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LAG Ber­lin-Bran­den­burg, Be­schluss vom 30.09.2016, 17 TaBV 2210/11

   
Schlagworte: Betriebsvereinbarung
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen: 17 TaBV 2210/11
Typ: Beschluss
Entscheidungsdatum: 30.09.2016
   
Leitsätze:

Zur Frage der Nachwirkung einer Gesamtbetriebsvereinbarung Altersteilzeit

Auslegung der GBV

Erweiterte Mitbestimmung

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Berlin, Beschluss vom 14.09.2011, 56 BV 4267/11
   

Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg

Geschäfts­zei­chen 17 TaBV 2210/11

Ar­beits­ge­richt Ber­lin 56 BV 4267/11

 

Im Na­men des Vol­kes

Be­schluss

 

In dem Be­schwer­de­ver­fah­ren mit den Be­tei­lig­ten

pp

hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin-Bran­den­burg, 17. Kam­mer, auf die münd­li­che Anhörung vom 15. Fe­bru­ar 2012 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Lan­des­ar­beits­ge­richt D. als Vor­sit­zen­der so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Herrn W. und Herrn B. be­schlos­sen:

I. Auf die Be­schwer­de der Be­tei­lig­ten zu 2) wird der Be­schluss des Ar­beits­ge­richts Ber­lin vom 14.09.2011 - 56 BV 4267/11 - geändert:

Die Anträge wer­den zurück­ge­wie­sen.

II. Die Rechts­be­schwer­de des Be­tei­lig­ten zu 1) wird zu­ge­las­sen.

 

Gründe

A.

Die V. D. (ver.di) und der bei ihr ge­bil­de­te Ge­samt­be­triebs­rat strei­ten über die Nach­wir­kung ei­ner Ge­samt­be­triebs­ver­ein­ba­rung zur Re­ge­lung der Al­ters­teil­zeit vom No­vem­ber 2006 (GBV-Al­ters­teil­zeit) so­wie über die Fra­ge, ob und ggf. auf wel­che Wei­se der Ge­samt­be­triebs­rat ei­ne Neu­re­ge­lung zur Al­ters­teil­zeit er­zwin­gen kann.

Die Gründungs­ge­werk­schaf­ten und die Gründungs­or­ga­ni­sa­ti­on der v. schlos­sen mit den Ge­samt­be­triebsräten der Gründungs­ge­werk­schaf­ten im April 2001 ei­ne „Ver­ein­ba­rung zur Er­wei­ter­ten Mit­be­stim­mung für Be­triebsräte in v.“ (GBV EM). Der Be­triebs­rat hat nach § 4 Abs. 1 GBV EM in al­len per­so­nel­len und so­zia­len An­ge­le­gen­hei­ten über das Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz hin­aus er­wei­tert mit­zu­be­stim­men, so­fern nicht näher be­stimm­te Re­ge­lun­gen – z.B. die Ent­schei­dung über die Gewährung frei­wil­li­ger so­zia­ler Leis­tun­gen – von die­ser Mit­be­stim­mung aus­ge­nom­men sind; kommt ei­ne Ei­ni­gung nicht zu­stan­de, ent­schei­det nach Maßga­be des § 5 GBV EM die Ei­ni­gungs­stel­le. Für Re­ge­lun­gen, die übli­cher­wei­se un­ter den Ta­rif­vor­be­halt des § 77 Abs. 3 Be­trVG fal­len und durch ent­spre­chen­de Ta­rif­verträge ge­re­gelt wer­den (ta­rifer­set­zen­de Re­ge­lun­gen), sieht § 8 GBV EM ein näher ge­re­gel­tes Ver­mitt­lungs- und Sch­lich­tungs­ver­fah­ren vor. We­gen der Ein­zel­hei­ten der GBV EM wird auf Bl. 21 bis 30 der Ak­ten ver­wie­sen.

Die Be­tei­lig­ten ver­ein­bar­ten im No­vem­ber 2006 die GBV-Al­ters­teil­zeit (Ko­pie Bl. 31 ff. d.A.), oh­ne ein Ver­fah­ren nach der GBV EM durch­zuführen. Mit Schrei­ben vom 14. Sep­tem­ber 2010 kündig­te v. die GBV-Al­ters­teil­zeit zum 31. De­zem­ber 2010 und lehn­te ei­ne vom Ge­samt­be­triebs­rat be­an­spruch­te Nach­wir­kung so­wie Ver­hand­lun­gen über ei­ne neue – ta­rifer­set­zen­de – Re­ge­lung ab.

Der Ge­samt­be­triebs­rat hat mit dem vor­lie­gen­den Be­schluss­ver­fah­ren ver.di auf wei­te­re Durchführung der GBV-Al­ters­teil­zeit in An­spruch ge­nom­men. Die Re­ge­lun­gen sei­en Ge­gen­stand der zwin­gen­den Mit­be­stim­mung und wirk­ten da­her – was ge­richt­lich fest­ge­stellt wer­den sol­le – nach. Es han­de­le sich um ta­rifer­set­zen­de Re­ge­lun­gen im Sin­ne des § 8 GBV EM, was ein – eben­falls fest­zu­stel­len­des – Mit­be­stim­mungs­recht be­gründe. V. ist den Anträgen ent­ge­gen­ge­tre­ten. Sie hat da­bei die Auf­fas­sung ver­tre­ten, Re­ge­lun­gen zur Al­ters­teil­zeit un­terlägen nicht der er­zwing­ba­ren Mit­be­stim­mung des Be­triebs­rats; das Ver­fah­ren nach § 8 GBV EM fin­de kei­ne An­wen­dung.

Das Ar­beits­ge­richt hat v. durch ei­nen am 14. Sep­tem­ber 2011 verkünde­ten Be­schluss ver­pflich­tet, ih­ren Ar­beit­neh­mern Al­ters­teil­zeit im Rah­men ei­ner Nach­wir­kung der GBV-Al­ters­teil­zeit zu gewähren. Es hat fer­ner fest­ge­stellt, dass die GBV-Al­ters­teil­zeit nach­wir­ke und dem Ge­samt­be­triebs­rat ein Mit­wir­kungs­recht nach § 8 GBV EM bezüglich ei­ner ta­rifer­set­zen­den Re­ge­lung der Al­ters­teil­zeit zu­ste­he. Re­ge­lun­gen zur Al­ters­teil­zeit gehörten zu den per­so­nel­len An­ge­le­gen­hei­ten, für die § 4 GBV EM ei­ne zwin­gen­de Mit­be­stim­mung des Be­triebs­rats vor­se­he. Die im Zu­sam­men­hang mit ei­ner Al­ters­teil­zeit zu zah­len­den Auf­sto­ckungs­beiträge des Ar­beit­ge­bers stell­ten zwar frei­wil­li­ge so­zia­le Leis­tun­gen dar; da aber ei­ne Al­ters­teil­zeit­be­fris­tung ei­ne er­zwing­ba­re per­so­nel­le An­ge­le­gen­heit dar­stel­le, gel­te dies auch für die Auf­sto­ckungs­beiträge, oh­ne die ei­ne Al­ters­teil­zeit nicht denk­bar sei. Ei­ne Ge­samt­be­triebs­ver­ein­ba­rung zur Al­ters­teil­zeit ha­be ei­ne ta­rifer­set­zen­de Funk­ti­on, so dass für ei­ne Neu­re­ge­lung § 8 GBV EM An­wen­dung fin­de; al­ler­dings be­ste­he da­nach le­dig­lich ein Mit­wir­kungs­recht des Be­triebs­rats. We­gen der Ein­zel­hei­ten der Be­gründung wird auf II. der Gründe des an­ge­foch­te­nen Be­schlus­ses ver­wie­sen.

Ge­gen die­sen ihr am 18. Ok­to­ber 2011 zu­ge­stell­ten Be­schluss rich­tet sich die von ver.di am 3. No­vem­ber 2011 ein­ge­leg­te Be­schwer­de, die sie mit ei­nem am Mon­tag, den 19. De­zem­ber 2011 beim Lan­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­gan­ge­nen Schrift­satz be­gründet hat.

V. ist wei­ter­hin der Auf­fas­sung, dass die GBV-Al­ters­teil­zeit nach der er­folg­ten Kündi­gung nicht mehr nach­wir­ke und da­her nicht mehr an­zu­wen­den sei. Bei der GBV-Al­ters­teil­zeit han­de­le es sich auch nicht um ta­rifer­set­zen­de Re­ge­lun­gen, so dass ein Ver­fah­ren nach § 8 GBV EM nicht in Be­tracht kom­me.

V. be­an­tragt,

die Anträge des Ge­samt­be­triebs­rats un­ter Ände­rung des Be­schlus­ses des Ar­beits­ge­richts Ber­lin vom 14. Sep­tem­ber 2011 – 56 BV 4267/11 – in vol­lem Um­fang ab­zu­wei­sen.

Der Ge­samt­be­triebs­rat be­an­tragt,

die Be­schwer­de zurück­zu­wei­sen.

Er hält den an­ge­foch­te­nen Be­schluss un­ter Wie­der­ho­lung und Ver­tie­fung sei­nes erst­in­stanz­li­chen Vor­brin­gens für zu­tref­fend.

We­gen der Ein­zel­hei­ten des Vor­brin­gens der Be­tei­lig­ten in der Be­schwer­de­instanz wird auf den In­halt der zwi­schen ih­nen ge­wech­sel­ten Schriftsätze vom 19. De­zem­ber 2011, 2. und 13. Fe­bru­ar 2012 ver­wie­sen.

B.

Die Be­schwer­de ist be­gründet.

Die Anträge des Ge­samt­be­triebs­rats er­wei­sen sich als un­be­gründet und wa­ren da­her un­ter Ände­rung des an­ge­foch­te­nen Be­schlus­ses zurück­zu­wei­sen.

I.

Der Ge­samt­be­triebs­rat kann nicht ver­lan­gen, dass die GBV-Al­ters­teil­zeit von ver.di wei­ter­hin durch­geführt wird. Die GBV-Al­ters­teil­zeit wur­de von ver.di gemäß § 77 Abs. 5 Be­trVG frist­gemäß zum 31. De­zem­ber 2010 gekündigt, oh­ne dass sie nach Ab­lauf der Kündi­gungs­frist nach­wirkt.

1. Nach Ab­lauf ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung gel­ten ih­re Re­ge­lun­gen in An­ge­le­gen­hei­ten, in de­nen ein Spruch der Ei­ni­gungs­stel­le die Ei­ni­gung zwi­schen Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat er­set­zen kann, wei­ter, bis sie durch ei­ne an­de­re Ab­ma­chung er­setzt wer­den, § 77 Abs. 6 Be­trVG. Die­se Vor­aus­set­zung ist hin­sicht­lich der GBV-Al­ters­teil­zeit nicht ge­ge­ben.

a) Die Re­ge­lun­gen der GBV-Al­ters­teil­zeit un­ter­lie­gen nicht der er­wei­ter­ten Mit­be­stim­mung nach § 4 GBV EM; ei­ne feh­len­de Ei­ni­gung der Be­tei­lig­ten kann da­her nicht durch ei­ne Ent­schei­dung der Ei­ni­gungs­stel­le gemäß § 5 GBV EM er­setzt wer­den.

aa) Der Be­triebs­rat hat nach § 4 Abs. 1 GBV EM in al­len per­so­nel­len und so­zia­len An­ge­le­gen­hei­ten über das Be­trVG hin­aus er­wei­tert mit­zu­be­stim­men. Dies gilt nicht, so­weit die An­ge­le­gen­heit ei­ner der Aus­nah­me­be­stim­mun­gen in § 4 Abs. 2, 3 GBV EM zu­zu­ord­nen ist.

bb) Re­ge­lun­gen zur Al­ters­teil­zeit sind in § 4 Abs. 2, 3 GBV EM al­ler­dings nicht aus­drück­lich von der er­wei­ter­ten Mit­be­stim­mun­gen des Be­triebs­rats aus­ge­nom­men wor­den. Ei­ne Al­ters­teil­zeit­ver­ein­ba­rung ist je­doch zwin­gend mit der Gewährung frei­wil­li­ger so­zia­ler Leis­tun­gen des Ar­beit­ge­bers in Form von Auf­sto­ckungs­leis­tun­gen ver­bun­den, was nach § 4 Abs. 3 b) ers­ter Spie­gel­strich GBV EM nicht der er­wei­ter­ten Mit­be­stim­mung des Be­triebs­rats un­ter­liegt. Dies führt ins­ge­samt zu ei­nem Aus­schluss der er­wei­ter­ten Mit­be­stim­mung für Re­ge­lun­gen der Al­ters­teil­zeit durch die Be­triebs­par­tei­en.

(1) Mit ei­ner Al­ters­teil­zeit­ver­ein­ba­rung soll älte­ren Ar­beit­neh­mern ein glei­ten­der Über­gang vom Er­werbs­le­ben in die Al­ters­ren­te ermöglicht wer­den (§ 1 Abs. 1 Al­ters­teil­zeitG). Hier­zu wer­den die Ar­beits­zeit ver­rin­gert und die sich hier­durch er­ge­ben­den Ein­kom­mens­min­de­run­gen durch Auf­sto­ckungs­leis­tun­gen des Ar­beit­ge­bers teil­wei­se aus­ge­gli­chen. Die­se Auf­sto­ckung ist un­ab­ding­ba­rer Be­stand­teil der Al­ters­teil­zeit; oh­ne der­ar­ti­ge Leis­tun­gen liegt ein Al­ters­teil­zeit­verhält­nis nicht vor.

(2) Der Ar­beit­ge­ber ist zum Ab­schluss von Al­ters­teil­zeit­ver­ein­ba­run­gen ge­setz­lich nicht ver­pflich­tet. So­fern auch ein Ta­rif­ver­trag oder ei­ne Be­triebs­ver­ein­ba­rung ei­ne dies­bezügli­che Ver­pflich­tung des Ar­beit­ge­bers nicht vor­se­hen, steht es viel­mehr im Be­lie­ben des Ar­beit­ge­bers, sei­nen Ar­beit­neh­mern die Möglich­keit der Al­ters­teil­zeit zu eröff­nen; die Be­stim­mun­gen des Al­ters­teil­zeit­ge­set­zes grei­fen erst ein, nach­dem ei­ne in­di­vi­du­el­le Ver­ein­ba­rung zur Al­ters­teil­zeit ab­ge­schlos­sen wur­de. Ent­schei­det sich der Ar­beit­ge­ber oh­ne ei­ne nor­ma­ti­ve Ver­pflich­tung zur Einführung von Al­ters­teil­zeit, han­delt es sich da­her um frei­wil­li­ge Leis­tun­gen (vgl. hier­zu BAG, Ur­teil vom 15. No­vem­ber 2011 – 9 AZR 387/10 – NZA 2012, 218 ff.). Die mit der Al­ters­teil­zeit ver­bun­de­nen Auf­sto­ckungs­leis­tun­gen stel­len da­bei – eben­falls frei­wil­li­ge – so­zia­le Leis­tun­gen dar. Mit ih­nen wird ei­ne Ar­beits­leis­tung der Ar­beit­neh­mer nicht un­mit­tel­bar ent­gol­ten, son­dern – wie aus­geführt – die durch die Ver­rin­ge­rung der Ar­beits­zeit ein­tre­ten­de Vergütungs­min­de­rung teil­wei­se aus­ge­gli­chen. Sie bie­ten vor al­lem ei­nen An­reiz für Ar­beit­neh­mer, sich für die Al­ters­teil­zeit zu ent­schei­den, oh­ne dass der Ar­beit­ge­ber sei­ner­seits den Ab­schluss ei­ner Al­ters­teil­zeit­ver­ein­ba­rung be­an­spru­chen kann. Dass der Ar­beit­ge­ber mögli­cher­wei­se eben­falls ein In­ter­es­se an dem Ab­schluss von Al­ters­teil­zeit­ver­ein­ba­run­gen hat, ändert des­halb nichts an der Ein­ord­nung der Auf­sto­ckungs­leis­tun­gen als frei­wil­li­ge so­zia­le Leis­tung.

(3) Die GBV-Al­ters­teil­zeit enthält ne­ben der Fest­le­gung der Auf­sto­ckungs­leis­tun­gen wei­te­re Re­ge­lun­gen (z.B. zu den An­spruchs­vor­aus­set­zun­gen, der Re­du­zie­rung und Ver­tei­lung der Ar­beits­zeit, der Ausübung ei­ner Ne­bentätig­keit und dem Ur­laubs­an­spruch bei Al­ters­teil­zeit), die nicht den Aus­schluss­tat­beständen des § 4 Abs. 3 BGV EM zu­zu­ord­nen sind und da­her der er­zwing­ba­ren Mit­be­stim­mung des Be­triebs­rats un­ter­lie­gen; sie ist da­her teil­mit­be­stimmt. Da­bei ist ei­ne teil­wei­se Nach­wir­kung der GBV-Al­ters­teil­zeit nicht möglich, weil sich ih­re Re­ge­lun­gen nicht sinn­voll in ei­nen nach­wir­ken­den und ei­nen nach­wir­kungs­lo­sen Teil auf­spal­ten las­sen. Al­ters­teil­zeit ist – wie aus­geführt – nur im Zu­sam­men­hang mit Auf­sto­ckungs­leis­tun­gen des Ar­beit­ge­bers denk­bar. Die zur Aus­ge­stal­tung der Al­ters­teil­zeit ge­trof­fe­nen Re­ge­lun­gen der GBV-Al­ters­teil­zeit ver­lie­ren ih­ren Sinn, wenn der Ar­beit­neh­mer der­ar­ti­ge Auf­sto­ckungs­leis­tun­gen nicht be­an­spru­chen kann. Dies führt im vor­lie­gen­den Fall zu ei­ner nach­wir­kungs­lo­sen Be­en­di­gung der GBV-Al­ters­teil­zeit.

(a) Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat al­ler­dings an­ge­nom­men, ei­ne teil­mit­be­stimm­te Be­triebs­ver­ein­ba­rung ent­fal­te zur Si­che­rung der Mit­be­stim­mung ins­ge­samt Nach­wir­kung, so­fern ei­ne sinn­vol­le Auf­spal­tung der Re­ge­lun­gen in nach­wir­ken­de und nach­wir­kungs­lo­se Be­stand­tei­le nicht möglich sei (Ur­teil vom 26. Au­gust 2008 – 1 AZR 354/97 – AP Nr. 15 zu § 87 Be­trVG 1972; vgl. hier­zu auch FESTL, Be­trVG, 25. Aufl. 2010, § 77 Rn. 189 ff.; Kreutz GK-Be­trVG, 9. Aufl. 2010, § 77 Rn. 405 ff., je­weils m.w.N.). Dies gel­te je­doch bei ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung über fi­nan­zi­el­le Leis­tun­gen des Ar­beit­ge­bers nicht, so­fern der Ar­beit­ge­ber mit der Kündi­gung der Be­triebs­ver­ein­ba­rung die Leis­tun­gen vollständig und er­satz­los ein­stel­len woll­te. In die­sem Fall ver­blie­ben kei­ne Mit­tel, über de­ren Ver­tei­lung der Be­triebs­rat mit­zu­be­stim­men hätte; Mit­be­stim­mungs­rech­te könn­ten durch ei­ne Nach­wir­kung nicht ge­si­chert wer­den. Be­ab­sich­ti­ge der Ar­beit­ge­ber hin­ge­gen mit der Kündi­gung der Be­triebs­ver­ein­ba­rung le­dig­lich ei­ne Ver­rin­ge­rung des Vo­lu­mens der ins­ge­samt zur Verfügung ge­stell­ten Mit­tel und ei­ne Verände­rung des Ver­tei­lungs­plans, wir­ke die Be­triebs­ver­ein­ba­rung nach. Die Ei­ni­gungs­stel­le müsse ih­rer Ent­schei­dung über die Ver­tei­lung der Mit­tel le­dig­lich das vom Ar­beit­ge­ber neu be­stimm­te Fi­nanz­vo­lu­men zu­grun­de le­gen.

(b) Die­se Recht­spre­chung, der die Be­schwer­de­kam­mer folgt, steht ei­ner Nach­wir­kung der GBV-Al­ters­teil­zeit ent­ge­gen. Die Be­triebs­ver­ein­ba­rung wur­de von ver.di nicht gekündigt, um ei­ne Ver­rin­ge­rung oder Neu­ver­tei­lung der Auf­sto­ckungs­leis­tun­gen zu er­rei­chen, son­dern die­se – als wirt­schaft­lich nicht mehr ver­tret­bar an­ge­se­he­nen – Leis­tun­gen soll­ten endgültig ein­ge­stellt wer­den. Für Re­ge­lun­gen der Ei­ni­gungs­stel­le über die Aus­ge­stal­tung der Auf­sto­ckungs­leis­tun­gen im Rah­men der Vor­ga­ben von v. ist da­her kein Raum; auch kann die Ei­ni­gungs­stel­le v. nicht zur Zah­lung von – frei­wil­li­gen – Auf­sto­ckungs­leis­tun­gen ver­pflich­ten. Da­mit ist auch al­len an­de­ren Re­ge­lun­gen zur Al­ters­teil­zeit, die oh­ne Auf­sto­ckungs­leis­tun­gen sinn­los sind, die Grund­la­ge ent­zo­gen. Hier­ge­gen kann nicht mit Er­folg gel­tend ge­macht wer­den, v. sei frei­wil­lig zum Ab­schluss der GBV-Al­ters­teil­zeit be­reit ge­we­sen und müsse sich an die­ser un­ter­neh­me­ri­schen Ent­schei­dung fest­hal­ten las­sen. Die Nach­wir­kung ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung hängt nicht da­von ab, ob sie von dem Ar­beit­ge­ber frei­wil­lig ab­ge­schlos­sen wur­de, son­dern ob ihr Re­ge­lungs­ge­gen­stand – ganz oder teil­wei­se – der zwin­gen­den Mit­be­stim­mung un­ter­liegt oder nicht. Zu­dem kann die Be­reit­schaft zum Ab­schluss ei­ner frei­wil­li­gen Be­triebs­ver­ein­ba­rung ge­ra­de des­halb vor­ge­le­gen ha­ben, weil die Re­ge­lun­gen nach ei­ner Kündi­gung der Be­triebs­ver­ein­ba­rung nicht mehr nach­wir­ken. Dass die GBV-Al­ters­teil­zeit oh­ne ein Ei­ni­gungs­stel­len­ver­fah­ren ver­ein­bart wur­de, recht­fer­tigt da­her kein an­de­res Er­geb­nis.

b) Der Ge­samt­be­triebs­rat kann nicht mit Er­folg gel­ten ma­chen, Re­ge­lun­gen zur Al­ters­teil­zeit sei­en nach § 8 GBV EM er­zwing­bar und wirk­ten da­her nach. Ei­ne Nach­wir­kung ta­rifer­set­zen­der Re­ge­lun­gen wur­de in § 8 GBV EM nicht ge­re­gelt. Auch ist nicht vor­ge­se­hen, dass – wie von § 77 Abs. 6 Be­trVG ge­for­dert – ei­ne Ei­ni­gung zwi­schen Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat durch ei­ne Ei­ni­gungs­stel­le er­setzt wer­den kann. Es fin­det viel­mehr im Fal­le der Nicht­ei­ni­gung der Be­triebs­par­tei­en ein näher ge­re­gel­tes Ver­mitt­lungs- und Sch­lich­tungs­ver­fah­ren statt, wo­bei das Er­geb­nis ei­nem Ve­to­recht des Ge­werk­schafts­rats un­ter­liegt. Im Übri­gen steht dem Ge­samt­be­triebs­rat – wor­auf noch ein­zu­ge­hen sein wird – in Be­zug auf die Re­ge­lun­gen zur Al­ters­teil­zeit ein Mit­be­stim­mungs­recht nach § 8 GBV EM nicht zu, so dass auch ei­ne hier­auf gestütz­te Nach­wir­kung nicht in Be­tracht kommt.


2. Die Be­tei­lig­ten ha­ben auch nicht ver­ein­bart, dass die GBV-Al­ters­teil­zeit nach ih­rem Ab­lauf nach­wir­ken soll; ver.di ist da­her auch un­ter dem Ge­sichts­punkt ei­ner ein­ver­nehm­lich ge­re­gel­ten Nach­wir­kung nicht ver­pflich­tet, ih­ren Beschäftig­ten wei­ter­hin den Ab­schluss von Al­ters­teil­zeit­ver­ein­ba­run­gen zu ermögli­chen.

II.

Der als Zwi­schen­fest­stel­lungs­an­trag nach § 256 Abs. 2 ZPO zulässi­ge An­trag zu 2) ist eben­falls un­be­gründet. Die GBV-Al­ters­teil­zeit wirkt nicht nach; zur Be­gründung kann auf die Ausführun­gen zu B. I. ver­wie­sen wer­den.

III.

1. Der An­trag zu 3) ist zulässig. Dem Ge­samt­be­triebs­rat steht ins­be­son­de­re ein auch im ar­beits­ge­richt­li­chen Be­schluss­ver­fah­ren er­for­der­li­ches recht­li­ches In­ter­es­se an der be­gehr­ten als­bal­di­gen Fest­stel­lung (§ 256 Abs. 1 ZPO) zu. Zwi­schen den Be­tei­lig­ten ist strei­tig, ob Re­ge­lun­gen zur Al­ters­teil­zeit in ei­nem Ver­fah­ren nach § 8 GBV EM ge­trof­fen wer­den können, wo­bei der Ge­samt­be­triebs­rat be­reits mit der elek­tro­ni­schen Nach­richt vom 11. No­vem­ber 2010 er­folg­los die Auf­nah­me dies­bezügli­cher Ver­hand­lun­gen ge­for­dert hat­te. Ei­ne Sach­ent­schei­dung stellt kein ge­richt­li­ches Rechts­gut­ach­ten dar, son­dern ist ge­eig­net, den ge­nann­ten Streit der Be­tei­lig­ten zu be­sei­ti­gen.

2. Der An­trag zu 3) ist un­be­gründet. Ist ver.di nicht zum Ab­schluss ei­ner neu­en Ge­samt­be­triebs­ver­ein­ba­rung zur Al­ters­teil­zeit be­reit, kann der Ge­samt­be­triebs­rat ei­ne der­ar­ti­ge Re­ge­lung nicht in ei­nem Ver­fah­ren nach § 8 GBV EM er­rei­chen.

a) Da v. nicht mit sich selbst Ta­rif­verträge für die bei ihr beschäftig­ten Ar­beit­neh­me­rin­nen und Ar­beit­neh­mer ab­sch­ließen kann, sieht § 8 GBV EM den Ab­schluss von Ge­samt­be­triebs­ver­ein­ba­run­gen für Re­ge­lun­gen vor, die übli­cher­wei­se un­ter den Ta­rif­vor­be­halt des § 77 Abs. 3 Be­trVG fal­len und durch Ta­rif­verträge ge­re­gelt wer­den. Ei­ni­gen sich die Be­triebs­par­tei­en nicht über ei­ne Re­ge­lung, kann je­de von ih­nen ein näher ge­re­gel­tes Ver­mitt­lungs­ver­fah­ren ein­lei­ten (§ 8 Abs. 2 GBV EM). Führt das Ver­mitt­lungs­ver­fah­ren nicht zu ei­ner Ei­ni­gung, steht je­der Be­triebs­par­tei das Recht zu, die Ver­hand­lun­gen wie­der auf­zu­neh­men oder ein – eben­falls näher ge­re­gel­tes – Sch­lich­tungs­ver­fah­ren ein­zu­lei­ten (§ 8 Abs. 3 GBV EM). Stim­men die Be­triebs­par­tei­en den Er­geb­nis­sen des Ver­mitt­lungs- oder Sch­lich­tungs­ver­fah­rens nicht ge­mein­sam zu, sind die Ver­hand­lun­gen wie­der auf­zu­neh­men. Außer­dem kann er­neut ein Ver­mitt­lungs- oder Sch­lich­tungs­ver­fah­ren durch­geführt wer­den, wo­bei sich bei­de Be­triebs­par­tei­en vor­ab dem Be­schluss der Sch­lich­tungs­stel­le zu un­ter­wer­fen ha­ben. Der Ge­werk­schafts­rat kann ge­gen sämt­li­che im Rah­men des § 8 GBV EM zu­stan­de ge­kom­me­ne Er­geb­nis­se sein Ve­to ein­le­gen; in die­sem Fall sind die Ver­hand­lun­gen der Be­triebs­par­tei­en wie­der auf­zu­neh­men (§ 8 Abs. 4 GBV EM).

b) Es kann für die zu ent­schei­den­de Rechts­fra­ge letzt­lich of­fen blei­ben, ob Re­ge­lun­gen zur Al­ters­teil­zeit übli­cher­wei­se un­ter den Ta­rif­vor­be­halt des § 77 Abs. 3 Be­trVG fal­len und auch nach Be­en­di­gung der staat­li­chen Förde­rung durch Ta­rif­ver­trag ge­re­gelt wer­den. In die­sem Fall können Re­ge­lun­gen – wie mit der GBV-Al­ters­teil­zeit ge­sche­hen – gemäß § 8 Abs. 1 GBV EM durch Ge­samt­be­triebs­ver­ein­ba­rung ge­trof­fen wer­den. Der Streit der Be­tei­lig­ten be­trifft je­doch nicht die Fra­ge, ob der Ab­schluss ei­ner Ge­samt­be­triebs­ver­ein­ba­rung zur Al­ters­teil­zeit zulässig wäre, son­dern es ist um­strit­ten, ob der Ge­samt­be­triebs­rat ei­ne der­ar­ti­ge Re­ge­lung auch ge­gen den Wil­len von ver.di nach § 8 GBV EM er­rei­chen kann. Dies ist zu ver­nei­nen.

aa) Das Ver­fah­ren nach § 8 Abs. 2 bis 5 GBV EM be­gründet er­zwing­ba­re Mit­be­stim­mungs­rech­te des Ge­samt­be­triebs­rats. Auch wenn bei ei­ner Nicht­ei­ni­gung der Be­triebs­par­tei­en zunächst ein Ver­mitt­lungs­ver­fah­ren und im Fal­le sei­nes Schei­terns ein – ggf. zu wie­der­ho­len­des – Sch­lich­tungs­ver­fah­ren durch­zuführen ist, können Re­ge­lun­gen letzt­lich ge­gen den Wil­len von ver.di er­reicht wer­den. Denn nach § 8 Abs. 4 c) GBV EM müssen sich bei­de Be­triebs­par­tei­en vor­ab dem Be­schluss der Sch­lich­tungs­stel­le un­ter­wer­fen, so­fern ei­ne An­ge­le­gen­heit er­neut zum Ge­gen­stand des Sch­lich­tungs­ver­fah­rens wird. Dass der Ge­werk­schafts­rat (§ 41 der v.-Sat­zung) nach § 8 Abs. 5 GBV EM ein Ve­to­recht ge­gen das Sch­lich­tungs­er­geb­nis ein­le­gen kann, recht­fer­tigt da­bei kein an­de­res Er­geb­nis. Für die Ver­hand­lung und Ver­ein­ba­rung von Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen ist nicht der Ge­werk­schafts­rat, son­dern die Stel­le zuständig, die ge­genüber dem je­wei­li­gen Be­triebs­rat oder dem Ge­samt­be­triebs­rat Ar­beit­ge­ber­funk­tio­nen wahr­nimmt (Abs. 2 der Präam­bel der GBV EM); fol­ge­rich­tig wur­de die GBV-Al­ters­teil­zeit vom Bun­des­vor­stand ab­ge­schlos­sen. Von ei­ner frei­wil­li­gen Mit­be­stim­mung kann aber schon dann kei­ne Re­de mehr sein, wenn Re­ge­lun­gen auch ge­gen den Wil­len des Ar­beit­ge­bers in Kraft ge­setzt wer­den können.

bb) Es lässt sich dem Wort­laut des § 8 GBV EM nicht aus­drück­lich ent­neh­men, ob die be­schrie­be­nen Ver­mitt­lungs- und Sch­lich­tungs­ver­fah­ren auch bei ta­rifer­set­zen­den Re­ge­lun­gen im Sin­ne des § 8 Abs. 1 GBV EM durch­zuführen sind, die nach § 4 Abs. 3 GBV EM nicht der er­wei­ter­ten Mit­be­stim­mung un­ter­lie­gen. Sys­te­ma­tik und Sinn und Zweck der GBV EM zei­gen je­doch, dass die in § 4 Abs. 3 GBV EM ge­nann­ten Ge­genstände, so­weit sie ta­rifer­set­zen­den In­halt ha­ben, nicht der zwin­gen­den Mit­be­stim­mung des § 8 Abs. 2 bis 5 GBV EM un­ter­lie­gen. Wenn § 4 Abs. 3 GBV be­stimm­te Re­ge­lun­gen der er­zwing­ba­ren Mit­be­stim­mung des Be­triebs­rats ent­zieht, ist es aus sys­te­ma­ti­scher Sicht nicht nach­zu­voll­zie­hen, dass für die glei­chen Re­ge­lun­gen nach § 8 GBV EM ei­ne – wenn auch im Ver­fah­ren an­ders aus­ge­stal­te­te – er­zwing­ba­re Mit­be­stim­mung ein­grei­fen soll. Zu­dem lässt sich § 4 Abs. 3 GBV EM ent­neh­men, dass der Be­triebs­rat hin­sicht­lich der dort ge­nann­ten Ge­genstände über das Be­trVG hin­aus kei­ne Ein­flussmöglich­kei­ten ha­ben soll. Die­se Fest­le­gung wäre im Er­geb­nis ge­gen­stands­los, wenn der Be­triebs­rat über ein Sch­lich­tungs­ver­fah­ren nach § 8 Abs. 3 GBV EM gleich­wohl ei­ne Re­ge­lung er­rei­chen könn­te. Dass § 8 GBV EM le­dig­lich bei ta­rifer­set­zen­den Re­ge­lun­gen ein­greift, hat da­bei le­dig­lich Be­deu­tung für das im Fal­le der Nich­t­eig­nung ein­zu­lei­ten­de Ver­fah­ren. Bei ta­rifer­set­zen­den Re­ge­lun­gen fin­det das be­schrie­be­ne Ver­mitt­lungs- und Sch­lich­tungs­ver­fah­ren statt, an­sons­ten ist die Ei­ni­gungs­stel­le nach § 5 GBV EM mit der An­ge­le­gen­heit zu be­fas­sen; bei­de Ver­fah­ren set­zen je­doch vor­aus, dass die er­wei­ter­te Mit­be­stim­mung nicht nach § 4 Abs. 3 GBV EM aus­ge­schlos­sen ist.

cc) Ein Ver­mitt­lungs- und Sch­lich­tungs­ver­fah­ren nach § 8 GBV EM ist in Be­zug auf Re­ge­lun­gen zur Al­ters­teil­zeit auch nicht des­halb durch­zuführen, weil le­dig­lich hin­sicht­lich der Auf­sto­ckungs­leis­tun­gen ei­ne er­wei­ter­te Mit­be­stim­mung nach § 4 Abs. 3 b GBV EM aus­ge­schlos­sen ist; in­so­weit kann auf die Ausführun­gen zu B. I. 1. a) bb) (3) ver­wie­sen wer­den.

C.

Die Ent­schei­dung er­geht gemäß § 2 Abs. 2 GKG ge­richts­kos­ten­frei.

Die Rechts­be­schwer­de wur­de we­gen grundsätz­li­cher Be­deu­tung (§§ 92 Abs. 1, 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG) zu­ge­las­sen.

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