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LAG Hamm, Urteil vom 18.04.2013, 8 Sa 1649/12
Schlagworte: | Überstunden, Überstundenklage, Schätzung | |
Gericht: | Landesarbeitsgericht Hamm | |
Aktenzeichen: | 8 Sa 1649/12 | |
Typ: | Urteil | |
Entscheidungsdatum: | 18.04.2013 | |
Leitsätze: | 1. Intransparenz einer Vertragsbestimmung zur vereinbarten Dauer der Arbeitszeit. Eine arbeitsvertragliche Klausel „Die Dauer der Arbeitszeit ist dem AN bekannt“ ist auch dann als intransparent anzusehen, wenn der als Busfahrer im Linienverkehr eingesetzte AN vor Beginn des Arbeitsverhältnisses im Rahmen einer Fördermaßnahme der Arbeitsagentur tätig war, seine Arbeitszeit jedoch fahrplanbedingten Schwankungen unterlag. Hat der Arbeitgeber die wöchentliche Arbeitszeit während der Vorbeschäftigung gegenüber der Arbeitsagentur mit 40 Stunden bescheinigt, liegt hierin ein wesentlicher Anhaltspunkt für die Vertragsauslegung. Die gesetzliche Höchstarbeitszeit ist nicht maßgeblich.
2. Schätzung des Umfangs geleisteter Überstunden auf der Grundlage des Arbeitgebervorbringens Errechnet der als Busfahrer im Linienverkehr tätige AN seine Forderung auf Zahlung von Überstundenvergütung zu Unrecht unter Einbeziehung fahrplanbedingter Wartezeiten sowie nicht belegter längerer Zeiten für Vor- und Nacharbeit und bietet sein Vortrag auch keine Grundlage zur korrekten Ermittlung des Anteils vergütungspflichtiger Arbeitsstunden, trägt jedoch der Arbeitgeber seinerseits vor, die tägliche Arbeitszeit habe „im Durchschnitt allenfalls 8,5 Stunden“ betragen, so kann, wenn sich der AN diesen Vortrag hilfsweise zu eigen macht, der Umfang der zu vergütenden Arbeitsstunden gem. § 287 Abs. 2 ZPO auf dieser Grundlage geschätzt werden. |
|
Vorinstanzen: | Arbeitsgericht Dortmund, Urteil vom 23.10.2012, 5 Ca 2205/12 | |
Tenor:
Unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen wird auf die Berufung des Klägers das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 23.10.2012 , 5 Ca 2205/12 – teilweise abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger als Überstundenvergütung für den Zeitraum Mai 2011 bis einschließlich März 2012 1.103,76 €brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 05.05.2012 zu zahlen.
Von den Kosten des ersten Rechtszuges trägt der Kläger 5/6, die Beklagte 1/6. Die Kosten des zweiten Rechtszuges trägt der Kläger allein.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Mit seiner Klage macht der Kläger, welcher zunächst vom 01.04. bis 28.04.2011 im Rahmen einer Fördermaßnahme der Arbeitsagentur und sodann aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrages vom 29.04.2011 (Bl. 4 ff. d. A.) in der Zeit vom 01.05.2011 bis zum 31.03.2012 im Omnibusverkehrsunternehmen der Beklagten als Busfahrer im Linienverkehr beschäftigt war, Ansprüche auf Zahlung von Überstundenvergütung geltend. Zum Umfang der von ihm geleisteten Arbeitsstunden verweist der Kläger auf entsprechende Arbeitsnachweise/Reisekostenabrechnungen (Bl. 13 ff. d. A.), aus welchen sich die arbeitstäglich zugewiesenen Touren sowie die – seiner Behauptung nach maßgeblichen – Anfangs- und Endzeiten der Arbeitszeit ergeben, zu welchen er den Betrieb betreten bzw. verlassen habe. Auf der Grundlage der Gesamtaufstellung Blatt 12 d. A. errechnet der Kläger unter Abzug von einer Pausenzeit von einer Stunde arbeitstäglich und unter Berücksichtigung einer Normalarbeitszeit von 176 Stunden ein abzugeltendes Überstundenvolumen von 649,65 Stunden. Hierfür verlangt der Kläger auf der Grundlage eines Stundenlohns von 10,22 € die Zahlung eines Betrages von 6.644,14 €brutto.
Demgegenüber hat die Beklagte vorgetragen, nach dem Inhalt des Arbeitsvertrages stehe dem Kläger keine Überstundenvergütung zu. Entgegen dem Standpunkt des Klägers sei keine 40-Stunden-Woche vereinbart. Vielmehr ergebe sich aus der in § 4 des Arbeitsvertrages enthaltenen Klausel
„Die Arbeitszeit ist dem Arbeitnehmer bekannt",
dass sich der Umfang der Arbeitspflicht an der Handhabung während der von der Arbeitsagentur geförderten Maßnahme orientieren solle. Die arbeitsvertragliche Klausel sei auch keineswegs intransparent. Der Umfang der Arbeitspflicht werde vielmehr durch die dem Kläger bekannten 14 verschiedenen Bustouren bestimmt. Aufgrund dessen variiere zwar die wöchentliche Arbeitszeit in geringerem Umfang, jedenfalls bei überschlägiger Berechnung ergebe sich jedoch allenfalls eine Durchschnittsstundenzahl von rund 8,5 Stunden pro Arbeitstag. Demgegenüber seien die Angaben des Klägers mit der Realität nicht in Einklang zu bringen. Die vom Kläger vorgelegten Spesenabrechnungen seien für die Berechnung der Arbeitszeit nicht maßgeblich, vergütungspflichtig seien vielmehr allein die fahrplanmäßigen Fahrzeiten zuzüglich einer erforderlichen Rüstzeit von ca. 10 Minuten vor Beginn der einzelnen Touren.
Durch Urteil vom 23.10.2012 (Bl. 69 ff. d. A.), auf welches wegen des weiteren erstinstanzlichen Parteivorbringens und der Fassung der Anträge Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist im Wesentlichen ausgeführt worden, der Kläger habe die von ihm behaupteten Überstunden nicht schlüssig dargelegt. Hierzu seien die vom Kläger vorgelegten Aufzeichnungen unzureichend. Da zwischen den Parteien streitig sei, welche Zeit für die Vor- und Nachbereitung der gefahrenen Touren anzusetzen und in welchem Umfang Stand- und Pausenzeiten zu berücksichtigen seien, sei es Aufgabe des Klägers im Einzelnen vorzutragen, an welchen Tagen in welchem Umfang er gefahren und in welchem Umfang er Zeiten der Vor- und Nachbereitung sowie Stand- und Pausenzeiten berücksichtigt habe. Wie der Vergleich mit den von der Beklagten vorgetragenen fahrplanmäßigen Einsatzzeiten ergebe, habe der Kläger offenbar für jeden Tag unterschiedliche Zeiten für die Vor- und Nachbereitung berücksichtigt und diese großzügig „gerundet". Unter diesen Umständen sei es nicht Aufgabe des Gerichts, sich aus den eingereichten Anlagen zur Klageschrift zusammenzusuchen, in welchem Umfang in den von Kläger aufgeführten Rahmenzeiten unstreitige Fahrzeiten und streitige Vor- bzw. Nachbereitungszeiten und Standzeiten enthalten seien.
Mit seiner rechtzeitig eingelegten und begründeten Berufung verfolgt der Kläger sein Klagebegehren unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens weiter. Abweichend vom Standpunkt des Arbeitsgerichts bedürfe es keiner weiteren Aufgliederung der dargestellten Zeiten zwischen Antritt und Verlassen des Betriebsorts. Zusätzlich zu den reinen Fahrzeiten seien nämlich entsprechende Vorbereitungsarbeiten wie An- und Abfahrtskontrolle, Reinigung des Fahrzeuginneren, Tanken und Waschen zu berücksichtigen. Zum Beweise dafür, dass die angegebenen Anfangs- und Endzeiten zutreffend seien, bezieht sich der Kläger auf die eidliche Parteivernehmung des Geschäftsführers der Beklagten sowie auf die Auswertung der im Zuge des Verfahrens vorgelegten Tachoscheiben.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des am 23.10.2012 verkündeten Urteils des Arbeitsgerichts Dortmund – 5 Ca 2205/12 – die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 6.644,14 €brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 04.04.2012 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die arbeitsgerichtliche Entscheidung als zutreffend und hält an ihrer Auffassung fest, der Vortrag des Klägers zum Umfang der angeblich geleisteten Arbeitsstunden sei unschlüssig. Richtig sei allein, dass sich aus dem Arbeitsvertrag eine bestimmte Anzahl von Normalstunden nicht unmittelbar entnehmen lasse. Wie dem Kläger bekannt, werde die Arbeitszeit jedoch zweifelsfrei durch die Busfahrpläne bestimmt, weswegen eine Fahrplanänderung ggfls. auch zu einer entsprechenden Änderung der Arbeitszeit führe. Da der Kläger mit diesen Gegebenheiten vertraut gewesen sei, könne er hieraus eine Unwirksamkeit der vertraglichen Regelung wegen fehlender Transparenz nicht herleiten. In Anbetracht der Unschlüssigkeit des Klagebegehrens helfe es dem Kläger auch nicht weiter, wenn er sich – wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht erklärt – hilfsweise den erstinstanzlichen Vortrag der Beklagten zu eigen machen wolle, bei überschlägiger Berechnung liege allenfalls eine Durchschnittsstundenzahl von rund 8,5 Stunden pro Arbeitstag vor. Wie die gewählte Formulierung zeige, beruhe die betreffende Angabe nicht auf einer konkreten Berechnung und könne schon deshalb nicht zur Begründung einer Forderung in bestimmter Höhe herangezogen werden. Vorsorglich werde der betreffende Vortrag seitens der Beklagten nicht aufrechterhalten.
Entscheidungsgründe
Die Berufung des Klägers ist nur zum Teil begründet, im Übrigen hingegen unbegründet.
I. Der Kläger kann von der Beklagten die Bezahlung der zusätzlich – über die Arbeitszeit von 40 Stunden/Woche hinaus geleisteten – Arbeitsstunden verlangen. Da die arbeitsvertragliche Regelung über die Dauer der Arbeitszeit wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot des § 307 BGB unwirksam ist, der Kläger zu Recht mit dem Hinweis auf die erteilte Arbeitsbescheinigung einen ausreichenden Anhaltspunkt für eine
vertragliche Normalarbeitszeit von 40 Stunden aufzeigt und sich der Kläger hilfsweise den Vortrag der Beklagten zur überschlägigen Berechnung der Arbeitszeit zu eigen gemacht hat, liegen ausnahmsweise hinreichende Anhaltspunkte für eine Schätzung des zu vergütenden Überstundenvolumens gemäß § 287 Abs. 2 ZPO vor mit dem Ergebnis, dass arbeitstäglich eine halbe Stunde über die vertragliche Arbeitszeit hinaus gearbeitet worden ist. Soweit es die weitergehende Forderung des Klägers betrifft, hat es hingegen beim Ergebnis zu verbleiben, dass der Vortrag des Klägers zum Umfang seiner Überstundenleistungen unschlüssig ist.
1. In Übereinstimmung mit dem arbeitsgerichtlichen Urteil entspricht der Vortrag des Klägers in Klageschrift und Berufungsbegründung nicht den Anforderungen an einen schlüssigen Sachvortrag. Der Kläger will den Umfang der geleisteten und zu vergütenden Arbeitsstunden anhand der vorgelegten Arbeitszeitnachweise/Reisekostenabrech n u ngen errechnet wissen. Die hierin aufgeführten Zeiten umfassen indessen nicht allein die vergütungspflichtige Arbeitszeit. Zum einen zählen die Warte- bzw. Wendezeiten im Linienverkehr weder in arbeitszeitrechtlicher noch in vergütungsrechtlicher Hinsicht zur Arbeitszeit, da der Fahrer zwischen Erreichen der Endhaltestelle und dem fahrplanmäßigen Neubeginn der Tour weder Arbeitsleistungen erbringt, noch sich zur Arbeitsleistung bereit halten muss (BAG 14.04.1966, 2 AZR 503/63, AP Nr. 2 zu § 13 AZO; LAG Mecklenburg-Vorpommern, 23.02.2006, 1 Sa 316/05 - juris). Tarifliche Regeln können zwar eine Vergütung auch für längere Zeiten der Arbeitsunterbrechung vorsehen, derartige Regeln finden auf das Arbeitsverhältnis der Parteien jedoch keine Anwendung. Zum anderen lässt sich dem Vortrag des Klägers nicht entnehmen, warum etwa bei einem Beginn der Tour BRS I um 5.50 Uhr ein Betreten des Betriebes um 5.00 Uhr erforderlich und damit als Arbeitsbeginn maßgeblich gewesen sein soll. Da der Kläger – wie die Beklagte unwidersprochen vorgetragen hat - täglich auf demselben Fahrzeug eingesetzt war, bestand ohne besondere Anhaltspunkte keine Notwendigkeit, das eingesetzte Fahrzeug täglich umfassend und zeitaufwändig hinsichtlich der Betriebssicherheit pp. zu überprüfen. Richtig ist zwar, dass für den Arbeitsbeginn nicht der Abfahrtszeitpunkt an der Haltestelle maßgeblich ist, sondern die erforderliche Rüstzeit sowie die Fahrt vom Betriebsgelände zur Haltestelle in die Arbeitszeit einzurechnen sind. Da die Abfahrthaltestelle nicht bei sämtlichen Touren identisch ist, setzt ein schlüssiger Vortrag eine diesbezügliche tourenbezogene Darstellung voraus. Die vom Kläger vorgenommene Arbeitszeitberechnung muss damit in Übereinstimmung mit dem arbeitsgerichtlichen Urteil als unschlüssig angesehen werden.
2. Ein zumindest teilweise schlüssiger Vortrag lässt sich auch nicht aus den Angaben des Klägers entnehmen, welche Tour er an den einzelnen aufgeführten Arbeitstagen absolviert hat. Zwar sind in die Prüfung der Schlüssigkeit des Klägervortrages auch die von der Beklagten mitgeteilten und vom Kläger nicht bestrittenen Angaben zur Dauer der verschiedenen Touren einzubeziehen. Dass allein die reinen Fahrzeiten ausreichen, um die vom Kläger selbst für maßgeblich erachtete „Normalarbeitszeit" von 40 Stunden zu überschreiten, will der Kläger jedoch ersichtlich selbst nicht vortragen. Auch der Umstand, dass die Beklagte bei ihrem Vortrag zur überschlägig ermittelten Durchschnittsstundenzahl von rund 8,5 Stunden pro Arbeitstag die Rüstzeiten und unterschiedlichen Anfahrtszeiten zur Abfahrtshaltestelle berücksichtigt, spricht deutlich dagegen, dass schon aus der unstreitigen fahrplanmäßigen Fahrzeit eine Überstundenleistung herzuleiten ist.
3. Im Zuge der Erörterungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht hat sich der Kläger jedoch ausdrücklich hilfsweise den Beklagtenvortrag zur überschlägig ermittelten Arbeitszeit von allenfalls rund 8,5 Stunden täglich zu eigen gemacht. Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls kann auf dieser Grundlage der Umfang der vom Kläger geleisteten und von der regulären Arbeitsvergütung nicht erfassten Arbeitszeit im Wege der Schätzung gemäß § 287 Abs. 2 ZPO ermittelt werden.
a) § 287 Abs. 2 ZPO erlaubt in vermögensrechtlichen Streitigkeiten unter den im Gesetz genannten Voraussetzungen auch die Schätzung des Umfangs von Erfüllungsansprüchen und wird in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bei der Geltendmachung von Überstundenvergütung angewandt (vgl. BAG vom 21.05.1980 - 5 AZR 194/78 - juris; BAG vom 11.03.1981 - 5 AZR 878/78 - juris; BAG vom 18.09.2001 - 9 AZR 307/90 - NZA 2002, 268). Der Bundesgerichtshof lässt in ständiger Rechtsprechung für den Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters nach § 89 b Abs. 1 HGB wegen bei Massengeschäften bestehenden tatsächlichen Schwierigkeiten eine Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO zur Erleichterung sowohl der Darlegungslast als auch der Beweisführung zu und billigt sogar die Verwendung statistischen Materials als Grundlage einer Schätzung (vgl. zuletzt BGH vom 10.07.2002 - VII ZR 158/01 - MDR 2002, 1379 m.w.N.). Durch § 287 ZPO soll verhindert werden, dass eine Klage allein deshalb abgewiesen wird, weil der Kläger nicht in der Lage ist, den vollen Beweis für die Höhe seines Anspruchs zu erbringen (Zöller/Greger, ZPO, § 287 Rn 1; LAG Hamm, 22.05.2006, 16 Sa 1593/05, EzA-SD 2006 Nr. 21, 16).
b) Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, da der Umfang der geleisteten und zu vergütenden Arbeitsstunden zum Teil streitig ist. Schon die Dauer der reinen Fahrzeitenlässt sich nicht exakt nach dem Fahrplan ermitteln, da die tatsächliche Tourendauer hiervon erfahrungsgemäß mehr oder weniger abweicht. Des Weiteren fehlen konkrete Angaben zur aufgewandten oder angemessenen Dauer der Fahrt vom Betriebsgelände zur Abfahrtshaltestelle und zurück, vielmehr ist dem Vorbringen der Parteien allein zu entnehmen, dass einzelne Abfahrtshaltestellen weiter entfernt, andere hingegen in der Nähe des Betriebsgeländes befindlich sind. Allein der Umstand, dass mit exakten Entfernungsangaben die jeweils benötigte Fahrtzeit ermittelt werden könnte, ändert nichts daran, dass der hierfür erforderliche Aufwand als unverhältnismäßig im Sinne der genannten Vorschrift erscheint.
c) Die Beklagte selbst hat – offenbar eben wegen der Schwierigkeiten, die tatsächlich als Arbeitszeit anzusehende Zeitspanne exakt zu ermitteln – eine überschlägig ermittelte Arbeitszeit von „durchschnittlich allenfalls 8,5 Stunden" täglich genannt. Da der Beklagten die maßgeblichen Berechnungsgrundlagen – die unterschiedliche Dauer der Touren, deren Verteilung auf die jeweiligen Arbeitswochen oder –monate, die Rüstzeit und die Entfernungen vom Betrieb zu den einzelnen Abfahrtshaltestellen - bekannt sind, kann davon ausgegangen werden, dass die von ihr genannte durchschnittliche Stundenzahl auf realistischen Annahmen beruht. Trotz der einschränkenden Formulierung „allenfalls" kann auf dieser Grundlage von einer ausreichend gesicherten Schätzungsgrundlage ausgegangen werden, zumal gegenteilige Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte bewusst oder irrtümlich von unrichtigen Annahmen ausgegangen sein könnte, fehlen.
d) Die dem Beklagtenvortrag entnommene Schätzungsgrundlage einer Durchschnittsstundenzahl von rund 8,5 Stunden täglich ist auch nicht deshalb gegenstandslos und prozessual unbeachtlich, weil die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht erklärt hat, sie halte an diesem Vortrag nicht weiter fest. Aus welchem Grunde die zunächst vorgenommene – wenn auch nur überschlägige – Angabe zum Umfang der Arbeitszeit irrtumsbehaftet und deshalb unmaßgeblich sein soll, lässt sich dem Beklagtenvorbringen nicht entnehmen. Wenn die Beklagte – wie zu ihren Gunsten anzunehmen ist – ihre Angaben zur überschlägigen Durchschnittsarbeitszeit des Klägers nicht „ins Blaue hinein", sondern unter Berücksichtigung von Fahrplänen, Rüstzeiten und Erfahrungswissen vorgetragen hat, wäre es unter dem Gesichtspunkt der Würdigung wechselnden Sachvortrages ihre Sache, einen hiervon abweichenden Sachvortrag zu konkretisieren und etwa anzugeben, dass von anderen Fahrplänen, kürzeren Rüstzeiten oder sonst wie abweichenden tatsächlichen Grundlagen der Durchschnittsberechnung auszugehen wäre.
e) Auf der Grundlage der vorstehenden Ausführungen ist von der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit von 8,5 Stunden/Tag auszugehen. Jedenfalls in diesem Umfang handelte es sich auch um vom Arbeitgeber zugewiesene Arbeitstätigkeiten, für welche der Kläger
Vergütung verlangen kann.
4. Der tatsächlich geleisteten Arbeitszeit von geschätzten 8,5 Stunden/Arbeitstag steht eine vertraglich geschuldete Arbeitszeit von 8 Stunden täglich – entsprechend einer 40-Stundenwoche – gegenüber.
a) Ersichtlich handelt es sich bei dem vorliegenden Arbeitsvertrag um allgemeine Arbeitsbedingungen, die der ABG-Kontrolle unterliegen. Auch die Beklagte hat nicht geltend gemacht, die Vertragsbedingungen und insbesondere die wenig glücklichgefasste Regelung über die Dauer der Arbeitszeit sei etwa individuell zwischen den Parteien im Rechtssinne „ausgehandelt" worden.
b) Die im Arbeitsvertrag enthaltene Regelung mit dem Inhalt „die Arbeitszeit ist dem Arbeitnehmer bekannt" ist weder bestimmt noch bestimmbar und entspricht damit nicht dem Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB. Nach dieser Vorschrift kann sich eine unangemessene Benachteiligung auch daraus ergeben, dass die entsprechende Vertragsbestimmung nicht klar und verständlich ist.
Aus sich heraus ist die gewählte Formulierung nicht verständlich. Auch die Tatsache, dass der Kläger vor Aufnahme seiner arbeitsvertraglichen Tätigkeit im Rahmen einer von der Arbeitsagentur geförderten Maßnahme tätig und mit den betrieblichen Gegebenheiten vertraut war, führt nicht dazu, dass ein bestimmtes Arbeitsvolumen jedenfalls als bestimmbar anzusehen ist. Anders als bei einer Tätigkeit, welche betriebsüblich zu einem bestimmten Zeitpunkt beginnt und endet, ist die Tätigkeit des Klägers als Busfahrer dadurch gekennzeichnet, dass er wechselnde Touren zu unterschiedlichen Zeiten und von unterschiedlicher Dauer zu fahren hat. Da einzelne Touren nur am Wochenende oder in den Ferienzeiten anfallen, unterliegt die Dauer der Arbeitszeit gewissen Schwankungen. Allein die Tatsache, dass dem Arbeitnehmer dieser Umstand bekannt ist, ändert nichts daran, dass der Umfang der von der Pauschalvergütung abgedeckten Arbeitszeit nicht sicher zu bestimmen ist.
c) Eine Auslegung der gewählten Klausel in dem Sinne, die geschuldete Arbeitszeit decke sich mit der Arbeitszeit rechtlich zulässigen Höchstarbeitszeit scheidet aus. Schon nach dem Wortlaut der Klausel soll der Kläger nicht bis zur Grenze gesetzlich Zulässigen, sondern im Rahmen der bekannten (betriebsüblichen) Zeiten arbeiten. Ebenso wenig kann die gewählte Formulierung in dem Sinne ausgelegt werden, mit der vereinbarten Pauschalvergütung sei die gesamte Arbeitszeit einschließlich etwaiger Überstunden abgegolten.
d) Fehlt es danach an einer wirksamen Regelung der Dauer der Arbeitszeit, so kann zur Füllung der Vertragslücke bei Fehlen anderweitiger Anhaltspunkte auf die tarifliche Regelung der Arbeitszeit zurückgegriffen werden. Vorliegend hat die Beklagte allerdings zeitnah zum Ablauf der Fördermaßnahme und zum Beginn des regulären Arbeitsverhältnisses unter dem 05.05.2011 eine Arbeitsbescheinigung erteilt, aus welcher sich eine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden ergibt. Hierin sieht die Kammer einen fallbezogenen Anhaltspunkt für die ergänzende Vertragsauslegung. Unabhängig hiervon hat der Kläger jedenfalls seiner Klageforderung allein die jenseits einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden geleistete Arbeitszeit zugrunde gelegt (vgl. § 308 ZPO).
e) Der wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden entspricht eine tägliche Arbeitszeit von 8 Stunden bei einer Fünftagewoche. Auf dieser Grundlage ergibt sich gegenüber der vertraglichen Arbeitszeit ein Überstundenumfang von 0,5 Stunden arbeitstäglich. Bei 216 Arbeitstagen, die aus den mit der Klageschrift eingereichten Aufstellungen zur Anzahl der Arbeitstage in den einzelnen Monaten zu errechnen sind, ergeben sich damit 108 zusätzlich zu vergütende Arbeitsstunden. Als maßgeblichen Stundenlohn hat der Kläger seiner Klageforderung einen Stundensatz von 10,22 Euro/Stunde zugrunde gelegt. Dieser Betrag ist auf der Grundlage einer 40-Stundenwoche jedenfalls nicht übersetzt. Für 108 geleistete Überstunden kann der Kläger damit den ausgeurteilten Betrag 1.103,76 € brutto verlangen.
II. Zinsen stehen dem Kläger unter dem Gesichtspunkt des Verzuges, jedoch erst ab dem 05.05.2012 zu. Das Mahnschreiben vom 20.04.2012 enthält eine Fristsetzung bis zum 04.05.2012, weswegen für eine Zinsforderung ab dem 04.04.2012 eine Grundlage nicht zu erkennen ist.
III. Wegen der weitergehenden Klageforderung hat es beim klageabweisenden Urteil des Arbeitsgerichts zu verbleiben.
IV. Bei der Kostenentscheidung war der Umstand zu berücksichtigen, dass der Kläger erst durch sein Vorbringen im zweiten Rechtszuge die Grundlage für sein teilweises Obsiegen geschaffen hat (§ 97 Abs. 2 ZPO).
V. Die Kammer hat die Revision gegen das Urteil gemäß § 72 Abs. 2 ZPO im Hinblick auf die Anwendung des § 287 Abs. 2 ZPO zugelassen.
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