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ARBEITSRECHT AKTUELL // 16/170

Scha­dens­er­satz bei ge­schlechts­be­zo­ge­ner Dis­kri­mi­nie­rung

Kei­ne Pflicht der EU-Mit­glieds­staa­ten zur Ein­füh­rung ei­nes Straf­scha­dens­er­sat­zes als Sank­ti­on für ge­schlechts­be­zo­ge­ne Dis­kri­mi­nie­rung: Eu­ro­päi­scher Ge­richts­hof, Ur­teil vom 17.12.2015, C-407/14
Hunderteuroscheine

26.05.2016. Die Mit­glieds­staa­ten der Eu­ro­päi­schen Uni­on (EU) sind auf­grund ver­schie­de­ner EU-Richt­li­ni­en da­zu ver­pflich­tet, ef­fek­ti­ve Maß­nah­men zum Schutz ge­gen ge­schlechts­be­zo­ge­ne Dis­kri­mi­nie­run­gen zu er­grei­fen.

Da­zu ge­hört ein wirk­sa­mer Aus­gleich oder Er­satz von Schä­den, die Dis­kri­mi­nie­rungs­op­fer er­lit­ten ha­ben. Na­tio­na­le Scha­dens­er­satz­re­ge­lun­gen und de­ren Um­set­zung durch die Ge­rich­te der Mit­glieds­staa­ten müs­sen ab­schre­ckend und zu­gleich an­ge­mes­sen sein.

Das be­inhal­tet al­ler­dings nicht un­be­dingt ei­nen Straf­scha­dens­er­satz nach ame­ri­ka­ni­schem Vor­bild, wie der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof (EuGH) in ei­nem ak­tu­el­len Ur­teil klar­ge­stellt hat: EuGH, Ur­teil vom 17.12.2015, C-407/14 (Ca­ma­cho).

Schreibt das Eu­ro­pa­recht ei­nen Straf­scha­dens­er­satz als Re­ak­ti­on auf ge­schlechts­be­zo­ge­ne Dis­kri­mi­nie­run­gen vor?

Nach deut­schem Recht muss ein Rich­ter bei der Er­mitt­lung des Scha­dens, den ei­ne geschädig­te Per­son auf der Grund­la­ge ei­ner Scha­dens­er­satz­vor­schrift ver­lan­gen kann, wie ein Buch­hal­ter ver­fah­ren: Al­le in Geld mess­ba­ren Vermögens­nach­tei­le, die sich in­fol­ge des schädi­gen­den Er­eig­nis­ses er­ge­ben ha­ben, sind aus­zu­glei­chen, da­von sind Vermögens­vor­tei­le oder er­spar­te Auf­wen­dun­gen ab­zu­zie­hen usw.

Im Er­geb­nis soll­te der Geschädig­te durch den Scha­dens­er­satz­an­spruch so ste­hen, als hätte es das schädi­gen­de Er­eig­nis nie ge­ge­ben. Da­her schreibt § 249 Abs.1 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) vor:

"Wer zum Scha­dens­er­satz ver­pflich­tet ist, hat den Zu­stand her­zu­stel­len, der be­ste­hen würde, wenn der zum Er­satz ver­pflich­ten­de Um­stand nicht ein­ge­tre­ten wäre."

Ergänzend da­zu kann der Geschädig­te in man­chen Fällen für im­ma­te­ri­el­le Nach­tei­le ei­ne "an­ge­mes­se­ne" Gel­dentschädi­gung ver­lan­gen, denn schließlich sind nicht al­le Ein­bußen auf Hel­ler und Pfen­nig zu be­zif­fern. Das gilt ins­be­son­de­re in Dis­kri­mi­nie­rungsfällen: Wer auf­grund des "fal­schen" Ge­schlechts oder der "fal­schen" Haut­far­be ei­ne Stel­le nicht be­kom­men hat, hat da­durch nicht nur ei­nen Vermögen­sach­teil in Form ent­gan­ge­ner Ge­halts­zah­lun­gen er­lit­ten, son­dern ist in sei­nem Persönlich­keits­recht bzw. in sei­ner Würde ver­letzt wor­den. Da­her be­stimmt § 15 Abs.2 All­ge­mei­nes Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG):

"We­gen ei­nes Scha­dens, der nicht Vermögens­scha­den ist, kann der oder die Beschäftig­te ei­ne an­ge­mes­se­ne Entschädi­gung in Geld ver­lan­gen. Die Entschädi­gung darf bei ei­ner Nicht­ein­stel­lung drei Mo­nats­gehälter nicht über­stei­gen, wenn der oder die Beschäftig­te auch bei be­nach­tei­li­gungs­frei­er Aus­wahl nicht ein­ge­stellt wor­den wäre."

Auch wenn die "an­ge­mes­se­ne" Gel­dentschädi­gung den buch­hal­tungsmäßig-pe­ni­bel er­mit­tel­ten Scha­dens­er­satz ergänzt, mit ei­nem Straf­scha­dens­er­satz nach ame­ri­ka­ni­schem Vor­bild hat sie nichts tun. Denn wie hoch ei­ne "an­ge­mes­se­ne" Entschädi­gung im Sin­ne von § 15 Abs.2 AGG sein soll­te, be­ur­teilt sich al­lein nach den Umständen des Ein­zel­falls. 

Wer sich zum Bei­spiel für ei­ne für ei­ne Tätig­keit be­wirbt, die mit 2.000,00 EUR brut­to vergütet wird, und die Stel­le auf­grund ei­ner dis­kri­mi­nie­ren­den Ent­schei­dung des Ar­beit­ge­bers nicht be­kommt, kann gemäß § 15 Abs.2 AGG je nach La­ge des Fal­les ei­ne Entschädi­gung von zwei, drei oder auch ein­mal von vier Mo­nats­gehältern ver­lan­gen, d.h. die Entschädi­gung be­wegt sich in ei­nem Rah­men von et­wa 4.000,00 bis 8.000,00 EUR. Ei­ne For­de­rung von 1 Mil­li­on EUR würde da­ge­gen den recht­li­chen Rah­men spren­gen.

Sol­che Entschädi­gungs­sum­men könn­te man nur da­mit be­gründen, dass sie ei­ne ab­schre­cken­de Wir­kung auf an­de­re mögli­che Übeltäter hätten, d.h. sie hätten den Cha­rak­ter ei­ner öffent­lich­keits­wirk­sa­men Be­stra­fung. Die­sem An­satz fol­gen US-ame­ri­ka­ni­sche Ge­rich­te, die manch­mal ex­trem ho­he "pu­ni­ti­ve da­mages" verhängen.

Mögli­cher­wei­se muss sich auch das eu­ropäische An­ti-Dis­kri­mi­nie­rungs­recht in die­se Rich­tung be­we­gen, zu­min­dest beim Schutz vor ge­schlechts­be­zo­ge­ne Dis­kri­mi­nie­rung. Denn die Richt­li­nie 2006/54/EG zur Ver­wirk­li­chung des Grund­sat­zes der Chan­cen­gleich­heit und Gleich­be­hand­lung von Männern und Frau­en in Ar­beits- und Beschäfti­gungs­fra­gen enthält in ih­rem Art.18 fol­gen­de Re­ge­lung zum The­ma "Scha­den­er­satz oder Entschädi­gung":

"Die Mit­glied­staa­ten tref­fen im Rah­men ih­rer na­tio­na­len Rechts­ord­nun­gen die er­for­der­li­chen Maßnah­men, um si­cher­zu­stel­len, dass der ei­ner Per­son durch ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung auf­grund des Ge­schlechts ent­stan­de­ne Scha­den - je nach den Rechts­vor­schrif­ten der Mit­glied­staa­ten - tatsächlich und wirk­sam aus­ge­gli­chen oder er­setzt wird, wo­bei dies auf ei­ne ab­schre­cken­de und dem er­lit­te­nen Scha­den an­ge­mes­se­ne Art und Wei­se ge­sche­hen muss."

Da hier von ei­ner "ab­schre­cken­den" Art und Wei­se der Scha­dens­er­satz­be­mes­sung die Re­de ist, fragt sich, ob der vollständi­ge Aus­gleich ei­nes Dis­kri­mi­nie­rungs­scha­dens (zuzüglich ei­ner Entschädi­gungs­kom­po­nen­te) aus­rei­chend ist. 

Der spa­ni­sche Vor­la­ge­fall: Se­cu­ri­ty-Mit­ar­bei­te­rin wird nach knapp zweijähri­ger Tätig­keit un­ter dis­kri­mi­nie­ren­den Umständen ent­las­sen

In dem spa­ni­schen Streit­fall hat­te ei­ne Si­cher­heits­fir­ma ei­ne knapp zwei Jah­re bei ihr beschäftig­te Mit­ar­bei­te­rin, Frau Ca­ma­cho, im April 2014 ent­las­sen. Nach er­folg­lo­ser Durchführung ei­nes Güte­ter­mins bei der Schieds­stel­le reich­te Frau Ca­ma­cho Kündi­gungs­schutz­kla­ge ein. Ih­rer An­sicht nach war die Kündi­gung dis­kri­mi­nie­rend, wes­halb sie 6.000,00 EUR Scha­dens­er­satz ver­lang­te.

Das mit dem Fall be­fass­te Juz­ga­do de lo So­ci­al n°1 de Córdo­ba (Ge­richt für So­zi­al- und Ar­beits­sa­chen Nr.1 von Córdo­ba) setz­te den Fall aus und leg­te dem EuGH die Fra­ge vor, ob Art.18 der Richt­li­nie 2006/54/EG die Ge­rich­te der EU-Mit­glieds­staa­ten ver­pflich­te, in Fällen ei­ner ge­schlechts­be­zo­ge­nen Dis­kri­mi­nie­rung ei­nen Straf­scha­dens­er­satz zu verhängen.

Nach An­sicht des spa­ni­schen Ge­richts be­ruh­te die Kündi­gung nämlich auf ei­ner ge­schlechts­be­zo­ge­nen Dis­kri­mi­nie­rung (war­um, wird nicht ge­sagt), doch wären die da­durch ver­ur­sach­ten Schäden Frau Ca­ma­chos mit 3.000,00 EUR vollständig aus­ge­gli­chen (war­um, wird nicht ge­sagt). Ein Scha­dens­er­satz von 6.000,00 EUR käme nur als Straf­scha­dens­er­satz in Be­tracht. Ei­ne sol­che Art von Scha­dens­er­satz sieht das spa­ni­sche Recht aber nicht vor.

EuGH: Kei­ne Pflicht zur Einführung ei­nes Straf­scha­dens­er­sat­zes bei ge­schlechts­be­zo­ge­nen Dis­kri­mi­nie­run­gen

Der EuGH stell­te klar, dass die For­mu­lie­run­gen in Art.18 der Richt­li­nie 2006/54/EG nicht in dem Sin­ne zu ver­ste­hen sind, dass den Mit­glieds­staa­ten hier­mit ei­ne be­stimm­te Form des Scha­dens­er­sat­zes vor­ge­schrie­ben würde.

Zur Be­gründung be­zieht sich der Ge­richts­hof auf die Schluss­anträge des Ge­ne­ral­an­walts Men­goz­zi und auf sei­ne bis­he­ri­ge, teil­wei­se schon über 30 Jah­re al­te Recht­spre­chung, die auch Art.18 der Richt­li­nie 2006/54/EG zu­grun­de liegt. In die­ser Recht­spre­chung hat­te der EuGH im­mer be­tont, dass die Mit­glieds­staa­ten weit­ge­hend frei sind in der Wahl der Mit­tel, die sie zur Ab­wehr von Dis­kri­mi­nie­run­gen ein­set­zen, so­lan­ge die­se Mit­tel nur aus­rei­chend wirk­sam sind.

Dem­ent­spre­chend sieht Art.18 der Richt­li­nie 2006/54/EG vor, dass ein Dis­kri­mi­nie­rungs­scha­den "aus­ge­gli­chen oder er­setzt" wer­den muss, d.h. die fi­nan­zi­el­le Kom­pen­sa­ti­on in Form ei­nes Scha­dens­er­sat­zes ist nur ei­ne Möglich­keit ne­ben ei­nem "Aus­gleich", der bei ei­ner dis­kri­mi­nie­ren­den Ent­las­sung zum Bei­spiel auch in ei­ner Wie­der­ein­stel­lung lie­gen könn­te.

Da­her ver­pflich­tet Art.18 der Richt­li­nie 2006/54/EG, so der EuGH im Er­geb­nis, die Mit­glieds­staa­ten nicht zur Einführung ei­nes Straf­scha­dens­er­sat­zes. Viel­mehr genügt es, wenn die Rechts­ord­nun­gen der Mit­glieds­staa­ten für ei­nen vollständi­gen Scha­dens­aus­gleich sor­gen.

Fa­zit: Mit ei­nem "ab­schre­cken­den" Scha­dens­er­satz im Sin­ne von Art.18 der Richt­li­nie 2006/54/EG sind kei­ne Mil­lio­nen­zah­lun­gen nach dem Vor­bild des US-ame­ri­ka­ni­schen Rechts ge­meint. Die Richt­li­nie 2006/54/EG ver­pflich­tet die EU-Staa­ten "nur", dafür zu sor­gen, dass Op­fer ei­ner ge­schlechts­be­zo­ge­nen Dis­kri­mi­nie­rung ei­nen vollständi­gen Aus­gleich ih­rer ma­te­ri­el­len und im­ma­te­ri­el­len Ein­bußen er­hal­ten. Ein sol­cher vollständi­ger bzw. nicht nur sym­bo­li­scher Aus­gleich ist aus Sicht der Richt­li­nie be­reits hin­rei­chend "ab­schre­ckend".

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Letzte Überarbeitung: 13. November 2020

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