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Diskriminierung und Eignung des Bewerbers

23.11.2016. Wer sich als Frau mit 60 Jahren auf eine Stellenausschreibung bewirbt, mit der ein Unternehmen einen "jungen und dynamischen Vertriebsleiter" sucht, wird sich über eine Absage kaum wundern. Denn dass ältere Bewerber ebenso wenig willkommen sind wie weibliche, ergibt sich aus dem Text der Ausschreibung.
Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) konnten in solchen Fällen aber nur solche Bewerber bzw. Bewerberinnen als benachteiligt angesehen werden, die für die ausgeschriebene Stelle objektiv geeignet waren. Andernfalls, so die bisherige Linie des BAG, waren sie mit ihren erfolgreicheren Mitbewerbern nicht "vergleichbar" im Sinne von § 3 Abs.1 und 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) und daher von vornherein nicht diskriminiert.
Diese Rechtsprechung hat das BAG in einem aktuellen Grundsatzurteil aufgegeben: BAG, Urteil vom 19.05.2016, 8 AZR 470/14.
- Ist jeder ein Bewerber im Sinne des AGG, der eine Bewerbung einreicht?
- Der Hamburger Streitfall: 59jähriger Rechtsanwalt bewirbt sich auf Berufsanfänger-Stellenausschreibung einer Wirtschaftskanzlei
- BAG: Stellenbewerber können auch dann benachteiligt werden, wenn sie für die Stelle objektiv nicht geeignet sind
Ist jeder ein Bewerber im Sinne des AGG, der eine Bewerbung einreicht? 
Das AGG verbietet Diskriminierungen bei der Stellenbesetzung, d.h. eine sachlich nicht gerechtfertigte Benachteiligung z.B. wegen des (jugendlichen oder fortgeschrittenen) Alters, wegen des Geschlechts oder wegen anderer persönlicher Merkmale wie z.B. der ethnischen Herkunft. Das folgt aus § 1 AGG in Verb. mit § 2 Abs.1 Nr.1, § 6 Abs.1 Satz 2 und § 7 Abs.1 AGG. Ein speziell auf Stellenausschreibungen gemünztes Diskriminierungsverbot enthält § 11 AGG. Danach dürfen Arbeitsplätze nicht so ausgeschrieben werden, dass potentielle Bewerber wegen eines in § 1 AGG genannten Merkmals benachteiligt werden.
Beachten Arbeitgeber diese Diskriminierungsverbote bei der Stellenbesetzung nicht und veröffentlichen eine diskriminierende Stelleanzeige ("erfahrener Kraftfahrer", "junge Verkäuferin"), können abgelehnte Bewerber bzw. Bewerberinnen gemäß § 15 Abs.2 AGG eine Geldentschädigung verlangen, wenn die Stellenanzeige sie z.B. wegen ihres Alters, ihres Geschlechts oder ihrer ethnischen Herkunft benachteiligt. Denn eine diskriminierende Stellenannonce ist in solchen Fällen ein (vom Arbeitgeber nur schwer zu widerlegendes) Indiz dafür, dass ein abgelehnter Bewerber aus diskriminierenden Gründen abgelehnt wurde (§ 22 AGG).
An dieser Stelle fragt sich, wer als Bewerber anzusehen ist und wer nicht: Denn § 6 Abs.1 Satz 2 AGG stellt zwar klar, dass auch Bewerber und Bewerberinnen als Beschäftigte im Sinne des AGG gelten und daher vom Gesetz geschützt sind. Aber können sich auch solche "Bewerber" auf die AGG-Vorschriften berufen, die für eine ausgeschriebene Stelle objektiv ungeeignet sind, z.B. weil ihnen eine notwendige Berufsqualifikation fehlt?
Nach bisheriger BAG-Rechtsprechung war das nicht der Fall: Objektiv ungeeignete (Schein-)Bewerber befanden sich nicht in einer "vergleichbaren Situation" mit geeigneten Bewerbern (§ 3 Abs.1 und 2 AGG). Dann waren Benachteiligungen bzw. Diskriminierungen von vornherein auszuschließen. Sucht z.B. eine Bäckerei einen "Bäckergesellen", werden damit zwar alle potentiellen Bewerberinnen abgeschreckt, doch war dies bislang nur dann eine Diskriminierung, wenn eine Bewerberin mit dem passenden Gesellenbrief betroffen war.
Diese Rechtsprechung hat das BAG nunmehr ausdrücklich aufgegeben.
Der Hamburger Streitfall: 59jähriger Rechtsanwalt bewirbt sich auf Berufsanfänger-Stellenausschreibung einer Wirtschaftskanzlei 
Ende 2012 schrieb eine Hamburger Wirtschaftskanzlei eine Rechtsanwaltsstelle in der Neuen Juristischen Wochenschrift (NJW) aus. Darin suchte sie einen Kollegen "mit 0 - 2 Jahren Berufserfahrung" zur langfristigen Mitarbeit in einem "in einem jungen und dynamischen Team". Einstellungsvoraussetzung war u.a. eine "eine erstklassige juristische Qualifikation".
Ein damals 59jähriger und seit Jahren in Regensburg selbständig tätiger Anwalt mit durchschnittlichen Examensnoten bewarb sich und wurde abgelehnt. Daraufhin warf er der Kanzlei eine verbotene Altersdiskriminierung vor und klagte auf 10.000,00 EUR Geldentschädigung zzgl. weiterer 50.000,00 EUR Schadensersatz. Damit hatte er weder vor dem Arbeitsgericht Hamburg (Urteil vom 06.06.2013, 29 Ca 606/12) noch vor dem Landesarbeitsgericht (LAG) Hamburg Erfolg (Urteil vom 28.01.2014, 2 Sa 50/13).
Das LAG begründete seine Entscheidung damit, dass der klagende Anwalt wegen seiner nur "befriedigenden" Examina nicht für die Stelle geeignet war. Außerdem habe er sich, so das LAG, gar nicht ernsthaft auf die Stelle beworben, sondern vielmehr in der rechtsmissbräuchlichen Absicht, eine Diskriminierungsentschädigung zu ergattern.
BAG: Stellenbewerber können auch dann benachteiligt werden, wenn sie für die Stelle objektiv nicht geeignet sind 
Das BAG hob das Urteil des LAG Hamburg auf und verwies den Prozess dorthin zurück, damit das LAG nach weiterer Aufklärung des Sachverhalts noch einmal über den Fall entscheiden kann.
Zur Begründung heißt es, das LAG habe zwar die bisherige BAG-Rechtsprechung befolgt, doch diese Rechtsprechung will das BAG nun nicht mehr gelten lassen (Urteil, S.11). Ob ein abgelehnter Bewerber objektiv für die zu besetzende Stelle geeignet ist oder nicht, spielt demnach künftig keine Rolle mehr für die Frage, ob er sich bei seiner Bewerbung in einer "vergleichbaren Situation" mit anderen Bewerbern befunden hat (§ 3 Abs.1 und 2 AGG). Entscheidend ist allein, dass er sich bis zur Auswahlentscheidung des Arbeitgebers beworben hat.
Begründet wird diese Kehrtwendung u.a. damit, dass Entschädigungsansprüche diskriminierter Bewerber andernfalls von einem Vergleich mit der Eignung anderer Bewerber abhingen. Dies würde aber, so das BAG, die Durchsetzung von Entschädigungsansprüchen aus § 15 Abs.2 AGG übermäßig erschweren (Urteil, S.13 unten).
Weiterhin ist die subjektive "Ernsthaftigkeit der Bewerbung" künftig nicht mehr Voraussetzung für den Status als Stellenbewerber, so das BAG (Urteil, S.26 f.). Auch hier gibt das BAG seine bisherige Rechtsprechung auf. Wer sich nicht ernsthaft bewirbt, sondern nur zu dem Zweck, eine Diskriminierungsentschädigung zu ergattern, handelt rechtsmissbräuchlich, so die aktuelle Meinung des BAG. Demnach ist die Ernsthaftigkeit der Bewerbung nicht mehr Voraussetzung eines Entschädigungsanspruchs gemäß § 15 Abs.2 AGG und daher vom klagenden Bewerber zu beweisen, sondern die ausnahmsweise fehlende Ernsthaftigkeit begründet den Einwand des Rechtsmissbrauchs und ist vom beklagten Arbeitgeber nachzuweisen.
Diesen Nachweis beschränkt das BAG auf extrem seltene Ausnahmefälle (Urteil, S.25). Weder die Tatsache, dass ein abgelehnter Stellenbewerber oft auf Entschädigung klagt, noch die Tatsache, dass er sich gezielt auf diskriminierende Stellenanzeigen bewirbt (und später eine Entschädigung verlangt), lassen eine Bewerbung als missbräuchlich erscheinen.
Damit hat der Achte BAG-Senat deutlich gemacht, dass er sich künftig nur selten auf das Urteil des Europäischer Gerichtshof (EuGH) vom 28.07.2016 (C-423/15 - Nils Kratzer) stützen wird (wir berichteten in Arbeitsrecht aktuell: 16/243 Keine Entschädigung für Scheinbewerber). Mit diesem Urteil hatte der EuGH auf eine Anfrage des Achten Senats vom Sommer letzten Jahres (BAG, Beschluss vom 18.06.2015, 8 AZR 848/13 (A)) seinen Segen dazu gegeben, dass missbräuchliche Schein-Bewerbungen keine Entschädigungsansprüche nach sich ziehen. Dieses EuGH-Urteil dürfte auf der Grundlage der neuen BAG-Rechtsprechung kaum einen Anwendungsbereich in Deutschland haben.
Trotzdem ist es fraglich, ob abgelehnte Bewerber jetzt bessere Chancen haben, Entschädigungen einzuklagen. Zumindest in klaren Fällen fehlender Eignung wird sich durch die neue Linie des BAG im Ergebnis nichts ändern: Bewirbt sich z.B. eine ältere Architektin ohne Erfolg auf eine diskriminierende Stellenanzeige, mit der ein "junger Chirurg" gesucht wird, bekommt sie auch nach der neuen BAG-Rechtsprechung keine Diskriminierungsentschädigung.
Denn obwohl sie als "Bewerberin" anzusehen ist und die Vermutung einer geschlechts- und zugleich altersbedingten Diskriminierung besteht, kann der Arbeitgeber die zu vermutende (Mit-)Ursächlichkeit von diskriminierenden Motiven und Ablehnungsentscheidung widerlegen. Dazu muss er allerdings mehr tun als nach der bisherigen Rechtsprechung. Er muss nämlich darlegen und beweisen, dass der Architektin eine unverzichtbare formale Berufsqualifikation fehlt. Dazu das BAG (S.38):
"Soweit der Arbeitgeber darlegt und im Bestreitensfall beweist, dass die klagende Partei eine formale Qualifikation nicht aufweist oder eine formale Anforderung nicht erfüllt, die unverzichtbare Voraussetzung für die Ausübung der Tätigkeit/des Berufs an sich ist, kann idR davon ausgegangen werden, dass die Bewerbung ausschließlich aus diesem Grund ohne Erfolg blieb; in einem solchen Fall besteht demzufolge idR kein Kausalzusammenhang zwischen der benachteiligenden Behandlung und einem in § 1 AGG genannten Grund."
Fazit: Die neue Linie des BAG führt in Entschädigungsprozessen dazu, dass nicht mehr der abgelehnte Bewerber seine fachliche Eignung nachweisen muss, sondern dass der Arbeitgeber das Gericht davon überzeugen muss, dass dem Bewerber die Eignung fehlt.
Im vorliegenden Fall kann das dazu führen, dass der klagende Anwalt den Prozess letztlich doch verliert, weil er nämlich infolge seiner mittelmäßigen Noten nicht die in der Stellenausschreibung geforderte "erstklassige juristische Qualifikation" besitzt. Will die beklagte Kanzlei damit Erfolg haben, muss sie allerdings sehr detailliert nachweisen, dass und wie sie sämtliche Bewerbungen nach dem Notenkriterium bewertet hat und dass sie dabei konsequent vorgegangen ist (Urteil, S.37 f.).
Nähere Informationen finden sie hier:
- Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 19.05.2016, 8 AZR 470/14
- Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 28.07.2016, C-423/15 (Nils Kratzer)
- Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 18.06.2015, 8 AZR 848/13 (A)
- Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 18.03.2013, 7 Sa 1257/12
- Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierung - Allgemein
- Handbuch Arbeitsrecht: Diskriminierung - Anwendungsbereich des gesetzlichen Schutzes
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- Arbeitsrecht aktuell: 20/110 Beschwerde eines Arbeitnehmers wegen Benachteiligung
- Arbeitsrecht aktuell: 19/087 Keine Bewerber-Diskriminierung bei Rechtsmissbrauch
- Arbeitsrecht aktuell: 18/112 Kurz vor dem Abschluss stehendes Studium als Stellenanforderung
- Arbeitsrecht aktuell: 16/243 Keine Entschädigung für Scheinbewerber
- Arbeitsrecht aktuell: 16/170 Schadensersatz bei geschlechtsbezogener Diskriminierung
- Arbeitsrecht aktuell: 14/279 Stellenausschreibung für Berufsanfänger
- Arbeitsrecht aktuell: 14/153 AGG-Entschädigungsklage kann Rechtsmissbrauch sein
- Arbeitsrecht aktuell: 14/059 Altersdiskriminierung durch Suche nach Berufseinsteigern
- Arbeitsrecht aktuell: 13/119 Beweislast für Diskriminierung bei der Einstellung
- Arbeitsrecht aktuell: 13/017 Stellenausschreibung für "Hochschulabsolventen / Young Professionals" diskriminiert ältere Bewerber
- Arbeitsrecht aktuell: 12/290 Diskriminierung bei der Bewerbung wegen des Alters
- Arbeitsrecht aktuell: 12/024 Diskriminierung bei der Bewerbung
Letzte Überarbeitung: 8. Januar 2021
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