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ARBEITSRECHT AKTUELL // 12/244

Frist zur Gel­tend­ma­chung von Scha­dens­er­satz bei Dis­kri­mi­nie­rung

BAG be­kräf­tigt er­neut, dass die ge­setz­li­che Zwei­mo­nats­frist für das Ein­for­dern von Scha­dens­er­satz bei Dis­kri­mi­nie­rung rech­tens ist: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 21.06.2012, 8 AZR 188/11 (Buli­cke)
Abrisskalender Wer zu spät kommt, den be­straft die Aus­schluss­frist.

23.06.2012. Hin­ter dem All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) ste­hen ver­schie­de­ne EU-Richt­li­ni­en, die mit dem AGG im deut­schen Recht um­ge­setzt wer­den sol­len. Nach die­sen Richt­li­ni­en und dem­ent­spre­chend auch nach dem AGG gilt: Wer im Be­rufs­le­ben, ins­be­son­de­re bei der Be­wer­bung, we­gen be­stimm­ter per­sön­li­cher Merk­ma­le (Al­ter, Ge­schlecht, Re­li­gi­on, Her­kunft, Be­hin­de­rung, se­xu­el­le Iden­ti­tät) oh­ne trif­ti­ge sach­li­che Grün­de be­nach­tei­ligt bzw. dis­kri­mi­niert wird, kann Scha­dens­er­satz und/oder Gel­dent­schä­di­gung ver­lan­gen.

Die­ses Recht müs­sen Be­trof­fe­ne al­ler­dings ge­mäß § 15 Abs.4 AGG in­ner­halb von zwei Mo­na­ten schrift­lich gel­tend ma­chen. Bei ei­ner Be­wer­bung be­ginnt die­se Frist mit dem Zu­gang der Ab­leh­nung, an­sons­ten zu dem Zeit­punkt, in dem der Be­trof­fe­ne von sei­ner Be­nach­tei­li­gung Kennt­nis er­langt hat. In den Jah­ren 2009 und 2010 wur­de von ei­ni­gen Au­to­ren in Zwei­fel ge­zo­gen, ob die­se ver­fah­rens­recht­li­che Ein­schrän­kung der An­sprü­che von Dis­kri­mi­nie­rungs­op­fern mit dem EU-Recht ver­ein­bart wer­den kann.

Seit zwei Jah­ren ist die­ser Streit schon er­le­digt. Denn der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof (EuGH) hat mit Ur­teil vom 08.07.2010 (Rs. C-246/09 - Buli­cke gg. Deut­sche Bü­ro Ser­vice GmbH) klar­ge­stellt, dass die kur­ze ge­setz­li­che Aus­schluss­frist eu­ro­pa­recht­lich in Ord­nung geht (wir be­rich­te­ten in: Ar­beits­recht ak­tu­ell: 10/166 AGG-Aus­schluss­frist wohl weit­ge­hend eu­ro­pa­rechts­kon­form). Und die­ser Auf­fas­sung hat sich auch das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) im März die­ses Jah­res an­ge­schlos­sen (Ur­teil vom 15.03.2012, 8 AZR 160/11).

Da­mit es aber wirk­lich ganz si­cher je­der weiß, hat das BAG vor­ges­tern noch ein­mal klar­ge­stellt: Wer Scha­dens­er­satz und/oder Gel­dent­schä­di­gung auf­grund ei­ner nach dem AGG ver­bo­te­nen Dis­kri­mi­nie­rung ha­ben möch­te, muss sei­ne An­sprü­che un­be­dingt in­ner­halb der zwei­mo­na­ti­gen Aus­schluss­frist des § 15 Abs.4 AGG gel­tend ma­chen: BAG, Ur­teil vom 21.06.2012, 8 AZR 188/11

Wi­der­spricht die zwei­mo­na­ti­ge Frist des § 15 Abs.4 AGG dem Eu­ro­pa­recht?

§ 11 AGG schreibt in Ver­bin­dung mit § 7 AGG vor, dass Ar­beit­ge­ber Stel­len­aus­schrei­bun­gen al­ter­s­neu­tral ab­fas­sen müssen, so dass sich fach­lich ge­eig­ne­te Be­wer­ber oh­ne Rück­sicht auf ihr Al­ter an­ge­spro­chen fühlen können. Ver­s­toßen Ar­beit­ge­ber bei Aus­schrei­bun­gen da­ge­gen und mel­det sich ein „zu jun­ger“ oder „zu al­ter“ Be­wer­ber auf die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le und wird ab­ge­wie­sen, so ist gemäß § 22 AGG zu ver­mu­ten, dass die Be­nach­tei­li­gung (= Nicht­ein­stel­lung) auf ei­ner ver­bo­te­nen Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung be­ruht.

Kann der Ar­beit­ge­ber dann vor Ge­richt nicht be­wei­sen, dass der Be­wer­ber aus sach­li­chen Gründen ab­ge­lehnt wur­de, steht dem dis­kri­mi­nier­ten Be­wer­ber gemäß § 15 Abs.1 und Abs.2 Satz 2 AGG Scha­dens­er­satz und ei­ne Gel­dentschädi­gung zu. Die­se Ansprüche ver­fal­len aber er­satz­los, wenn sie nicht in­ner­halb von zwei Mo­na­ten nach „Zu­gang der Ab­leh­nung“ schrift­lich ge­genüber dem Ar­beit­ge­ber gel­tend ge­macht wer­den (§ 15 Abs. 4 Satz 1 und 2 AGG).

Da die­se Frist recht kurz ist, fal­len ihr vie­le an sich be­ste­hen­de Ansprüche zum Op­fer. Da­her fragt sich, ob die Aus­schluss­frist mit dem EU-Recht ver­ein­bar ist, soll das AGG doch ver­schie­de­ne eu­ropäische An­ti­dis­kri­mi­nie­rungs­richt­li­ni­en in deut­sches Recht um­set­zen und muss da­her de­ren An­for­de­run­gen ent­spre­chen.

Die EU-Richt­li­ni­en über­las­sen zwar die Aus­ge­stal­tung der Rechts­ver­fol­gung, d.h. von Fris­ten und Ver­fah­rens­fra­gen den EU-Mit­glied­staa­ten. Der Aus­ge­stal­tung des Ver­fah­rens­rechts sind aber Gren­zen ge­setzt: Denn die für Dis­kri­mi­nie­rungs­be­trof­fe­ne gel­ten­den Ver­fah­ren dürfen nicht we­ni­ger güns­tig ge­stal­tet sein als Ver­fah­ren, die nur in­ner­staat­li­ches Recht be­tref­fen (Grund­satz der Äqui­va­lenz), und außer­dem darf die Ausübung der vom EU-Recht vor­ge­se­he­nen Rech­te nicht unmöglich ge­macht oder übermäßig er­schwert wer­den (Grund­satz der Ef­fek­ti­vität).

Der Fall Su­san­ne Buli­cke: Call­cen­ter sucht Mit­ar­bei­ter zwi­schen 18 und 35 Jah­ren, ei­ne älte­re Be­wer­be­rin wird ab­ge­lehnt und klagt zu spät

Der be­klag­te Ar­beit­ge­ber schrieb im No­vem­ber 2007 ei­ne Stel­le als Call­cen­ter-Agent wie folgt aus:

„Wir su­chen für un­ser jun­ges Team in der Ci­ty mo­ti­vier­te Mit­ar­bei­ter/in­nen. Du te­le­fo­nierst gern? Dann bist du ge­nau rich­tig bei uns. Wir ge­ben Dir die Möglich­keit so­gar da­mit Geld zu ver­die­nen. Du bist zwi­schen 18 - 35 Jah­re alt…“

Die da­mals 41jähri­ge Su­san­ne Buli­cke be­warb sich auf die Stel­l­an­zei­ge und er­hielt am 21.11.2007 ei­ne Ab­sa­ge. An­geb­lich wa­ren al­le Plätze be­legt. An­stel­le von Frau Buli­cke wur­den zwei jünge­re Frau­en ein­ge­stellt. Kurz nach Ab­lauf der Zwei­mo­nats­frist, am 29.01.2008, reich­te Frau Buli­cke beim Ar­beits­ge­richt Ham­burg Kla­ge ein und ver­lang­te ei­ne Gel­dentschädi­gung so­wie Er­satz von Be­wer­bungs- und Pro­zess­kos­ten.

Das Ar­beits­ge­richt Ham­burg wies die Kla­ge un­ter Ver­weis auf § 15 Abs. 4 Satz 1 und 2 AGG ab (Ur­teil vom 10.12.2008, 28 Ca 178/08), wor­auf­hin Frau Buli­cke in Be­ru­fung zum LAG Ham­burg ging. Das LAG setz­te den Pro­zess Mit­te 2009 aus und frag­te den EuGH, ob die Aus­schluss­frist eu­ro­pa­recht­lich in Ord­nung ist (Be­schluss vom 03.06.2009, 5 Sa 3/09 - wir be­rich­te­ten darüber in Ar­beits­recht ak­tu­ell 09/205: Aus­schluss­frist im AGG könn­te un­zulässig sein).

Wie erwähnt hat der EuGH dann vor zwei Jah­ren ent­schie­den, dass die Zwei­mo­nats­frist nicht zu be­an­stan­den ist (Ur­teil vom 08.07.2010, Rs. C-246/09 - Buli­cke - wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 10/166 AGG-Aus­schluss­frist wohl weit­ge­hend eu­ro­pa­rechts­kon­form). Da­bei mil­der­te der EuGH die­se kur­ze Frist ein we­nig ab. Denn in den Fällen, in de­nen der ab­ge­lehn­te Be­wer­ber erst nach "Zu­gang der Ab­leh­nung" von ei­ner Dis­kri­mi­nie­rung Kennt­nis er­langt, soll­te die Zwei­mo­nats­frist erst ab die­sem Zeit­punkt (d.h. ab Kennt­nis­er­lan­gung) zu lau­fen be­gin­nen.

Dar­auf­hin ent­schied das LAG Ham­burg die­sen Fall ge­gen Frau Buli­cke (LAG Ham­burg, Ur­teil vom 27.10.2010, 5 Sa 3/09), und vor­ges­tern nun bestätig­te auch das BAG die Klag­ab­wei­sung.

BAG: § 15 Abs.4 AGG gilt für al­le Ansprüche we­gen ei­ner er­lit­te­nen Dis­kri­mi­nie­rung

Wie auf­grund des BAG-Ur­teils vom 15.03.2012 (8 AZR 160/11) nicht an­ders zu er­war­ten war, hat auch das BAG bestätigt, dass die Ansprüche Frau Buli­ckes ver­fal­len wa­ren, weil sie die zwei­mo­na­ti­ge Aus­schluss­frist nicht ein­ge­hal­ten hat­te.

Eben­so wie der EuGH stellt auch das BAG klar, dass die zwei­mo­na­ti­ge Aus­schluss­frist auch bei ab­ge­lehn­ten Be­wer­bern nicht im­mer schon "mit dem Zu­gang der Ab­leh­nung" be­ginnt, son­dern wie in an­de­ren Dis­kri­mi­nie­rungsfällen auch erst in dem Mo­ment, in dem der Be­wer­ber von der Be­nach­tei­li­gung Kennt­nis er­langt (was das BAG al­ler­dings schon mit sei­nem Ur­teil vom 15.03.2012, 8 AZR 160/11, deut­lich ge­macht hat­te).

Die­se ge­ringfügi­ge Entschärfung der Zwei­mo­nats­frist half al­ler­dings Frau Buli­cke nicht, denn Kennt­nis von der Dis­kri­mi­nie­rung hat­te sie be­reits auf­grund der dis­kri­mi­nie­ren­den Stel­len­aus­schrei­bung in Ver­bin­dung mit dem Ab­leh­nungs­schrei­ben. Da­her war in ih­rem Fall der Zeit­punkt des Zu­gangs der Ab­leh­nung mit dem Zeit­punkt iden­tisch, in dem sie von ih­rer Dis­kri­mi­nie­rung Kennt­nis er­langt hat­te.

Außer­dem mach­te das BAG deut­lich, dass auch Scha­dens­er­satz­ansprüche auf an­de­rer Rechts­grund­la­ge in­ner­halb der Zwei­mo­nats­frist des § 15 Abs.4 AGG gel­tend ge­macht wer­den müssen, "wenn sie sich auf ei­nen Sach­ver­halt be­zie­hen, bei dem ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung we­gen der durch das AGG ver­bo­te­nen Merk­ma­le gerügt wird". Soll heißen: Auch wenn ein Dis­kri­mi­nie­rungs­be­trof­fe­ner sei­nen An­spruch auf Gel­dentschädi­gung auf all­ge­mei­ne zi­vil­recht­li­che An­spruchs­grund­la­gen stützt, d.h. nicht auf die Vor­schrif­ten des AGG, muss er trotz­dem die Zwei­mo­nats­frist be­ach­ten.

Fa­zit: Die Zwei­mo­nats­frist des § 15 Abs.4 AGG gilt und be­ginnt ein­heit­lich ab dem Zeit­punkt, in dem der Be­nach­tei­lig­te von sei­ner Be­nach­tei­li­gung Kennt­nis er­langt, d.h. Be­wer­ber wer­den nicht schlech­ter ge­stellt als an­de­re Dis­kri­mi­nie­rungs­be­trof­fe­ne. An­de­rer­seits gilt die kur­ze Aus­schluss­frist in Dis­kri­mi­nie­rungsfällen aber für al­le denk­ba­ren An­spruchs­grund­la­gen. Prak­tisch ge­se­hen wer­den Dis­kri­mi­nie­rungs­be­trof­fe­ne in Be­wer­bungsfällen nur sehr sel­ten et­was von der Ab­mil­de­rung der Zwei­mo­nats­frist ha­ben, da in den al­ler­meis­ten Fällen (so wie im vor­lie­gen­den Fall) der Zeit­punkt des Zu­gangs des Ab­leh­nungs­schrei­bens mit dem Zeit­punkt iden­tisch ist, in dem der Be­trof­fe­ne von sei­ner Be­nach­tei­li­gung Kennt­nis er­langt.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das BAG sei­ne Ent­schei­dungs­gründe veröffent­licht. Das vollständig be­gründe­te Ur­teil des BAG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 16. November 2020

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