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ARBEITSRECHT AKTUELL // 14/189

Frist bei Ent­schä­di­gung für Dis­kri­mi­nie­rung

Die Zwei­mo­nats­frist für die au­ßer­ge­richt­li­che Gel­tend­ma­chung ei­ner AGG-Ent­schä­di­gung wird durch Kla­ge­ein­rei­chung ge­wahrt: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 22.05.2014, 8 AZR 662/13
Sanduhr mit rotem Sand Bei AGG-Ent­schä­di­gun­gen ist Ei­le ge­bo­ten

26.05.2014. Wer sich im Be­rufs­le­ben dis­kri­mi­niert sieht, z.B. beim Be­wer­bungs­ver­fah­ren, muss sei­ne An­sprü­che auf Gel­dent­schä­di­gung schnell, näm­lich in­ner­halb von zwei Mo­na­ten ab Kennt­nis der Dis­kri­mi­nie­rung schrift­lich gel­tend ma­chen.

Das kann auch in Form ei­ner Kla­ge ge­sche­hen. Nach bis­he­ri­ger Recht­spre­chung muss­te die Kla­ge dann aber dem Ar­beit­ge­ber noch in­ner­halb der Zwei­mo­nats­frist vom Ge­richt zu­ge­stellt wer­den.

Vor ei­ni­gen Ta­gen hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) ent­schie­den, dass schon die recht­zei­ti­ge Ein­rei­chung der Kla­ge bei Ge­richt die Frist wahrt: BAG, Ur­teil vom 22.05.2014, 8 AZR 662/13.

Wie wahrt man die Zwei­mo­nats­frist für die außer­ge­richt­li­che Gel­tend­ma­chung ei­ner Entschädi­gung we­gen Dis­kri­mi­nie­rung?

Das All­ge­mei­ne Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) sieht bei Dis­kri­mi­nie­run­gen von Ar­beit­neh­mern und Stel­len­be­wer­bern ei­nen An­spruch auf und Scha­dens­er­satz und Gel­dentschädi­gung vor (§ 15 Abs.1 und 2 AGG). Die­se Ansprüche müssen gemäß § 15 Abs.4 AGG in­ner­halb ei­ner Zwei­mo­nats­frist schrift­lich gel­tend ge­macht wer­den. § 15 Abs.4 AGG lau­tet:

"Ein An­spruch nach Ab­satz 1 oder 2 muss in­ner­halb ei­ner Frist von zwei Mo­na­ten schrift­lich gel­tend ge­macht wer­den, es sei denn, die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ha­ben et­was an­de­res ver­ein­bart. Die Frist be­ginnt im Fal­le ei­ner Be­wer­bung oder ei­nes be­ruf­li­chen Auf­stiegs mit dem Zu­gang der Ab­leh­nung und in den sons­ti­gen Fällen ei­ner Be­nach­tei­li­gung zu dem Zeit­punkt, in dem der oder die Beschäftig­te von der Be­nach­tei­li­gung Kennt­nis er­langt."

Zahlt der Ar­beit­ge­ber auf ei­ne sol­che außer­ge­richt­li­che Zah­lungs­auf­for­de­rung hin nicht, sieht das Ar­beits­ge­richts­ge­setz (ArbGG) ei­ne wei­te­re, drei­mo­na­ti­ge Frist für die Er­he­bung ei­ner Kla­ge vor (§ 61b Abs.1 ArbGG).

Der Ar­beit­neh­mer kann sich die außer­ge­richt­li­che Zah­lungs­auf­for­de­rung auch spa­ren und gleich kla­gen, weil ei­ne Kla­ge schließlich auch ei­ne schrift­li­che Gel­tend­ma­chung des Entschädi­gungs­an­spruchs ist. Dann hat er aber für die Kla­ge nicht drei oder gar (zwei plus drei =) fünf Mo­na­te Zeit, son­dern nur zwei Mo­na­te, weil er § 15 Abs.4 AGG be­ach­ten muss.

Da der Ar­beit­neh­mer bei ei­ner sol­chen Kla­ge das Ge­richt als ei­ne Art Zu­stel­lungs­ge­hil­fen für die Wah­rung ei­ner außer­ge­richt­li­chen Frist ein­spannt, gilt nach bis­her herr­schen­der Mei­nung § 167 Zi­vil­pro­zess­ord­nung (ZPO) nicht. Die­se Vor­schrift ist für pro­zes­sua­le Anträge und Kla­gen ge­dacht, mit de­nen oft auch Fris­ten ein­ge­hal­ten wer­den müssen. Und weil das Ge­richt sich um die ra­sche Zu­stel­lung kümmern muss (Zu­stel­lung im Amts­be­trieb), sol­len Verzöge­run­gen bei der ge­richt­li­chen Zu­stel­lung nicht dem Bürger zur Last fal­len. § 167 ZPO schreibt da­her vor:

"Soll durch die Zu­stel­lung ei­ne Frist ge­wahrt wer­den oder die Verjährung neu be­gin­nen oder nach § 204 des Bürger­li­chen Ge­setz­buchs ge­hemmt wer­den, tritt die­se Wir­kung be­reits mit Ein­gang des An­trags oder der Erklärung ein, wenn die Zu­stel­lung demnächst er­folgt."

Gemäß die­ser Vor­schrift wird die Frist­wah­rung vor­ver­la­gert von dem (ei­gent­lich maßgeb­li­chen) Zeit­punkt der Zu­stel­lung beim Empfänger auf den Ein­gang des An­trags bzw. der Kla­ge bei Ge­richt. Auf der Grund­la­ge von § 167 ZPO sind zum Bei­spiel Kündi­gungs­schutz­kla­gen, die spätes­tens in­ner­halb von drei Wo­chen nach Er­halt der Kündi­gung er­ho­ben wer­den müssen, recht­zei­tig bzw. frist­wah­rend er­ho­ben, wenn sie am letz­ten Tag der Drei­wo­chen­frist beim Ar­beits­ge­richt ein­ge­hen (auch wenn sie dann erst ei­ni­ge Ta­ge oder Wo­chen später dem Be­klag­ten vom Ge­richt zu­ge­stellt wer­den).

Wen­det man § 167 ZPO auf die außer­ge­richt­li­che Frist für die Gel­tend­ma­chung ei­nes Entschädi­gungs­an­spruchs an, d.h. auf § 15 Abs.4 AGG, würde man den An­wen­dungs­be­reich die­ser Vor­schrift, die ei­gent­lich nur für pro­zes­sua­le Anträge und Erklärun­gen ge­dacht ist, er­wei­tern auf außer­ge­richt­li­che Zah­lungs­auf­for­de­run­gen.

Der Fall des BAG: Schwer­be­hin­der­te Be­wer­be­rin wird erhält we­gen ih­rer Be­hin­de­rung ei­ne Stel­le als Fach­an­ge­stell­te für Bäder­be­trie­be nicht

Im Streit­fall ging es um ei­ne aus­ge­bil­de­te Fach­an­ge­stell­te für Bäder­be­trie­be, die we­gen ei­ner Er­kran­kung an mul­ti­pler Sk­le­ro­se (MS) mit ei­nem Grad der Be­hin­de­rung (GdB) von 50 schwer­be­hin­dert war. Sie be­warb sich bei ei­nem Be­trei­ber von Hal­len- und Freibädern um ei­ne ent­spre­chen­de Stel­le auf ei­ne be­fris­te­te Stel­le als El­tern­zeit­ver­tre­tung.

Bei ei­ner Be­sich­ti­gung ih­res zukünf­ti­gen Ar­beits­plat­zes teil­te die Be­wer­be­rin dem Ar­beit­ge­ber ih­re Be­hin­de­rung mit. Der zog dar­auf­hin das Ver­trags­an­ge­bot zurück. We­gen der Be­hin­de­rung sei die Kläge­rin nicht in der La­ge, die Tätig­keit aus­zuüben, so der Ar­beit­ge­ber in ei­nem Ab­leh­nungs­schrei­ben von En­de De­zem­ber 2011.

Die Be­wer­be­rin reich­te dar­auf­hin oh­ne vor­he­ri­ge außer­ge­richt­li­che Gel­tend­ma­chung am 20.02.2012 Kla­ge auf Scha­dens­er­satz und Entschädi­gung nach § 15 Abs.1 und 2 AGG. Die Kla­ge wur­de dem Ar­beit­ge­ber ei­nen Tag nach Ab­lauf der Zwei­mo­nats­frist des § 15 Abs.4 Satz 1 AGG zu­ge­stellt wur­de.

Das Ar­beits­ge­richt ver­ur­teil­te den Ar­beit­ge­ber zu ei­ner Entschädi­gungs­zah­lung von knapp drei Mo­nats­gehältern und Scha­dens­er­satz für die nutz­lo­se An­fahrt zur Ar­beits­platz­be­sich­ti­gung (Ar­beits­ge­richt Kiel, Ur­teil vom 08.01.2013, 5 Ca 316 c/12). Das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Schles­wig-Hol­stein hob das Ur­teil we­gen Versäum­ung der Frist des § 15 Abs.4 AGG auf und wies die Kla­ge ab (LAG Schles­wig-Hol­stein, Ur­teil vom 30.05.2013, 4 Sa 62/13). Nach sei­ner An­sicht ist § 167 ZPO auf ei­ne außer­ge­richt­li­che Frist wie der Zwei­mo­nats­frist des § 15 Abs.4 AGG nicht an­zu­wen­den.

BAG: Die Zwei­mo­nats­frist für die außer­ge­richt­li­che Gel­tend­ma­chung ei­ner AGG-Entschädi­gung wird durch Kla­ge­ein­rei­chung ge­wahrt

Das BAG hob das LAG-Ur­teil auf und ver­wies die An­ge­le­gen­heit zur neu­en Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das LAG zurück. In der der­zeit al­lein vor­lie­gen­den Pres­se­mel­dung des BAG heißt es zur Be­gründung: 

Im vor­lie­gen­den Fall trat zu Guns­ten der Ar­beit­neh­me­rin ei­ne Rück­wir­kung der Kla­ge­zu­stel­lung nach § 167 ZPO ein. Da­bei schließt sich das BAG ei­ner Grund­satz­ent­schei­dung des Bun­des­ge­richts­hofs (BGH) an, mit der die­ser den An­wen­dungs­be­reich des § 167 ZPO auf frist­ge­bun­de­ne außer­ge­richt­li­che Mahn­schrei­ben er­wei­tert hat (BGH, Ur­teil vom 17.07.2008, I ZR 109/05).

Nach die­ser neue­ren BGH-Recht­spre­chung ist § 167 ZPO im All­ge­mei­nen auch an­wend­bar, wenn durch die Zu­stel­lung ei­ne Frist ge­wahrt wer­den soll, die auch durch außer­ge­richt­li­che Gel­tend­ma­chung ge­wahrt wer­den könn­te. Nur in Son­derfällen, so das BAG im An­schluss an den BGH, schei­det ei­ne Rück­wir­kungs­re­ge­lung aus. Ei­nen sol­chen Aus­nah­me­fall stellt die Frist des § 15 Abs.4 AGG nach An­sicht der Er­fur­ter Rich­ter nicht dar.

Das BAG dis­tan­ziert sich aus­drück­lich von ei­ner ge­gen­tei­li­gen Äußerung in sei­nem Buli­cke-Ur­teil vom Ju­li 2012 (BAG, Ur­teil vom 21.06.2012, 8 AZR 188/11), die es in die­sem Ur­teil ne­ben­her, d.h. nicht ur­teilstra­gend ge­macht hat­te (als "ob­iter dic­tum").

Fa­zit: Der­zeit ist um­strit­ten, ob aus dem o.g. BGH-Ur­teil die Kon­se­quenz zu zie­hen ist, dass § 167 ZPO auch auf Kla­gen an­zu­wen­den ist, die an­stel­le ei­ner außer­ge­richt­li­chen Zah­lungs­auf­for­de­rung ein­ge­reicht wer­den und mit de­nen ei­ne ar­beits­ver­trag­li­che oder ta­rif­li­che Aus­schluss­frist (ers­ter Stu­fe) ge­wahrt wer­den muss.

Das BAG hätte im Som­mer letz­ten Jah­res die Ge­le­gen­heit ge­habt, auch die­se Fra­ge zu ent­schei­den, hat das ihm zur Re­vi­si­on vor­lie­gen­de Ur­teil des LAG Köln (Ur­teil vom 31.01.2012 , 5 Sa 1560/10) dann aber aus an­de­ren Gründen auf­ge­ho­ben (BAG, Ur­teil vom 20.06.2013, 8 AZR 280/12).

Das jetzt er­gan­ge­ne BAG-Ur­teil stärkt den Au­to­ren und Ge­rich­ten den Rücken, die § 167 ZPO auch auf ar­beits­ver­trag­li­che oder ta­rif­li­che Aus­schluss­fris­ten an­wen­den wol­len, die ei­ne frist­ge­bun­de­ne außer­ge­richt­li­che Leis­tungs­auf­for­de­rung vor­schrei­ben.

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Letzte Überarbeitung: 16. November 2020

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