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BAG, Ur­teil vom 21.10.2014, 9 AZR 956/12

   
Schlagworte: Urlaubsanspruch
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 9 AZR 956/12
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 21.10.2014
   
Leitsätze: Gewährt ein Arbeitgeber älteren Arbeitnehmern jährlich mehr Urlaubstage als den jüngeren, kann diese unterschiedliche Behandlung wegen des Alters unter dem Gesichtspunkt des Schutzes älterer Beschäftigter nach § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG zulässig sein.
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Koblenz, Urteil vom 18.10.2011 - 8 Ca 1361/11
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 7.9.2012 - 6 Sa 709/11
   

Bun­des­ar­beits­ge­richt

9 AZR 956/12

6 Sa 709/11

Lan­des­ar­beits­ge­richt

Rhein­land-Pfalz

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am

21. Ok­to­ber 2014

Ur­teil

Brüne, Ur­kunds­be­am­tin

der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläger, Be­ru­fungskläge­rin und Re­vi­si­onskläge­rin,

pp.

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Neun­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf­grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 21. Ok­to­ber 2014 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Brühler, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Krasshöfer und Klo­se so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Kran­zusch und Lücke für Recht er­kannt:

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1. Die Re­vi­si­on der Kläge­rin ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Rhein­land-Pfalz vom 7. Sep­tem­ber 2012 - 6 Sa 709/11 - wird zurück­ge­wie­sen.

2. Die Kläge­rin hat die Kos­ten der Re­vi­si­on zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand



Die Par­tei­en strei­ten über die Höhe des jähr­li­chen Ur­laubs­an­spruchs.

Die Be­klag­te stellt Schu­he her. Die am 10. April 1960 ge­bo­re­ne Kläge­rin ist bei ihr seit dem 1. Ju­li 1994 als Pro­duk­ti­ons­mit­ar­bei­te­rin beschäftigt. Im Ar­beits­ver­trag vom 13. No­vem­ber 2000 ist ua. ver­ein­bart, dass der jähr­li­che Ur­laubs­an­spruch 34 Ar­beits­ta­ge beträgt. Die Be­klag­te gewährt al­len Ar­beit­neh­mern, die das 58. Le­bens­jahr voll­endet ha­ben, 36 Ar­beits­ta­ge Jah­res­ur­laub, oh­ne dass in­di­vi­du­el­le Ver­ein­ba­run­gen über ei­nen höhe­ren Jah­res­ur­laub vor­lie­gen. Die übri­gen Beschäftig­ten er­hal­ten jähr­lich 34 Ur­laubs­ta­ge.

Die Kläge­rin hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, die Ur­laubs­re­ge­lung sei al­ters­dis­kri­mi­nie­rend. Die Be­haup­tung, älte­re Mit­ar­bei­ter benötig­ten im Pro­duk­ti­ons­be­trieb länge­re Er­ho­lungs­pha­sen, sei durch die dar­le­gungs­be­las­te­te Be­klag­te nicht dar­ge­tan. Das Bun­des­ur­laubs­ge­setz stel­le bezüglich der Dau­er des Ur­laubs we­der auf die phy­si­sche Be­las­tung noch auf das Al­ter der Ar­beit­neh­mer ab. Die Be­klag­te ha­be kei­nen Grund ge­nannt, war­um ein ge­stei­ger­tes Er­ho­lungs­bedürf­nis aus­ge­rech­net mit 58 Jah­ren ein­tre­te. Zu­dem könne mit le­dig­lich zwei zusätz­li­chen Ur­laubs­ta­gen ein et­wai­ger höhe­rer Er­ho­lungs­be­darf nicht aus­ge­gli­chen wer­den. Bei ei­nem ste­tig stei­gen­den Er­ho­lungs­be­darf müss­te je­den­falls auch die Ur­laubs­dau­er ge­staf­felt wer­den. Bei an­de­ren Ar­beit­neh­mer­grup­pen sei ein erhöhter Er­ho­lungs­be­darf nach­voll­zieh­bar. Die­se würden je­doch nicht begüns­tigt. So sei­en jünge­re Ar­beit­neh­mer durch Fa­mi­lie und Be­ruf oft­mals stärker be­an­sprucht als älte­re. Die Be­klag­te ha­be ihr zur Be­sei­ti­gung der Dis­kri­mi­nie­rung jähr­lich zwei wei­te­re Ur­laubs­ta­ge zu gewähren.


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Die Kläge­rin hat - so­weit für die Re­vi­si­on von Be­deu­tung - be­an­tragt


fest­zu­stel­len, dass die Be­klag­te ver­pflich­tet ist, ihr 36 Ar­beits­ta­ge Er­ho­lungs­ur­laub zu gewähren.

Die Be­klag­te hat zu ih­rem Kla­ge­ab­wei­sungs­an­trag die An­sicht ver­tre­ten, ih­re Ur­laubs­re­ge­lung be­inhal­te kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung. Nach der Le­bens­er­fah­rung benötig­ten älte­re Ar­beit­neh­mer, die körper­lich ermüden­de und schwe­re Ar­bei­ten ver­rich­ten, länge­re Er­ho­lungs­zei­ten als jünge­re. Zwei zusätz­li­che Ur­laubs­ta­ge sei­en an­ge­mes­sen.

Das Ar­beits­ge­richt hat die Kla­ge - so­weit für die Re­vi­si­on von Be­deu­tung - ab­ge­wie­sen. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat die da­ge­gen ge­rich­te­te Be­ru­fung der Kläge­rin zurück­ge­wie­sen. Mit ih­rer vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt die Kläge­rin ih­ren Fest­stel­lungs­an­trag wei­ter.

Ent­schei­dungs­gründe



Die zulässi­ge Re­vi­si­on der Kläge­rin ist un­be­gründet. Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat zu Recht er­kannt, dass die Be­klag­te nicht ver­pflich­tet ist, der Kläge­rin auch schon vor der Voll­endung der 58. Le­bens­jah­res ins­ge­samt 36 Ar­beits­ta­ge Er­ho­lungs­ur­laub pro Jahr zu gewähren.

I. Die Kla­ge ist in der ge­bo­te­nen Aus­le­gung zulässig, ins­be­son­de­re be­steht das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO er­for­der­li­che Fest­stel­lungs­in­ter­es­se.

1. Der grundsätz­li­che Vor­rang der Leis­tungs­kla­ge steht der Zulässig­keit ei­ner Kla­ge, mit der ein Ar­beit­neh­mer den Um­fang des ihm zu­ste­hen­den Ur­laubs ge­richt­lich fest­ge­stellt wis­sen will, nicht ent­ge­gen (BAG 20. März 2012 - 9 AZR 529/10 - Rn. 9, BA­GE 141, 73; 12. April 2011 - 9 AZR 80/10 - Rn. 13 ff., BA­GE 137, 328).

2. Die am 10. April 1960 ge­bo­re­ne Kläge­rin hat ein recht­lich an­er­ken­nens­wer­tes In­ter­es­se dar­an, als­bald zu er­fah­ren, ob ihr be­reits vor der Voll­endung ih­res 58. Le­bens­jah­res zwei wei­te­re Ur­laubs­ta­ge pro Jahr zu­ste­hen. Ihr

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An­trag be­zieht sich dem Wort­laut nach zwar auf den ge­sam­ten Jah­res­ur­laub. Er kann je­doch so aus­ge­legt wer­den, dass er sich nur auf zwei wei­te­re Ur­laubs­ta­ge im Ka­len­der­jahr be­zieht. Zwi­schen den Par­tei­en be­steht kein Streit, dass der Kläge­rin die ver­trag­lich ver­ein­bar­ten 34 Ur­laubs­ta­ge pro Jahr zu­ste­hen. Die Kläge­rin hat im Lau­fe des Ver­fah­rens deut­lich ge­macht, dass der An­trag auf die Fest­stel­lung des Be­ste­hens zwei­er zusätz­li­cher Ur­laubs­ta­ge ge­rich­tet ist. Darüber hin­aus hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt den Kla­ge­an­trag zu­tref­fend so ver­stan­den, dass er ver­gan­ge­ne Ur­laubs­jah­re nicht er­fasst. Es han­delt sich um ei­nen ge­gen­warts­be­zo­ge­nen Fest­stel­lungs­an­trag, für des­sen Ent­schei­dung grundsätz­lich auf die Sach­la­ge zum Zeit­punkt der letz­ten münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt ab­zu­stel­len ist (vgl. BAG 15. Mai 2013 - 7 AZR 494/11 - Rn. 15 ff.).

II. Die Kla­ge ist un­be­gründet. Der Kläge­rin ste­hen vor Voll­endung ih­res 58. Le­bens­jah­res nicht gemäß §§ 1, 3 Abs. 1 iVm. § 7 Abs. 1 und Abs. 2 AGG zwei wei­te­re Ur­laubs­ta­ge zu. Die Ur­laubs­re­ge­lung ist nicht gemäß § 7 Abs. 2 AGG un­wirk­sam und führt so­mit bezüglich der Dau­er des Ur­laubs der Kläge­rin nicht zu ei­ner „An­pas­sung nach oben“ (sie­he da­zu BAG 20. März 2012 - 9 AZR 529/10 - Rn. 27 ff., BA­GE 141, 73; vgl. aber auch BAG 14. Mai 2013 - 1 AZR 44/12 - Rn. 25, BA­GE 145, 113).

1. Es liegt zwar ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung we­gen des Al­ters iSd. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG vor. Die­se ist je­doch gemäß § 10 Satz 1, 2 und Satz 3 Nr. 1 AGG ge­recht­fer­tigt.

a) Nach § 7 Abs. 1 Halbs. 1 AGG dürfen Beschäftig­te nicht we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des be­nach­tei­ligt wer­den. Un­ter Al­ter iSd. § 1 AGG ist das Le­bens­al­ter zu ver­ste­hen. Dies folgt aus dem Wort­laut des Ge­set­zes und aus der Ge­set­zes­be­gründung (BT-Drs. 16/1780 S. 31; BAG 20. März 2012 - 9 AZR 529/10 - Rn. 14, BA­GE 141, 73; 22. Ja­nu­ar 2009 - 8 AZR 906/07 - Rn. 36, BA­GE 129, 181). Ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung ist nach § 3 Abs. 1 AGG ge­ge­ben, wenn ei­ne Per­son we­gen ei­nes in § 1 AGG ge­nann­ten Grun­des ei­ne we­ni­ger güns­ti­ge Be­hand­lung erfährt als ei­ne an­de­re Per­son in ei­ner ver­gleich­ba­ren Si­tua­ti­on. Der für ei­ne un­mit­tel­ba­re Be­nach­tei­li­gung er­for­der­li­che

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Kau­sal­zu­sam­men­hang ist be­reits dann ge­ge­ben, wenn die Be­nach­tei­li­gung an ei­nen oder meh­re­re in § 1 AGG ge­nann­te Gründe an­knüpft oder da­durch mo­ti­viert ist (BAG 20. März 2012 - 9 AZR 529/10 - aaO mwN).

b) Dar­an ge­mes­sen liegt ei­ne un­mit­tel­ba­re Un­gleich­be­hand­lung we­gen des Al­ters vor. Die Ur­laubs­re­ge­lung knüpft die Gewährung von zwei wei­te­ren Ur­laubs­ta­gen an die Voll­endung des 58. Le­bens­jah­res und da­mit un­mit­tel­bar an das Le­bens­al­ter der Beschäftig­ten. Ar­beit­neh­mer, die die­se Al­ters­gren­ze nicht er­reicht ha­ben, wer­den we­gen ih­res Al­ters ungüns­ti­ger be­han­delt.

c) Die Un­gleich­be­hand­lung ist je­doch gemäß § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG ge­recht­fer­tigt. Die Re­ge­lung be­zweckt bei Berück­sich­ti­gung ei­nes Ge­stal­tungs- und Er­mes­sens­spiel­raums der Be­klag­ten den in die­ser Be­stim­mung ge­nann­ten Schutz älte­rer Beschäftig­ter und ist ge­eig­net, er­for­der­lich und an­ge­mes­sen im Sin­ne von § 10 Satz 2 AGG.

aa) Nach § 10 Satz 1 AGG ist ei­ne un­ter­schied­li­che Be­hand­lung we­gen des Al­ters zulässig, wenn sie ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen und durch ein le­gi­ti­mes Ziel ge­recht­fer­tigt ist. Die Mit­tel zur Er­rei­chung die­ses Ziels müssen nach § 10 Satz 2 AGG an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sein. § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG kon­kre­ti­siert ua. das le­gi­ti­me Ziel der Si­cher­stel­lung des Schut­zes älte­rer Beschäftig­ter, wo­bei die­ser Schutz auch die Fest­le­gung be­son­de­rer Beschäfti­gungs- und Ar­beits­be­din­gun­gen ein­sch­ließen kann (BAG 20. März 2012 - 9 AZR 529/10 - Rn. 20, BA­GE 141, 73).

bb) § 10 AGG dient der Um­set­zung von Art. 6 der Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27. No­vem­ber 2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf (ABl. EG L 303 vom 2. De­zem­ber 2000 S. 16) in das na­tio­na­le Recht (BAG 18. März 2014 - 3 AZR 69/12 - Rn. 21). Der Ge­setz­ge­ber hat bei der Um­set­zung den Text der Richt­li­nie na­he­zu wört­lich in das na­tio­na­le Recht über­nom­men. Des­sen Re­ge­lun­gen sind uni­ons­rechts­kon­form in Übe­rein­stim­mung mit der Richt­li­nie un­ter Berück­sich­ti­gung der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs der

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Eu­ropäischen Uni­on aus­zu­le­gen (vgl. BAG 14. März 2012 - 7 AZR 480/08 - Rn. 30).

cc) Dem Ar­beit­ge­ber steht bei frei­wil­li­gen zusätz­li­chen Leis­tun­gen - wo­zu auch die Gewährung von über­ge­setz­li­chem Mehr­ur­laub gehört - ein von den Ge­rich­ten zu re­spek­tie­ren­der Ge­stal­tungs- und Er­mes­sens­spiel­raum zu (vgl. zu Leis­tun­gen der be­trieb­li­chen Al­ters­ver­sor­gung: BAG 12. No­vem­ber 2013 - 3 AZR 356/12 - Rn. 28; 12. Fe­bru­ar 2013 - 3 AZR 100/11 - Rn. 31 mwN, BA­GE 144, 231). Auch in der Recht­spre­chung des EuGH ist an­er­kannt, dass die Mit­glied­staa­ten und ge­ge­be­nen­falls die So­zi­al­part­ner auf na­tio­na­ler Ebe­ne beim ge­genwärti­gen Stand des Uni­ons­rechts nicht nur bei der Ent­schei­dung, wel­ches kon­kre­te Ziel von meh­re­ren im Be­reich der Ar­beits- und So­zi­al­po­li­tik sie ver­fol­gen wol­len, son­dern auch bei der Fest­le­gung der Maßnah­men zu sei­ner Er­rei­chung über ei­nen wei­ten Ge­stal­tungs­spiel­raum verfügen (EuGH 16. Ok­to­ber 2007 - C-411/05 - [Pa­la­ci­os de la Vil­la] Rn. 68, Slg. 2007, I-8531). Die­se Erwägun­gen gel­ten nach dem EuGH auch für Zie­le, die der Ar­beit­ge­ber mit ei­ner ver­trag­li­chen Re­ge­lung ver­folgt (vgl. EuGH 26. Sep­tem­ber 2013 - C-476/11 - [HK Dan­mark] Rn. 61).

dd) Bei An­wen­dung die­ser Grundsätze ist die Be­nach­tei­li­gung der Ar­beit­neh­mer der Be­klag­ten, die das 58. Le­bens­jahr noch nicht voll­endet ha­ben, ge­recht­fer­tigt.

(1) Die Be­klag­te gewährt den Ar­beit­neh­mern in ih­rem Pro­duk­ti­ons­be­trieb nach der Voll­endung des 58. Le­bens­jah­res auf­grund ih­res ge­stei­ger­ten Er­ho­lungs­bedürf­nis­ses zwei wei­te­re Ur­laubs­ta­ge im Ka­len­der­jahr und be­zweckt da­mit die Si­cher­stel­lung des Schut­zes älte­rer Beschäftig­ter iSv. § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG. Da die­ser Schutz die Fest­le­gung be­son­de­rer Ar­beits­be­din­gun­gen ein­sch­ließt (BAG 20. März 2012 - 9 AZR 529/10 - Rn. 20, BA­GE 141, 73), un­ter­fal­len ihm auch zusätz­li­che Ur­laubs­ta­ge.

(a) Das AGG de­fi­niert in § 10 Satz 3 Nr. 1 - eben­so wie Art. 6 Abs. 1 Un­terabs. 2 Buchst. a der Richt­li­nie 2000/78/EG - nicht, wann ein Beschäftig­ter „älter“ im Sin­ne der Norm ist (vgl. zum herkömmli­chen Verständ­nis: BAG

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18. Sep­tem­ber 2014 - 6 AZR 636/13 - Rn. 44). Nach dem Sinn und Zweck des Be­nach­tei­li­gungs­ver­bots reicht es oh­ne das Vor­lie­gen an­de­rer Dif­fe­ren­zie­rungs­gründe nicht aus, dass das Al­ter der begüns­tig­ten Ar­beit­neh­mer höher ist als das Al­ter der nicht begüns­tig­ten. Dem­ent­spre­chend hat der Se­nat an­ge­nom­men, ein Ar­beit­neh­mer sei nach der Voll­endung sei­nes 31. Le­bens­jah­res of­fen­sicht­lich noch kein älte­rer Beschäftig­ter iSv. § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG (BAG 13. Ok­to­ber 2009 - 9 AZR 722/08 - Rn. 55, BA­GE 132, 210). Aus dem sys­te­ma­ti­schen Zu­sam­men­hang mit § 10 Satz 1 AGG und aus dem Re­ge­lungs­zweck folgt, dass die begüns­tig­ten Ar­beit­neh­mer auf­grund ih­res Al­ters der Förde­rung bei der be­ruf­li­chen Ein­glie­de­rung oder des Schut­zes bedürfen müssen.

(aa) Der Se­nat ist in sei­ner Ent­schei­dung vom 20. März 2012 nicht da­von aus­ge­gan­gen, dass mit zu­neh­men­den Al­ter das Er­ho­lungs­bedürf­nis von Ar­beit­neh­mern stei­ge. Er hat al­ler­dings ab ei­nem be­stimm­ten Al­ter - kon­kret: bei über 50- oder über 60-jähri­gen Beschäftig­ten - ein al­ters­be­dingt ge­stei­ger­tes Er­ho­lungs­bedürf­nis für „eher nach­voll­zieh­bar“ ge­hal­ten (BAG 20. März 2012 - 9 AZR 529/10 - Rn. 24 f., BA­GE 141, 73).

(bb) Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat in Übe­rein­stim­mung mit der über­wie­gen­den Auf­fas­sung im Schrift­tum als Er­fah­rungs­satz an­ge­nom­men, dass mit zu­neh­men­den Al­ter das Er­ho­lungs­bedürf­nis von Ar­beit­neh­mern steigt (so auch Tem­pel­mann/Stens­lik DStR 2011, 1183, 1185 f.; Lin­ge­mann/Go­tham NZA 2007, 663, 666; Ka­man­ab­rou NZA Bei­la­ge 3/2006, 138, 143 f.; Wal­ter­mann NZA 2005, 1265, 1269; Over Das Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung im Ar­beits­recht nach dem All­ge­mei­nen Gleich­be­hand­lungs­ge­setz S. 231; Kütt­ner/Ka­nia Per­so­nal­buch 2014 Dis­kri­mi­nie­rung Rn. 90; vgl. auch Hes­si­sches LAG 17. Ja­nu­ar 2014 - 14 Sa 646/13 - zu II 2 b cc (3) (a) der Gründe mwN). Die­se An­sicht ist al­ler­dings nicht un­um­strit­ten. So wird auf die In­di­vi­dua­lität der Al­te­rungs­pro­zes­se und den feh­len­den Nach­weis von Al­ters­klas­sen mit spe­zi­fi­schem Er­ho­lungs­be­darf hin­ge­wie­sen (Löwisch/Rieb­le TVG 3. Aufl. § 1 Rn. 822). Die Auf­stel­lung ei­nes ge­ne­rel­len Er­fah­rungs­sat­zes soll dem tra­di­tio­nel­len Bild vom „al­ten Ar­beit­neh­mer“ ent­spre­chen (Däubler/Bertz­bach/Brors 3. Aufl. § 10 Rn. 43). Auch wird her­vor­ge­ho­ben, dass der Ge­setz­ge­ber in § 3

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BUrlG bezüglich der Dau­er des Ur­laubs nicht nach dem Le­bens­al­ter der Ar­beit­neh­mer un­ter­schei­de und dem­nach nicht von ei­nem un­ter­schied­li­chen Er­ho­lungs­bedürf­nis aus­ge­he (Ber­tels­mann in Rust/Fal­ke AGG § 10 Rn. 93). Auch auf eu­ropäischer Ebe­ne se­he Art. 7 der Richt­li­nie 2003/88/EG vier Wo­chen Ur­laub ein­heit­lich für al­le Be­rufs­grup­pen al­ter­s­un­abhängig vor (v. Ro­et­te­ken AGG Stand Sep­tem­ber 2014 § 10 Rn. 262). Ver­langt wird zu­min­dest die Dar­le­gung ei­nes em­pi­ri­schen Be­funds zum stei­gen­den Er­ho­lungs­be­darf un­ter Be­ach­tung der Tätig­keit be­vor­zug­ter Ar­beit­neh­mer (Däubler/Bertz­bach/Brors aaO; aA Kas­przyk Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung im deut­schen Ar­beits­recht S. 185).

(b) Er­fah­rungssätze sind Hilfs­mit­tel. Die Fest­stel­lung von all­ge­mein an­er­kann­ten Er­fah­rungssätzen ist als Tat­fra­ge den Tat­sa­chen­ge­rich­ten vor­be­hal­ten. Da­bei ist es die­sen nicht ver­wehrt, das Be­ste­hen oder Nicht­be­ste­hen ei­nes Er­fah­rungs­sat­zes zu be­ur­tei­len, wenn sie da­zu über aus­rei­chen­de Sach­kun­de und Le­bens­er­fah­rung verfügen. An­dern­falls ha­ben sie sich der Hil­fe ei­nes Sach­verständi­gen zu be­die­nen. Die Zu­zie­hung ei­nes Sach­verständi­gen zur Un­terstützung des Ge­richts ist gemäß § 144 Abs. 1 ZPO durch die Tat­sa­chen­ge­rich­te stets nach pflicht­gemäßen Er­mes­sen zu prüfen (BAG 13. Ok­to­ber 2009 - 9 AZR 722/08 - Rn. 65 mwN, BA­GE 132, 210; vgl. allg. zu Er­fah­rungssätzen: Baum­bach/Lau­ter­bach/Al­bers/Hart­mann ZPO 73. Aufl. Einf. § 284 Rn. 22).

(c) Re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­an­stan­den ist, dass das Lan­des­ar­beits­ge­richt von der Zu­zie­hung ei­nes Sach­verständi­gen ab­ge­se­hen hat. Die­ses durf­te auf­grund der von ihm fest­ge­stell­ten körper­lich an­stren­gen­den Tätig­kei­ten im Pro­duk­ti­ons­be­trieb der Be­klag­ten auch oh­ne Sach­verständi­gen­gut­ach­ten an­neh­men, dass das Er­ho­lungs­bedürf­nis der dort beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer mit zu­neh­men­den Al­ter steigt. Ob es ei­nen tätig­keits­un­abhängi­gen ge­ne­rel­len Zu­sam­men­hang zwi­schen dem Er­ho­lungs­be­darf und dem Al­ter gibt (so et­wa Ka­man­ab­rou aaO), kann da­hin­ste­hen.

(aa) Die An­nah­me ei­nes Er­fah­rungs­sat­zes da­hin ge­hend, dass bei körper­lich be­las­ten­den Be­ru­fen das Er­ho­lungs­bedürf­nis im höhe­ren Al­ter steigt, be­geg­net kei­nen Be­den­ken. In der Recht­spre­chung ist an­er­kannt, dass die phy­si-

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sche Be­last­bar­keit mit zu­neh­men­dem Al­ter ab­nimmt (et­wa BAG 13. Ok­to­ber 2009 - 9 AZR 722/08 - Rn. 67 mwN, BA­GE 132, 210; Baye­ri­scher VGH 24. Ok­to­ber 2011 - 3 ZB 08.721 - zu II 1 b der Gründe). Die­ser Er­fah­rungs­satz be­trifft auch den Wir­kungs­zu­sam­men­hang von er­reich­tem Le­bens­al­ter und Krank­heits­anfällig­keit (Hes­si­sches LAG 17. Ja­nu­ar 2014 - 14 Sa 646/13 - zu II 2 b cc (3) (a) der Gründe mwN). Al­le be­kann­ten pri­va­ten und öffent­li­chen Sys­te­me der Kran­ken-, Ren­ten- und Le­bens­ver­si­che­rung be­ru­hen auf die­ser Er­war­tung (BAG 6. No­vem­ber 2008 - 2 AZR 523/07 - Rn. 54, BA­GE 128, 238). Ent­ge­gen der An­sicht der Kläge­rin kom­men auch nicht le­dig­lich Stu­di­en älte­ren Da­tums - wie et­wa die ILO-Emp­feh­lung Nr. 162 vom 23. Ju­ni 1980 oder der WHO Tech­ni­cal Re­port Se­ries 835 „Aging and Working Ca­pa­ci­ty” (dt. Über­set­zung: „Al­tern und Ar­beit“ 1994) - zu die­sem Er­geb­nis. Die Er­geb­nis­se die­ser Un­ter­su­chun­gen wer­den bestätigt zB durch den „Fort­schritts­re­port ‚Al­ters­ge­rech­te Ar­beits­welt“, Aus­ga­be 3 des Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Ar­beit und So­zia­les (Stand Sep­tem­ber 2013). Nach die­sem hat sich zwar die körper­li­che Kon­sti­tu­ti­on be­son­ders für die Al­ters­grup­pe der 45- bis 64-Jähri­gen ver­bes­sert (Ziff. 3.1). Den­noch zeigt die Stu­die wei­ter­hin ein An­stei­gen der An­zahl der krank­heits­be­ding­ten Fehl­ta­ge so­wie ei­ne Ver­schlech­te­rung des Ge­sund­heits­zu­stands mit fort­schrei­ten­dem Le­bens­al­ter (Ziff. 4.2, Ta­bel­le 2). Ins­be­son­de­re bei be­las­ten­den Be­ru­fen nimmt die An­zahl krank­heits­be­ding­ter Fehl­ta­ge im Al­ter über­pro­por­tio­nal zu und der Ge­sund­heits­zu­stand ver­schlech­tert sich über­pro­por­tio­nal (vgl. Ziff. 4.2). Auch bei ein­fa­chen Dienst­leis­tun­gen und ein­fa­chen ma­nu­el­len Be­ru­fen ver­schlech­tert sich der „selbst­be­rich­te­te Ge­sund­heits­zu­stand in der Al­ters­grup­pe 55 bis 64 Jah­re im Ver­gleich zum Durch­schnitt“ im­mer noch deut­lich (Ziff. 3.4). Zu­min­dest hin­sicht­lich die­ser Be­ru­fe er­scheint die An­nah­me ei­nes größeren Er­ho­lungs­be­darfs im erhöhten Al­ter als nicht feh­ler­haft (eben­so Rein­hard Ar­bRB 2012, 342, 343). Auch Geg­ner ei­nes all­ge­mei­nen Er­fah­rungs­sat­zes ge­ste­hen zu, dass bei ge­sund­heit­lich be­son­ders be­las­ten­den Tätig­kei­ten ein ge­stei­ger­ter Er­ho­lungs­be­darf mit zu­neh­men­dem Al­ter an­ge­nom­men wer­den kann (v. Ro­et­te­ken aaO; Däubler/Bertz­bach/Brors aaO; Löwisch/Rieb­le § 1 Rn. 823).

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So­weit das Lan­des­ar­beits­ge­richt auf die teil­wei­se ge­for­der­te Dar­le­gung spe­zi­fi­scher em­pi­ri­scher Un­ter­su­chun­gen be­zo­gen auf die Tätig­kei­ten im Pro­duk­ti­ons­be­trieb der Be­klag­ten ver­zich­tet hat, ist dies re­vi­si­ons­recht­lich nicht zu be­an­stan­den. Die Durchführung der­ar­ti­ger Un­ter­su­chun­gen wäre prak­tisch aufwändig und schwie­rig (wei­ter ge­hend Kas­przyk aaO: „unmöglich“). Ei­ne über­stei­ger­te Dar­le­gungs­last würde die Einführung frei­wil­li­ger Leis­tun­gen un­zu­mut­bar er­schwe­ren. Die Fest­stel­lun­gen durch das Lan­des­ar­beits­ge­richt, dass die Beschäftig­ten der Be­klag­ten bei der Schuh­fer­ti­gung körper­lich ermüden­de und teils schwe­re Ar­bei­ten leis­ten, verstärkt durch ei­nen be­son­de­ren, prämi­en­be­zo­ge­nen Zeit- und Qua­litäts­druck im Sin­ne ei­nes Team­ak­kords, genügt da­nach als Tat­sa­chen­ba­sis für die Be­ja­hung des dar­ge­stell­ten Er­fah­rungs­sat­zes.

(bb) Der Hin­weis auf die feh­len­de Al­ters­staf­fe­lung in § 3 BUrlG und Art. 7 der Richt­li­nie 2003/88/EG hilft der Kläge­rin für die Fra­ge der Le­gi­ti­mität des Zwecks nicht wei­ter. Die Vor­schrif­ten re­geln nur die Dau­er des Min­des­t­ur­laubs und da­mit das un­ters­te Maß des­sen, was nach deut­schem und eu­ropäischem Ur­laubs­recht un­abhängig von in­di­vi­du­el­len Be­son­der­hei­ten zur Er­ho­lung er­for­der­lich ist. Spe­zi­fi­sche Cha­rak­te­ris­ti­ka - wie das Al­ter oder der phy­si­sche oder psy­chi­sche Ge­sund­heits­zu­stand - blei­ben bei der Set­zung ei­nes ein­heit­li­chen Mi­ni­mal­stan­dards na­tur­gemäß außer Be­tracht. Auf na­tio­na­ler Ebe­ne kommt hin­zu, dass der Ge­setz­ge­ber durch­aus ge­se­hen hat, dass es al­ters­abhängig ei­nen un­ter­schied­li­chen Er­ho­lungs­be­darf ge­ben kann, wie et­wa § 57 Abs. 2 See­ArbG und § 19 Abs. 2 JAr­bSchG zei­gen (sie­he da­zu v. Ro­et­te­ken § 10 Rn. 263).

(d) Es be­ste­hen kei­ne An­halts­punk­te dafür, dass die Be­klag­te die Si­cher­stel­lung des Schut­zes ih­rer Ar­beit­neh­mer nach Voll­endung des 58. Le­bens­jah­res als Zweck der zwei wei­te­ren Ur­laubs­ta­ge vor­ge­scho­ben hat.

(aa) Al­ler­dings ist die­ser Zweck nicht un­mit­tel­bar der - nicht schrift­lich fi­xier­ten - Re­ge­lung zu ent­neh­men. Nennt ei­ne Re­ge­lung oder Maßnah­me kein Ziel, müssen zu­min­dest aus dem Kon­text ab­ge­lei­te­te An­halts­punk­te die Fest­stel­lung

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des hin­ter der Re­ge­lung oder der Maßnah­me ste­hen­den Ziels ermögli­chen, um die Le­gi­ti­mität des Ziels so­wie die An­ge­mes­sen­heit und die Er­for­der­lich­keit der zu sei­ner Er­rei­chung ein­ge­setz­ten Mit­tel ge­richt­lich über­prüfen zu können (BAG 20. März 2012 - 9 AZR 529/10 - Rn. 19 mwN, BA­GE 141, 73; vgl. zur Richt­li­nie 2000/78/EG: EuGH 21. Ju­li 2011 - C-159/10, C-160/10 - [Fuchs und Köhler] Rn. 39 mwN, Slg. 2011, I-6919).

(bb) Wenn ei­ne Ta­rif­re­ge­lung die Ur­laubs­dau­er nach dem Le­bens­al­ter staf­felt, liegt die An­nah­me na­he, die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en hätten ei­nem mit zu­neh­men­dem Al­ter ge­stei­ger­ten Er­ho­lungs­bedürf­nis älte­rer Beschäftig­ter Rech­nung tra­gen wol­len (BAG 20. März 2012 - 9 AZR 529/10 - Rn. 23, BA­GE 141, 73). Die­se An­nah­me darf frei­lich nicht durch die kon­kre­te Wahl der Al­ters­gren­ze(n) wi­der­legt wer­den, wie dies bei § 26 TVöD aF, der zusätz­li­che Ur­laubs­ta­ge be­reits ab dem 30. Le­bens­jahr vor­sah, der Fall war (BAG 20. März 2012 - 9 AZR 529/10 - Rn. 24 ff., aaO).

(cc) Es ist kein Grund er­sicht­lich, bei ei­ner in­di­vi­du­al­recht­li­chen Re­ge­lung nicht eben­falls grundsätz­lich da­von aus­zu­ge­hen, dass mit ei­ner Al­ters­gren­ze für die Gewährung zusätz­li­chen Ur­laubs ei­nem ge­stei­ger­ten Er­ho­lungs­bedürf­nis älte­rer Ar­beit­neh­mer Rech­nung ge­tra­gen wer­den soll. Die­se An­nah­me er­scheint um­so mehr ge­recht­fer­tigt, wenn sie wie hier mit der An­er­ken­nung ei­nes Er­fah­rungs­sat­zes bezüglich des ge­stei­ger­ten Er­ho­lungs­be­darfs bei körper­lich be­las­ten­den Be­ru­fen kor­re­liert. Hin­zu kommt, dass die ständi­ge Übung der Be­klag­ten in­halt­lich ei­ner ein­schlägi­gen ta­rif­ver­trag­li­chen Re­ge­lung ent­spricht. So sah der persönlich, fach­lich und räum­lich ein­schlägi­ge Man­tel­ta­rif­ver­trag vom 23. April 1997, ab­ge­schlos­sen zwi­schen dem Haupt­ver­band der Deut­schen Schuh­in­dus­trie e. V. und der Ge­werk­schaft Le­der so­wie der IG BCE, für ge­werb­li­che Ar­beit­neh­mer in § 17 Ziff. 4 Buchst. a ab dem 58. Le­bens­jahr eben­falls zwei zusätz­li­che Ur­laubs­ta­ge vor. Die­se Re­ge­lung war im Zeit­punkt der letz­ten münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt nicht durch ei­ne neue Be­stim­mung ab­geändert.

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(dd) Sch­ließlich wi­der­legt die Al­ters­gren­ze von 58 Le­bens­jah­ren nicht den Zweck, mit zwei wei­te­ren Ur­laubs­ta­gen im Ka­len­der­jahr dem ge­stei­ger­ten Er­ho­lungs­bedürf­nis Rech­nung zu tra­gen. Da­bei kann da­hin­ste­hen, ab wel­chem Al­ter die An­nah­me, der zusätz­li­che Ur­laub die­ne dem höhe­ren Er­ho­lungs­bedürf­nis älte­rer Beschäftig­ter iSv. § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG, nicht mehr oh­ne Wei­te­res auf­recht­er­hal­ten bzw. als wi­der­legt er­ach­tet wer­den kann. Der Se­nat hat in der Ent­schei­dung vom 20. März 2012 gemäß dem Rechts­ge­dan­ken aus § 417 Abs. 1 SGB III ei­ne Al­ters­gren­ze von 50 Le­bens­jah­ren für die Ein­ord­nung als älte­rer Beschäftig­ter iSv. § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG in Be­tracht ge­zo­gen (BAG 20. März 2012 - 9 AZR 529/10 - Rn. 20, BA­GE 141, 73; vgl. zu ei­ner sol­chen Al­ters­gren­ze für die Gewährung zusätz­li­cher Ur­laubs­ta­ge: Hes­si­sches LAG 17. Ja­nu­ar 2014 - 14 Sa 646/13 -). Das Lan­des­ar­beits­ge­richt hat ergänzend dar­auf ver­wie­sen, dass Leit­li­nie 17 der Ent­schei­dung des Ra­tes vom 12. Ju­li 2005 über Leit­li­ni­en für beschäfti­gungs­po­li­ti­sche Maßnah­men der Mit­glied­staa­ten (2005/600/EG) Ar­beits­kräfte ab Voll­endung des 55. Le­bens­jah­res als älte­re Ar­beit­neh­mer er­ach­tet und die WHO-Stu­di­en­grup­pe „Al­tern und Ar­beit“ aus ar­beits­me­di­zi­ni­scher Sicht we­gen auf­tre­ten­der Schwie­rig­kei­ten in Ar­beit und Be­ruf ei­ne Gren­ze ab dem 45. Le­bens­jahr an­ge­nom­men hat (zu A II 15 b bb (3) (b) der Gründe). Das Be­ru­fungs­ge­richt hat da­mit nach­voll­zieh­bar be­gründet, war­um es da­von aus­geht, dass die Ur­laubs­re­ge­lung ei­nem le­gi­ti­men Zweck iSv. § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG dient und es die­sen Zweck nicht le­dig­lich als von der Be­klag­ten vor­ge­scho­ben er­ach­tet.

(2) Die Re­ge­lung ist ge­eig­net, den in § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG be­schrie­be­nen Zweck zu fördern. Ins­be­son­de­re kann die Kläge­rin nicht mit dem Ar­gu­ment gehört wer­den, dass die Gewährung von le­dig­lich zwei Ur­laubs­ta­gen un­ge­eig­net sei, ei­nen al­ters­be­dingt erhöhten Er­ho­lungs­be­darf aus­zu­glei­chen. Die Ge­eig­net­heit ist nicht des­halb zu ver­nei­nen, weil ein ge­stie­ge­ner Er­ho­lungs­be­darf un­ter Umständen nicht vollständig, son­dern nur par­ti­ell aus­ge­gli­chen wird. Ge­ra­de an­ge­sichts des vom Ar­beit­ge­ber bei ei­ner frei­wil­li­gen Leis­tung selbst ge­setz­ten Do­tie­rungs­rah­mens wäre die Be­schränkung auf ei­nen Teil­aus­gleich nach­voll­zieh­bar und zulässig. Zu­dem ha­ben auch die Ta­rif­ver­trags­par­tei­en an­ge­sichts der Tätig­keit ei­nes Pro­duk­ti­ons­mit­ar­bei­ters in der Schuh­bran­che zwei

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Ta­ge Ur­laub für ge­eig­net und aus­rei­chend er­ach­tet. Dass die Be­klag­te sich die von den So­zi­al­part­nern aus­ge­han­del­te Re­ge­lung zu ei­gen macht und im Rah­men ih­res Er­mes­sens­spiel­raums ei­ne ent­spre­chen­de Re­ge­lung trifft, ist un­ter dem As­pekt der Ge­eig­net­heit der Re­ge­lung nicht zu be­an­stan­den.

(3) Die Re­ge­lung ist auch er­for­der­lich und an­ge­mes­sen (§ 10 Satz 2 AGG). Mil­de­re Mit­tel, die in glei­cher Wei­se den Schutz älte­rer Ar­beit­neh­mer ver­wirk­li­chen könn­ten, sind nicht er­sicht­lich.

(a) Die Wahl ei­ner an­de­ren, nied­ri­ge­ren Al­ters­gren­ze stell­te kein gleich wirk­sa­mes, mil­de­res Mit­tel mit ge­rin­ge­rem al­ters­spe­zi­fi­schen Ef­fekt dar. Es han­del­te sich viel­mehr um ei­ne an­de­re Maßnah­me mit ei­nem erhöhtem Do­tie­rungs­rah­men.

(b) Ei­ne nied­ri­ge­re Al­ters­gren­ze ver­bun­den mit nur ei­nem wei­te­ren Ur­laubs­tag im Ka­len­der­jahr müss­te zwar nicht zwin­gend zu ei­ner Erhöhung des Do­tie­rungs­rah­mens führen. Al­ler­dings hätten dann Ar­beit­neh­mer nach Voll­endung des 58. Le­bens­jah­res nicht mehr An­spruch auf den zwei­ten wei­te­ren Ur­laubs­tag, den die Be­klag­te im Ein­klang mit dem ein­schlägi­gen Ta­rif­ver­trag an­ge­sichts des ge­stei­ger­ten Er­ho­lungs­be­darfs im höhe­ren Al­ter in der Schuh­pro­duk­ti­on für not­wen­dig er­ach­tet. Der Ge­stal­tungs- und Er­mes­sens­spiel­raum der Be­klag­ten lässt auch im Rah­men der Er­for­der­lich­keit und An­ge­mes­sen­heit die von ihr an­ge­wand­te Re­ge­lung zu. Die In­ter­es­sen der Be­tei­lig­ten wer­den hin­rei­chend berück­sich­tigt. Es wer­den le­dig­lich in Übe­rein­stim­mung mit dem Abwägungs­er­geb­nis der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en die In­ter­es­sen der über 58-Jähri­gen an ei­nem zusätz­li­chen Ur­laubs­tag höher ge­wich­tet als die In­ter­es­sen der übri­gen Beschäftig­ten, schon im jünge­ren Al­ter ei­nen zusätz­li­chen Ur­laubs­tag zu er­hal­ten.

(c) Ent­ge­gen der An­sicht der Kläge­rin ist die Be­klag­te nicht ver­pflich­tet, zusätz­li­che Ur­laubs­ta­ge nur nach dem in­di­vi­du­ell er­mit­tel­ten Er­ho­lungs­be­darf un­ter Ein­be­zie­hung al­ter­s­un­abhängi­ger Be­las­tungs­fak­to­ren, wie der Pfle­ge und Be­treu­ung von Kin­dern, so­wie un­ter Berück­sich­ti­gung des in­di­vi­du­el­len Al­te­rungs­pro­zes­ses zu gewähren. Zwar mag es zu­tref­fen, dass es wei­te­re Be­las-

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tungs­fak­to­ren gibt, die zu ei­nem ge­stei­ger­ten Er­ho­lungs­be­darf führen können. Je­doch wäre ei­ne sol­che in­di­vi­du­el­le Re­ge­lung in vie­ler­lei Hin­sicht prak­tisch nicht oder nur mit großen Schwie­rig­kei­ten hand­hab­bar. Dies gilt nicht nur bezüglich der Ge­wich­tung der ein­zel­nen (persönli­chen) Be­las­tungs­fak­to­ren un­ter­ein­an­der, son­dern vor al­lem auch für de­ren Er­mitt­lung durch die Be­klag­te. Auch der Ge­richts­hof der Eu­ropäischen Uni­on hat an­er­kannt, dass bei der Prüfung der Zulässig­keit ei­ner Re­ge­lung im Hin­blick auf das Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung zu be­ach­ten ist, dass die frag­li­che Re­ge­lung in tech­ni­scher und wirt­schaft­li­cher Hin­sicht hand­hab­bar blei­ben müsse, und des­halb nicht ge­ne­rell ver­langt wer­den könne, dass im­mer je­der Ein­zel­fall in­di­vi­du­ell ge­prüft wer­de (EuGH 19. Ju­ni 2014 - C-501/12 ua. - [Specht ua.] Rn. 78). Un­ter Gleich­be­hand­lungs­ge­sichts­punk­ten darf der Ar­beit­ge­ber da­her im Sin­ne ei­ner ty­pi­sie­ren­den Be­trach­tung in Ausübung sei­nes Ge­stal­tungs­spiel­raums auch ei­nen Grund für ein ge­stei­ger­tes Er­ho­lungs­bedürf­nis - wie et­wa das Al­ter in be­las­ten­den Be­ru­fen - als Dif­fe­ren­zie­rungs­kri­te­ri­um her­an­zie­hen. § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG enthält kein Ge­bot, die dort ge­nann­ten ty­pi­scher­wei­se be­son­ders schutz­bedürf­ti­gen Per­so­nen­grup­pen (Ju­gend­li­che, älte­re Beschäftig­te und Per­so­nen mit Fürsor­ge­pflich­ten) hin­sicht­lich be­son­de­rer Ar­beits­be­din­gun­gen gleich zu be­han­deln.

2. Aus dem ar­beits­recht­li­chen Gleich­be­hand­lungs­grund­satz folgt eben­falls kein An­spruch der Kläge­rin auf die be­gehr­ten zwei zusätz­li­chen Ur­laubs­ta­ge. Ist - wie hier - die un­ter­schied­li­che Be­hand­lung von Ar­beit­neh­mer­grup­pen aus ei­nem in § 1 AGG ge­nann­ten Grund un­ter den im AGG nor­mier­ten Vor­aus­set­zun­gen zulässig, ist auch der all­ge­mei­ne ar­beits­recht­li­che Gleich­be­hand­lungs­grund­satz ge­wahrt (eben­so bezüglich des be­triebs­ver­fas­sungs­recht­li­chen Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes: BAG 17. Sep­tem­ber 2013 - 3 AZR 686/11 - Rn. 25 mwN). Ei­ne sach­wid­ri­ge Un­gleich­be­hand­lung kommt an­ge­sichts der Recht­fer­ti­gung gemäß § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG nicht in Be­tracht.


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III. Die Kos­ten­ent­schei­dung be­ruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.


Brühler

Krasshöfer

Klo­se

M. Lücke

Kran­zusch

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