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EuGH er­laubt Ur­laubs­kür­zung bei El­tern­zeit

Die EU-Staa­ten dür­fen El­tern­zei­ten bei der Be­rech­nung des Er­ho­lungs­ur­laubs aus­klam­mern: Eu­ro­päi­scher Ge­richts­hof, Ur­teil vom 04.10.2018, C-12/17 (Ma­ria Di­cu)
Mutter, Vater und Kind, Familie, Elternzeit, Elterngeld

05.10.2018. Wer län­ge­re Zeit nicht bei der Ar­beit ist und kein Ge­halt be­zieht, kann trotz­dem fort­lau­fend (wei­te­re) Ur­laubs­an­sprü­che an­sam­meln.

Ein be­kann­tes Bei­spiel ist die län­ge­re krank­heits­be­ding­te Ab­we­sen­heit ei­nes Ar­beit­neh­mers, die nicht da­zu füh­ren darf, dass die An­sprü­che auf den Jah­res­ur­laub am En­de des Ka­len­der­jah­res oder am 31. März des Fol­ge­jah­res ver­fal­len, weil der Ar­beit­neh­mer krank­heits­be­dingt nicht in der La­ge war, den Ur­laub an­zu­tre­ten.

Aber muss die­ser ar­beits­recht­li­che Schutz aus Grün­den des Eu­ro­pa­rechts auch für den Fall gel­ten, dass ein Ar­beit­neh­mer oder ei­ne Ar­beit­neh­me­rin auf­grund ei­ner El­tern­zeit vor­über­ge­hend nicht im ak­ti­ven Ar­beits­ver­hält­nis steht? Die­se Fra­ge hat der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof (EuGH) mit ei­nem Ur­teil vom gest­ri­gen Ta­ge mit nein be­ant­wor­tet: EuGH, Ur­teil vom 04.10.2018, C-12/17 (Ma­ria Di­cu).

Ga­ran­tiert das Eu­ro­pa­recht Ar­beit­neh­me­rin­nen und Ar­beit­neh­mern während ei­ner El­tern­zeit, dass sie fort­lau­fend Ur­laubs­ansprüche er­wer­ben?

Nach deut­schem Ar­beits­recht führt ei­ne El­tern­zeit nicht au­to­ma­tisch zu ei­ner Kürzung von Ur­laubs­ansprüchen. Das gilt auch dann, wenn Ar­beit­neh­mer gar nicht tätig sind, sich al­so ge­gen ei­ne Teil­zeit in der El­tern­zeit ent­schie­den ha­ben. Das folgt aus § 17 Abs.1 Satz 1 Bun­des­el­tern­geld- und El­tern­zeit­ge­setz (BEEG). Die­se Vor­schrift lau­tet:

"Der Ar­beit­ge­ber kann den Er­ho­lungs­ur­laub, der dem Ar­beit­neh­mer oder der Ar­beit­neh­me­rin für das Ur­laubs­jahr zu­steht, für je­den vol­len Ka­len­der­mo­nat der El­tern­zeit um ein Zwölf­tel kürzen. Dies gilt nicht, wenn der Ar­beit­neh­mer oder die Ar­beit­neh­me­rin während der El­tern­zeit bei sei­nem oder ih­rem Ar­beit­ge­ber Teil­zeit­ar­beit leis­tet."

Die hier ge­re­gel­te Möglich­keit des Ar­beit­ge­bers, durch ei­ne aus­drück­lich erklärte Kürzung die Ur­laubs­ansprüche zeit­an­tei­lig für vol­le El­tern­zeit­mo­na­te zu ver­rin­gern, be­deu­tet im Um­kehr­schluss, dass Ar­beit­neh­mer während ei­ner El­tern­zeit im Prin­zip zusätz­li­chen Ur­laub er­wer­ben.

An­ders ge­sagt: Im All­ge­mei­nen ent­ste­hen Ur­laubs­ansprüche auch für die Dau­er ei­ner El­tern­zeit (= Re­gel), doch kann der Ar­beit­ge­ber die­se ge­setz­li­che Rechts­fol­ge durch ei­ne Kürzungs­erklärung ver­hin­dern (= Aus­nah­me). In der Pra­xis des Ar­beits­le­bens ist die­ses Re­gel-Aus­nah­me­verhält­nis aber um­ge­kehrt: In den meis­ten Fällen möch­te der Ar­beit­ge­ber Ar­beit­neh­mern während ei­ner El­tern­zeit kei­ne zusätz­li­chen Ur­laubs­ta­ge zu­ge­ste­hen, so dass er mit der Bestäti­gung der El­tern­zeit zu­gleich ei­ne Kürzungs­erklärung aus­spricht. Ein ent­spre­chen­des Mus­ter­schrei­ben des Ar­beit­ge­bers fin­den Sie hier (Mus­ter­schrei­ben: Bestäti­gung der El­tern­zeit mit Kürzung des Ur­laubs).

Die Kürzung muss der Ar­beit­ge­ber nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) noch während des be­ste­hen­den Ar­beits­verhält­nis­ses erklären. Nach Be­en­di­gung des Ar­beits­verhält­nis­ses be­steht die­se Möglich­keit nicht mehr, denn dann würde sie sich nicht mehr ge­gen den Ur­laubs­an­spruch bzw. ge­gen des­sen Höhe rich­ten, son­dern ge­gen den An­spruch auf Ur­laubs­ab­gel­tung. Ge­gen den Ab­gel­tungs­an­spruch sieht § 17 Abs.1 Satz 1 BEEG aber kei­ne Kürzungsmöglich­keit vor (BAG, Ur­teil vom 19.05.2015, 9 AZR 725/13, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 15/133 Ur­laubs­an­spruch und El­tern­zeit).

In den letz­ten Jah­ren war al­ler­dings un­klar und da­her um­strit­ten, ob die Kürzungsmöglich­keit nicht viel­leicht ge­gen Art.7 Abs.1 der Richt­li­nie 2003/88 ("Ar­beits­zeit-Richt­li­nie") verstößt, d.h. ge­gen die Ga­ran­tie ei­nes vierwöchi­gen Min­des­t­ur­laubs. Die­se Re­ge­lung lau­tet:

"Die Mit­glied­staa­ten tref­fen die er­for­der­li­chen Maßnah­men, da­mit je­der Ar­beit­neh­mer ei­nen be­zahl­ten Min­dest­jah­res­ur­laub von vier Wo­chen nach Maßga­be der Be­din­gun­gen für die In­an­spruch­nah­me und die Gewährung erhält, die in den ein­zel­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten und/oder nach den ein­zel­staat­li­chen Ge­pflo­gen­hei­ten vor­ge­se­hen sind."

In die­ser Vor­schrift wird nicht zwi­schen "nor­ma­len" Ar­beit­neh­mern (die re­gulär zur Ar­beit ge­hen) und an­de­ren un­ter­schie­den, de­ren Ar­beits­verhält­nis in­fol­ge ei­ner El­tern­zeit vorüber­ge­hend auf Eis ge­legt ist. Und in Be­zug auf lang­fris­tig er­krank­te Ar­beit­neh­mer hat der EuGH in ständi­ger Recht­spre­chung ent­schie­den, dass Ur­laubs­ansprüche zu­min­dest für 15 Mo­na­te nach Ab­lauf des Ur­laubs­jah­res, für wel­ches sie ent­stan­den sind, zu­guns­ten des Ar­beit­neh­mers auf­recht er­hal­ten wer­den müssen. Ein­zel­hei­ten da­zu fin­den Sie auf die­ser Web­sei­te un­ter "Hand­buch Ar­beits­recht: Ur­laub und Krank­heit".

Ei­ne ähn­li­che, eben­falls ar­beit­neh­mer­freund­li­che Klar­stel­lung hat der Ge­richts­hof für Ar­beit­neh­me­rin­nen ge­trof­fen, die sich in den ge­setz­li­chen Mut­ter­schutz­fris­ten be­fin­den. Sie ha­ben ei­nen An­spruch dar­auf, dass der Ar­beit­ge­ber die Mut­ter­schutz­fris­ten nicht als Er­ho­lungs­ur­laub ver­bucht, d.h. die In­an­spruch­nah­me der Schutz­fris­ten darf kei­ne Ur­laubs­ansprüche ver­brau­chen (EuGH, Ur­teil vom 18.03.2004, C-342/01 - Me­ri­no Gómez).

Auf der an­de­ren Sei­te hat der EuGH vor ei­ni­gen Jah­ren zu Un­guns­ten der Ar­beit­neh­mer­sei­te ent­schie­den, dass es mit dem Eu­ro­pa­recht zu ver­ein­ba­ren ist, wenn Ar­beit­neh­mer für die Zeit ei­ner "Kurz­ar­beit Null" kei­ne zusätz­li­chen Ur­laubs­ansprüche er­wer­ben (EuGH, Ur­teil vom 08.11.2012, C-229/11 und C-230/11 - Hei­mann und Tolt­schin), wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 12/353 Kein Ur­laub bei Kurz­ar­beit Null). Auch in ei­nem sol­chen Fall ist das Ar­beits­verhält­nis vorüber­ge­hend "auf Eis ge­legt", ähn­lich wie bei ei­ner El­tern­zeit.

Vor die­sem Hin­ter­grund war länge­re Zeit nicht klar, ob gemäß dem Eu­ro­pa­recht während ei­ner El­tern­zeit Ur­laubs­ansprüche ent­ste­hen müssen. Die­se Fra­ge hat der Ge­richts­hof nun­mehr be­ant­wor­tet, und zwar im Sin­ne der Ar­beit­ge­ber­sei­te.

Der rumäni­sche Streit­fall: Ei­ne Rich­te­rin am Land­ge­richt Bo­toșani strei­tet mit ih­rem Dienst­herrn über fünf Ta­ge Ur­laub, der ihr we­gen ei­ner 7,5-mo­na­ti­gen El­tern­zeit ver­wei­gert wird

Ei­ne rumäni­sche Rich­te­rin am Tri­bu­nalul Bo­toșani (Land­ge­richt Bo­toșani), Frau Ma­ria Di­cu, nahm im Ka­len­der­jahr 2014 ih­ren re­gulären Jah­res­ur­laub von 35 Ta­gen und be­fand sich da­nach, vom 01.10.2014 bis zum 03.02.2015, im ge­setz­li­chen Mut­ter­schutz.

Im An­schluss dar­an nahm sie 7,5 Mo­na­te El­tern­ur­laub (04.02.2015 bis 16.09.2015). Ähn­lich wie nach deut­schem Recht war ihr Ar­beits­verhält­nis während die­ser Zeit aus­ge­setzt. Nach Be­en­di­gung ih­res El­tern­ur­laubs kam sie nicht so­fort wie­der zur Ar­beit, son­dern nahm 30 Ta­ge re­gulären Ur­laub (17.09.2015 bis 17.10.2015).

Der Dienst­herr lehn­te dar­auf­hin ei­nen wei­te­ren Ur­laubs­an­trag ab, mit dem Frau Di­cu noch­mals fünf Ur­laubs­ta­ge für 2015 in An­spruch neh­men woll­te, und zwar zwi­schen den Fei­er­ta­gen am Jah­res­en­de 2015. Aus Sicht des Dienst­herrn hat­te sie in 2015 be­reits zu viel Ur­laub er­hal­ten, denn der Ur­laubs­an­spruch hängt nach rumäni­schem Recht von der Zeit der tatsächli­chen Ar­beits­leis­tung im lau­fen­den Jahr ab. Dem­ent­spre­chend war der Ur­laubs­an­spruch für 2015 auf­grund des 7,5-mo­na­ti­gen El­tern­ur­laubs zeit­an­tei­lig ge­min­dert, so je­den­falls der Dienst­herr.

Frau Di­cu er­hob dar­auf­hin Kla­ge mit dem Ziel der Fest­stel­lung, dass bei der Be­rech­nung ih­res Jah­res­ur­laubs 2015 der El­tern­ur­laub als Zeit­raum tatsäch­li­cher Ar­beits­leis­tung an­zu­se­hen sei. Mit die­ser Kla­ge hat­te sie in der ers­ten In­stanz Er­folg. Da­ge­gen setz­te das Be­ru­fungs­ge­richt das Ver­fah­ren aus und leg­te dem EuGH die Fra­ge vor, ob Art.7 Abs.1 der Richt­li­nie 2003/88 (bzw. der da­mit ga­ran­tier­te vierwöchi­ge Min­des­t­ur­laub) ei­ner na­tio­na­len Re­ge­lung ent­ge­gen­steht, der zu­fol­ge Zei­ten ei­nes El­tern­ur­laubs die Dau­er des Er­ho­lungs­ur­laubs ver­rin­gern.

EuGH: Das Eu­ro­pa­recht ver­bie­tet den EU-Staa­ten nicht, bei der Fest­le­gung des jähr­li­chen Er­ho­lungs­ur­laubs Zei­ten ei­nes El­tern­ur­laubs an­spruchs­min­dernd zu berück­sich­ti­gen

Der Ge­richts­hof ent­schied die Vor­la­ge­fra­ge im Sin­ne des Dienst­herrn bzw. ent­ge­gen der An­sicht der kla­gen­den Rich­te­rin. Da­mit folgt der EuGH dem Ent­schei­dungs­vor­schlag des am Ver­fah­ren be­tei­lig­ten EuGH-Ge­ne­ral­an­walts Men­goz­zi (Schluss­anträge des Ge­ne­ral­an­walts Pao­lo Men­goz­zi, vom 20.03.2018, Rs. C-12/17).

Zur Be­gründung weist der EuGH dar­auf hin, dass sich der El­tern­ur­laub von krank­heits­be­ding­ten Fehl­zei­ten und von den Mut­ter­schutz­fris­ten un­ter­schei­det. Das be­deu­tet: Auch wenn länger er­krank­te Ar­beit­neh­mer während ih­rer Fehl­zei­ten und Ar­beit­neh­me­rin­nen während der Schutz­fris­ten nach der EuGH-Recht­spre­chung lau­fend wei­te­re Ur­laubs­ansprüche er­wer­ben, ist die­ser Schutz nicht auf Ar­beit­neh­mer und Ar­beit­neh­me­rin­nen während ei­nes El­tern­ur­laubs zu über­tra­gen.

Denn Krank­hei­ten sind nicht vor­her­seh­bar und mit phy­si­schen oder psy­chi­schen Be­schwer­den ver­bun­den, während das für El­tern­ur­lau­be nicht gilt. Sie können ge­plant wer­den und ent­spre­chen in den meis­ten Fällen dem Wunsch des Ar­beit­neh­mers, sich um sein Kind zu kümmern (EuGH, Ur­teil vom 04.10.2018, C-12/17, Rn.32 und 33).

Darüber hin­aus be­ste­hen auch er­heb­li­che Un­ter­schie­de zwi­schen dem El­tern­ur­laub und den Mut­ter­schutz­fris­ten, die "dem Schutz der körper­li­chen Ver­fas­sung der Frau während und nach ih­rer Schwan­ger­schaft" die­nen so­wie "dem Schutz der be­son­de­ren Be­zie­hung zwi­schen der Mut­ter und ih­rem Kind während der an Schwan­ger­schaft und Ent­bin­dung an­sch­ließen­den Zeit" (EuGH, Ur­teil vom 04.10.2018, C-12/17, Rn.34). Die­se Zwe­cke ste­hen aber nach An­sicht der Lu­xem­bur­ger Rich­ter nicht hin­ter den Vor­schrif­ten über den El­tern­ur­laub, der dem­ent­spre­chend nicht nur von Müttern, son­dern auch von Vätern in An­spruch ge­nom­men wer­den kann.

Fa­zit: Das EuGH-Ur­teil vom 04.10.2018 (C-12/17 - Ma­ria Di­cu) ist zwar auf ei­nen rumäni­schen Fall gemünzt, kann aber auf die deut­sche Re­ge­lung in § 17 Abs.1 Satz 1 BEEG über­tra­gen wer­den. Denn wenn der Ar­beit­ge­ber von sei­nem Kürzungs­recht Ge­brauch macht, be­fin­det sich die Ar­beit­neh­me­rin bzw. der Ar­beit­neh­mer in ei­ner ver­gleich­ba­ren La­ge wie die rumäni­sche Kläge­rin. Dar­aus folgt, dass die in § 17 Abs.1 Satz 1 BEEG vor­ge­se­he­ne Kürzungsmöglich­keit mit dem Eu­ro­pa­recht ver­ein­bar ist.

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Letzte Überarbeitung: 10. Juni 2020

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