­klag­te haf­tet, son­dern auch die V). An­de­rer­seits kann „auch“ statt­des­sen zum Aus­druck brin­gen, dass die V nicht nur für Ansprüche ab dem Be­triebsüber­gang, son­dern auch für älte­re Ansprüche (un­be­schränkt) haf­tet.

Al­lein we­gen die­ser un­kla­ren und miss­verständ­li­chen For­mu­lie­rung ist die Un­ter­rich­tung nicht vollständig. Hin­zu kommt, dass da­ne­ben jeg­li­cher Hin­weis auf die Be­gren­zung der Haf­tung der Be­klag­ten nach § 613a Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 BGB fehlt. Eben­so we­nig wird auf die Tat­sa­che ei­ner ge­samt­schuld­ne­ri­schen Haf­tung der Be­klag­ten und der V hin­ge­wie­sen.

c) Die­se un­zu­rei­chen­de Un­ter­rich­tung wird auch nicht da­durch ver­vollständigt und zu­tref­fend, dass dem Un­ter­rich­tungs­schrei­ben der Ge­set­zes­wort-laut des § 613a BGB bei­gefügt ist. Die bloße Wie­der­ga­be des Ge­set­zes­wort­lauts genügt den An­for­de­run­gen des § 613a Abs. 5 BGB nicht. Er­for­der­lich ist ei­ne kon­kre­te be­triebs­be­zo­ge­ne Dar­stel­lung in ei­ner auch für ju­ris­ti­sche Lai­en möglichst verständ­li­chen Spra­che (BAG 14. De­zem­ber 2006 - 8 AZR 763/05 - AP BGB § 613a Nr. 318 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 63).

d) Man­gels ord­nungs­gemäßer Un­ter­rich­tung ist die ein­mo­na­ti­ge Wi­der­spruchs­frist des § 613a Abs. 6 Satz 1 BGB mit Zu­gang der Un­ter­rich­tung im Ju­li 2007 nicht in Lauf ge­setzt wor­den (st. Rspr., BAG 20. Mai 2010 - 8 AZR 734/08 - AP BGB § 613a Wi­der­spruch Nr. 19 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 119).

2. Die Kläge­rin hat­te im Zeit­punkt der Ausübung des Wi­der­spruchs ihr Wi­der­spruchs­recht nicht ver­wirkt.

a) Die Ver­wir­kung ist ein Son­der­fall der un­zulässi­gen Rechts­ausübung (§ 242 BGB). Mit ihr wird die il­loy­al ver­späte­te Gel­tend­ma­chung von Rech­ten aus­ge­schlos­sen. Sie dient dem Ver­trau­ens­schutz und ver­folgt nicht den Zweck, den Schuld­ner stets dann von sei­ner Ver­pflich­tung zu be­frei­en, wenn des­sen Gläubi­ger länge­re Zeit sei­ne Rech­te nicht gel­tend ge­macht hat (Zeit­mo­ment). Der Be­rech­tig­te muss viel­mehr un­ter Umständen untätig ge­blie­ben sein, die

 

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den Ein­druck er­weckt ha­ben, er wol­le sein Recht nicht mehr gel­tend ma­chen, so dass der Ver­pflich­te­te sich dar­auf ein­stel­len durf­te, nicht mehr in An­spruch ge­nom­men zu wer­den (Um­stands­mo­ment). Hier­bei muss das Er­for­der­nis des Ver­trau­ens­schut­zes auf Sei­ten des Ver­pflich­te­ten das In­ter­es­se des Be­rech­tig­ten der­art über­wie­gen, dass ihm die Erfüllung des An­spruchs nicht mehr zu­zu­mu­ten ist.

Nach der Recht­spre­chung des Se­nats kann das Wi­der­spruchs­recht des Ar­beit­neh­mers (§ 613a Abs. 6 BGB) ver­wir­ken (vgl. BAG 12. No­vem­ber 2009 - 8 AZR 751/07 - AP BGB § 613a Wi­der­spruch Nr. 12).

b) Dem Lan­des­ar­beits­ge­richt ist da­hin zu fol­gen, dass es vor­lie­gend da­hin­ste­hen kann, ob das für das Vor­lie­gen ei­ner Ver­wir­kung er­for­der­li­che Zeit­mo­ment erfüllt ist. Die Kläge­rin hat je­den­falls kein Um­stands­mo­ment ver­wirk­licht.

c) Das Um­stands­mo­ment ist erfüllt, wenn der Ar­beit­ge­ber auf­grund ei­nes Ver­hal­tens des Ar­beit­neh­mers da­von aus­ge­hen durf­te, der Wi­der­spruch wer­de nicht mehr aus­geübt. Dies ist der Fall, wenn der Ar­beit­neh­mer zu er­ken­nen ge­ge­ben hat, er ha­be den Über­gang sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses auf den Be­triebs­er­wer­ber und die­sen da­mit als sei­nen neu­en Ar­beit­ge­ber ak­zep­tiert. Re­gelmäßig ist dies an­zu­neh­men, wenn der Ar­beit­neh­mer über den Be­stand sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses ge­genüber dem Be­triebs­er­wer­ber dis­po­niert hat (BAG 23. Ju­li 2009 - 8 AZR 357/08 - AP BGB § 613a Wi­der­spruch Nr. 10 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 113). Ei­ne sol­che Dis­po­si­ti­on über ihr Ar­beits­verhält­nis hat die Kläge­rin nicht ge­trof­fen.

aa) We­der die wi­der­spruchs­lo­se Wei­ter­ar­beit des Ar­beit­neh­mers beim Be­triebsüber­neh­mer (BAG 2. April 2009 - 8 AZR 318/07 - AP BGB § 613a Wi­der­spruch Nr. 8) noch et­wai­ge Ver­ein­ba­run­gen mit dem Be­triebs­er­wer­ber, durch die ein­zel­ne Ar­beits­be­din­gun­gen, et­wa die Art und der Um­fang der zu er­brin­gen­den Ar­beits­leis­tung oder die Höhe der Ar­beits­vergütung, geändert wer­den, stel­len Sach­ver­hal­te dar, durch die das Um­stands­mo­ment der Ver­wir­kung aus­gelöst ist. Im Ge­gen­satz hier­zu be­gründen Dis­po­si­tio­nen des Ar-

 

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beit­neh­mers über den Be­stand sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses an sich das für die An­nah­me ei­ner Ver­wir­kung er­for­der­li­che Um­stands­mo­ment. Als Dis­po­si­tio­nen über den Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses sind nur sol­che Ver­ein­ba­run­gen oder Ver­hal­tens­wei­sen des Ar­beit­neh­mers an­zu­se­hen, durch die es zu ei­ner Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses kommt. Dies können ins­be­son­de­re der Ab­schluss ei­ner Auf­he­bungs­ver­ein­ba­rung mit dem Be­triebs­er­wer­ber oder die wi­der­spruchs­lo­se Hin­nah­me ei­ner vom Be­triebs­er­wer­ber aus­ge­spro­che­nen Kündi­gung sein. Auch ei­ne Ver­ein­ba­rung mit dem Be­triebsüber­neh­mer, durch die das Ar­beits­verhält­nis auf ei­ne völlig neue recht­li­che Grund­la­ge ge­stellt wird, die nicht mehr als Fortführung des bis­he­ri­gen Ver­trags an­ge­se­hen wer­den kann, stellt ei­ne Dis­po­si­ti­on über das Ar­beits­verhält­nis dar (zB die Be­gründung ei­nes Al­ters­teil­zeit­ar­beits­verhält­nis­ses; vgl. BAG 23. Ju­li 2009 - 8 AZR 357/08 - AP BGB § 613a Wi­der­spruch Nr. 10 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 113).

Kein Um­stands­mo­ment be­gründet hin­ge­gen die Er­he­bung ei­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge ge­gen ei­ne vom Er­wer­ber aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung (vgl. BAG 2. April 2009 - 8 AZR 178/07 - AP BGB § 613a Wi­der­spruch Nr. 9).

bb) Die Be­ur­tei­lung der Fra­ge, ob ein Recht ver­wirkt ist, un­ter­liegt grundsätz­lich den Tat­sa­chen­ge­rich­ten, die den ih­nen zur Be­gründung des Ver­wir­kungs­ein­wan­des vor­ge­tra­ge­nen Sach­ver­halt ei­gen­ver­ant­wort­lich zu würdi­gen ha­ben. Al­ler­dings un­ter­liegt der re­vi­si­ons­recht­li­chen Über­prüfung, ob das Ge­richt der Tat­sa­chen­in­stanz al­le er­heb­li­chen Ge­sichts­punk­te berück­sich­tigt hat und die Be­wer­tung die­ser Ge­sichts­punk­te von den ge­trof­fe­nen tatsächli­chen Fest­stel­lun­gen ge­tra­gen wird (BAG 20. Mai 2010 - 8 AZR 734/08 - AP BGB § 613a Wi­der­spruch Nr. 19 = EzA BGB 2002 § 613a Nr. 119). Dies ist vor­lie­gend der Fall.

Zu Recht ist das Lan­des­ar­beits­ge­richt da­von aus­ge­gan­gen, die Kläge­rin ha­be mit dem Wi­der­spruch vom 13. Fe­bru­ar 2008 hin­sicht­lich des Be­triebsüber­gangs von der V auf die A nicht über den Be­stand ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses dis­po­niert und da­her ihr Recht zum Wi­der­spruch am 28. April 2008 nicht ver­wirkt ge­habt. Zu­tref­fend stellt das Lan­des­ar­beits­ge­richt dar­auf ab, dass die Be­klag­te aus dem Wi­der­spruch vom 13. Fe­bru­ar 2008 nicht den Schluss zie­hen

 

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durf­te, die Kläge­rin bestäti­ge mit die­sem den Be­stand ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses mit der V und ver­zich­te endgültig auf ei­ne ar­beits­ver­trag­li­che Bin­dung zu der Be­klag­ten. Die Kläge­rin ist mit ih­rem Wi­der­spruch le­dig­lich ei­ner (wei­te­ren) Ände­rung ih­res Ver­trags­part­ners ent­ge­gen­ge­tre­ten, oh­ne hier­mit ei­ne Dis­po­si­ti­on oder Aus­sa­ge über den Ver­trags­part­ner so­wie den In­halt und den Be­stand ih­res zu die­sem Zeit­punkt be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis­ses zu tref­fen. Sie hat nicht erklärt: „Ich will bei der V blei­ben“, son­dern: „Ich will nicht zur A wech­seln“.

Wi­der­spricht der Ar­beit­neh­mer (zunächst) dem Über­gang sei­nes Abeits­verhält­nis­ses in­fol­ge ei­nes „Zweit-Be­triebsüber­gangs“, ist dies dem Fall ver­gleich­bar, in wel­chem der Ar­beit­neh­mer zunächst, dh. vor Erklärung des Wi­der­spruchs, ge­gen ei­ne Kündi­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses durch den Be­triebs­er­wer­ber Kündi­gungs­schutz­kla­ge er­hebt. In bei­den Fall­ge­stal­tun­gen erklärt der Ar­beit­neh­mer le­dig­lich ge­genüber dem Be­triebs­er­wer­ber, dass er ei­ner Be­en­di­gung der ak­tu­ell be­ste­hen­den Ar­beits­ver­trags­be­zie­hung ent­ge­gen­tritt. Ei­nen wei­ter­ge­hen­den Erklärungs­wert enthält grundsätz­lich we­der die Er­he­bung ei­ner Kündi­gungs­schutz­kla­ge noch der Wi­der­spruch hin­sicht­lich ei­nes Zweit-Be­triebsüber­gangs.

3. Die Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts ist auch nicht des­halb re­vi­si­ons­recht­lich zu be­an­stan­den, weil es sich - wie die Re­vi­si­on rügt - mit dem Wort­laut des Wi­der­spruchs­schrei­bens der Kläge­rin vom 13. Fe­bru­ar 2008 nicht im Ein­zel­nen aus­ein­an­der­ge­setzt hat. Das Be­ru­fungs­ge­richt hat die­ses Schrei­ben da­hin­ge­hend aus­ge­legt, dass die Be­klag­te aus ihm nicht den Schluss zie­hen durf­te, die Kläge­rin bestäti­ge durch das Schrei­ben den Be­stand ih­res Ar­beits­verhält­nis­ses mit der V und ver­zich­te endgültig auf die ar­beits­ver­trag­li­che Bin­dung zu der Be­klag­ten.

Die Aus­le­gung ei­ner nicht­ty­pi­schen Erklärung, als wel­che sich das Wi­der­spruchs­schrei­ben der Kläge­rin vom 13. Fe­bru­ar 2008 dar­stellt, ist re­gel-mäßig den Tat­sa­chen­ge­rich­ten vor­be­hal­ten. Re­vi­si­ons­recht­lich nach­prüfbar ist le­dig­lich, ob ge­setz­li­che Aus­le­gungs­re­geln, Denk­ge­set­ze oder all­ge­mei­ne Er­fah­rungssätze ver­letzt sind oder we­sent­li­cher Tat­sa­chen­stoff, der für die

 

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Aus­le­gung von Be­deu­tung ist, außer Be­tracht ge­las­sen wor­den ist (st. Rspr., vgl. BAG 20. Fe­bru­ar 2001 - 9 AZR 46/00 - AP TVG § 1 Ta­rif­verträge: Gaststätten Nr. 11 = EzA TVG § 4 Aus­schluss­fris­ten Nr. 139). Dass dem Lan­des­ar­beits­ge­richt bei der Aus­le­gung des Wi­der­spruchs­schrei­bens sol­che Rechts­feh­ler un­ter­lau­fen sind, ist nicht er­sicht­lich.

4. Die Be­klag­te hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kos­ten des Re­vi­si­ons­ver­fah­rens zu tra­gen.

Hauck 

Böck 

Brein­lin­ger

Um­fug 

Brück­mann

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