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ARBEITSRECHT AKTUELL // 09/009

Schluss­re­dak­teu­re ei­nes Zei­tungs­un­ter­neh­mens sind kei­ne Ten­denz­trä­ger.

Wer Zei­tungs­ar­ti­kel als Schluss­re­dak­teur nur auf Feh­ler bei Recht­schrei­bung und Gram­ma­tik durch­sieht, wirkt nicht bei der Mei­nungs­bil­dung mit: Lan­des­ar­beits­ge­richt Ham­burg, Ur­teil vom 22.10.2008, 5 Sa­Ga 5/08
Zeitungslektüre Newsletter "Re­dak­teur" ist ein wei­ter Be­griff

29.01.2009. Wer Zei­tungs­ar­ti­kel als Schluss­re­dak­teur nur auf Feh­ler bei Recht­schrei­bung und Gram­ma­tik durch­sieht, wirkt nicht bei der Mei­nungs­bil­dung mit.

Da­her ist er kein sog. Ten­denz­trä­ger, d.h. kein Ar­beit­neh­mer, für den der Be­triebs­rat nur ein­ge­schränkt zu­stän­dig ist, weil er die (po­li­ti­sche oder re­li­giö­se oder künst­le­ri­sche) "Ten­denz" ei­ner Zeit­schrift er­ar­bei­tet.

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ham­burg hat da­her ent­schie­den, dass ein Wi­der­spruch des Be­triebs­rats ge­gen die Kün­di­gung ei­nes Schluss­re­dak­teurs den Ar­beit­ge­ber zur Wei­ter­be­schäf­ti­gung wäh­rend des Kün­di­gungs­schutz­pro­zes­ses ver­pflich­tet: LAG Ham­burg, Ur­teil vom 22.10.2008, 5 Sa­Ga 5/08.

Wo verläuft die Gren­ze zwi­schen in­halt­li­cher und for­ma­ler Ge­stal­tung von Zei­tungs­tex­ten?

Vor je­der Kündi­gung ist der Be­triebs­rat an­zuhören, § 102 Abs. 1 Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG).

Bei or­dent­li­chen Kündi­gun­gen kann der Be­triebs­rat der be­ab­sich­tig­ten Kündi­gung in­ner­halb ei­ner Wo­che wi­der­spre­chen. Der Wi­der­spruch des Be­triebs­rats führt zwar nicht da­zu, dass der Ar­beit­ge­ber die Kündi­gung nicht aus­spre­chen könn­te, doch hat der be­trof­fe­ne Ar­beit­neh­mer bei frist- und ord­nungs­gemäßem Wi­der­spruch des Be­triebs­rats ei­nen Wei­ter­beschäfti­gungs­an­spruch für die Dau­er der Kündi­gungs­schutz­kla­ge. Prak­tisch be­deu­tet dies, dass das Ar­beits­verhält­nis für die­se Zeit fort­ge­setzt wird und der Ar­beit­ge­ber ins­be­son­de­re den Lohn wei­ter­be­zah­len muss.

In Ten­denz­be­trie­ben gilt dies nicht für al­le Ar­beit­neh­mer. Ten­denz­be­trie­be sind Be­trie­be, die in ers­ter Li­nie der Mei­nungs-, Pres­se- oder Re­li­gi­ons­frei­heit die­nen. Dies sind z.B. Rund­funk­an­stal­ten, Zei­tungs­un­ter­neh­men oder Kir­chen und ih­re ka­ri­ta­ti­ven Ein­rich­tun­gen.

In sol­chen Be­trie­ben kann der Be­triebs­rat ei­ner Kündi­gung zwar auch dann wi­der­spre­chen, wenn ein sog. Ten­denzträger gekündigt we­ren soll, doch führt der Wi­der­spruch an­ders als bei „nor­ma­len“ Ar­beit­neh­mern nicht da­zu, dass das Ar­beits­verhält­nis mit dem Wei­ter­beschäfti­gungs­an­spruch für die Dau­er des Kündi­gungs­schutz­pro­zes­ses fak­tisch verlängert wer­den könn­te. Ten­denzträger sind die­je­ni­gen Ar­beit­neh­mer, die die po­li­ti­sche, re­li­giöse oder künst­le­ri­sche Ten­denz des Un­ter­neh­mens re­präsen­tie­ren und durch ih­re Ar­beit ge­stal­ten.

Hin­ter­grund die­ser Rechts­la­ge ist das Grund­ge­setz: Ein Be­trieb, der in ers­ter Li­nie ide­el­le Ten­den­zen ver­folgt, ist nach dem Grund­ge­setz be­son­ders zu schützen. Wird von ei­nem Zei­tungs­ver­le­ger ei­ne po­li­ti­sche Li­nie vor­ge­ge­ben, muss sich der Zei­tungs­ver­le­ger von ei­nem an­ge­stell­ten Re­dak­teur lösen können, wenn der die­se Li­nie nicht (mehr) mitträgt.

Könn­te der Be­triebs­rat mit sei­nem Wi­der­spruch ge­gen die Kündi­gung das Ar­beits­verhält­nis für die Dau­er des Kündi­gungs­rechts­streits verlängern, müss­te der Ar­beit­ge­ber den Re­dak­teur auch ent­spre­chend wei­ter­beschäfti­gen und ent­loh­nen. Dies soll aus­ge­schlos­sen sein, um dem be­son­de­ren Schutz des Be­trie­bes durch das Grund­ge­setz Rech­nung zu tra­gen.

Vor­aus­set­zung für die­se Ein­schränkung des Ar­beit­neh­mer­schut­zes ist, dass es sich um ei­nen Ten­denz­be­trieb han­delt, dass der Ar­beit­neh­mer Ten­denzträger ist und dass die Kündi­gung aus ei­nem Grund er­folgt, der sich auf den be­son­de­ren Grund­rechts­schutz des Ar­beit­ge­bers be­zieht.

Nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) müssen die Be­stim­mun­gen und Zwe­cke des je­wei­li­gen „Ten­denz­be­triebs“ für die Tätig­keit des Ar­beit­neh­mers „prägend“ sein, um des­sen Ei­gen­schaft als „Ten­denzträger“ zu be­gründen. Dies setzt vor­aus, dass der Beschäftig­te die Möglich­keit ei­ner in­halt­li­chen Ein­fluss­nah­me auf die Ten­denz­ver­wirk­li­chung hat. Ei­ne bloße Mit­wir­kung bei der Ten­denz­ver­fol­gung genüge dafür nicht (BAG, Ur­teil vom 13.02.2007, 1 ABR 14/06).

Zu der Fra­ge, ob die Schluss­re­dak­teu­re ei­nes Zei­tungs­un­ter­neh­mens als Ten­denzträger im Sin­ne die­ser Recht­spre­chung an­zu­se­hen sind, hat sich das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Ham­burg in ei­nem Ur­teil vom 22.10.2008, 5 Sa­Ga 5/08, geäußert.

Der Streit­fall: Or­dent­lich gekündig­te Schluss­re­dak­teu­rin er­strei­tet Wei­ter­beschäfti­gung

Die Kläge­rin, ein Zei­tungs­un­ter­neh­men, wand­te sich ge­gen die Pflicht, ei­ne be­triebs­be­dingt gekündig­te „Schluss­re­dak­teu­rin“ für die Dau­er des Kündi­gungs­rechts­streits wei­ter zu beschäfti­gen.

Der Be­triebs­rat hat­te der Kündi­gung frist­ge­recht wi­der­spro­chen. In ers­ter In­stanz hat­te das Ar­beits­ge­richt (ArbG) Ham­burg (24 Ga 4/08) das Zei­tungs­un­ter­neh­men ver­pflich­tet, die Re­dak­teu­rin wei­ter zu beschäfti­gen.

Die Schluss­re­dak­teu­rin sei, so das ArbG, kei­ne „Ten­denzträge­rin“, so dass der Be­triebs­rat mit sei­nem Wi­der­spruch ge­gen die Kündi­gung die Wei­ter­beschäfti­gungs­pflicht des Ar­beit­ge­bers für die Zeit des Kündi­gungs­rechts­streits auslösen konn­te.

LAG Ham­burg: Wer vor der Veröffent­li­chung von Zei­tungs­ar­ti­keln als Schluss­re­dak­teur Feh­ler bei Recht­schrei­bung und Gram­ma­tik be­sei­ti­gen muss, wirkt nicht bei der Mei­nungs­bil­dung mit

Die ge­gen das Ur­teil ge­rich­te­te Be­ru­fung des Ar­beit­ge­bers zum LAG Ham­burg hat­te zwar im Er­geb­nis Er­folg, da der Wi­der­spruch ge­gen die Kündi­gung we­gen Weg­fall des Ar­beits­plat­zes of­fen­sicht­lich un­be­gründet war. Nicht gel­ten ließ das Ge­richt hin­ge­gen die Ar­gu­men­ta­ti­on des Zei­tungs­un­ter­neh­mens, die Schluss­re­dak­teu­rin sei Ten­denzträge­rin.

Die Be­klag­te sei nämlich „Schluss­re­dak­teu­rin“ und nicht et­wa „Text­re­dak­teu­rin“. Das Ge­richt führt hier­zu aus, dass der Schluss­re­dak­teur ei­ne ein­heit­li­che Schreib­wei­sen in der Pu­bli­ka­ti­on gewähr­leis­te und da­mit für die Pfle­ge von de­ren be­son­de­rem Stil ver­ant­wort­lich sei. Das be­deu­te ei­ne ständi­ge Aus­ein­an­der­set­zung mit den Zwei­felsfällen der deut­schen Spra­che, die Er­ar­bei­tung for­ma­ler Vor­ga­ben und de­ren ein­heit­li­che Wei­ter­ver­mitt­lung an die Re­dak­teu­re.

Der Schluss­re­dak­teur ha­be auf Gram­ma­tik und Syn­tax zu ach­ten, fal­sche Wen­dun­gen zu kor­ri­gie­ren und die Kom­ma­ta an die rich­ti­gen Stel­len zu set­zen. Er sei zwar der letz­te Be­ar­bei­ter des Texts ei­nes Ma­ga­zins, doch prüfe und kor­ri­gie­re er nur in for­ma­ler Hin­sicht. Der Text und da­mit die Ten­denz­ver­wirk­li­chung würden da­her nicht vom Schluss­re­dak­teur ge­schrie­ben und ver­ant­wor­tet.

Fa­zit: Ei­ne rein sprach­li­che Übe­r­ar­bei­tung der Tex­te ist kei­ne prägen­de und in­halt­li­che Ein­fluss­nah­me auf die mit den Tex­ten ver­wirk­lich­te Pres­se- und Mei­nungs­frei­heit. Da­her ist der Schluss­re­dak­teur ei­ner Zei­tung kein Ten­denzträger.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen zu die­sem Vor­gang fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 14. Dezember 2014

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