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BAG, Ur­teil vom 29.04.2004, 6 AZR 101/03

   
Schlagworte: Tarifvertrag, Eingetragene Lebenspartnerschaft, Ortszuschlag
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 6 AZR 101/03
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 29.04.2004
   
Leitsätze:

1. Das familienstandsbezogene Stufensystem des Ortszuschlags nach § 29 BAT berücksichtigt den Familienstand der Lebenspartnerschaft nicht. Die tarifliche Regelung ist mit der für die Tarifvertragsparteien nicht absehbaren Einführung des neuen familienrechtlichen Instituts der Eingetragenen Lebenspartnerschaft für gleichgeschlechtliche Paare nachträglich lückenhaft geworden.

2. Aus dem Regelungskonzept und der familienbezogenen Ausgleichsfunktion des Ortszuschlags ergeben sich ausreichende Anhaltspunkte für den mutmaßlichen Willen der Tarifvertragsparteien, den lückenhaften Tarifvertrag durch die für verheiratete Angestellte geltende Regelung des § 29 Abschnitt B Abs 2 Nr 1 BAT zu schließen.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Wuppertal, Urteil vom 6.06.2002, 8 Ca 571/02
Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 5.12.2002, 11 Sa 933/02
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

6 AZR 101/03

11 Sa 933/02

Lan­des­ar­beits­ge­richt Düssel­dorf

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am 29. April 2004

UR­TEIL

Schnei­der, Ur­kunds­be­am­tin der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläger, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­onskläger,

pp.

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Sechs­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf Grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 29. April 2004 durch die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin am Bun­des­ar­beits­ge­richt Schmidt, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Arm­brüster und Dr. Brühler so­wie den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Ma­ti­as­ke und die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Holz­hau­sen für Recht er­kannt:


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1. Auf die Re­vi­si­on des Klägers wird das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Düssel­dorf vom 5. De­zem­ber 2002 - 11 Sa 933/02 - auf­ge­ho­ben.

2. Auf die Be­ru­fung des Klägers wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Wup­per­tal vom 6. Ju­ni 2002 - 8 Ca 571/02 - ab­geändert:

Es wird fest­ge­stellt, dass die Be­klag­te ver­pflich­tet ist, dem Kläger für die Zeit ab dem 1. Ju­ni 2002 Orts­zu­schlag nach Stu­fe 2, Ta­rif­klas­se II gem. § 29 BAT zu zah­len.

Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, an den Kläger 779,84 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen iHv. 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz aus dem je­wei­li­gen sich aus dem Teil­be­trag iHv. 97,48 Eu­ro brut­to er­ge­ben­den Net­to­be­trag seit dem 16. Ok­to­ber 2001, 16. No­vem­ber 2001, 16. De­zem­ber 2001, 16. Ja­nu­ar 2002, 16. Fe­bru­ar 2002, 16. März 2002, 16. April 2002 und 16. Mai 2002 zu zah­len.

3. Die Be­klag­te hat die Kos­ten des Rechts­streits zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten darüber, wel­che Stu­fe des Orts­zu­schlags dem Kläger nach der Be­gründung ei­ner Ein­ge­tra­ge­nen Le­bens­part­ner­schaft zu­steht.

Der Kläger ist bei der Be­klag­ten als Kran­ken­pfle­ger beschäftigt. Für das Ar­beits­verhält­nis gel­ten die Be­stim­mun­gen des Bun­des-An­ge­stell­ten­ta­rif­ver­trags (BAT). Da­nach be­steht die Vergütung des An­ge­stell­ten aus der Grund­vergütung und dem Orts­zu­schlag (§ 26 Abs. 1 BAT). Die Höhe des Orts­zu­schlags rich­tet sich gemäß § 29 Ab­schnitt A Abs. 1 BAT nach Ta­rif­klas­sen und ent­spre­chend den Fa­mi­li­en­verhält­nis­sen des An­ge­stell­ten nach Stu­fen. Da­zu ist im BAT im Ein­zel­nen be­stimmt:

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„§ 29 Orts­zu­schlag.

...

B. Stu­fen des Orts­zu­schla­ges

...

(1) Zur Stu­fe 1 gehören die le­di­gen und die ge­schie­de­nen An­ge­stell­ten so­wie An­ge­stell­te, de­ren Ehe auf­ge­ho­ben oder für nich­tig erklärt ist.

(2) Zur Stu­fe 2 gehören

1. ver­hei­ra­te­te An­ge­stell­te,

2. ver­wit­we­te An­ge­stell­te,

3. ge­schie­de­ne An­ge­stell­te und An­ge­stell­te, de­ren Ehe auf­ge­ho­ben oder für nich­tig erklärt ist, wenn sie aus der Ehe zum Un­ter­halt ver­pflich­tet sind,

4. an­de­re An­ge­stell­te, die ei­ne an­de­re Per­son nicht nur vorüber­ge­hend in ih­re Woh­nung auf­ge­nom­men ha­ben und ihr Un­ter­halt gewähren, weil sie ge­setz­lich oder sitt­lich da­zu ver­pflich­tet sind oder aus be­ruf­li­chen oder ge­sund­heit­li­chen Gründen ih­rer Hil­fe bedürfen. Dies gilt bei ge­setz­li­cher oder sitt­li­cher Ver­pflich­tung zur Un­ter­halts­gewährung nicht, wenn für den Un­ter­halt der auf­ge­nom­me­nen Per­son Mit­tel zur Verfügung ste­hen, die, bei ei­nem Kind ein­sch­ließlich des gewähr­ten Kin­der­gel­des und des kin­der­be­zo­ge­nen Teils des Orts­zu­schla­ges, das Sechs­fa­che des Un­ter­schieds­be­tra­ges zwi­schen der Stu­fe 1 und der Stu­fe 2 des Orts­zu­schla­ges der Ta­rif­klas­se I c über­stei­gen. ...“

Am 5. Ok­to­ber 2001 be­gründe­te der Kläger mit ei­ner Per­son glei­chen Ge­schlechts ei­ne Le­bens­part­ner­schaft nach dem zum 1. Au­gust 2001 in Kraft ge­tre­te­nen Ge­setz über die Ein­ge­tra­ge­ne Le­bens­part­ner­schaft vom 16. Fe­bru­ar 2001 (- LPartG - BGBl. I S. 266). Er er­hielt wei­ter­hin Orts­zu­schlag der Stu­fe 1.

Der Kläger hat ge­meint, nach der Be­gründung der Le­bens­part­ner­schaft ste­he ihm wie ei­nem ver­hei­ra­te­ten An­ge­stell­ten der mo­nat­lich um 97,48 Eu­ro brut­to höhe­re Orts­zu­schlag der Stu­fe 2 zu. Im Be­reich des Ar­beits­ent­gelts sei ei­ne Un­gleich­be­hand­lung von An­ge­stell­ten in ei­ner Le­bens­part­ner­schaft und ver­hei­ra­te­ten An­ge­stell­ten sach­lich nicht ge­recht­fer­tigt. Ei­ne un­ter­schied­li­che Be­hand­lung ver­s­toße ge­gen den Gleich­heits­satz des Art. 3 Abs. 1 GG und das in der Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf vom 27. No­vem­ber 2000 (ABl. Nr. L 303/16 - Gleich-

 

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be­hand­lungsRL -) ge­re­gel­te Ver­bot der mit­tel­ba­ren Dis­kri­mi­nie­rung we­gen der se­xu­el­len Aus­rich­tung.

Der Kläger hat be­an­tragt,

1. fest­zu­stel­len, dass die Be­klag­te ver­pflich­tet ist, ihm für die Zeit ab dem 1. Ju­ni 2002 Orts­zu­schlag nach Stu­fe 2, Ta­rif­klas­se II gem. § 29 BAT zu zah­len,

2. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an ihn 779,84 Eu­ro brut­to nebst Zin­sen iHv. 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz gemäß § 1 DÜG aus dem je­wei­li­gen sich aus dem Teil­be­trag iHv. 97,48 Eu­ro brut­to er­ge­ben­den Net­to­be­trag seit dem 16. Ok­to­ber 2001, 16. No­vem­ber 2001, 16. De­zem­ber 2001, 16. Ja­nu­ar 2002, 16. Fe­bru­ar 2002, 16. März 2002, 16. April 2002 und 16. Mai 2002 zu zah­len.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Sie hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, die sach­li­che Recht­fer­ti­gung der Un­ter­schei­dung zwi­schen ver­hei­ra­te­ten An­ge­stell­ten und sol­chen, die ei­ne Le­bens­part­ner­schaft be­gründet hätten, fol­ge aus der ver­fas­sungs­recht­li­chen Wer­tent­schei­dung in Art. 6 Abs. 1 GG. Da­nach ste­he die Ehe un­ter dem be­son­de­ren Schutz der staat­li­chen Ord­nung. Dar­an hätten die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en bei der Gewährung ei­ner ta­rif­li­chen Leis­tung an­knüpfen können.

Die Vor­in­stan­zen ha­ben die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Mit der Re­vi­si­on ver­folgt der Kläger sein Kla­ge­ziel wei­ter. Die Be­klag­te be­an­tragt, die Re­vi­si­on des Klägers zurück­zu­wei­sen.

Ent­schei­dungs­gründe

Die Re­vi­si­on des Klägers hat Er­folg. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge zu Un­recht ab­ge­wie­sen. Seit der Be­gründung ei­ner Ein­ge­tra­ge­nen Le­bens­part­ner­schaft steht dem Kläger ein Orts­zu­schlag nach der Stu­fe 2 zu (§ 611 BGB iVm. § 26 Abs. 1, § 29 Ab­schnitt A Abs. 1, § 29 Ab­schnitt B Abs. 2 Nr. 1 BAT).

1. Nach § 26 Abs. 1 BAT ist der Orts­zu­schlag ne­ben der Grund­vergütung Teil des ei­nem An­ge­stell­ten zu­ste­hen­den Ar­beits­ent­gelts. Sei­ne Höhe rich­tet sich gemäß § 29 Ab­schnitt A Abs. 1 BAT nach der Ta­rif­klas­se, der die Vergütungs­grup­pe des An-

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ge­stell­ten zu­ge­teilt ist (Ab­satz 2), und nach der Stu­fe, die den Fa­mi­li­en­verhält­nis­sen des An­ge­stell­ten ent­spricht (Ab­schnitt B).

a) Mit der An­knüpfung an die Fa­mi­li­en­verhält­nis­se und der Ver­wei­sung auf die im Ab­schnitt B ge­trof­fe­nen Re­ge­lun­gen ha­ben die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en den ge­setz­li­chen Fa­mi­li­enständen Stu­fen des Orts­zu­schlags zu­ge­ord­net (§ 29 Ab­schnitt B Abs. 1 und Abs. 2 BAT). Der Be­griff des Fa­mi­li­en­stan­des be­zeich­net den Per­so­nen­stand des An­ge­stell­ten, aus dem sich er­gibt, ob die­ser le­dig oder ver­hei­ra­tet ist oder in ei­nem an­de­ren fa­mi­li­en­recht­li­chen Sta­tus lebt (vgl. BVerwG 4. März 2004 - 1 WB 32/03 - NVwZ 2004, 626).

b) Die je­wei­li­gen Stu­fen des Orts­zu­schlags be­stim­men sich nach ei­ner mit die­sen Verhält­nis­sen ver­bun­de­nen ge­setz­li­chen Un­ter­halts­pflicht oder dar­auf zurück­ge­hen­de Be­darfs­si­tua­ti­on. Dem­ent­spre­chend er­hal­ten le­di­ge oder ge­schie­de­ne An­ge­stell­te, so­wie die, de­ren Ehe für nich­tig erklärt oder auf­ge­ho­ben ist, nur den Orts­zu­schlag der Stu­fe 1 (§ 29 Ab­schnitt B Abs. 1 BAT). Den höhe­ren Orts­zu­schlag der Stu­fe 2 be­zie­hen nach Abs. 2 die­ser Ta­rif­norm ver­hei­ra­te­te An­ge­stell­te (Nr. 1), ver­wit­we­te An­ge­stell­te (Nr. 2) oder ge­schie­de­ne An­ge­stell­te, so­weit sie zum nach­e­he­li­chen Un­ter­halt ver­pflich­tet sind (Nr. 3). Al­ler­dings können auch An­ge­stell­te, die der Stu­fe 1 zu­ge­ord­net sind, in­fol­ge des Zu­sam­men­le­bens mit ei­ner wei­te­ren Per­son ei­nen An­spruch auf den höhe­ren Orts­zu­schlag er­wer­ben (§ 29 Ab­schnitt B Abs. 2 Nr. 4 BAT). Das setzt vor­aus, dass sie mit ei­ner an­de­ren Per­son zu­sam­men­le­ben, auf de­ren Hil­fe sie aus be­ruf­li­chen oder ge­sund­heit­li­chen Gründen an­ge­wie­sen sind oder der sie oh­ne­hin auf Grund ei­ner ge­setz­li­chen oder sitt­li­chen Pflicht Un­ter­halt schul­den. Bei ei­ner sol­chen Ein­stands­ge­mein­schaft dürfen al­ler­dings die ei­ge­nen Einkünf­te der in die Woh­nung auf­ge­nom­me­nen Per­son die in § 29 Ab­schnitt B Abs. 2 Satz 2 BAT ge­re­gel­te Ei­gen­mit­tel­g­ren­ze nicht über­schrei­ten.

c) Mit die­ser Kon­zep­ti­on ver­folgt der Orts­zu­schlag den Zweck, die mit ei­nem be­stimm­ten Fa­mi­li­en­stand oder ei­ner be­stimm­ten Le­bens­ge­mein­schaft ver­bun­de­nen fi­nan­zi­el­len Be­las­tun­gen ei­nes An­ge­stell­ten zu min­dern. Für die Gewährung die­ses Vergütungs­be­stand­teils konn­ten die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en in ver­fas­sungs­recht­lich un­be­denk­li­cher Wei­se an die mit ei­nem ge­setz­li­chen Fa­mi­li­en­stand ty­pi­scher­wei­se ver­bun­de­nen Un­ter­halts­las­ten ab­stel­len und bei sons­ti­gen Le­bens­ge­mein­schaf­ten den Be­zug des höhe­ren Orts­zu­schlags von be­son­de­ren Vor­aus­set­zun­gen abhängig ma­chen (BVerfG 21. Mai 1999 - 1 BvR 726/98 - NZA 1999, 878). 

 

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2. Mit dem am 1. Au­gust 2001 in Kraft ge­tre­te­nen LPartG ist das fa­mi­li­en­recht­li­che In­sti­tut der Ein­ge­tra­ge­nen Le­bens­part­ner­schaft be­gründet und ein neu­er Fa­mi­li­en­stand für gleich­ge­schlecht­li­che Paa­re ein­geführt wor­den, der den bis­he­ri­gen Per­so­nen­stand der Le­bens­part­ner ändert. Die Ort­zu­schlags­re­ge­lung in § 29 Ab­schnitt B BAT berück­sich­tigt die­sen wei­te­ren ge­setz­li­chen Fa­mi­li­en­stand nicht.

a) Nach Ein­ge­hung ei­ner Le­bens­part­ner­schaft ist ein An­ge­stell­ter nicht mehr le­dig iSd. § 29 Ab­schnitt B Abs. 1 BAT.

aa) Das Rechts­in­sti­tut der Ein­ge­tra­ge­nen Le­bens­part­ner­schaft für gleich­ge­schlecht­li­che Paa­re ist ge­genüber dem Fa­mi­li­en­stand „le­dig“ ein an­de­rer Per­so­nen­stand (BVerfG 17. Ju­li 2001 - 1 BvF 1, 2/01 - BVerfGE 105, 313, 338, 345 f.). § 1 Abs. 2 Nr. 1 LPartG be­stimmt, dass ei­ne Le­bens­part­ner­schaft mit ei­ner Per­son, die ver­hei­ra­tet oder be­reits mit ei­ner an­de­ren Per­son ei­ne Le­bens­part­ner­schaft führt, nicht be­gründet wer­den kann. Da­mit ver­langt das Ge­setz ei­nen an­de­ren fa­mi­li­en­recht­li­chen Sta­tus als den ei­ner Ehe oder ei­ner Le­bens­part­ner­schaft, um die wirk­sa­me Be­gründung ei­ner - neu­en - Le­bens­part­ner­schaft zu ermögli­chen. Das trifft al­lein auf den Fa­mi­li­en­stand „le­dig“, „ge­schie­den“ oder „ver­wit­wet“ zu. Ge­genüber dem Fa­mi­li­en­stand „le­dig“ ist die Le­bens­part­ner­schaft ein ali­ud (BVerwG 4. März 2004 - 1 WB 32/03 - NVwZ 2004, 626).

bb) § 29 Ab­schnitt B Abs. 1 BAT enthält dem Wort­laut nach kei­ne Auf­fang­re­gel, nach der al­le An­ge­stell­ten, die nicht ei­ner spe­zi­el­le­ren Stu­fe zu­ge­ord­net wer­den können, zur Stu­fe 1 zählen. Die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ha­ben in die­ser Ta­rif­vor­schrift durch ei­ne Aufzählung kon­kre­ter ge­setz­li­cher Fa­mi­li­enstände den Kreis der An­spruchs­be­rech­tig­ten be­stimmt. Mit die­ser Zu­ord­nung ha­ben sie die zur Stu­fe 1 gehören­den An­ge­stell­ten ab­sch­ließend fest­ge­legt.

b) Ein An­ge­stell­ter, der ei­ne Le­bens­part­ner­schaft be­gründet hat, ist auch kein ver­hei­ra­te­ter An­ge­stell­ter iSd. § 29 Ab­schnitt B Abs. 2 Nr. 1 BAT. Der von die­ser Ta­rif­norm vor­aus­ge­setz­te Fa­mi­li­en­stand wird durch das Ein­ge­hen ei­ner bürger­li­chen Ehe (§§ 1310 ff. BGB) ver­mit­telt. Al­ler­dings enthält das Bürger­li­che Ge­setz­buch selbst kei­ne Be­griffs­be­stim­mung der Ehe. De­ren Ge­halt er­sch­ließt sich erst aus Art. 6 Abs. 1 GG. Da­nach gehört zu den we­sent­li­chen Struk­tur­prin­zi­pi­en der Ehe die Ver­schie­den­ge­schlecht­lich­keit der Part­ner (BVerfG 17. Ju­li 2001 - 1 BvF 1, 2/01 - BVerfGE 105, 313, 342; 29. Ju­li 1959 - 1 BvR 205, 332, 333, 367/58, 1 BvL 27, 100/58 - BVerfGE 10, 59, 66; BAG 15. Mai 1997 - 6 AZR 26/96 - BA­GE 85, 375, 378). Die Le­bens­part­ner-

 

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schaft erfüllt die­se Vor­aus­set­zung nicht. Sie ist kei­ne Ehe iSd. Art. 6 Abs. 1 GG (BVerfG 17. Ju­li 2001 - 1 BvF 1, 2/01 - BVerfGE 105, 313, 345, 346). We­sens­merk­mal der Le­bens­part­ner­schaft ist die Gleich­ge­schlecht­lich­keit der Part­ner. Sie kann nach § 1 Abs. 1 Satz 1 LPartG nur zwi­schen zwei Per­so­nen des glei­chen Ge­schlechts be­grün­det wer­den.

c) An­ge­stell­te in ei­ner Le­bens­part­ner­schaft zählen auch nicht zum Kreis der nach § 29 Ab­schnitt B Abs. 2 Nr. 4 Satz 1 BAT Be­zugs­be­rech­tig­ten. An­de­re An­ge­stell­te iSd. Ta­rif­norm sind sol­che, die nicht be­reits we­gen ei­nes in Nr. 1 bis Nr. 3 ge­re­gel­ten Fa­mi­li­en­stan­des an­spruchs­be­rech­tigt sind, son­dern auf Grund ih­res Fa­mi­li­en­stan­des der Stu­fe 1 an­gehören. Die Zu­bil­li­gung des höhe­ren Orts­zu­schlags der Stu­fe 2 ori­en­tiert sich bei die­sem Per­so­nen­kreis an be­son­de­ren Un­ter­halts­las­ten, die nicht ty­pi­scher­wei­se mit der Be­gründung ei­ner Le­bens­ge­mein­schaft ver­bun­den sind und des­halb ein­schränken­den Vor­aus­set­zun­gen un­ter­lie­gen. Nr. 4 er­fasst da­nach sol­che Le­bens- oder ver­wandt­schaft­li­chen Ein­stands­ge­mein­schaf­ten, die form­los be­gründet wer­den, den Fa­mi­li­en­stand des An­ge­stell­ten un­verändert las­sen und de­ren Ein­ge­hen kei­ne ei­genständi­gen ge­setz­li­chen Un­ter­halts­pflich­ten zur Fol­ge hat (vgl. BAG 15. Mai 1997 - 6 AZR 26/96 - BA­GE 85, 375, 378). Schon die­se Merk­ma­le sind für ei­ne Le­bens­part­ner­schaft nicht kenn­zeich­nend. Ih­re Be­gründung be­darf staat­li­cher Mit­wir­kung (§ 1 Abs. 1 Satz 3 LPartG), sie ändert den Fa­mi­li­en­stand der Le­bens­part­ner und löst ge­setz­li­che Un­ter­halts­pflich­ten aus (§ 5 LPartG).

3. Die Er­wei­te­rung der ge­setz­li­chen Fa­mi­li­enstände durch die Einführung des Rechts­in­sti­tuts der Ein­ge­tra­ge­nen Le­bens­part­ner­schaft für gleich­ge­schlecht­li­che Part­ner war für die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en bei der Re­ge­lung der Orts­zu­schläge nicht ab­seh­bar. Ei­ne Aus­gren­zung von An­ge­stell­ten, die ei­ne Le­bens­part­ner­schaft führen, wi­derspräche der Vergütungs­struk­tur des BAT (§ 26 Abs. 1 BAT). Es han­delt sich um ei­ne un­be­wuss­te, nachträglich ent­stan­de­ne Re­ge­lungslücke.

a) Das Orts­zu­schlags­recht des BAT war ursprüng­lich ge­re­gelt durch ei­nen bloßen Ver­weis auf die für die Be­am­ten des Ar­beit­ge­bers gel­ten­den Be­stim­mun­gen. Da­mit hat­ten die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en für die Ta­rif­un­ter­wor­fe­nen ua. die Gel­tung des am 1. Ju­li 1975 in Kraft ge­tre­te­nen § 40 Bun­des­be­sol­dungs­ge­setz (BBesG; BGBl. I S. 1173) ver­ein­bart. Mit In-Kraft-Tre­ten des 49. Ände­rungs­ta­rif­ver­tra­ges zum BAT am 17. Mai 1982 ha­ben sie die bis da­hin sinn­gemäß an­zu­wen­den­den be­sol­dungs­recht­li­chen Vor­schrif­ten durch die Ta­rif­re­ge­lung des § 29 BAT er­setzt (vgl. BAG 6. Au­gust 

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1998 - 6 AZR 166/97 - AP BAT § 29 Nr. 14). Ei­ne Berück­sich­ti­gung des Fa­mi­li­en­stan­des der Le­bens­part­ner­schaft im ta­rif­li­chen Sys­tem des Orts­zu­schlags war zum da­ma­li­gen Zeit­punkt nicht möglich. Das fa­mi­li­en­recht­li­che In­sti­tut der Ein­ge­tra­ge­nen Le­bens­part­ner­schaft für gleich­ge­schlecht­li­che Paa­re ist erst mit dem In-Kraft-Tre­ten des LPartG zum 1. Au­gust 2001 ein­geführt wor­den.

b) Al­ler­dings ha­ben die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en bei der Re­ge­lung des § 29 BAT durch den 49. Ände­rungs­ta­rif­ver­trag den Re­ge­lungs­ge­halt des da­ma­li­gen § 40 BBesG zunächst sach­lich un­verändert über­nom­men. Das dien­te dem Ziel, durch Schaf­fung ei­ner ei­genständi­gen Ta­rif­re­ge­lung und der da­mit ver­bun­de­nen Ab­kop­pe­lung von ein­sei­tig abänder­ba­ren Re­ge­lun­gen des Be­sol­dungs­rechts ei­ner Aushöhlung der Ta­rif­au­to­no­mie ent­ge­gen­zu­wir­ken (BAG 6. Au­gust 1998 - 6 AZR 166/97 - AP BAT § 29 Nr. 14; 27. Ju­ni 2002 - 6 AZR 209/01 - AP BAT § 29 Nr. 18). Der An­nah­me ei­ner un­be­wuss­ten Ta­riflücke steht des­halb nicht ent­ge­gen, dass der Ge­setz­ge­ber nach der Einführung des neu­en Fa­mi­li­en­stan­des der Le­bens­part­ner­schaft die­sen beim Fa­mi­li­en­zu­schlag für Be­am­te (§ 40 BBesG) noch nicht berück­sich­tigt hat. Ob das Ali­men­ta­ti­ons­prin­zip des Art. 33 GG we­gen der in § 5 LPartG ge­re­gel­ten Ver­pflich­tung zum Le­bens­part­ner­schafts­un­ter­halt und der wei­te­ren fa­mi­li­en­recht­li­chen Aus­ge­stal­tung die­ses Rechts­in­sti­tuts so­wie die Gleich­be­hand­lungsRL zu ei­ner ent­spre­chen­den Ände­rung des Fa­mi­li­en­zu­schlags­rechts für Be­am­te zwin­gen, die ei­ne Le­bens­part­ner­schaft ein­ge­gan­gen sind, ist nicht maßge­bend. Die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ha­ben die Stu­fen des Orts­zu­schlags ab dem 17. Mai 1982 ei­genständig ge­re­gelt. Sie ha­ben in den Re­dak­ti­ons­ver­hand­lun­gen vom 10./17. Mai 1982 zwar ein­ver­nehm­lich erklärt, im Fal­le der Än­de­rung der Orts­zu­schlags­vor­schrif­ten des BBesG über die sich hier­aus er­ge­ben­den Fol­ge­run­gen auch bei un­gekündig­tem Ta­rif­ver­trag zu ver­han­deln (Cle­mens/Scheu­ring/St­ein­gen/Wie­se BAT § 29 Erl. 2). Die­se schuld­recht­li­che Ver­pflich­tung berührt die ta­rif­li­che Ver­selbständi­gung des Orts­zu­schlags­rechts nicht und lässt ab­wei­chen­de Re­ge­lun­gen ge­genüber dem Be­sol­dungs­recht für Be­am­te zu. Dem­zu­fol­ge wa­ren die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en auch nicht ge­hal­ten, das für die Be­am­ten ab dem 1. Ju­li 1997 ein­geführ­te Sys­tem der Fa­mi­li­en­zu­schläge zu über­neh­men oder die durch Art. 9 § 2 BB­VAn­pG 99 ge­re­gel­te Erhöhung des kin­der­be­zo­ge­nen Fa­mi­li­en­zu­schlags ab dem drit­ten Kind auch für An­ge­stell­te zu ver­ein­ba­ren (vgl. BAG 3. April 2003 - 6 AZR 633/01- AP BGB § 242 Gleich­be­hand­lung Nr. 182 = EzA BGB 2002 § 242 Gleich­be­hand­lung Nr. 1, auch zur Veröffent­li­chung in der Amt­li­chen Samm­lung vor­ge­se­hen). 

 

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c) Auch die in § 1 Nr. 12 des 77. Ände­rungs­ta­rif­ver­tra­ges vom 29. Ok­to­ber 2001 ge­trof­fe­nen Re­ge­lun­gen spre­chen nicht für ei­ne be­wuss­te Ta­riflücke. In die­sem Ta­rif­ver­trag ha­ben die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en zwar auch § 29 Ab­schnitt B Abs. 2 Nr. 4, Abs. 5, Abs. 6 und Abs. 7 BAT geändert und die Pro­to­koll­no­ti­zen Nrn. 2 und 3 un­ter Bei­be­hal­tung der Num­mern­be­zeich­nung ge­stri­chen. Dar­aus kann je­doch nicht ab­ge­lei­tet wer­den, dass sie An­ge­stell­te, die den neu­en Fa­mi­li­en­stand der Le­bens­part­ner­schaft ein­ge­gan­gen sind, ge­zielt kei­ner Stu­fe des Orts­zu­schlags zu­ord­nen woll­ten. Das stünde nicht im Ein­klang mit den in § 26 Abs. 1 und § 29 Ab­schnitt A Abs. 1 BAT ge­trof­fe­nen Re­ge­lun­gen, wo­nach der Orts­zu­schlag Be­stand­teil der Vergütung des An­ge­stell­ten ist und für die Höhe des Orts­zu­schlags ne­ben der Ta­rif­klas­se die Stu­fe maßge­bend ist, die den Fa­mi­li­en­verhält­nis­sen des An­ge­stell­ten ent­spricht. Ei­ne sol­che Fol­ge­rung wäre auch nur dann ge­recht­fer­tigt, wenn die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en Ände­run­gen im Stu­fen­sys­tem des § 29 Ab­schnitt B Abs. 1 und Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 BAT vor­ge­nom­men hätten und da­mit ihr Wil­le zum Aus­druck käme, die re­ge­lungs­bedürf­ti­ge Fra­ge, zu wel­cher Stu­fe des Orts­zu­schlags An­ge­stell­te gehören, die ei­ne Le­bens­part­ner­schaft ein­ge­gan­gen sind, be­wusst un­ge­re­gelt zu las­sen. Dar­an fehlt es. Die § 29 BAT be­tref­fen­den Re­ge­lun­gen wa­ren aus­sch­ließlich re­dak­tio­nel­ler Art. Sie pass­ten le­dig­lich die Kon­kur­renz­re­ge­lun­gen beim Orts­zu­schlag an die mit dem Dienst­rechts­re­form­ge­setz vom 24. Fe­bru­ar 1997 (BGBl. I S. 322) er­folg­te be­griff­li­che Um­ge­stal­tung des Orts­zu­schlags in Fa­mi­li­en­zu­schlag an. Die Strei­chung der Pro­to­koll­no­ti­zen be­traf Über­g­angs­vor­schrif­ten, für die oh­ne­hin kein An­wen­dungs­be­reich mehr be­stan­den hat­te (Ot­to ZTR 2002, 8, 12).

4. Die für An­ge­stell­te in ei­ner Le­bens­part­ner­schaft ent­stan­de­ne Re­ge­lungslücke ist durch ei­ne ana­lo­ge An­wen­dung der für ver­hei­ra­te­te An­ge­stell­te gel­ten­den Orts­zu­schlags­re­ge­lung des § 29 Ab­schnitt B Abs. 2 Nr. 1 BAT zu schließen.

a) Auch ta­rif­ver­trag­li­che Re­ge­lun­gen sind ei­ner ergänzen­den Aus­le­gung zugäng­lich, so­weit da­mit kein Ein­griff in die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschütz­te Ta­rif­au­to­no­mie ver­bun­den ist. Ei­ne sol­che Aus­le­gung hat da­her außer Be­tracht zu blei­ben, wenn die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ei­ne re­ge­lungs­bedürf­ti­ge Fra­ge be­wusst un­ge­re­gelt las­sen und die­se Ent­schei­dung höher­ran­gi­gem Recht nicht wi­der­spricht. Dem­ge­genüber ha­ben die Ge­rich­te für Ar­beits­sa­chen grundsätz­lich die Pflicht, ei­ne un­be­wuss­te Ta­riflücke zu schließen, wenn sich un­ter Berück­sich­ti­gung von Treu und Glau­ben aus­rei­chen­de An­halts­punk­te für den mut­maßli­chen Wil­len der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en er­ge­ben. Zwar ha­ben die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en in ei­ge­ner Ver­ant­wor­tung darüber zu be­fin-

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den, ob sie ei­ne von ih­nen ge­schaf­fe­ne Ord­nung bei­be­hal­ten oder ändern. So­lan­ge sie dar­an fest­hal­ten, hat sich ei­ne ergänzen­de Aus­le­gung an dem be­ste­hen­den Sys­tem und des­sen Kon­zep­ti­on zu ori­en­tie­ren (vgl. BAG 21. Ju­ni 2000 - 4 AZR 931/98 - AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 276; 21. März 1991 - 2 AZR 323/84 (A) - BA­GE 67, 342; ErfK/Schaub 4. Aufl. § 1 TVG Rn. 23; Däubler TVG Einl. Rn. 523 ff.). Die­se Möglich­keit schei­det erst aus, wenn den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en ein Spiel­raum zur Lücken­sch­ließung bleibt und es ih­nen we­gen der ver­fas­sungs­recht­lich geschütz­ten Ta­rif­au­to­no­mie über­las­sen blei­ben muss, die von ih­nen für an­ge­mes­sen ge­hal­te­ne Lösung zu fin­den (BAG st. Rspr. vgl. 20. Mai 1999 - 6 AZR 451/97 - BA­GE 91, 358, 367).

b) Hier­an ge­mes­sen ist die nachträgli­che Re­ge­lungslücke im We­ge der Rechts­ana­lo­gie in der Wei­se zu schließen, dass An­ge­stell­te, die ei­ne Le­bens­part­ner­schaft ein­ge­gan­gen sind, der Stu­fe 2 des Orts­zu­schlags zu­zu­ord­nen sind, zu der nach § 29 Ab­schnitt B Abs. 2 Nr. 1 BAT ver­hei­ra­te­te An­ge­stell­te gehören. Für die­sen mut­maßli­chen Wil­len der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en spre­chen Zweck und Aus­ge­stal­tung der Leis­tung.

aa) Bei dem in § 29 BAT in An­leh­nung an § 40 BBesG ge­re­gel­ten Orts­zu­schlag han­delt es sich um ei­ne so­zia­le Kom­po­nen­te des Ar­beits­ein­kom­mens (BVerfG 21. Mai 1999 - 1 BvR 726/98 - NZA 1999, 878). Sie dient dem Zweck, be­son­de­re Un­ter­halts­las­ten des An­ge­stell­ten aus­zu­glei­chen, die mit ei­nem be­stimm­ten Fa­mi­li­en­stand ty­pi­scher­wei­se und dau­er­haft ver­bun­den sind, oh­ne Rück­sicht auf die da­mit ein­her­ge­hen­de fi­nan­zi­el­le Be­las­tung im Ein­zel­nen. Mit der An­knüpfung des Orts­zu­schlags der Stu­fe 2 an ei­ne mit ei­nem ge­setz­li­chen Fa­mi­li­en­stand ein­her­ge­hen­de Un­ter­halts­pflicht ver­fol­gen die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en das zulässi­ge Ziel, ei­ne Mas­sen­er­schei­nung des Ar­beits­le­bens sach­ge­recht zu ord­nen (vgl. BAG 28. Ju­li 1992 - 9 AZR 308/90 - AP TVG § 1 Ta­rif­ver­trag: Senorität Nr. 10). Da­zu soll der Ar­beit­ge­ber von der Fest­stel­lung ei­ner kon­kre­ten Un­ter­halts­ver­pflich­tung ent­las­tet und der Nach­weis der Leis­tungs­be­rech­ti­gung von ver­ein­fach­ten Vor­aus­set­zun­gen abhängen. Des­halb genügt bei ver­hei­ra­te­ten An­ge­stell­ten für den Be­zug der Leis­tung die Vor­la­ge ei­ner Ur­kun­de, die die Ehe­sch­ließung be­legt und da­mit zu­gleich für die Dau­er der Ehe das Be­ste­hen ge­setz­li­cher Un­ter­halts­pflich­ten (§§ 1360a, 1360b BGB) nach außen do­ku­men­tiert, un­abhängig da­von, in wel­chem Um­fang der An­ge­stell­te für den Un­ter­halt sei­nes Ehe­part­ners fi­nan­zi­el­le Mit­tel tatsächlich auf­wen­det.

bb) Die Le­bens­part­ner­schaft erfüllt sämt­li­che Merk­ma­le, die der Vor­schrift des § 29 Ab­schnitt B Abs. 2 Nr. 1 BAT in Be­zug auf ver­hei­ra­te­te An­ge­stell­te im­ma­nent

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sind. Die Le­bens­part­ner­schaft ist wie die Ehe ei­ne ex­klu­si­ve, auf Dau­er an­ge­leg­te Ver­ant­wor­tungs­ge­mein­schaft. Sie kann nur mit ei­ner Per­son be­gründet wer­den, die un­ver­hei­ra­tet ist und auch kei­ne an­de­re Le­bens­part­ner­schaft führt (§ 1 Abs. 2 LPartG). Wie die Ehe (§ 1353 Abs. 1 Satz 1 BGB) wird sie auf Le­bens­zeit ein­ge­gan­gen (§ 1 Abs. 1 Satz 1 LPartG). Da­zu be­darf es ei­ner ent­spre­chen­den Erklärung ge­genüber ei­ner Behörde (§ 1 Abs. 1 Satz 3 LPartG). Ei­ne Le­bens­part­ner­schaft kann wie die Ehe nur durch ge­richt­li­che Ent­schei­dung auf­ge­ho­ben wer­den (§ 15 Abs. 1 LPartG). Die fa­mi­li­en­recht­li­chen Pflich­ten und Rech­te der Le­bens­part­ner sind de­nen von Ehe­gat­ten ver­gleich­bar. Nach § 2 Satz 1 LPartG sind die Le­bens­part­ner ein­an­der zu Fürsor­ge und Un­terstützung so­wie zur ge­mein­sa­men Le­bens­ge­stal­tung ver­pflich­tet. Sie tra­gen wie Ehe­gat­ten (§ 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB) gemäß § 2 Satz 2 LPartG fürein­an­der Ver­ant­wor­tung. Vor al­lem aber sind die Le­bens­part­ner nach § 5 Satz 1 LPartG ein­an­der zum an­ge­mes­se­nen Un­ter­halt ver­pflich­tet. Das Maß des ge­schul­de­ten Un­ter­halts folgt nach § 5 Satz 2 LPartG aus § 1360a BGB und § 1360b BGB, die den Un­ter­halt zwi­schen Ver­hei­ra­te­ten re­geln und für Le­bens­part­ner ent­spre­chend gel­ten.

cc) Ent­ge­gen ei­ner in der Ent­schei­dung des Se­nats vom 15. Mai 1997 (- 6 AZR 26/96 - BA­GE 85, 375, 379) nicht tra­gend geäußer­ten Rechts­au­fas­sung, ver­folgt die Ty­pi­sie­rung der Nr. 1 nicht das Ziel, die Ehe als ei­ne im Nor­mal­fall präsum­tiv re­pro­duk­ti­onsfähi­ge Le­bens­ge­mein­schaft zu begüns­ti­gen. Die­ses Re­ge­lungs­ziel kommt in der Ta­rif­norm nicht zum Aus­druck. Die Ta­rif­nom stellt nicht auf die Ehe, son­dern den durch Hei­rat er­wor­be­nen Fa­mi­li­en­stand ab. Darüber hin­aus wäre ein sol­ches Ziel nicht durch Art. 9 Abs. 3 GG ge­deckt. Das Förder­ge­bot des Art. 6 Abs. 1 GG rich­tet sich an den Staat (BVerfG 17. Ju­li 2002 - 1 BvF 1, 2/01 - BVerfGE 105, 313, 346). Dem­ge­genüber er­streckt sich die Ta­rif­au­to­no­mie auf die Schaf­fung von Re­ge­lun­gen zu Ar­beits- und Wirt­schafts­be­din­gun­gen. Die­se Gren­ze gilt auch für ei­nen öffent­li­chen Ar­beit­ge­ber, wenn er als Mit­glied ei­ner ta­rif­ver­trags­sch­ließen­den Par­tei und nicht als staat­li­cher Ge­setz­ge­ber ar­beits­ver­trag­li­che Re­ge­lun­gen schafft. Mit Blick auf die Kom­pe­tenz­gren­ze des Art. 9 Abs. 3 GG ist es den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en zwar nicht ver­wehrt, ar­beits­ver­trag­li­che Leis­tun­gen an das In­sti­tut der Ehe zu knüpfen, so­weit ein Be­zug zu be­ruf­li­chen Auf­ga­ben oder Ar­beits­be­din­gun­gen be­steht (ErfK/Die­te­rich 4. Aufl. Einl. GG Rn. 53). Da­zu zählen aus­sch­ließlich bevölke­rungs­po­li­ti­sche Ziel­set­zun­gen nicht.

c) Die Zu­ord­nung von An­ge­stell­ten in ei­ner Le­bens­part­ner­schaft zum Kreis der nach § 29 Ab­schnitt B Abs. 2 Nr. 4 BAT Be­zugs­be­rech­tig­ten wäre sach­wid­rig und von der bis­he­ri­gen Kon­zep­ti­on des Orts­zu­schlags­rechts nicht ge­deckt.

 

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Das LPartG ver­folgt das Ziel, der Part­ner­schaft gleich­ge­schlecht­li­cher Paa­re ei­nen recht­li­chen Rah­men zu ge­ben. Den Le­bens­part­nern soll es ermöglicht wer­den, ver­bind­lich für ein­an­der ein­zu­ste­hen und wech­sel­sei­ti­ge Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men. Da­zu legt das Rechts­in­sti­tut der Ein­ge­tra­ge­nen Le­bens­part­ner­schaft die aus der Ent­schei­dung zu ei­nem dau­er­haf­ten Zu­sam­men­le­ben in gleich­ge­schlecht­li­cher Iden­tität fol­gen­den Rech­te und Pflich­ten ver­bind­lich fest (BT-Drucks. 14/3751 S. 33). Die mit dem Ein­ge­hen ei­ner Le­bens­part­ner­schaft ver­bun­de­nen ge­setz­li­chen Un­ter­halts­pflich­ten recht­fer­ti­gen da­her die Ver­mu­tung, dass die­se Un­ter­halts­pflicht auch tatsächlich erfüllt wird. Dar­in un­ter­schei­det sich die Le­bens­part­ner­schaft we­sent­lich von an­de­ren gleich­ge­schlecht­li­chen Le­bens­ge­mein­schaf­ten, eheähn­li­chen Le­bens­ge­mein­schaf­ten oder ver­wandt­schaft­li­chen Ein­stands­ge­mein­schaf­ten (BVerfG 17. Ju­li 2002 - 1 BvF 1, 2/01 - BVerfGE 105, 313, 352 f.). Die in ei­ner sol­chen Ge­mein­schaft Le­ben­den ge­hen nicht zwin­gend ei­ne auf Dau­er an­ge­leg­te Ver­ant­wor­tungs­ge­mein­schaft ein. Ihr Zu­sam­men­le­ben kann sich auf die Bil­dung ei­ner bloßen Haus­halts- und Wirt­schafts­ge­mein­schaft be­schränken. So­weit sie tatsächlich für ein­an­der Ver­ant­wor­tung tra­gen, kann die­se Ent­schei­dung oh­ne recht­li­chen Hin­de­rungs­grund je­der­zeit rückgängig ge­macht und das Ein­kom­men über­wie­gend oder aus­sch­ließlich zur Be­frie­di­gung ei­ge­ner Bedürf­nis­se ver­wen­det wer­den (BVerfG 17. No­vem­ber 1992 - 1 BvL 8/87 - BVerfGE 87, 234, 264). Um ei­ne da­mit ver­bun­de­ne Zweck­ver­feh­lung zu ver­hin­dern, ha­ben die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en den Er­halt des Orts­zu­schlags der Stu­fe 2 für die­sen Per­so­nen­kreis an en­ge­re Vor­aus­set­zun­gen ge­knüpft. Ei­ne Gleich­be­hand­lung von Le­bens­part­nern mit sol­chen in sons­ti­gen Ein­stands- und Le­bens­ge­mein­schaf­ten bedürf­te da­her ei­ner sach­li­chen Recht­fer­ti­gung, die an­ge­sichts des Leis­tungs­zwecks des Orts­zu­schlags der Stu­fe 2 und dem für die Fest­stel­lung der zu­grun­de­lie­gen­den Be­darfs­si­tua­ti­on an­zu­er­ken­nen­den Ty­pi­sie­rungs­in­ter­es­se fehlt.

5. Auf den vom Kläger be­haup­te­ten Ver­s­toß ge­gen Art. 3 Abs. 1 GG kommt es da­mit nicht an. Oh­ne Be­deu­tung ist auch, ob ei­ne im Ver­gleich zu ver­hei­ra­te­ten An­ge­stell­ten ungüns­ti­ge­re Ein­stu­fung beim Orts­zu­schlag An­ge­stell­te, die ei­ne Le­bens­part­ner­schaft ein­ge­gan­gen sind, iSd. Art. 2 der Gleich­be­hand­lungsRL we­gen ih­rer se­xu­el­len Aus­rich­tung be­nach­tei­li­gen würde. Die­se Richt­li­nie ist nach Ab­lauf der Um­set­zungs­frist am 2. De­zem­ber 2003 (Art. 17 Satz 2 Gleich­be­hand­lungsRL) von den Ar­beits­ge­rich­ten im We­ge richt­li­ni­en­kon­for­mer Aus­le­gung zu be­ach­ten (BAG st. Rspr. 5. Ju­ni 2003 - 6 AZR 114/02 - AP BGB § 611 Be­reit­schafts­dienst Nr. 7 = EzA Arb­ZG § 7 Nr. 6, auch zur Veröffent­li­chung in der Amt­li­chen Samm­lung vor­ge­se­hen, zu A II 2 a cc der Gründe; 18. Fe­bru­ar 2003 - 1 ABR 2/02 - AP BGB § 611 Ar­beits­be­reit­schaft
 

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Nr. 12 = EzA Arb­ZG § 7 Nr. 4, auch zur Veröffent­li­chung in der Amt­li­chen Samm­lung vor­ge­se­hen, zu B IV 3 b dd der Gründe). Wel­che An­for­de­run­gen die­ses Dis­kri­mi­nie­rungs­ver­bot stellt und ob die Vor­aus­set­zun­gen hierfür erfüllt sind, braucht nicht ent­schie­den zu wer­den. Bei der vom Se­nat vor­ge­nom­me­nen Sch­ließung der Ta­riflücke kommt ein Ver­s­toß ge­gen Art. 1 und Art. 2 der Gleich­be­hand­lungsRL nicht in Be­tracht.

Schmidt Dr. Arm­brüster Brühler

Eri­ka Holz­hau­sen Ma­ti­as­ke

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