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BAG, Ur­teil vom 23.04.1996, 9 AZR 165/95

   
Schlagworte: Urlaub, Erziehungsurlaub, Resturlaub
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 9 AZR 165/95
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 23.04.1996
   
Leitsätze:

1. Der auf das nach dem Erziehungsurlaub laufende und das nächste Urlaubsjahr übertragene Urlaub verfällt mit Ablauf des nächsten Urlaubsjahres auch dann, wenn der Arbeitnehmer den Urlaub wegen Krankheit, Beschäftigungsverboten nach dem Mutterschutzgesetz und einen sich daran anschließenden zweiten Erziehungsurlaub nicht nehmen konnte.


2. Der mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstehende Abgeltungsanspruch wird lediglich hinsichtlich des tarifvertraglichen Anteils von einer tarifvertraglichen Ausschlußfrist erfaßt. Der Anteil im Umfang des gesetzlichen Mindesturlaubs bleibt unberührt. Er ist nach § 13 Abs. 1 BUr1G unabdingbar und kann bis zum Ablauf des Übertragungszeitraums verlangt werden.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Mannheim, Urteil vom 10.03.1994 - 5 Ca 656/93
Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (Mannheim), Urteil vom 26.09.1994 - 16 Sa 70/94
   

9 AZR 165/95
16 Sa 70/94 Ba­den-Würt­tem­berg (Mann­heim)


Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

23. April 1996

Ur­teil

Klapp,
Amts­in­spek­tor
als Ur­kunds­be­am­ter 

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen


pp.


hat der Neun­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 23. April 1996 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter Prof. Dr. Lei­ne­mann, die Rich­ter Dörner und Düwell so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Prof. Ham­mer und Schod­de für Recht er­kannt:
 

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Auf die Re­vi­si­on der Kläge­rin wird das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ba­den-Würt­tem­berg vom 26. Sep­tem­ber 1994 - 16 Sa 70/94 - un­ter Zurück­wei­sung der Re­vi­si­on im übri­gen teil­wei­se auf­ge­ho­ben.

Auf die Be­ru­fung der Kläge­rin wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Mann­heim vom 10. März 1994 - 5 Ca 656/93 - un­ter Zurück­wei­sung der Be­ru­fung im übri­gen teil­wei­se ab­geändert und ins­ge­samt neu ge­faßt:

Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, an die Kläge­rin 666,24 DM brut­to zu zah­len. Im übri­gen wird die Kla­ge ab­ge­wie­sen.

Die Be­klag­te trägt 1/5 der Kos­ten ers­ter und zwei­ter In­stanz und 1/4 der Kos­ten drit­ter In­stanz. Die Kläge­rin trägt 4/5 der Kos­ten ers­ter und zwei­ter In­stanz und 3/4 der Kos­ten drit­ter In­stanz.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand:

Die Par­tei­en strei­ten über Ur­laubs­ab­gel­tungs­ansprüche.

Die Kläge­rin war von Sep­tem­ber 1980 bis März 1993 als Verkäufe­r­in bei der Be­klag­ten beschäftigt. Auf das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en war der für all­ge­mein­ver­bind­lich erklärte Man­tel­ta­rif­ver­trag für die Ar­beit­neh­mer/-in­nen des Ein­zel­han­dels in Ba­den-Würt­tem­berg vom 29. Ju­ni 1989 (MTV) an­zu­wen­den. Nach § 16 MTV ha­ben die Ar­beit­neh­mer An­spruch auf Ur­laub zwi­schen 31 und 36 Werk­ta­gen im Ur­laubs­jahr. Der Man­tel­ta­rif­ver­trag enthält ei­ne Aus­schlußfris­ten­be­stim­mung, in der es un­ter an­de­rem heißt:

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"§ 26


1. Bei be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis­sen müssen Ansprüche aus dem Ta­rif­ver­trag in­ner­halb fol­gen­der Aus­schlußfris­ten schrift­lich bei der hierfür zuständi­gen Stel­le gel­tend ge­macht wer­den:

a) ...

b) Ansprüche auf rückständi­gen Ur­laub und Ur­laubs­geld in­ner­halb von 3 Mo­na­ten nach Ab­lauf des je­wei­li­gen Ur­laubs­jah­res (§§ 16, 19 A).

c) Al­le sons­ti­gen Ansprüche aus die­sem Ta­rif­ver­trag in­ner­halb von 3 Mo­na­ten nach Fällig­keit.

...

3. Nach Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses können al­le mit die­sem zu­sam­menhängen­den bei­der­sei­ti­gen Ansprüche, so­weit sie nicht nach Ziff. 1 ver­wirkt sind, nur in­ner­halb ei­ner Aus­schlußfrist von 3 Mo­na­ten nach Be­en­di­gung schrift­lich gel­tend ge­macht wer­den.

..."

Die Kläge­rin nahm nach der Ge­burt ih­res ers­ten Kin­des Er­zie­hungs­ur­laub vom 30. Ju­ni 1990 bis 3. Au­gust 1991. Zwi­schen­durch war sie er­neut schwan­ger ge­wor­den. Vom 4. bis 15. Au­gust 1991 war sie ar­beits­unfähig er­krankt. Da­nach be­stand für sie bis zur Ge­burt des nächs­ten Kin­des ein Beschäfti­gungs­ver­bot nach dem Mut­ter­schutz­ge­setz. Nach der Ge­burt des zwei­ten Kin­des im Sep­tem­ber 1991 nahm die Kläge­rin vom 4. No­vem­ber 1991 bis 7. März 1993 er­neut Er­zie­hungs­ur­laub. Später kündig­te sie ihr Ar­beits­verhält­nis zum En­de des Er­zie­hungs­ur­laubs. Mit Schrei­ben vom 7. Sep­tem­ber 1991 hat­te die Kläge­rin die Be­klag­te dar­auf hin­ge­wie­sen, daß ihr aus dem Jahr 1990 noch 15 Ur­laubs­ta­ge zuständen, die sie ne­ben dem für 1991 auf­lau­fen­den Ur­laub wei­ter­hin ver­lan­gen wer­de. Nach

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Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses mach­te die Kläge­rin am 11. März 1993 Ur­laubs­ab­gel­tung für die­se Ta­ge und für den Ur­laub 1991 in Höhe von 13 Ta­gen ver­geb­lich te­le­fo­nisch gel­tend. Mit der im Sep­tem­ber 1993 er­ho­be­nen Kla­ge hat sie be­an­tragt,

die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an die Kläge­rin 2.984,77 DM brut­to zu zah­len.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Ar­beits­ge­richt und Lan­des­ar­beits­ge­richt ha­ben die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Mit der Re­vi­si­on ver­folgt die Kläge­rin ihr hin­sicht­lich des Ur­laubs aus 1991 um 3 Ta­ge re­du­zier­tes Kla­ge­ziel wei­ter. Die Be­klag­te be­an­tragt, die Re­vi­si­on zurück­zu­wei­sen.

Ent­schei­dungs­gründe:

Die Re­vi­si­on ist teil­wei­se be­gründet. Die Kläge­rin hat An­spruch auf Ab­gel­tung des ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laubs von 6 Werk­ta­gen für das Jahr 1991 nach § 3 Abs. 1 und § 7 Abs. 4 BUr1G, § 17 Abs. 2 und Abs. 3 BErzGG. Im übri­gen ist die Re­vi­si­on un­be­gründet. Die Kläge­rin hat kei­nen An­spruch auf Ur­laubs­ab­gel­tung für wei­te­ren Ur­laub aus 1991, weil sie die ta­rif­li­che Aus­schlußfrist versäumt hat. Der Ur­laubs­an­spruch aus dem Jahr 1990 ist am 31. De­zem­ber 1992 er­lo­schen.

I.1. Die Kläge­rin hat für 1990 ei­nen ta­rif­li­chen Ur­laubs­an­spruch von we­nigs­tens 31 Ar­beits­ta­gen nach § 16 MTV er­wor­ben.

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2. Der An­spruch ist we­der nach der ta­rif­li­chen Be­stim­mung des § 26 Nr. 1 b noch nach § 7 Abs. 3 BUr1G am 31. De­zem­ber 1990 oder am 31. März 1991 un­ter­ge­gan­gen. Nach § 17 Abs. 2 BErzGG hat der Ar­beit­ge­ber den noch nicht gewähr­ten Ur­laub nach dem Er­zie­hungs­ur­laub im lau­fen­den oder im nächs­ten Ur­laubs­jahr zu gewähren. Die Vor­schrift stellt si­cher, daß die In­an­spruch­nah­me von Er­zie­hungs­ur­laub nicht zum Ver­fall des Er­ho­lungs­ur­laubs führt. Sie geht da­her als ge­setz­li­che Son­der­re­ge­lung der Ver­fall­vor­schrift des § 7 Abs. 3 BUr1G und den ent­spre­chen­den ta­rif­li­chen Be­stim­mun­gen vor. Al­ler­dings ist da­durch der Ur­laub nur bis zum 31. De­zem­ber 1992 über­tra­gen. Der für die Über­tra­gung des Ur­laubs aus 1990 maßgeb­li­che Er­zie­hungs­ur­laub en­de­te nämlich im Jahr 1991. Die sich an den Er­zie­hungs­ur­laub an­sch­ließen­de Ar­beits­unfähig­keit we­gen Krank­heit und die Su­s­pen­die­rung der Ar­beits­pflicht der Kläge­rin auf­grund ei­nes Beschäfti­gungs­ver­bots nach dem Mut­ter­schutz­ge­setz ändert dar­an nichts.

3. Die Kläge­rin hat ih­ren Ur­laub aus 1990 bis En­de 1992 nicht ge­nom­men. Er ist mit Ab­lauf des 31. De­zem­ber 1992 er­satz­los un­ter­ge­gan­gen.

II.1. Die Kläge­rin hat im Jahr 1991 er­neut ei­nen An­spruch auf 31 Ur­laubs­ta­ge er­wor­ben. Nach § 17 Abs. 1 BErzGG kann der Ar­beit­ge­ber den Er­ho­lungs­ur­laub für je­den vol­len Mo­nat, für den der Ar­beit­neh­mer Er­zie­hungs­ur­laub nimmt, um 1/12 kürzen. Da­von hat die Be­klag­te spätes­tens mit ih­rer Erklärung in der Kla­ge­er­wi­de­rung Ge­brauch ge­macht. Da­zu war sie auch noch in die­ser Zeit be­rech­tigt (Se­nats­ur­teil vom 28. Ju­li 1992 BA­GE 71, 50 = AP Nr. 3 zu
 


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§ 17 BErzGG). So ste­hen der Kläge­rin für 1991 nur 4/12 der ta­rif­li­chen Ur­laubs­ta­ge zu, weil sie 8 vol­le Mo­na­te Er­zie­hungs­ur­laub hat­te.

2. Der gekürz­te An­spruch der Kläge­rin ist nicht mit Ab­lauf des Jah­res 1991 un­ter­ge­gan­gen. Er ist auf die Zeit nach dem Er­zie­hungs­ur­laub, d.h. auf das dann lau­fen­de Ur­laubs­jahr 1993 und das nächs­te Ur­laus­jahr 1994 über­tra­gen, § 17 Abs. 2 BErzGG. Da die Kläge­rin das Ar­beits­verhält­nis im An­schluß an den Er­zie­hungs­ur­laub nicht fort­ge­setzt hat, ent­stand zu ih­ren Guns­ten ein Ab­gel­tungs­an­spruch, § 17 Abs. 3 BErzGG.

3. Die­ser Ab­gel­tungs­an­spruch mußte nach § 26 Nr. 3 MTV in­ner­halb ei­ner Aus­schlußfrist von 3 Mo­na­ten nach der Be­en­di­gung schrift­lich gel­tend ge­macht wer­den. Das hat die Kläge­rin versäumt. Der ta­rif­li­che An­teil des Ur­laubs­ab­gel­tungs­an­spruch ist da­her ver­fal­len (Se­nats­ur­teil vom 25. Au­gust 1992 - 9 AZR 329/91 - AP Nr. 60 zu § 7 BUr1G Ab­gel­tung).

4. Das gilt je­doch nicht für die Ab­gel­tung des im Ta­ri­fur­laub ent­hal­te­nen ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laub von 6 Werk­ta­gen. Ei­ne Ta­rif­vor­schrift, die wie § 26 Nr. 3 MTV auch Ab­gel­tungs­ansprüche er­fas­sen will, ist in­so­weit un­wirk­sam. Sie ist nicht von der Ermäch­ti­gung des § 13 Abs. 1 BUr1G ge­deckt; denn der Ab­gel­tungs­an­spruch als Er­satz für den un­an­tast­ba­ren Ur­laubs­an­spruch nach § 1 und § 3 Abs. 1 BUr1G steht nicht zur Dis­po­si­ti­on der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en. Er ist un­ab­ding­bar (Se­nats­ur­teil vom 24. No­vem­ber 1992 - 9 AZR 549/91 - AP Nr. .23 zu § 1 BUr1G). Ur­laubs­ab­gel­tungs­ansprüche und Ur­laubs­ansprüche sind vom Ge­setz­ge­ber be­fris­tet

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aus­ge­stal­tet wor­den. Die Möglich­keit, sie je­der­zeit in­ner­halb des Be­fris­tungs­zeit­raums erfüllt zu be­kom­men, gehört zum ta­rif­fes­ten Teil des An­spruchs nach dem Bun­des­ur­laubs­ge­setz.

III. Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO.

Lei­ne­mann 

Düwell 

Dörner

Ham­mer 

Schod­de

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