HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 05/10

EuGH, Ur­teil vom 22.11.2005, C-144/04 (Man­gold)

Kei­ne er­leich­ter­te Be­fris­tung von Ar­beits­ver­trä­gen ab 52 Jah­ren mehr: EuGH kippt 52er-Re­ge­lung: Eu­ro­päi­scher Ge­richts­hof, Ur­teil vom 22.11.2005, C–144/04 (Man­gold)
Europafahne Spricht sich lang­sam her­um: Das Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters
15.12.2005. Die Richt­li­nie 2000/78/EG des Ra­tes vom 27.11.2000 zur Fest­le­gung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens für die Ver­wirk­li­chung der Gleich­be­hand­lung in Be­schäf­ti­gung und Be­ruf ver­bie­tet (im Un­ter­schied zu den bis­he­ri­gen An­ti­dis­kri­mi­nie­rungs­richt­li­ni­en der EU) erst­mals auch ei­ne Dis­kri­mi­nie­rung von Ar­beit­neh­mern we­gen ih­res Al­ters.

Da be­ste­hen­de ar­beits­recht­li­che Ge­set­ze und Ta­rif­ver­trä­ge aber in vie­len De­tail­re­ge­lun­gen an das Le­bens­al­ter von Ar­beit­neh­mern an­knüp­fen (z.B. bei Kün­di­gungs­fris­ten, bei Un­künd­bar­keits­vor­schrif­ten, bei der Hö­he von So­zi­al­plan­leis­tun­gen, bei der vom (Dienst-)Al­ter ab­hän­gi­gen Hö­her­grup­pie­rung usw.), ent­hält die Richt­li­nie 2000/78/EG ei­ne gan­ze Rei­he von Aus­nah­men, d.h. sie er­laubt aus­drück­lich Un­gleich­be­hand­lung we­gen des Al­ters in ei­ner Rei­he von Aus­nah­me­fäl­len.

In Deutsch­land wur­de lan­ge dis­ku­tiert, ob und in­wie­weit die Mög­lich­keit der Al­ter­be­fris­tung des § 14 Teil­zeit- und Be­fris­tungs­ge­setz (Tz­B­fG) ei­ne solch Aus­nah­me dar­stellt. Der Eu­ro­päi­sche Ge­richts­hof (EuGH) hat die­se Dis­kus­si­on in ei­ner Grund­satz­ent­schei­dung be­en­det: EuGH, Ur­teil vom 22.11.2005, C-144/04 (Man­gold).

Ist die Her­aus­nah­me von älte­ren Ar­beit­neh­mern aus der ge­setz­li­chen Be­fris­tungs­kon­trol­le al­ters­dis­kri­mi­nie­rend?

Ei­ne Un­gleich­be­hand­lung we­gen des Al­ters ist un­ter an­de­rem zulässig (und ist dann kei­ne ver­bo­te­ne „Dis­kri­mi­nie­rung“), wenn sie zur Er­rei­chung ei­nes „le­gi­ti­men Zie­les“ not­wen­dig sind.

Art.6 Abs.1 der Richt­li­nie 2000/78/EG lau­tet:

„Un­ge­ach­tet des Ar­ti­kels 2 Ab­satz 2 können die Mit­glied­staa­ten vor­se­hen, dass Un­gleich­be­hand­lun­gen we­gen des Al­ters kei­ne Dis­kri­mi­nie­rung dar­stel­len, so­fern sie ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen sind und im Rah­men des na­tio­na­len Rechts durch ein le­gi­ti­mes Ziel, wor­un­ter ins­be­son­de­re rechtmäßige Zie­le aus den Be­rei­chen Beschäfti­gungs­po­li­tik, Ar­beits­markt und be­ruf­li­che Bil­dung zu ver­ste­hen sind, ge­recht­fer­tigt sind und die Mit­tel zur Er­rei­chung die­ses Ziels an­ge­mes­sen und er­for­der­lich sind.“

Der­ar­ti­ge er­laub­te „Un­gleich­be­hand­lun­gen“ können un­ter an­de­rem „die Fest­le­gung be­son­de­rer Be­din­gun­gen für den Zu­gang zur Beschäfti­gung und zur be­ruf­li­chen Bil­dung so­wie be­son­de­rer Beschäfti­gungs- und Ar­beits­be­din­gun­gen, ein­sch­ließlich der Be­din­gun­gen für Ent­las­sung und Ent­loh­nung, um die be­ruf­li­che Ein­glie­de­rung von Ju­gend­li­chen, älte­ren Ar­beit­neh­mern und Per­so­nen mit Fürsor­ge­pflich­ten zu fördern oder ih­ren Schutz si­cher­zu­stel­len“ (Art.6 Abs.1 Satz 2 Buchst. a) der Richt­li­nie 2000/78/EG) ein­sch­ließen.

Die Richt­li­nie 2000/78/EG war in Deutsch­land bis spätes­tens zum 02.12.2006 in na­tio­na­les Recht um­zu­set­zen.

Un­ge­ach­tet die­ser aus der Richt­li­nie seit ih­rem Er­laß am 27.11.2000 bis spätes­tens zum 02.12.2006 zu be­werk­stel­li­gen­den Um­set­zung er­wei­ter­te der deut­sche Ge­setz­ge­ber durch das „Ers­te Ge­setz für mo­der­ne Dienst­leis­tun­gen am Ar­beits­markt“, vom 23.12.2002, die Möglich­keit ei­ner sach­grund­lo­sen Be­fris­tung von Ar­beits­verträgen mit älte­ren Ar­beit­neh­mern, und zwar durch ei­ne am 01.01.2003 in Kraft tre­ten­de und „pro­be­hal­ber“ bis zum 31.12.2006 gel­ten­de Ergänzung von § 14 Abs.3 Teil­zeit- und Be­fris­tungs­ge­setz (Tz­B­fG).

Nach die­ser Fas­sung des Tz­B­fG galt, daß die Be­fris­tung ei­nes Ar­beits­ver­tra­ges kei­nes sach­li­chen Grun­des be­durf­te, wenn der Ar­beit­neh­mer bei Be­ginn des be­fris­te­ten Ar­beits­verhält­nis­ses das 52. Le­bens­jahr voll­endet hat­te und zu ei­nem vor­her­ge­hen­den un­be­fris­te­ten Ar­beits­ver­trag mit dem­sel­ben Ar­beit­ge­ber kein en­ger sach­li­cher Zu­sam­men­hang be­stand (§ 14 Abs.3 Satz 1, 4 Tz­B­fG). Der mitt­ler­wei­le wie­der geänder­te Wort­laut des § 14 Abs.3 Tz­B­fG in der vom 01.01.2003 bis zum 31.12.2006 gel­ten­den Fas­sung des Ge­set­zes lau­te­te:

"(3) Die Be­fris­tung ei­nes Ar­beits­ver­tra­ges be­darf kei­nes sach­li­chen Grun­des, wenn der Ar­beit­neh­mer bei Be­ginn des be­fris­te­ten Ar­beits­verhält­nis­ses das 58. Le­bens­jahr voll­endet hat. Die Be­fris­tung ist nicht zulässig, wenn zu ei­nem vor­her­ge­hen­den un­be­fris­te­ten Ar­beits­ver­trag mit dem­sel­ben Ar­beit­ge­ber ein en­ger sach­li­cher Zu­sam­men­hang be­steht. Ein sol­cher en­ger sach­li­cher Zu­sam­men­hang ist ins­be­son­de­re an­zu­neh­men, wenn zwi­schen den Ar­beits­verträgen ein Zeit­raum von we­ni­ger als sechs Mo­na­ten liegt. Bis zum 31. De­zem­ber 2006 ist Satz 1 mit der Maßga­be an­zu­wen­den, dass an die Stel­le des 58. Le­bens­jah­res das 52. Le­bens­jahr tritt."

Auf­grund die­ser „Igno­ranz“ des deut­schen Ge­setz­ge­bers ge­genüber dem Pro­gramm der Richt­li­nie 2000/78/EG stell­te sich die Fra­ge, ob die­se Fas­sung des § 14 Abs.3 Tz­B­fG, d.h. die er­leich­ter­te Möglich­keit ei­ner „Al­ters­be­fris­tung“, mit der Richt­li­nie bzw. dem Eu­ropäischen Recht ver­ein­bar ist. Die­se Fra­ge war hef­tig um­strit­ten, da die Befürwor­ter die­ser Re­ge­lung auf die for­ma­le Be­fug­nis der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land ver­wei­sen konn­te, sich mit der Um­set­zung der 2000/78/EG bis zum 02.12.2006 Zeit zu las­sen.

Der Streit­fall: Ge­werk­schafts­na­he Ju­ris­ten le­gen dem Ar­beits­ge­richt ei­nen nach der 52er-Re­ge­lung be­fris­te­ten Ar­beits­ver­trag vor

Der Sach­ver­halt, über den der EuGH zu ent­schei­den hat­te, war ein ar­beits­ge­richt­li­cher Pro­zeß, der beim Ar­beits­ge­richt München anhängig war und die Zulässig­keit ei­ner Be­fris­tung zwi­schen dem kla­gen­den Ar­beit­neh­mer, dem zum Zeit­punkt des Ver­trags­schlus­ses (26.06.2003) 56jähri­gen Herrn Man­gold, und sei­nem Ar­beit­ge­ber, Herrn Helm. Das Ar­beits­verhält­nis be­gann am 01.07.2003 und war bis 28.02.2004 be­fris­tet. Die Be­fris­tung wur­de auf die ge­setz­li­che Be­stim­mung über die er­leich­ter­te Be­fris­tung mit älte­ren Ar­beit­neh­mern in § 14 Abs.3 Satz 4 in Verb. mit Satz 1 Tz­B­fG gestützt, weil Herr Man­gold älter als 52 Le­bens­jah­re war.

Die dar­auf­hin von Herrn Man­gold ein­ge­reich­te Ent­fris­tungs- bzw. Be­fris­tungs­kon­troll­kla­ge stieß auf teil­wei­se hef­ti­ge Kri­tik we­gen des Ver­dachts, daß hier Mißbrauch mit der Jus­tiz ge­trie­ben würde, war doch Herr Helm in der Ver­gan­gen­heit als ju­ris­ti­scher Kri­ti­ker der Al­ters­be­fris­tungs­re­ge­lung öffent­lich in Er­schei­nung ge­tre­ten. Es deu­te­te da­her ei­ni­ges dar­auf hin, daß Man­gold und Helm ih­ren dem Ar­beits­ge­richt München zur Kon­trol­le un­ter­brei­te­ten „Ar­beits­ver­trag“ nur zum Schein bzw. zum al­lei­ni­gen Zweck ei­ner ge­richt­li­chen Stel­lung­nah­me zu der strei­ti­gen Fra­ge der Rechtmäßig­keit von § 14 Abs.3 Satz 4 Tz­B­fG ab­ge­schlos­sen hätten.

Das Ar­beits­ge­richt München setz­te das Ver­fah­ren aus und leg­te dem EuGH die An­ge­le­gen­heit zur Ent­schei­dung der eu­ro­pa­recht­li­chen Zulässig­keit von § 14 Abs.3 Satz 1, 4 Tz­B­fG vor. Im we­sent­li­chen woll­te das Ar­beits­ge­richt München geklärt ha­ben, ob Art.6 Abs.1 der Richt­li­nie 2000/78/EG da­hin aus­zu­le­gen ist, daß er ei­ner na­tio­na­len Rechts­vor­schrift wie der im hier strei­ti­gen ent­ge­gen­steht, nach der der Ab­schluß be­fris­te­ter Ar­beits­verträge mit Ar­beit­neh­mern, die das 52. Le­bens­jahr voll­endet ha­ben, un­ein­ge­schränkt zulässig ist, so­fern nicht zu ei­nem vor­her­ge­hen­den un­be­fris­te­ten Ar­beits­ver­trag mit dem­sel­ben Ar­beit­ge­ber ein en­ger sach­li­cher Zu­sam­men­hang be­steht. Für den Fall, daß dies be­jaht wird, fragt das Ar­beits­ge­richt München wei­ter, wel­che Fol­gen na­tio­na­le Ge­rich­te aus ei­ner sol­chen Aus­le­gung zu zie­hen ha­ben.

EuGH: Die 52er-Re­ge­lung verstößt ge­gen das eu­ro­pa­recht­li­che Ver­bot der Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung

Der EuGH hat die zur Prüfung vor­ge­leg­te Be­stim­mung des § 14 Abs.3 Satz 4 in Verb. mit Satz 1 Tz­B­fG für eu­ro­pa­rechts­wid­rig erklärt. Ent­schei­dend sind da­bei zwei Ar­gu­men­te:

1.) Ein ers­tes Ar­gu­ment geht zunächst da­von aus, daß nicht je­de „Un­gleich­be­hand­lung“ we­gen des Al­ters ei­ne recht­lich ver­bo­te­ne Dis­kri­mi­nie­rung dar­stellt, son­dern daß der na­tio­na­le Ge­setz­ge­ber gemäß Art.6 der Richt­li­nie 2000/78/EG die oben wie­der­ge­ge­be­ne Be­fug­nis hat, durch Un­gleich­be­hand­lun­gen „le­gi­ti­me Zie­le“ zu ver­fol­gen, falls die da­durch als Mit­tel in Kauf ge­nom­men Un­gleich­be­hand­lun­gen „ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen sind“. Nach An­sicht des EuGH geht Deutsch­land mit der all­ge­mei­nen Le­ga­li­sie­rung von Al­ters­be­fris­tun­gen gemäß § 14 Abs.3 Satz 4 in Verb. mit Satz 1 Tz­B­fG zu weit, d.h. die Ver­fol­gung ar­beits­markt­po­li­ti­scher Zie­le mit ei­ner sol­chen Re­ge­lung ist nicht mehr „an­ge­mes­sen“. Hier­zu heißt es in der Ent­schei­dungs­be­gründung (Rn.64):

„Wie das vor­le­gen­de Ge­richt aus­geführt hat, läuft die An­wen­dung na­tio­na­ler Rechts­vor­schrif­ten wie der im Aus­gangs­ver­fah­ren strei­ti­gen je­doch dar­auf hin­aus, dass al­len Ar­beit­neh­mern, die das 52. Le­bens­jahr voll­endet ha­ben, un­ter­schieds­los – gleichgültig, ob und wie lan­ge sie vor Ab­schluss des Ar­beits­ver­trags ar­beits­los wa­ren – bis zum Er­rei­chen des Al­ters, ab dem sie ih­re Ren­ten­ansprüche gel­tend ma­chen können, be­fris­te­te, un­be­grenzt häufig verlänger­ba­re Ar­beits­verträge an­ge­bo­ten wer­den können. Die­se große, aus­sch­ließlich nach dem Le­bens­al­ter de­fi­nier­te Grup­pe von Ar­beit­neh­mern läuft da­mit während ei­nes er­heb­li­chen Teils ih­res Be­rufs­le­bens Ge­fahr, von fes­ten Beschäfti­gungs­verhält­nis­sen aus­ge­schlos­sen zu sein, die doch, wie sich aus der Rah­men­ver­ein­ba­rung er­gibt, ei­nen wich­ti­gen As­pekt des Ar­beit­neh­mer­schut­zes dar­stel­len.“

An­ders ge­sagt: Der Ge­setz­ge­ber kann zwar ein fort­ge­schrit­te­nes Al­ter zu ei­ner von ver­schie­de­nen recht­li­chen Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne er­leich­ter­te Be­fris­tungsmöglich­keit er­he­ben, aber ge­setz­li­che Be­fris­tungsmöglich­kei­ten nicht al­lein vom Al­ter abhängig ma­chen. Da­zu heißt es in der Ent­schei­dung wei­ter (Rn.65):

„Sol­che Rechts­vor­schrif­ten ge­hen in­so­fern, als sie das Al­ter des be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mers als ein­zi­ges Kri­te­ri­um für die Be­fris­tung des Ar­beits­ver­trags fest­le­gen, oh­ne dass nach­ge­wie­sen wäre, dass die Fest­le­gung ei­ner Al­ters­gren­ze als sol­che un­abhängig von an­de­ren Erwägun­gen im Zu­sam­men­hang mit der Struk­tur des je­wei­li­gen Ar­beits­mark­tes und der persönli­chen Si­tua­ti­on des Be­trof­fe­nen zur Er­rei­chung des Zie­les der be­ruf­li­chen Ein­glie­de­rung ar­beits­lo­ser älte­rer Ar­beit­neh­mer ob­jek­tiv er­for­der­lich ist, über das hin­aus, was zur Er­rei­chung des ver­folg­ten Zie­les an­ge­mes­sen und er­for­der­lich ist. Die Wah­rung des Grund­sat­zes der Verhält­nismäßig­keit be­deu­tet nämlich, dass bei Aus­nah­men von ei­nem In­di­vi­du­al­recht die Er­for­der­nis­se des Gleich­be­hand­lungs­grund­sat­zes so weit wie möglich mit de­nen des an­ge­streb­ten Zie­les in Ein­klang ge­bracht wer­den müssen (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­teil vom 19. März 2002 in der Rechts­sa­che C‑476/99, Lom­mers, Slg. 2002, I‑2891, Rand­nr. 39). Der­ar­ti­ge na­tio­na­le Rechts­vor­schrif­ten können da­her nicht nach Ar­ti­kel 6 Ab­satz 1 der Richt­li­nie 2000/78 ge­recht­fer­tigt wer­den“

Das be­deu­tet: Das Recht der Bürger Eu­ro­pas, ent­spre­chend der Richt­li­nie 2000/78/EG nicht we­gen des Al­ters recht­lich be­nach­tei­ligt zu wer­den, ist kein ab­so­lu­tes bzw. oh­ne Ein­schränkun­gen gel­ten­des Recht, das da­mit (als Aus­prägung des Gleich­heits­grund­sat­zes) ju­ris­tisch eben­so „ge­hand­habt“ wird wie die sog. Frei­heits­rech­te, bei de­nen im­mer schon an­er­kannt war, daß sie nicht schran­ken­los gel­ten können. Ob die „Ein­schränkung“ des Rechts auf Gleich­be­hand­lung durch na­tio­na­le Rechts­vor­schrif­ten eu­ro­pa­recht­lich zulässig ist, be­mißt sich wei­ter­hin am Grund­satz der Verhält­nismäßig­keit, der hier nach An­sicht des EuGH nicht (mehr) ge­wahrt war.

2.) Ein zwei­tes Ar­gu­ment setzt sich mit dem o.g. Pro­blem aus­ein­an­der, daß Deutsch­land mit der Um­set­zung der 2000/78/EG bis zum 02.12.2006 Zeit hat­te, so daß zum Zeit­punkt der Ent­schei­dung des EuGH (22.11.2005) die Um­set­zungs­frist noch nicht ab­ge­lau­fen war.

In die­sem Zu­sam­men­hang ver­weist der EuGH ein­mal dar­auf, daß er be­reits in der Ver­gan­gen­heit ent­schie­den ha­be, daß zur Um­set­zung ei­ner Richt­li­nie ver­pflich­te­te Mit­glied­staa­ten während der Um­set­zungs­frist kei­ne Vor­schrif­ten er­las­sen dürfen, die ge­eig­net sind, die Er­rei­chung des in die­ser Richt­li­nie vor­ge­schrie­be­nen Zie­les ernst­lich in Fra­ge zu stel­len. Ei­ne sol­che Eig­nung von § 14 Abs.3 Satz 1, 4 Tz­B­fG wird im vor­lie­gen­den Fall be­jaht.

Zum an­de­ren stellt der EuGH die The­se auf, daß das Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters nicht nur in der hier maßgeb­li­chen Richt­li­nie 2000/78/EG ent­hal­ten, son­dern als „all­ge­mei­ner Grund­satz des Ge­mein­schafts­rechts“ an­zu­se­hen sei. Die­se An­sicht des EuGH ist ei­ne klei­ne ju­ris­ti­sche Sen­sa­ti­on, da sie, würde der EuGH auch in Zu­kunft an ihr fest­hal­ten, die Kom­pe­ten­zen des EuGH er­heb­lich er­wei­tern würde: In der Kon­se­quenz die­ser An­sicht könn­te der EuGH nämlich be­reit lan­ge vor Ab­lauf von Richt­li­ni­en-Um­set­zungs­fris­ten das Recht der Mit­glieds­staa­ten für eu­ro­pa­rechts­wid­rig erklären, falls die je­wei­li­gen Richt­li­ni­en Aus­druck „all­ge­mei­ner Grundsätze des Ge­mein­schafts­rechts“ sind (bzw. vom EuGH da­zu erklärt wer­den).

Hier­zu heißt es in der Ent­schei­dung (Rn.74), es sei

„zu be­ach­ten, dass der Grund­satz der Gleich­be­hand­lung in Beschäfti­gung und Be­ruf nicht in der Richt­li­nie 2000/78 selbst ver­an­kert ist. Nach ih­rem Ar­ti­kel 1 be­zweckt die­se Richt­li­nie nämlich le­dig­lich >die Schaf­fung ei­nes all­ge­mei­nen Rah­mens zur Bekämp­fung der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen der Re­li­gi­on oder der Welt­an­schau­ung, ei­ner Be­hin­de­rung, des Al­ters oder der se­xu­el­len Aus­rich­tung<, wo­bei das grundsätz­li­che Ver­bot die­ser For­men der Dis­kri­mi­nie­rung, wie sich aus der ers­ten und der vier­ten Be­gründungs­erwägung der Richt­li­nie er­gibt, sei­nen Ur­sprung in ver­schie­de­nen völker­recht­li­chen Verträgen und den ge­mein­sa­men Ver­fas­sungs­tra­di­tio­nen der Mit­glied­staa­ten hat.“

Dar­aus zieht der EuGH fol­gen­de wei­te­re Schlußfol­ge­run­gen (Rn.75):

„Das Ver­bot der Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters ist so­mit als ein all­ge­mei­ner Grund­satz des Ge­mein­schafts­rechts an­zu­se­hen. Fällt ei­ne na­tio­na­le Re­ge­lung in den Gel­tungs­be­reich des Ge­mein­schafts­rechts, was bei dem durch das Ge­setz von 2002 geänder­ten § 14 Ab­satz 3 Tz­B­fG als Maßnah­me zur Um­set­zung der Richt­li­nie 1999/70 der Fall ist (vgl. hier­zu auch Rand­nrn. 51 und 64 des vor­lie­gen­den Ur­teils), hat der Ge­richts­hof, wenn er im Vor­ab­ent­schei­dungs­ver­fah­ren an­ge­ru­fen wird, dem vor­le­gen­den Ge­richt al­le Aus­le­gungs­hin­wei­se zu ge­ben, die es benötigt, um die Ver­ein­bar­keit die­ser Re­ge­lung mit die­sem Grund­satz be­ur­tei­len zu können (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­teil vom 12. De­zem­ber 2002 in der Rechts­sa­che C‑442/00, Ro­dríguez Ca­bal­le­ro, Slg. 2002, I‑11915, Rand­nrn. 30 bis 32).“

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 18. Mai 2017

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de