HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 09/117

Kein Zu­stim­mungs­ver­wei­ge­rungs­recht bei Ver­set­zung an ar­beits­schutz­wid­ri­gen Ar­beits­platz?

Ge­richt er­kennt ein Wi­der­spruchs­recht nur bei "schwer­wie­gen­den" oder nicht be­hebb­ba­ren Ver­stö­ßen ge­gen den Ar­beits­schutz zu: Lan­des­ar­beits­ge­richt Meck­len­burg-Vor­pom­mern, Be­schluss vom 31.03.2009, 5 TaBV 13/08
Sitzung des Betriebsrats, Betriebsratsversammlung Wann kann der Be­triebs­rat ei­ner ge­plan­ten Ver­set­zung aus Grün­den des Ar­beits­schut­zes wi­der­spre­chen?

07.07.2009. Der Be­triebs­rat ist bei ge­plan­ten Ver­set­zun­gen ge­fragt, denn er muss ih­nen vor­ab zu­stim­men, da­mit der Ar­beit­ge­ber die Ver­set­zung durch­füh­ren kann.

Ei­ner der Grün­de, mit de­nen der Be­triebs­rat ei­ner Ver­set­zung zu wi­der­spre­chen kann, ist nach dem Ge­setz der dro­hen­de Ver­stoß ge­gen Be­stim­mun­gen des Ar­beits­schut­zes in­fol­ge der Ver­set­zung.

Das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Meck­len­burg-Vor­pom­mern hat al­ler­dings ent­schie­den, dass der Be­triebs­rat nicht wi­der­spre­chen kann, wenn die Ver­set­zung ge­gen Ar­beits­schutz­be­stim­mun­gen ver­sto­ßen wür­de, die "nur" in ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung ent­hal­ten sind und wenn die­se Ver­stö­ße we­der be­son­ders schwer­wie­gend noch "un­be­heb­bar" sind: LAG Meck­len­burg-Vor­pom­mern, Be­schluss vom 31.03.2009, 5 TaBV 13/08.

Genügt je­der dro­hen­de Ver­s­toß ge­gen den Ar­beits­schutz, da­mit der Be­triebs­rat ei­ner ge­plan­ten Ver­set­zung wi­der­spre­chen kann?

Will der Ar­beit­ge­ber in Be­trie­ben mit mehr als 20 Ar­beit­neh­mern Ein­stel­lun­gen, Ver­set­zun­gen, Ein- oder Um­grup­pie­run­gen vor­neh­men, hat der Be­triebs­rat im Rah­men der Mit­be­stim­mung in per­so­nel­len An­ge­le­gen­hei­ten ein ge­setz­li­ches Zu­stim­mungs­ver­wei­ge­rungs­recht nach § 99 Be­triebs­ver­fas­sungs­ge­setz (Be­trVG).

Macht er von die­sem Recht Ge­brauch, kann der Ar­beit­ge­ber die Maßnah­me erst ein­mal nicht durchführen, son­dern muss vor dem Ar­beits­ge­richt zunächst die Er­set­zung der vom Be­triebs­rat ver­wei­ger­ten Zu­stim­mung er­strei­ten. Führt er die Maßnah­me trotz­dem durch, kann der Be­triebs­rat nach § 101 Be­trVG die Auf­he­bung der Maßnah­me durch das Ar­beits­ge­richt be­an­tra­gen.

Der Ar­beit­ge­ber hat in den in § 99 Be­trVG ge­setz­lich ge­nann­ten Fällen (Ein­stel­lung, Ver­set­zung, Ein- oder Um­grup­pie­rung) den Be­triebs­rat zunächst um­fas­send zu un­ter­rich­ten. So­dann hat sich der Be­triebs­rat mit dem Vor­gang zu be­fas­sen und in­ner­halb ei­ner Wo­che zu ent­schei­den, ob er von sei­nem Recht Ge­brauch ma­chen will.

Das Wi­der­spruchs­recht kann, wie ge­sagt, je nach La­ge des Fal­les auch bei ge­plan­ten Ver­set­zun­gen ein­grei­fen. Ei­ne Ver­set­zung liegt nach § 95 Abs. 3 Be­trVG dann vor, wenn die Zu­wei­sung ei­nes an­de­ren Ar­beits­be­reichs die Dau­er von ei­nem Mo­nat über­steigt oder mit ei­ner er­heb­li­chen Verände­rung der Umstände der Ar­beits­leis­tung ver­bun­den ist.

Das Zu­stim­mungs­ver­wei­ge­rungs­recht ist an ge­setz­lich fest­ge­leg­te Ver­wei­ge­rungs­gründe ge­bun­den. Der Be­triebs­rat kann die Zu­stim­mung un­ter an­de­rem dann ver­wei­gern, wenn die per­so­nel­le Maßnah­me ge­gen ein Ge­setz, be­trieb­li­che Nor­men oder ei­ne Be­triebs­ver­ein­ba­rung verstößt (§ 99 Abs.2 Nr.1 Be­trVG). Auch er­heb­li­che Nach­tei­le für den be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer können ein Wi­der­spruchs­recht be­gründen (§ 99 Abs.2 Nr.3 Be­trVG).

Da die Möglich­keit der Zu­stim­mungs­ver­wei­ge­rung nach dem Wort­laut des Ge­set­zes bei sehr vie­len Rechts­verstößen be­steht - so un­ter an­de­rem bei je­dem (!) Ver­s­toß ge­gen ein Ge­setz, ei­nen Ta­rif­ver­trag oder ei­ne Be­triebs­ver­ein­ba­rung -, ist die Recht­spre­chung hier um ei­ne „an­ge­mes­se­ne“ Be­gren­zung der Prüfungs­kom­pe­ten­zen des Be­triebs­rats bemüht. So ist bei Ein­stel­lun­gen an­er­kannt, dass Rechts­verstöße bei der Ge­stal­tung des Ar­beits­ver­trags den Be­triebs­rat nicht zur Ver­wei­ge­rung der Zu­stim­mung be­rech­ti­gen, was da­mit be­gründet wird, dass mit „Ein­stel­lung“ im Sin­ne von § 99 Be­trVG nicht der Ar­beits­ver­trags­schluss, son­dern die Ein­glie­de­rung des Ar­beit­neh­mers in die be­trieb­li­chen Abläufe ge­meint ist.

An­ge­sichts die­ser das Mit­be­stim­mungs­recht be­schränken­den Ten­denz der Recht­spre­chung fragt sich, wel­che dro­hen­den Rechts­verstöße im Fal­le ei­ner ge­plan­ten Ver­set­zung den Be­triebs­rat zur Zu­stim­mungs­ver­wei­ge­rung be­rech­ti­gen. Auch hier könn­te man der Mei­nung sein, dass nicht je­der Rechts­ver­s­toß, der in­fol­ge ei­ner Ver­set­zung ei­nes Ar­beit­neh­mers ein­tre­ten könn­te wie z.B. ein Ver­s­toß ge­gen ei­ne Be­triebs­ver­ein­ba­rung zur Ar­beits­platz­ge­stal­tung, zur Zu­stim­mungs­ver­wei­ge­rung be­rech­tigt, son­dern nur ein „gra­vie­ren­der“ Rechts­ver­s­toß.

Da­zu hat das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Meck­len­burg-Vor­pom­mern in ei­nem Be­schluss vom 31.03.2009 (5 TaBV 13/08) Stel­lung ge­nom­men.

Der Streit­fall: Ar­beit­neh­mer sol­len in Büros ver­setzt wer­den, die klei­ner sind als in ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung zum Ar­beits­schutz fest­ge­legt

Die Ar­beit­ge­be­rin, ein Großun­ter­neh­men der Te­le­kom­mu­ni­ka­ti­ons­bran­che, ist in re­gio­na­le Be­trie­be un­ter­glie­dert. Sie plan­te, im Zuständig­keits­be­reich des Be­triebs­rats Nord­ost 28 Ar­beit­neh­mer aus ih­ren bis­her ge­nutz­ten, an­ge­mie­te­ten Räum­lich­kei­ten zur Kos­ten­er­spar­nis auf kon­zern­ei­ge­ne Gebäude zu ver­tei­len bzw. dort­hin zu ver­set­zen, wo­bei die be­trieb­li­che Struk­tur gleich blei­ben soll­te.

Da­her kündig­te sie die bis­he­ri­gen Be­triebs­gebäude und bat den Be­triebs­rat um Zu­stim­mung zu dem ge­plan­ten Um­zug. Der Be­triebs­rat wur­de über Ort und Größe der be­trieb­li­chen Flächen und der Ar­beitsplätze un­ter­rich­tet. Er ver­wei­ger­te die Zu­stim­mung und be­gründe­te das mit der Nicht­ein­hal­tung ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung „Min­dest­an­for­de­run­gen an Ar­beitsstätten“.

Die­se Be­triebs­ver­ein­ba­rung war erst kurz zu­vor auf Initia­ti­ve des Be­triebs­rats durch ei­nen Ei­ni­gungs­stel­len­spruch her­bei­geführt wor­den. Doch nicht nur, dass sich die Par­tei­en im Ei­ni­gungs­stel­len­ver­fah­ren nicht gütlich auf ei­ne Be­triebs­ver­ein­ba­rung ei­ni­gen konn­ten: Die Ar­beit­ge­be­rin hat­te den Spruch der Ei­ni­gungs­stel­le um­ge­hend ge­richt­lich we­gen Er­mes­sensüber­schrei­tung an­ge­grif­fen. Da­bei konn­te sie vor dem LAG ei­nen teil­wei­sen Sieg er­rin­gen, d.h. die Be­triebs­ver­ein­ba­rung wur­de teil­wei­se für un­wirk­sam erklärt. Dar­auf­hin ging die­ser Streit zum Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG). Die Be­triebs­ver­ein­ba­rung „Min­dest­an­for­de­run­gen an Ar­beitsstätten“, auf die der Be­triebs­rat sei­ne Zu­stim­mungs­ver­wei­ge­rung gestützt hat­te, war da­her selbst zwi­schen den Par­tei­en im Streit.

Die Ar­beit­ge­be­rin be­an­trag­te die Er­set­zung der vom Be­triebs­rat ver­wei­ger­ten Zu­stim­mung zu der ge­plan­ten Ver­set­zung. Das Ar­beits­ge­richt gab die­sem An­trag statt, wo­ge­gen der Be­triebs­rat Be­schwer­de ein­leg­te. Er ist der Auf­fas­sung, die Ar­beit­ge­be­rin ha­be mit dem Um­zug ge­gen die o.g. Be­triebs­ver­ein­ba­rung ver­s­toßen. Da­her lie­ge ein Zu­stim­mungs­ver­wei­ge­rungs­grund nach § 99 Abs. 2 Nr.1 Be­trVG vor.

Kon­kret be­zog sich der Be­triebs­rat auf Vor­schrif­ten der o.g. Be­triebs­ver­ein­ba­rung, die die An­zahl der Ar­beit­neh­mer und Büroar­beitsplätze pro Bürofläche re­geln und ge­gen die – so der Be­triebs­rat - in­fol­ge des Um­zugs ver­s­toßen wur­de.

LAG Meck­len­burg-Vor­pom­mern: Der Be­triebs­rat kann ei­ner ge­plan­ten Ver­set­zung nur dann aus Gründen des Ar­beits­schut­zes wi­der­spre­chen, wenn "schwer­wie­gen­de" oder nicht be­hebb­ba­re Verstöße ge­gen den Ar­beits­schutz zu befürch­ten sind

Das LAG ent­schied ge­gen den Be­triebs­rat und be­gründe­te das mit ei­ner sehr en­gen Aus­le­gung des Zu­stim­mungs­ver­wei­ge­rungs­rechts in Fällen der Ver­set­zung. Der Leit­satz der Ent­schei­dung lau­tet:

„Der Be­triebs­rat kann die Zu­stim­mungs­ver­wei­ge­rung zu ei­ner Ver­set­zung ei­nes Ar­beit­neh­mers auf ei­nen Ar­beits­platz in ei­ner an­de­ren Be­triebsstätte nach § 99 Ab­satz 2 Nr. 1 Be­trVG nur dann mit dem ar­beits­schutz­rechts­wid­ri­gen Zu­stand des vor­ge­se­he­nen neu­en Ar­beits­plat­zes be­gründen, wenn der Norm­ver­s­toß un­be­heb­bar ist oder der Ver­s­toß so schwer wiegt, dass die Auf­nah­me der Tätig­keit an die­sem Ar­beits­platz selbst für ei­ne ge­dach­te Über­g­angs­zeit bis zur Be­he­bung des Man­gels nicht hin­nehm­bar ist.“

Die­se Kern­aus­sa­ge des Ge­richts läuft, wie die Ent­schei­dungs­gründe er­ken­nen las­sen, auf ei­ne Vor­rang­stel­lung an­de­rer recht­li­cher Ab­hil­femöglich­kei­ten ge­genüber dem Mit­be­stim­mungs­recht des Be­triebs­rats aus § 99 Be­trVG hin­aus. Auch ar­beits­ver­trag­li­che Möglich­kei­ten der be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer, ge­gen die in­fol­ge der Ver­set­zung ein­tre­ten­den Ver­let­zun­gen der o.g. Be­triebs­ver­ein­ba­rung vor­zu­ge­hen, sol­len das Mit­be­stim­mungs­recht des Be­triebs­rats aus­sch­ließen.

An­ders ge­sagt: Nur wenn die Ver­wei­ge­rung der Zu­stim­mung zur ge­plan­ten Ver­set­zung den in­fol­ge der Ver­set­zung ein­tre­ten­den Ver­s­toß ge­gen die Be­triebs­ver­ein­ba­rung ver­hin­dert und (!) wenn kei­ne an­de­ren recht­li­chen Möglich­kei­ten be­ste­hen, ei­nen sol­chen dro­hen­den Rechts­ver­s­toß zu ver­hin­dern, hat der Be­triebs­rat ein Zu­stim­mungs­ver­wei­ge­rungs­recht.

Fa­zit: Mit die­ser Ent­schei­dung wird das Recht des Be­triebs­rat aus § 99 Abs. 2 Be­trVG zu Un­recht er­heb­lich ein­ge­schränkt. Die Über­prüfung ei­ner ge­gen Vor­schrif­ten der Ar­beits­platz­ge­stal­tung ver­s­toßen­den Ver­set­zung wird da­durch letzt­lich auf die Ar­beit­neh­mer ab­gewälzt.

Dies läuft dem Zweck der Mit­be­stim­mung in per­so­nel­len An­ge­le­gen­hei­ten zu­wi­der. Die Rech­te des Be­triebs­rats gemäß § 99 Be­trVG sind ent­ge­gen der An­sicht des LAG Meck­len­burg-Vor­pom­mern nicht all­ge­mein ge­genüber ar­beits­ver­trag­li­chen Ansprüchen der be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer nach­ran­gig („sub­si­diär“).

Die Ent­schei­dung des LAG kann da­her we­der im Er­geb­nis noch in der Be­gründung über­zeu­gen. Es bleibt ab­zu­war­ten, wie das BAG über die vom LAG Meck­len­burg-Vor­pom­mern zu­ge­las­se­ne und mitt­ler­wei­le ein­ge­leg­te Rechts­be­schwer­de ent­schei­den wird (Ak­ten­zei­chen des BAG: 1 ABR 77/09). Soll­te das BAG die Ent­schei­dung des LAG bestäti­gen, wären die aus § 99 Be­trVG fol­gen­den Mit­wir­kungsmöglich­kei­ten des Be­triebs­rats bei Ver­set­zun­gen prak­tisch be­sei­tigt.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 13. März 2018

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de
Bewertung: 5.0 von 5 Sternen (1 Bewertung)

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de