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ARBEITSRECHT AKTUELL // 19/087

Kei­ne Be­wer­ber-Dis­kri­mi­nie­rung bei Rechts­miss­brauch

Wer sich nur be­wirbt, um ei­ne Ab­sa­ge zu pro­vo­zie­ren und da­nach ei­ne Dis­kri­mi­nie­rungs­ent­schä­di­gung zu for­dern, han­delt miss­bräuch­lich: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 25.10.2018, 8 AZR 562/16
Diskriminierung Alter, Geschlecht, Religion, Menschen mit Behinderung

05.04.2019. In den ver­gan­ge­nen Jah­ren hat die Recht­spre­chung die Hür­den deut­lich ab­ge­senkt, die ab­ge­lehn­te Stel­len­be­wer­ber neh­men müs­sen, wenn sie mit Aus­sicht auf Er­folg auf ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung-Ent­schä­di­gung kla­gen wol­len.

Denn zum ei­nen kön­nen kirch­li­che Ar­beit­ge­ber nur noch in sel­te­nen Fäl­len die "pas­sen­de" Re­li­gi­on zur Ein­stel­lungs­vor­aus­set­zung er­he­ben. Und zum an­de­ren ist die ob­jek­ti­ve Eig­nung ei­nes Be­wer­bers seit 2016 kei­ne Vor­aus­set­zung mehr da­für, im Be­wer­bungs­ver­fah­ren dis­kri­mi­niert zu wer­den.

In ei­ner ak­tu­el­len Ent­schei­dung hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) ei­nen an­de­ren Ak­zent ge­setzt und ent­schie­den, dass pro­vo­zie­ren­der Äu­ße­run­gen in ei­nem Be­wer­bungs­schrei­ben ein aus­rei­chen­der Be­leg für ei­ne rechts­miss­bräuch­li­che Be­wer­bung sein kön­nen: BAG, Ur­teil vom 25.10.2018, 8 AZR 562/16

Kann ein pro­vo­zie­ren­des Be­wer­bungs­schrei­ben be­le­gen, dass es der Be­wer­ber auf ei­ne Ab­leh­nung ab­ge­se­hen hat, um ei­ne Dis­kri­mi­nie­rungs­entschädi­gung zu kas­sie­ren?

Un­ge­recht­fer­tig­te Be­nach­tei­li­gun­gen (Dis­kri­mi­nie­run­gen) ei­nes Be­wer­bers we­gen der re­li­giösen oder welt­an­schau­li­chen Über­zeu­gung sind bei der Stel­len­aus­schrei­bung und Stel­len­be­set­zung nach dem All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) ver­bo­ten. Das er­gibt sich aus § 1 AGG in Verb. mit § 2 Abs.1 Nr.1, § 6 Abs.1 Satz 2 und § 7 Abs.1 AGG.

Da­hin­ter ste­hen die Vor­ga­ben der Richt­li­nie 2000/78/EG, an die kirch­li­che Ar­beit­ge­ber prak­tisch eben­so weit­ge­hend wie an­de­re Ar­beit­ge­ber ge­bun­den sind. Das hat der Eu­ropäische Ge­richts­hof (EuGH) vor ei­nem Jahr in ei­nem deut­schen Fall (Egen­ber­ger) zu­guns­ten der Ar­beit­neh­mer­sei­te und da­mit zu­las­ten kirch­li­cher Ar­beit­ge­ber deut­lich ge­macht (EuGH, Ur­teil vom 17.04.2018, C-414/16 - Egen­ber­ger, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 18/096 Kon­fes­si­on als Vor­aus­set­zung der Ein­stel­lung?).

In der Kon­se­quenz die­ser Ent­schei­dung ist nur noch (sehr) sel­ten zulässig, dass kirch­li­che Ar­beit­ge­ber die zu ih­nen "pas­sen­de" Re­li­gi­on zur Ein­stel­lungs­vor­aus­set­zung erklären, wie das BAG in Um­set­zung des Egen­ber­ger-Ur­teils des EuGH ent­schie­den hat (BAG, Ur­teil vom 25.10.2018, 8 AZR 501/14, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 18/262 Kir­chen dürfen von Be­wer­bern kei­ne Re­li­gi­ons­zu­gehörig­keit ver­lan­gen).

Auf der an­de­ren Sei­te hat der EuGH vor ei­ni­gen Jah­ren sei­nen Se­gen da­zu ge­ge­ben, dass Schein-Be­wer­ber kei­ne Dis­kri­mi­nie­rungs-Entschädi­gun­gen er­hal­ten, d.h. miss­bräuch­lich han­deln­de "Be­wer­ber", die nicht an ei­ner Ar­beits­stel­le in­ter­es­siert sind, son­dern Kas­se ma­chen wol­len (EuGH, Ur­teil vom 28.07.2016, C-423/15 - Krat­zer, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 16/243 Kei­ne Entschädi­gung für Schein­be­wer­ber). In die­sem EuGH-Fall ging es um ei­nen deut­schen Rechts­an­walt, Nils Krat­zer, der über Jah­re hin­weg in ei­ner Viel­zahl von Fällen nach er­folg­lo­sen Be­wer­bun­gen Ansprüche auf Dis­kri­mi­nie­rungs-Entschädi­gun­gen ein­ge­klagt hat­te.

Prak­tisch zeit­gleich mit die­sem für Ar­beit­ge­ber eher po­si­ti­ven EuGH-Ur­teil hat das BAG sei­ne Recht­spre­chung zu der Fra­ge geändert, wann Be­wer­ber über­haupt dis­kri­mi­niert wer­den können: We­der die ob­jek­ti­ve Eig­nung, so das BAG 2016, noch die sub­jek­ti­ve Ernst­haf­tig­keit der Be­wer­bung sind dafür er­for­der­lich (BAG, Ur­teil vom 19.05.2016, 8 AZR 470/14, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 16/358 Dis­kri­mi­nie­rung und Eig­nung des Be­wer­bers). Seit­dem müssen Ar­beit­ge­ber be­wei­sen, dass ab­ge­lehn­te Be­wer­ber not­wen­di­ge Qua­li­fi­ka­tio­nen nicht be­sit­zen und dass ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung da­her nicht ursächlich für die Ab­leh­nung war.

Die­ser be­wer­ber­freund­li­chen Li­nie blieb das BAG treu, als es den vom EuGH be­ur­teil­ten Vor­la­ge­fall Krat­zer wie­der auf dem Tisch hat­te und über ihn ent­schei­den muss­te (BAG, Ur­teil vom 26.01.2017, 8 AZR 848/13 - Krat­zer). Denn die­ses Ur­teil stellt so ho­he An­for­de­run­gen an den Nach­weis ei­ner miss­bräuch­li­chen Schein-Be­wer­bung, dass es schon fast als Er­mu­ti­gung für "AGG-Hop­per" an­ge­se­hen wer­den kann.

Vor die­sem Hin­ter­grund würde man nicht er­war­ten, dass das BAG al­lein auf der Grund­la­ge ei­nes pro­vo­zie­ren­den Be­wer­bungs­schrei­bens zu dem Er­geb­nis kom­men würde, dass sich der Be­wer­ber nur zum Schein be­wor­ben hat bzw. zu dem Zweck, ei­ne Entschädi­gung zu er­lan­gen.

Nils Krat­zer gg. dia­ko­ni­schen Ver­band

In dem vom BAG ent­schie­de­nen Ver­fah­ren war wie­der ein­mal Rechts­an­walt Krat­zer in ei­ge­ner Sa­che am Start. Dies­mal hat­te er sich bei ei­nem dia­ko­ni­schen Dach­ver­band be­wor­ben, der im Ju­li 2011 ei­ne/n "Re­fe­ren­tin/Re­fe­ren­ten Ar­beits­recht“ such­te.

Vor­aus­set­zung war laut Stel­len­aus­schrei­bung die Zu­gehörig­keit zur Evan­ge­li­schen Kir­che oder ei­ner Kir­che der ACK, der Ar­beits­ge­mein­schaft Christ­li­cher Kir­chen in Deutsch­land, in der 17 christ­li­che Glau­bens­ge­mein­schaf­ten or­ga­ni­siert sind. Außer­dem be­zeich­ne­te es die Stel­len­aus­schrei­bung als "wünschens­wert", wenn die Be­wer­ber "ers­te Be­rufs­er­fah­run­gen (3 Jah­re)" hätten.

Herr Krat­zer ver­fass­te ein Be­wer­bungs­schrei­ben, in dem es aus­zugs­wei­se hieß:

"Als Rechts­an­walt bin ich mitt­ler­wei­le seit na­he­zu neun Jah­ren tätig und ha­be mich (...) mitt­ler­wei­le auf das Ar­beits­recht spe­zia­li­siert. (…) Da ich meh­re­re Jah­re hin­weg als selbständi­ger Rechts­an­walt al­lein für den wirt­schaft­li­chen Er­folg mei­nes Büros ver­ant­wort­lich war, verfüge ich über ein so­li­des Maß an be­triebs­wirt­schaft­li­chen Kennt­nis­sen. Der­zeit gehöre ich aus fi­nan­zi­el­len Gründen nicht der evan­ge­li­schen Kir­che an, je­doch kann ich mich mit den Glau­bens­grundsätzen der evan­ge­li­schen Kir­che iden­ti­fi­zie­ren, da ich lan­ge Mit­glied der evan­ge­li­schen Kir­che war."

Der dia­ko­ni­sche Ver­band schloss das Ver­fah­ren oh­ne Ein­stel­lung ei­nes Be­wer­bers ab und teil­te Herrn Krat­zer An­fang Sep­tem­ber 2011 mit, es sei ei­ne "Per­so­nal­ent­schei­dung" über die Be­set­zung der Stel­le ge­trof­fen wor­den und man be­dau­re, ihm kei­ne po­si­ti­ve Mit­tei­lung ma­chen zu können. Kurz dar­auf lei­te­te der Ver­band ein neu­es Be­set­zungs­ver­fah­ren ein.

Herr Krat­zer for­der­te dar­auf­hin un­ter Ver­weis auf § 15 Abs.1 und Abs.2 AGG zunächst ei­ne Entschädi­gung und Scha­dens­er­satz in Höhe von vier Gehältern à 4.000,00 EUR. Da der Ver­band nicht zahl­te, er­hob er Kla­ge vor dem Ar­beits­ge­richt Hal­le, wo er zunächst 14.820,88 EUR ver­lang­te und zu­letzt ei­ne Entschädi­gung von min­des­tens ei­ner Mo­nats­vergütung (3.705,22 EUR).

Das Ar­beits­ge­richt (Ur­teil vom 12.03.2013, 6 Ca 275/12) und das Lan­des­ar­beits­ge­richt Sach­sen-An­halt (Ur­teil vom 05.11.2015, 3 Sa 405/13) wie­sen die Kla­ge ab.

BAG: Wer sich nur be­wirbt, um ei­ne Ab­sa­ge zu pro­vo­zie­ren und da­nach ei­ne Dis­kri­mi­nie­rungs­entschädi­gung zu for­dern, han­delt miss­bräuch­lich

Auch in Er­furt vor dem Ach­ten Se­nat des BAG hat Herr Krat­zer kein Glück. Das BAG wies sei­ne Re­vi­si­on zurück.

Da­bei be­an­stan­den die Er­fur­ter Rich­ter zwar die Be­gründung, die das LAG für die Klag­ab­wei­sung ge­ge­ben hat­te, denn die­se be­ruh­te (im Jah­re 2015) noch auf der An­nah­me, dass der hier ver­klag­te kirch­li­che Ar­beit­ge­ber auf­grund des Selbst­be­stim­mungs­rechts der Kir­chen zu­recht die Mit­glied­schaft in ei­ner christ­li­chen Kir­che als Ein­stel­lungs­vor­aus­set­zung fest­ge­legt hat­te. Mit die­ser Be­gründung konn­te die Kla­ge un­ter Berück­sich­ti­gung des EuGH-Ur­teils in Sa­chen Egen­ber­ger (C-414/16) selbst­verständ­lich nicht ab­ge­wie­sen wer­den.

An die Stel­le die­ser Be­gründung setz­te das BAG ei­ne an­de­re, denn die Er­fur­ter Rich­ter hal­ten Herrn Krat­zer vor, Rechts­miss­brauch zu trei­ben und da­mit ge­gen das Ge­bot von Treu und Glau­ben (§ 242 Bürger­li­ches Ge­setz­buch - BGB) zu ver­s­toßen (Ur­teil, Rn.45). Denn miss­bräuch­lich han­delt, wer nicht die Stel­le er­hal­ten möch­te, son­dern nur die for­ma­le Po­si­ti­on ei­nes Be­wer­bers gemäß § 6 Abs.1 Satz 2 AGG, und zwar mit dem al­lei­ni­gen Ziel, ei­ne Entschädi­gung oder Scha­dens­er­satz nach § 15 Abs.1 und Abs.2 AGG zu er­gat­tern (Ur­teil, Rn.46, 54).

Zum Be­leg dafür, dass Herr Krat­zer in die­sem Sin­ne rechts­miss­bräuch­lich ge­han­delt hat­te, genügt dem BAG al­lein das Be­wer­bungs­schrei­ben. Da­her konn­te das BAG den Fall auch selbst ab­sch­ließend ent­schei­den, d.h. ei­ne Zurück­ver­wei­sung an das LAG war nicht er­for­der­lich.

Hier ver­weist das BAG auf die im Be­wer­bungs­schrei­ben ent­hal­te­ne, den kirch­li­chen Ar­beit­ge­ber brüskie­ren­de Mit­tei­lung, dass der "Be­wer­ber" nicht nur aus der evan­ge­li­schen Kir­che aus­ge­tre­ten ist, son­dern dies aus fi­nan­zi­el­len Gründen ge­tan hat. Da­zu merkt das BAG wei­ter­hin an (Ur­teil, Rn.58):

"In die­sem Kon­text wirkt die wei­te­re For­mu­lie­rung im Be­wer­bungs­schrei­ben >kann ich mich mit den Glau­bens­grundsätzen der evan­ge­li­schen Kir­che iden­ti­fi­zie­ren< pro­vo­zie­rend flos­kel­haft, wo­bei die Ver­wen­dung des Wor­tes >kann< zu­dem deut­lich macht, wie gleichgültig der Kläger den Glau­bens­grundsätzen der evan­ge­li­schen Kir­che ge­genüber­steht."

Fa­zit: Das BAG ver­wen­det große Sorg­falt dar­auf, dass Be­wer­bungs­schrei­ben auf die dar­in zum Aus­druck kom­men­den Ab­sich­ten hin zu in­ter­pre­tie­ren.

Für künf­ti­ge ver­gleich­ba­re Fälle heißt das, dass die Ar­beits­ge­rich­te häufi­ger als bis­her zu dem Er­geb­nis kom­men können, dass der an­geb­lich dis­kri­mi­nier­te Stel­len­be­wer­ber in Wahr­heit nicht an der aus­ge­schrie­be­nen Stel­le in­ter­es­siert war, son­dern an ei­ner Gel­dentschädi­gung.

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Letzte Überarbeitung: 28. September 2021

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