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ARBEITSRECHT AKTUELL // 19/077

Kein Ur­laub vom un­be­zahl­ten Son­der­ur­laub

Wäh­rend ei­nes un­be­zahl­ten Son­der­ur­laubs ent­ste­hen grund­sätz­lich kei­ne ge­setz­li­chen Ur­laubs­an­sprü­che: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 19.03.2019, 9 AZR 315/17
Flugzeit landet auf Urlaubsinsel, Urlaubsreise

26.03.2019. Das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) hat sei­ne Recht­spre­chung zu der Fra­ge ge­än­dert, ob Ar­beit­neh­mer wäh­rend ei­nes un­be­zahl­ten Son­der­ur­laubs zu­sätz­li­che ge­setz­li­che Ur­laubs­an­sprü­che er­wer­ben.

Bis­her hat­te das BAG den ge­setz­li­chen Ur­laubs­an­spruch von vier Wo­chen pro Jahr in die­ser Wei­se ab­ge­si­chert, d.h. auch für die Dau­er ei­nes ein­ver­nehm­li­che ru­hen­den Ar­beits­ver­hält­nis­ses.

Mit sei­nem Grund­satz­ur­teil vom Diens­tag letz­ter Wo­che hat der Neun­te BAG-Se­nat die­se Recht­spre­chung auf­ge­ge­ben: BAG, Ur­teil vom 19.03.2019, 9 AZR 315/17.

Ge­setz­li­che Ur­laubs­ansprüche auch für Zei­ten ei­nes un­be­zahl­ten Son­der­ur­laubs?

Im Jah­re 2014 hat­te der Neun­te BAG-Se­nat zu­guns­ten der Ar­beit­neh­mer­sei­te ent­schie­den, dass die ein­ver­nehm­li­che Auf­he­bung der bei­der­sei­ti­gen Haupt­pflich­ten aus dem Ar­beits­verhält­nis für ei­ne be­stimm­te Zeit (Sab­ba­ti­cal, un­be­zahl­ter Son­der­ur­laub) im All­ge­mei­nen nicht da­zu führt, dass Ar­beit­neh­mer kei­ne Ur­laubs­ansprüche er­wer­ben würden (BAG, Ur­teil vom 06.05.2014, 9 AZR 678/12, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 14/167 Ur­laubs­ab­gel­tung und ru­hen­des Ar­beits­ver­hält­nis).

Das heißt kon­kret: Wer sich z.B. bei ei­ner Fünf­ta­ge­wo­che vom Ja­nu­ar bis De­zem­ber ein­ver­nehm­lich oh­ne Be­zah­lung be­ur­lau­ben lässt, hat bei sei­ner Rück­kehr gemäß die­sem BAG-Ur­teil ei­nen zusätz­li­chen ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laub von 20 Ur­laubs­ta­gen. Glei­ches galt natürlich auch während ei­ner kürze­ren un­be­zahl­te Frei­stel­lung. Denn ob­wohl ein un­be­zahl­ter Son­der­ur­laub zur Fol­ge hat, dass der Ar­beit­neh­mer so­zi­al­ver­si­che­rungs­recht­lich kei­ner Beschäfti­gung nach­geht und da­her (vorüber­ge­hend) bei der So­zi­al­ver­si­che­rung ab­ge­mel­det wer­den muss, ändert nichts dar­an, dass das (ru­hen­de) Ar­beits­verhält­nis wei­ter fort­be­steht.

Für die­ses BAG-Ur­teil spre­chen fol­gen­de Ar­gu­men­te:

Aus § 4 Bun­des­ur­laubs­ge­setz (BUrlG) folgt, dass der vol­le ge­setz­li­che Min­des­t­ur­laubs­an­spruch von vier Wo­chen im­mer zu Jah­res­an­fang ent­steht, vor­aus­ge­setzt, das Ar­beits­verhält­nis "be­steht" länger als sechs Mo­na­te. Dem­zu­fol­ge scheint es nach dem Ge­setz nur auf den recht­li­chen Be­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses an­zu­kom­men (und nicht auf sein Ru­hen).

Und auch während ei­ner El­tern­zeit ent­ste­hen fort­lau­fend Ur­laubs­ansprüche, wie sich aus § 17 Abs.1 Satz 1 Bun­des­el­tern­geld- und El­tern­zeit­ge­setz (BEEG) er­gibt. Denn nach die­ser Vor­schrift kann der Ar­beit­ge­ber den Ur­laub für vol­le El­tern­zeit­mo­na­te um ein Zwölf­tel kürzen. Dar­aus folgt, dass El­tern­zeit-Ar­beit­neh­mer oh­ne ei­ne sol­che aus­drück­li­che Kürzungs­erklärung des Ar­beit­ge­bers (trotz vorüber­ge­hen­der Su­s­pen­die­rung der Ar­beits- und der Lohn­zah­lungs­pflicht) Ur­laubs­ansprüche er­wer­ben.

Ge­gen das BAG-Ur­teil spre­chen fol­gen­de Über­le­gun­gen:

Der Ge­sund­heits­schutz, der mit dem vierwöchi­gen ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laub gemäß § 1 und § 3 BUrlG so­wie gemäß Art.7 der Ar­beits­zeit-Richt­li­nie (Richt­li­nie 2003/88) be­zweckt ist, for­dert kei­nen "Ur­laub vom Ur­laub".

Dem­ent­spre­chend schwer zu ver­dau­en ist es für Ar­beit­ge­ber, nach Be­en­di­gung des un­be­zahl­ten Son­der­ur­laubs ei­nen wei­te­ren - dies­mal be­zahl­ten - Ur­laub gewähren zu müssen. Denn während man für ei­ne länge­re Er­kran­kung nichts kann und es da­her ge­recht­fer­tigt ist, den Ur­laub für min­des­tens 15 Mo­na­te nach Ab­lauf des Ur­laubs­jah­res recht­lich auf­recht­zu­er­hal­ten (s. da­zu Hand­buch Ar­beits­recht: Ur­laub und Krank­heit), las­sen sich die­se Über­le­gun­gen nicht auf ei­nen frei­wil­li­gen Son­der­ur­laub über­tra­gen.

Sch­ließlich hat auch der Eu­ropäische Ge­richts­hof (EuGH) deut­lich ge­macht, dass es mit Art.7 Ar­beits­zeit-Richt­li­nie ver­ein­bar ist, wenn Ar­beit­neh­mer für die Dau­er ei­ner "Kurz­ar­beit Null" kei­ne Ur­laubs­ansprüche er­wer­ben. Denn ein sol­cher Fall ent­spricht ei­ner Teil­zeit­quo­te von null St­un­den (EuGH, Ur­teil vom 08.11.2012, C-229/11, C-230/11 - Hei­mann, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 12/353 Kein Ur­laub bei Kurz­ar­beit Null). In die­sel­be Rich­tung geht ein ak­tu­el­les Ur­teil des Ge­richts­hofs aus dem Jah­re 2018, dem zu­fol­ge es zulässig ist, wenn Ar­beit­neh­mer und Ar­beit­neh­me­rin­nen während ei­ner El­tern­zeit kei­ne Ur­laubs­ansprüche er­wer­ben (EuGH, Ur­teil vom 04.10.2018, C-12/17 - Ma­ria Di­cu, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 18/246 EuGH er­laubt Ur­laubskürzung bei El­tern­zeit).

Der Fall des BAG: Ta­rif­an­ge­stell­te im öffent­li­chen Dienst wird zwei Jah­re un­be­zahlt be­ur­laubt

Im Streit­fall ging es um die Fol­gen ei­nes un­be­zahl­ten Son­der­ur­laubs, den ein öffent­li­cher Ar­beit­ge­ber ei­ner Ta­rif­an­ge­stell­ten vom 01.09.2013 bis zum 31.08.2015 gewähr­te. Nach ih­rer Rück­kehr aus dem Sab­ba­ti­cal ver­lang­te die Ar­beit­neh­me­rin Ur­laub, un­ter an­de­rem für die Frei­stel­lungs-Zei­ten.

Da der Ar­beit­ge­ber die­sen Ur­laub nicht gewähr­te, strit­ten die Par­tei­en vor dem Ar­beits­ge­richt Cott­bus, das die Kla­ge auf Ur­laubs­gewährung ab­wies (Ur­teil vom 26.10.2016, 2 Ca 1516/15).

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ber­lin-Bran­den­burg gab der Kla­ge da­ge­gen teil­wei­se statt. Es sprach der Kläge­rin nämlich 20 Ur­laubs­ta­ge für das Jahr 2014 zu (Ur­teil vom 20.06.2017, 11 Sa 2068/16). Zur Be­gründung be­rief sich das LAG un­ter an­de­rem auf das o.g. BAG-Ur­teil vom 06.05.2014 (9 AZR 678/12).

BAG: Bei der Be­rech­nung des ge­setz­li­chen Min­des­t­ur­laubs blei­ben Zei­ten ei­nes un­be­zahl­ten Son­der­ur­laubs un­berück­sich­tigt

Das BAG hob das LAG-Ur­teil auf und wies die Kla­ge in vol­lem Um­fang ab. Zur Be­gründung heißt es in der BAG-Pres­se­mel­dung:

Nach § 3 Abs.1 BUrlG ha­ben Ar­beit­neh­mer bei ei­ner Sechs­ta­ge­wo­che, d.h. bei ei­ner Ar­beits­pflicht an den sechs Werk­ta­gen von Mon­tag bis Sams­tag, ei­nen Ur­laubs­an­spruch von 24 Werk­ta­gen. Dies ent­spricht ei­nem Ur­laub von 20 Ta­gen bei ei­ner Fünf­ta­ge­wo­che. Ist die Ar­beits­zeit auf we­ni­ger Ar­beits­ta­ge in der Ka­len­der­wo­che ver­teilt, muss die An­zahl der Ur­laubs­ta­ge un­ter Berück­sich­ti­gung des für das Ur­laubs­jahr maßgeb­li­chen Ar­beits­rhyth­mus be­rech­net wer­den, so das BAG. An­dern­falls ist ei­ne gleich­wer­ti­ge Ur­laubs­dau­er für al­le Ar­beit­neh­mer nicht zu gewähr­leis­ten.

Die­se gängi­ge Um­rech­nung möch­te der Neun­te BAG-Se­nat of­fen­bar auf die vollständi­ge Auf­he­bung der Ar­beits­pflicht während ei­nes Son­der­ur­laubs über­tra­gen, was er in sei­nem Ur­teil vom 06.05.2014 (9 AZR 678/12) noch aus­drück­lich ab­ge­lehnt hat­te. An die­sem Ur­teil, so die BAG-Pres­se­mel­dung, hält das BAG aber künf­tig nicht mehr fest, d.h. der Neun­te Se­nat ändert sei­ne Recht­spre­chung.

Nimmt der Ar­beit­neh­mer un­be­zahl­ten Son­der­ur­laub, ist laut BAG bei der Be­rech­nung der Ur­laubs­dau­er künf­tig zu berück­sich­ti­gen, dass die Haupt­leis­tungs­pflich­ten gemäß ei­ner Ver­ein­ba­rung vorüber­ge­hend aus­ge­setzt wer­den. Dies führt da­zu, so das BAG,

"dass ei­nem Ar­beit­neh­mer für ein Ka­len­der­jahr, in dem er sich durch­ge­hend im un­be­zahl­ten Son­der­ur­laub be­fin­det, man­gels ei­ner Ar­beits­pflicht kein An­spruch auf Er­ho­lungs­ur­laub zu­steht."

Fa­zit: Mit sei­ner Recht­spre­chungs-Ände­rung folgt das BAG dem EuGH bzw. des­sen Aus­le­gung von Art.7 Ar­beits­zeit-Richt­li­nie. Das ist zwar eu­ro­pa­recht­lich nicht zwin­gend, denn das deut­sche Ar­beits­recht kann für Ar­beit­neh­mer güns­ti­ge­re Re­ge­lun­gen ent­hal­ten als das EU-Recht. Im­mer­hin ist es eu­ro­pa­recht­lich sinn­voll, Art.7 Ar­beits­zeit-Richt­li­nie und das BUrlG an die­ser Stel­le wei­ter an­zunähern.

An­ders als in Fällen länge­rer Er­kran­kung ist es auch für Ar­beit­neh­mer zu­mut­bar, in­fol­ge ei­ner frei­wil­li­gen Ver­ein­ba­rung über ei­nen un­be­zahl­ten Son­der­ur­laub während der Frei­stel­lung­pha­se kei­ne Ur­laubs­ta­ge zu er­wer­ben.

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Letzte Überarbeitung: 28. September 2021

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