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ARBEITSRECHT AKTUELL // 17/097

Bit­te kei­ne Iro­nie im Ar­beits­zeug­nis!

Ein über­trie­ben "gu­tes" Zeug­nis ist nicht kor­rekt, wenn die Lob­hu­de­lei iro­nisch wirkt: Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Hamm, Be­schluss vom 14.11.2016, 12 Ta 475/16
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03.04.2017. Ge­mäß § 362 Abs.1 Bür­ger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) er­lischt ei­ne zi­vil­recht­li­che Leis­tungs­pflicht, "wenn die ge­schul­de­te Leis­tung an den Gläu­bi­ger be­wirkt wird". Wer ei­nem an­de­ren z.B. 100,00 EUR schul­det und des­halb 110,00 EUR zahlt, hat sei­ne Schuld ge­tilgt, denn die ge­schul­de­ten 100,00 EUR sind in dem ge­zahl­ten hö­he­ren Be­trag ent­hal­ten.

Aber gilt das auch für den Fall, dass ein Ar­beit­ge­ber ein Ar­beits­zeug­nis ent­spre­chend ei­nem vom Ar­beit­neh­mer er­stell­ten Ent­wurf er­tei­len muss und bei der Er­fül­lung die­ser Pflicht von den Be­wer­tun­gen im Ar­beit­neh­mer-Ent­wurf nach oben hin ab­weicht?

Mit die­ser Fra­ge be­fasst sich ei­ne ak­tu­el­le Ent­schei­dung des Lan­des­ar­beits­ge­richts (LAG) Hamm: LAG Hamm, Be­schluss vom 14.11.2016, 12 Ta 475/16.

Darf der Ar­beit­ge­ber von ei­nem Zeug­nis­ent­wurf des Ar­beit­neh­mers "nach oben hin" ab­wei­chen?

Gemäß § 109 Abs.1 Satz 3 Ge­wer­be­ord­nung (Ge­wO) hat der Ar­beit­neh­mer bei Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses An­spruch auf ein qua­li­fi­zier­tes Ar­beits­zeug­nis. Da ein sol­ches Zeug­nis "Leis­tung und Ver­hal­ten im Ar­beits­verhält­nis" be­schrei­ben und be­wer­ten muss, gibt es darüber oft Streit. Um die­sen von vorn­her­ein gar nicht erst ent­ste­hen zu las­sen, ist es sinn­voll, beim Ab­schluss ei­nes Auf­he­bungs­ver­tra­ges oder ei­nes ge­richt­li­chen Ver­gleichs ein Vor­schlags­recht des Ar­beit­neh­mers zu ver­ein­ba­ren.

Ei­ne sol­che Zeug­nis­klau­sel lau­tet z.B., dass der Ar­beit­ge­ber zur Er­tei­lung ei­nes Zeug­nis­ses ver­pflich­tet ist und der Ar­beit­neh­mer das Recht hat, ei­nen For­mu­lie­rungs­vor­schlag zu er­stel­len. Um die Bin­dung des Ar­beit­ge­bers an den Vor­schlag des Ar­beit­neh­mers si­cher­zu­stel­len und um gleich­zei­tig of­fen­kun­di­ge Falsch­aus­sa­gen zu ver­hin­dern, heißt es in sol­chen Klau­seln meis­tens wei­ter­hin, dass der Ar­beit­ge­ber von dem For­mu­lie­rungs­vor­schlag des Ar­beit­neh­mers "nur aus wich­ti­gem Grun­de ab­wei­chen" darf (sog. "Frank­fur­ter For­mel").

Frag­lich ist, ob der Ar­beit­ge­ber auf der Grund­la­ge ei­ner Zeug­nis­ver­pflich­tung ent­spre­chend der "Frank­fur­ter For­mel" die im Text­vor­schlag des Ar­beit­neh­mers ent­hal­te­nen Be­wer­tun­gen "nach oben hin" ändern darf, d.h. ob er die po­si­ti­ven Be­wer­tun­gen des Ar­beit­neh­mers noch wei­ter stei­gern darf.

Der Streit­fall: An­ge­stell­ter ent­wirft ein Zeug­nis, das sein Ar­beit­ge­ber mit Über­trei­bun­gen über­nimmt

Im Streit­fall hat­ten sich ein An­ge­stell­ter und sein Ar­beit­ge­ber vor Ge­richt per Ver­gleich dar­auf ge­ei­nigt, dass der Ar­beit­ge­ber (Be­klag­ter) ein Zeug­nis er­teilt und der Ar­beit­neh­mer (Kläger) da­zu ei­nen For­mu­lie­rungs­vor­schlag ein­reicht. Die Klau­sel im Ver­gleich hat­te fol­gen­den Wort­laut:

"Die Be­klag­te er­teilt dem Kläger ein wohl­wol­len­des, qua­li­fi­zier­tes Ar­beits­zeug­nis. Dem Kläger bleibt nach­ge­las­sen, der Be­klag­ten ei­nen Zeug­nis­ent­wurf vor­zu­le­gen. Die­se darf hier­von nur aus wich­ti­gem Grund ab­wei­chen"

Kurz dar­auf reich­te der Ar­beit­neh­mer beim Ar­beit­ge­ber ei­nen Ent­wurf ein, den die­ser auch zu ei­nem Zeug­nis ver­ar­bei­te­te, al­ler­dings mit ins­ge­samt 13 po­si­ti­ven Über­trei­bun­gen. Die­se lau­te­ten u.a.:

  • Statt "sei­ner sehr gu­ten Auf­fas­sungs­ga­be" (Ent­wurf) hieß es im Zeug­nis "sei­ner ex­trem gu­ten Auf­fas­sungs­ga­be",
  • an­stel­le von "war Herr F im­mer" (Ent­wurf) lau­te­te das Zeug­nis "war Herr F selbst­verständ­lich im­mer",
  • und statt "Auf­ga­ben mit bei­spiel­haf­tem En­ga­ge­ment" (Ent­wurf) schrieb der Ar­beit­ge­ber "Auf­ga­ben mit äußerst bei­spiel­haf­tem En­ga­ge­ment" usw.

Be­son­ders pe­ne­trant war die Lob­hu­de­lei bei der zu­sam­men­fas­sen­den Leis­tungs­be­wer­tung. Hier lau­te­te der Ent­wurf nüchtern "Wir be­wer­ten ihn mit >sehr gut<.", während es in der End­fas­sung des Ar­beit­ge­bers hieß: "Wenn es ei­ne bes­se­re No­te als >sehr gut< ge­ben würde, würden wir ihn da­mit be­ur­tei­len."

Ins­ge­samt hat­ten die­se über­trie­be­nen Lob­prei­sun­gen ei­nen iro­ni­schen Cha­rak­ter. Das wur­de auch da­durch bestätigt, dass der Ar­beit­ge­ber in ei­nem (ent­schei­den­den) Punkt den Ent­wurf des Ar­beit­neh­mers ver­schlech­ter­te. Die ab­sch­ließen­de Dan­kens- und Be­dau­erns­for­mel lau­te­te nämlich im Ent­wurf

  • „Herr F verlässt un­ser Un­ter­neh­men zum 31.07.2015 auf ei­ge­nen Wunsch, was wir sehr be­dau­ern.“,

während es im Zeug­nis des Ar­beit­ge­bers an die­ser Stel­le hieß:

  • „Herr F verlässt un­ser Un­ter­neh­men zum 31.07.2015 auf ei­ge­nen Wunsch, was wir zur Kennt­nis neh­men."

Ein gu­tes hal­bes Jahr später be­an­trag­te der Ar­beit­neh­mer beim Ar­beits­ge­richt Hamm die Fest­set­zung ei­nes Zwangs­gel­des, da der Ar­beit­ge­ber sei­ne Pflicht zur Zeug­nis­er­tei­lung gemäß dem ar­beits­ge­richt­li­chen Ver­gleich aus Sicht des Ar­beit­neh­mers nicht erfüllt hat­te. Das Ar­beits­ge­richt setz­te ein Zwangs­geld von 1.000,00 EUR ge­gen den Ar­beit­ge­ber fest, da es das er­teil­te Zeug­nis nicht als ord­nungs­gemäße Erfüllung der im Ver­gleich ti­tu­lier­ten Zeug­nis­ver­pflich­tung gel­ten ließ. Da das Ar­beits­ge­richt Hamm der so­for­ti­gen Be­schwer­de des Ar­beit­ge­bers ge­gen den Zwangs­geld­be­schluss nicht ab­hel­fen woll­te, lan­de­te der Fall beim LAG.

LAG Hamm: Ein über­trie­ben "gu­tes" Zeug­nis ist nicht kor­rekt, wenn die Lob­hu­de­lei iro­nisch wirkt

Auch das LAG Hamm gab dem Ar­beit­neh­mer recht und wies den An­trag des Ar­beit­ge­bers auf Auf­he­bung des Zwangs­geld­be­schlus­ses zurück. Wie be­reits das Ar­beits­ge­richt, so woll­te auch das LAG das strei­ti­ge Zeug­nis nicht als kor­rek­te Erfüllung der im Ver­gleich fest­ge­schrie­be­nen Zeug­nis­pflicht gel­ten las­sen. Zur Be­gründung heißt es:

In­fol­ge der Ver­ein­ba­rung, dass der Ar­beit­neh­mer ei­nen Zeug­nis­ent­wurf er­stellt und der Ar­beit­ge­ber da­von nur aus wich­ti­gem Grun­de ab­wei­chen darf, hat­ten die Par­tei­en "die For­mu­lie­rungs­ho­heit" auf den Ar­beit­neh­mer über­tra­gen. Dem­zu­fol­ge hätte der Ar­beit­ge­ber ei­nen "wich­ti­gen Grund" für sei­ne Ab­wei­chun­gen von dem Ent­wurf vor­brin­gen müssen. Statt die Ab­wei­chun­gen sach­lich zu be­gründen, ver­tei­dig­te sich der Ar­beit­ge­ber im We­sent­li­chen da­mit, sei­ne um­strit­te­nen For­mu­lie­run­gen hätten doch den­sel­ben Sinn­ge­halt wie der Text­vor­schlag des Ar­beit­neh­mers. Dann aber, so das LAG, hätte der Ar­beit­ge­ber doch ein­fach den Text des Ar­beit­neh­mers über­neh­men können.

Ab­ge­se­hen da­von be­wer­te­te das LAG die um­strit­te­nen Lob­hu­de­lei als Iro­nie, was ei­ne gemäß § 109 Abs.2 Satz 2 Ge­wO un­zulässi­ge ver­steck­te Bot­schaft dar­stellt. Der Ein­druck der Iro­nie er­gab sich aus der Häufig­keit der über­stei­ger­ten Be­wer­tun­gen, aus der außer­gewöhn­lich for­mu­lier­ten Leis­tungs­be­wer­tung und schließlich dar­aus, dass aus­ge­rech­net die Dan­kens- und Be­dau­erns­for­mel ei­nen ne­ga­ti­ven Hin­weis ent­hielt. Denn wäre der Ar­beit­neh­mer wirk­lich ein so her­vor­ra­gen­der Mit­ar­bei­ter ge­we­sen, wäre sein Aus­schei­den für den Ar­beit­ge­ber ein be­dau­er­li­cher Ver­lust ge­we­sen, den man nicht ein­fach nur "zur Kennt­nis neh­men" würde, so das LAG Hamm.

Fa­zit: Die Ent­schei­dung des LAG Hamm ist kor­rekt, vor al­lem weil es dem Ar­gu­ment des Ar­beit­ge­bers nicht ge­folgt ist, dass der Ar­beit­neh­mer ein er­neu­tes Kla­ge­ver­fah­ren hätte durchführen müssen, statt auf der Grund­la­ge des schon vor­han­de­nen Ver­gleichs per Zwangs­voll­stre­ckung vor­ge­hen zu können. In­so­fern be­legt die Ent­schei­dung des LAG, dass die Frank­fur­ter For­mel ei­ne sinn­vol­le Ver­ein­ba­rung ist.

Im Übri­gen ver­steht es sich von selbst, dass ein Zeug­nis nicht dafür miss­braucht wer­den soll­te, sich über den ehe­ma­li­gen Mit­ar­bei­ter lus­tig zu ma­chen. Für den Ar­beit­ge­ber hieß es da­her vor dem LAG Hamm zu­recht "Schluss mit lus­tig".

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Letzte Überarbeitung: 28. Juni 2020

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