HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 17/196

Kei­ne Ur­laubs­ab­gel­tung im be­ste­hen­den Ar­beits­ver­hält­nis

Auch Scha­dens­er­satz we­gen nicht ge­währ­ter Ur­laubs­ta­ge (Er­satz­ur­laub) muss durch Frei­stel­lung ge­leis­tet wer­den: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 16.5.2017, 9 AZR 572/16
Urlaubsgeld, Liegestuhl mit Geldschein

24.07.2017. Im All­ge­mei­nen ist es im lau­fen­den Ar­beits­ver­hält­nis nicht mög­lich, sich nicht ge­nom­me­nen Ur­laubs­ta­ge aus­zah­len zu las­sen.

Denn ei­ne denn ein Aus­tausch „Ur­laub ge­gen Geld“ wä­re mit dem Schutz­zweck des Bun­des­ur­laubs­ge­set­zes (BUrlG) nicht zu ver­ein­ba­ren. § 7 Abs. 4 BUrlG sieht da­her ei­ne Ur­laubs­ab­gel­tung aus­drück­lich nur für den Fall vor, dass der Ur­laub „we­gen der Be­en­di­gung des Ar­beits­ver­hält­nis­ses“ nicht mehr ge­nom­men wer­den kann.

Aber gilt das Ver­bot der Ur­laubs­ab­gel­tung im lau­fen­den Ar­beits­ver­hält­nis auch für den Er­satz­ur­laubs­an­spruch, d.h. den Scha­dens­er­satz­an­spruch, den der Ar­beit­neh­mer hat, weil sein ei­gent­li­cher Ur­laubs­an­spruch durch Ver­schul­den des Ar­beit­ge­bers un­ter­ge­gan­gen ist? Das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) meint ja: BAG, Ur­teil vom 16.05.2017, 9 AZR 572/16.

Können Ar­beit­neh­mer in be­son­de­ren Fällen für ih­ren Er­satz­ur­laubs­an­spruch Geld ver­lan­gen?

Gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG muss der Ur­laub im lau­fen­den Ka­len­der­jahr gewährt und ge­nom­men wer­den. Nicht ge­nom­me­ner Ur­laub wird nur bei drin­gen­den be­trieb­li­chen oder persönli­chen Gründen auf das nächs­te Jahr über­tra­gen. Lie­gen sol­che Gründe nicht vor, verfällt der Ur­laub zum Jah­res­en­de. Das­sel­be gilt im Fal­le ei­ner Über­tra­gung auf das Fol­ge­jahr, wenn der über­tra­ge­ne Ur­laub nicht spätes­tens bis En­de März des Fol­ge­jah­res ge­nom­men wird.

Die­se BUrlG vor­ge­se­he­nen Fris­ten müssen Ar­beit­neh­mer wie Ar­beit­ge­ber be­ach­ten. Ar­beit­neh­mer müssen recht­zei­tig Ur­laubs­anträge stel­len und Ar­beit­ge­ber dürfen Ur­laubs­anträge nicht ge­gen En­de des Ka­len­der­jah­res bzw. des Über­tra­gungs­zeit­raums grund­los zurück­wei­sen. Ver­ur­sacht der Ar­beit­ge­ber durch ei­ne rechts­wid­ri­ge Ur­laubs­ver­wei­ge­rung den Un­ter­gang des Ur­laubs­an­spruchs zum Jah­res­en­de oder zum 31. März des Fol­ge­jah­res, schul­det er dem Ar­beit­neh­mer Scha­den­er­satz auf der Grund­la­ge der §§ 275, 280, 281 und 249 Abs.1 Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB).

Die­ser Scha­dens­er­satz­an­spruch, der sog. Er­satz­ur­laub, ist im Prin­zip wie der ei­gent­li­che Ur­laubs­an­spruch in Na­tur zu erfüllen, d.h. durch be­zahl­te Frei­stel­lung. Al­ler­dings rich­tet sich der Er­satz­ur­laubs­an­spruch als Scha­dens­er­satz­an­spruch nach dem BGB und nicht nach dem BUrlG. Und nach dem Scha­dens­er­satz­recht des BGB, d.h. gemäß § 251 Abs.1 BGB, ist ei­ne Entschädi­gung in Geld möglich, so­weit ein Scha­dens­er­satz in Na­tur (= die Gewährung des Er­satz­ur­laubs durch Frei­stel­lung) nicht möglich oder zur Entschädi­gung des Gläubi­gers (= des Ar­beit­neh­mers) nicht genügend ist.

Frag­lich ist, ob die im Scha­dens­er­satz­recht des BGB vor­ge­se­he­ne Gel­dentschädi­gung auch auf den Er­satz­ur­laub an­wend­bar ist. Denn es gibt Fälle, in de­nen die Gewährung des Er­satz­ur­laubs we­gen ei­ner länge­ren Er­kran­kung des Ar­beit­neh­mers oder auf­grund an­de­rer Umstände jah­re­lang nicht möglich ist. Dann könn­te man ar­gu­men­tie­ren, dass ein wei­te­res Zu­war­ten des Ar­beit­neh­mers kei­ne an­ge­mes­se­ne („genügen­de“) Entschädi­gung ist.

Der Streit­fall: Re­dak­teu­rin des hes­si­schen Rund­funks möch­te vor Be­ginn der Frei­stel­lungs­pha­se ih­re Al­ters­teil­zeit nicht ge­nom­me­ne Ur­laubs­ta­ge aus­be­zahlt be­kom­men

Ei­ne Re­dak­teu­rin des hes­si­schen Rund­funks hat­te mit ih­rem Ar­beit­ge­ber ei­ne Al­ters­teil­zeit auf ta­rif­ver­trag­li­cher Grund­la­ge ver­ein­bart, die sechs Jah­re lang, nämlich vom 01.04.2012 bis zum ein 31.03.2018 dau­ern soll­te, wo­bei die Al­ters­teil­zeit wie üblich im Block­mo­dell um­ge­setzt wer­den soll­te. Die dreijähri­ge Ar­beits­pha­se dau­er­te da­bei vom 01.04.2012 bis zum 31.03.2015, dar­an soll­te sich die eben­falls dreijähri­ge Frei­stel­lungs­pha­se an­sch­ließen (01.04.2012 bis zum 31.03.2018).

Im De­zem­ber 2014, d.h. we­ni­ge Mo­na­te vor Be­ginn der Frei­stel­lungs­pha­se, be­an­trag­te die Re­dak­teu­rin ih­ren vol­len ta­rif­li­chen Ur­laub von 31 Ta­gen für das kom­men­de Jahr 2015. Der Ar­beit­ge­ber gewähr­te al­ler­dings nur zeit­an­tei­lig für die ers­ten drei Mo­na­te der noch zu leis­ten­den Ar­beits­pha­se Ur­laub, der sich auf (31 : 12 x 3 =) acht Ta­ge be­lief.

Für die nicht gewähr­ten 23 Ur­laubs­ta­ge ver­lang­te die Re­dak­teu­rin Geld. Ihr Ar­gu­ment: We­gen der Unmöglich­keit der Ur­laubs­gewährung in der Frei­stel­lungs­pha­se ist Scha­dens­er­satz in Geld be­reits vor der recht­li­chen Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses zu zah­len.

Das Ar­beits­ge­richt Frank­furt am Main gab der Kla­ge statt (Ur­teil vom 09.02.2016, 16 Ca 5351/15), während das hes­si­sche Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) ge­gen die Kläge­rin ent­schied (Hes­si­sches LAG, Ur­teil vom 12.07.2016, 8 Sa 463/16). Da­bei war das LAG der Mei­nung, dass das Jahr des Über­gangs von der Ar­beits- in die Frei­stel­lungs­pha­se als Teil­zeit­beschäfti­gung mit ei­nem Vier­tel der re­gulären Ar­beits­zeit an­zu­se­hen ist, wes­halb der Ur­laubs­an­spruch der Kläge­rin be­zo­gen auf das Jahr 2015 an­tei­lig nur an­tei­lig be­stand.

BAG: Scha­dens­er­satz we­gen nicht gewähr­ter Ur­laubs­ta­ge (Er­satz­ur­laub) muss im be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis durch Frei­stel­lung ge­leis­tet wer­den

Auch in Er­furt hat­te die Re­dak­teu­rin kei­nen Er­folg, denn das BAG wies ih­re Re­vi­si­on zurück.

Zur Be­gründung stellt das BAG klar, dass der Er­satz­ur­laubs­an­spruch als Scha­dens­er­satz­an­spruch während des lau­fen­den Ar­beits­verhält­nis­ses nicht in Geld erfüllt wer­den kann, son­dern (eben­so wie der Ur­laubs­an­spruch) nur durch be­zahl­te Frei­stel­lung.

Denn der Er­satz­ur­laubs­an­spruch ist dar­auf ge­rich­tet, den un­ter­ge­gan­ge­nen Ur­laubs­an­spruch (als An­spruch auf be­zahl­te Frei­stel­lung) fort­be­ste­hen zu las­sen, und zwar „un­ter den Be­din­gun­gen des BUrlG“ (Ur­teil, S.6). Das wie­der­um hat zur Fol­ge, so die Er­fur­ter Rich­ter, dass der Er­satz­ur­laubs­an­spruch „den Mo­da­litäten des ver­fal­le­nen Ur­laubs­an­spruchs un­ter­liegt“ (Ur­teil, S.6), mit Aus­nah­me al­ler­dings der Bin­dung an das Ka­len­der­jahr bzw. das ers­te Quar­tal des Fol­ge­jah­res, d.h. die Fris­ten des § 7 Abs.3 BUrlG gel­ten nicht.

Kri­tisch ist an­zu­mer­ken, dass sich die Fra­ge der vor­zei­ti­gen Ab­gel­tung ei­nes An­spruchs auf Er­satz­ur­laub nur stellt, wenn ei­ne re­guläre Ur­laubs­gewährung oh­ne­hin nicht statt­fin­det. In Fällen die­ser Art ist auch die Bin­dung an das Ur­laubs­jahr nach der BAG-Recht­spre­chung auf­ge­ho­ben, d.h. die Fris­ten des § 7 Abs.3 BUrlG sind auf den Er­satz­ur­laub nicht an­zu­wen­den. Vor die­sem Hin­ter­grund ist nicht zu befürch­ten, dass sich Ar­beit­neh­mer ih­ren lau­fen­den Ur­laub ab­kau­fen las­sen, wenn man ei­nen Scha­dens­er­satz in Geld gemäß § 251 BGB im lau­fen­den Ar­beits­verhält­nis zu­las­sen würde.

Fa­zit: Auch Er­satz­ur­laubs­ansprüche können ab­ge­gol­ten wer­den, doch gilt für die Ab­gel­tung nicht § 251 BGB, son­dern § 7 Abs.4 BUrlG. Vor der recht­li­chen Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses können Ansprüche auf Er­satz­ur­laub nur durch be­zahl­te Frei­stel­lung erfüllt wer­den.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 29. August 2019

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de
Bewertung: 4.5 von 5 Sternen (2 Bewertungen)

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de