HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 14/059

Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung durch Su­che nach Be­rufs­ein­stei­gern

Von äl­te­rem An­walt ver­klag­te Kanz­lei ob­siegt we­gen feh­len­der Ernst­haf­tig­keit der Be­wer­bung: Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 31.10.2013, 21 Sa 1380/13
Das Al­ter soll­te bei Be­wer­bun­gen kei­ne Rol­le spie­len

20.02.2014. Ar­beit­ge­ber su­chen oft Nach­wuchs­kräf­te, um sie in ih­rem Un­ter­neh­men wei­ter aus­zu­bil­den.

Die ge­ziel­te Su­che nach "Be­rufs­ein­stei­gern" bzw. "Be­rufs­ein­stei­ge­rin­nen" ist al­ler­dings nach heu­te vor­herr­schen­der Mei­nung ei­ne ver­bo­te­ne Dis­kri­mi­nie­rung von Be­wer­bern we­gen ih­res Al­ters, denn Be­rufs­an­fän­ger sind sel­ten äl­ter als 30 Jah­re, ge­schwei­ge denn dass sie 40, 50 oder gar 60 Jah­re alt sind.

Wer sich al­ler­dings mit stol­zen 60 Jah­ren auf ei­ne sol­che Stel­le be­wirbt, soll­te schon im Be­wer­bungs­schrei­ben er­klä­ren, war­um er sich noch be­ruf­lich ver­än­dern möch­te. An­dern­falls muss er sich nicht wun­dern, wenn sei­ne Be­wer­bung als nicht ernst­ge­meint be­wer­tet wird.

So er­ging es vor kur­zem ei­nem Re­gens­bur­ger Rechts­an­walt in vor­ge­rück­tem Al­ter, der ei­ne Ber­li­ner Kanz­lei we­gen an­geb­li­cher Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung ver­klag­te: Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, Ur­teil vom 31.10.2013, 21 Sa 1380/13.

Wer sich nicht "ernst­haft" auf ei­ne dis­kri­mi­nie­ren­de Stel­len­an­zei­ge be­wirbt, be­kommt kei­ne Entschädi­gung - aber was heißt "ernst­haft"?

Stel­len­aus­schrei­bun­gen müssen gemäß § 11 All­ge­mei­nes Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) al­ter­s­neu­tral for­mu­liert sein, d.h. der Ar­beit­ge­ber darf nicht den Ein­druck er­we­cken, jünge­re Be­wer­ber zu be­vor­zu­gen. Das wäre ei­ne ver­bo­te­ne Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters.

Be­wirbt sich da­her z.B. ein 50jähri­ger In­ter­es­sent oh­ne Er­folg auf ei­ne Aus­schrei­bung, mit der ei­ne "Verstärkung für un­ser jun­ges dy­na­mi­sches Team" ge­sucht wird, kann er gemäß § 15 Abs.2 AGG ei­ne Gel­dentschädi­gung ver­lan­gen.

Denn in die­ser Stel­len­an­zei­ge sind An­halts­punk­te für ei­ne Be­vor­zu­gung jünge­rer Be­wer­ber ent­hal­ten ("jun­ges dy­na­mi­sches Team"), d.h. In­di­zi­en für ei­ne Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung im Sin­ne von § 22 AGG. Und gemäß die­ser Be­weis­last­re­ge­lung muss der Ar­beit­ge­ber vor Ge­richt be­wei­sen, dass die Ab­leh­nung des 50jähri­gen Be­wer­bers al­lein auf sach­li­chen Gründen be­ruht, d.h. mit dem Al­ter nichts zu tun hat. Ein sol­cher Be­weis ge­lingt sel­ten.

Hier hilft dem auf Entschädi­gung ver­klag­ten Ar­beit­ge­ber aber mögli­cher­wei­se der Grund­satz, dass Entschädi­gungs­ansprüche aus­nahms­wei­se gemäß § 242 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) we­gen "Rechts­miss­brauchs" aus­ge­schlos­sen sind, wenn sich der Be­wer­ber al­lein des­halb auf die Stel­le be­wor­ben hat, um ei­ne Gel­dentschädi­gung zu er­hal­ten. Dann ist die Be­wer­bung "nicht ernst­haft".

In ei­nem ak­tu­el­len Fall hat sich das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ber­lin-Bran­den­burg mit der Fra­ge be­fasst, un­ter wel­chen Umständen man dem ab­ge­lehn­ten Be­wer­ber un­ter­stel­len kann, er ha­be sich nicht ernst­haft bzw. al­lein des­halb be­wor­ben, um ei­ne Entschädi­gung zu kas­sie­ren.

Der Streit­fall: 60jähri­ger selbständi­ger An­walt be­wirbt sich auf ei­ne "Be­rufs­ein­stei­ger"-Stel­le im Han­dels- und Ge­sell­schafts­recht

Im Streit­fall ging es um ei­nen 1953 ge­bo­re­nen pro­mo­vier­ten Rechts­an­walt, der seit 1988 ei­ne Rechts­an­walts­kanz­lei in Re­gens­burg mit brei­tem zi­vil­recht­li­chen Spek­trum be­treibt. Sei­ne 1979 und 1983 ab­sol­vier­ten Ex­ami­na hat­te er je­weils mit "be­frie­di­gend", d.h. mit mit­telmäßigen No­ten ab­ge­legt.

Im Jah­re 2013 schal­te­te ei­ne Ber­li­ner Kanz­lei ei­ne Stel­len­an­zei­ge in ei­ner ju­ris­ti­schen Zeit­schrift. Dar­in hieß es:

"Un­se­re nam­haf­ten, über­wie­gend mit­telständi­schen Man­dan­ten be­ra­ten wir im zi­vi­len Wirt­schafts­recht. Schwer­punk­te sind Han­dels- und Ge­sell­schafts­recht, M & A, Kar­tell­recht, Ur­he­ber- und Ver­lags­recht, häufig mit in­ter­na­tio­na­lem Be­zug (…).

Wir su­chen ins­be­son­de­re für den Be­reich Han­dels- und Ge­sell­schafts­recht

  • ei­nen Rechts­an­walt (m/w) Voll­zeit
  • ei­nen Rechts­an­walt (m/w) Teil­zeit

als Be­rufs­anfänger oder Kol­le­gen mit 1-3 Jah­ren Be­rufs­er­fah­rung. Prädi­kats­ex­amen und aus­baufähi­ge Eng­lisch­kennt­nis­se set­zen wir vor­aus.

Wir bie­ten ei­ne her­aus­for­dern­de Tätig­keit mit ei­ge­nen Ge­stal­tungsmöglich­kei­ten in ei­nem an­ge­neh­men Ar­beits­kli­ma. Ziel ist die späte­re Auf­nah­me in die Part­ner­schaft."

Der Re­gens­bur­ger An­walt be­warb sich auf die­se Stel­le. In sei­nem Be­wer­bungs­schrei­ben heißt es:

"Ich bin seit 1988 hier in Re­gens­burg als Rechts­an­walt tätig, je­doch im Prin­zip ört­lich un­ge­bun­den. Ich ha­be, wie aus den bei­gefügten Be­wer­bungs­un­ter­la­gen er­sicht­lich, zwei Prädi­kats­ex­amen und bin darüber hin­aus pro­mo­viert. Das Wirt­schafts­recht mit den von Ih­nen ge­nann­ten Teil­be­rei­chen ken­ne ich umfäng­lich aus mei­ner langjähri­gen be­ruf­li­chen Tätig­keit als Rechts­an­walt. Im Ver­lags­we­sen war ich so­gar ei­ni­ge Jah­re bei ei­ner Ta­ges­zei­tung an­ge­stellt.

Aus­baufähi­ge Eng­lisch­kennt­nis­se sind selbst­verständ­lich."

Nach­dem er ei­ne Ab­sa­ge er­hal­ten hat­te, klag­te er vor dem Ar­beits­ge­richt Ber­lin auf Zah­lung ei­ner Jah­res­vergütung, die er mit 60.000,00 EUR schätz­te. Das Ar­beits­ge­richt wies die Kla­ge ab, wo­bei es ent­spre­chend dem Vor­brin­gen der be­klag­ten Kanz­lei da­von aus­ging, dass die Stel­le be­reits vor Ein­gang der Be­wer­bung an­der­wei­tig ver­ge­ben wor­den sei (Ar­beits­ge­richt Ber­lin, Ur­teil vom 20.06.2013, 34 Ca 3498/13).

LAG Ber­lin-Bran­den­burg: Wer sich mit ei­nem nicht­sa­gen­den Schrei­ben auf ei­ne Stel­le be­wirbt, die nicht zu ihm passt, be­wirbt sich nicht "ernst­haft"

Das LAG wies die Be­ru­fung des kla­gen­den Rechts­an­walts zurück. Denn sei­ne Be­wer­bung war aus Sicht des Ge­richts nicht ernst­haft. Ihm war es nur dar­um ge­gan­gen, ei­ne Dis­kri­mi­nie­rungs­entschädi­gung zu er­hal­ten.

Da­bei stellt das Ge­richt nicht ent­schei­dend dar­auf ab, dass sich der kla­gen­de An­walt of­fen­bar als "AGG-Hop­per" betätigt hat­te, d.h. in ei­ner Viel­zahl von Fällen al­ters­dis­kri­mi­nie­ren­de Aus­schrei­bun­gen zum An­lass von Be­wer­bungs­schrei­ben und nach­fol­gen­den Entschädi­gungs­for­de­run­gen ge­macht hat­te. Denn wenn sich je­mand oft ver­geb­lich auf dis­kri­mi­nie­ren­de Aus­schrei­bun­gen be­wirbt und dann Entschädi­gun­gen ver­langt, ist das nach der Recht­spre­chung noch kein In­diz für feh­len­de Ernst­haf­tig­keit der ein­zel­nen Be­wer­bung.

Zur Be­gründung ver­weist das Ge­richt viel­mehr dar­auf, dass der Kläger die in der Aus­schrei­bung ge­for­der­ten Prädi­kats­ex­ami­na nach dem vor­herr­schen­den Verständ­nis die­ses Be­griffs nicht vor­wei­sen konn­te, denn über­wie­gend wer­den dar­un­ter No­ten von "voll­be­frie­di­gend" oder bes­ser ver­stan­den. Außer­dem gin­gen ver­tief­te Kennt­nis­se im Han­dels- und Ge­sell­schafts­recht nicht aus sei­nem Le­bens­lauf her­vor noch war er­sicht­lich, war­um er nach 25jähri­ger selbständi­ger Tätig­keit in ein An­ge­stell­ten­verhält­nis hätte wech­seln wol­len.

Un­ter die­sen Umständen, so das Ge­richt, hätte ei­ne ernst­haf­te Be­wer­bung mehr ent­hal­ten müssen als ei­ne nur flos­kel­haf­te Be­zug­nah­me auf die An­for­de­run­gen der Stel­len­aus­schrei­bung. Soll­ten wirt­schaft­li­che Gründe für den Wunsch nach ei­ner Fest­an­stel­lung be­ste­hen, hätte es na­he­ge­le­gen, in das Be­wer­bungs­schrei­ben et­wa fol­gen­den Hin­weis auf­zu­neh­men:

"Mei­ne Gründe, wes­halb ich nach langjähri­ger selbstständi­ger Tätig­keit in ein An­ge­stell­ten­verhält­nis wech­seln möch­te, erläute­re ich Ih­nen ger­ne in ei­nem persönli­chen Gespräch."

Auch hätte es na­he­ge­le­gen, dar­auf ein­zu­ge­hen, dass er die in der Aus­schrei­bung ar­beit­ge­ber­sei­tig gewünsch­te lang­fris­ti­ge Per­spek­ti­ve ei­ner Part­ner­schaft al­ters­be­dingt kaum bie­ten konn­te. Ins­ge­samt hat­te der Kläger da­her nichts ge­tan, "um in sei­ner Be­wer­bung ein po­si­ti­ves Bild von sei­ner Per­son, sei­nen auf die aus­ge­schrie­be­ne Stel­le be­zo­ge­nen Fähig­kei­ten und sei­nem be­ruf­li­chen Wer­de­gang ab­zu­ge­ben".

Fa­zit: Es spricht für die feh­len­de Ernst­haf­tig­keit ei­ner Be­wer­bung, wenn Be­wer­ber und Stel­le nicht recht zu­ein­an­der pas­sen und das Be­wer­bungs­schrei­ben in die­ser Hin­sicht "nichts­sa­gend" ist, d.h. kei­ne en­ga­gier­te Be­gründung dafür enthält, war­um sich der Be­wer­ber den­noch für gut ge­eig­net hält.

Hätte das LAG die Kla­ge nicht an der feh­len­den Ernst­haf­tig­keit der Be­wer­bung schei­tern las­sen, hätte die be­klag­te Kanz­lei mögli­cher­wei­se den Kürze­ren ge­zo­gen. Das LAG ließ es zwar of­fen, ob die Su­che nach "Be­rufs­ein­stei­gern" oder nach Be­wer­bern mit "ein oder zwei" bzw. mit "ein bis drei" Jah­ren Be­rufs­er­fah­rung ei­ne mit­tel­ba­re Dis­kri­mi­nie­rung älte­rer Be­wer­ber dar­stellt. An­de­re Ge­rich­te ha­ben sich aber be­reits zu­recht in die­sem Sin­ne po­si­tio­niert (vgl. LAG Schles­wig-Hol­stein, Ur­teil vom 22.11.2012, 4 Sa 246/12, LAG Düssel­dorf, Pres­se­mit­tei­lung 05/14 vom 30.01.2014). Auch ein Ur­teil des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) geht in die­se Rich­tung (BAG, Ur­teil vom 24.01.2013, 8 AZR 429/11, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 13/017 Stel­len­aus­schrei­bung für "Hoch­schul­ab­sol­ven­ten / Young Pro­fes­sio­nals" dis­kri­mi­niert älte­re Be­wer­ber).

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Hin­weis: In der Zwi­schen­zeit, d.h. nach Er­stel­lung die­ses Ar­ti­kels, hat das LAG sei­ne Ent­schei­dungs­gründe veröffent­licht. Das vollständig be­gründe­te Ur­teil des LAG fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 28. April 2019

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de