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BAG, Ur­teil vom 24.03.2004, 5 AZR 303/03

   
Schlagworte: Sittenwidrigkeit, Lohn und Gehalt
   
Gericht: Bundesarbeitsgericht
Aktenzeichen: 5 AZR 303/03
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 24.03.2004
   
Leitsätze:

1. Eine arbeitsvertragliche Entgeltvereinbarung verstößt gegen den strafrechtlichen Wuchertatbestand des § 291 Abs 1 Satz 1 Nr 3 StGB und die guten Sitten iSv § 138 BGB, wenn ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vorliegt.

2. Die Tariflöhne des jeweiligen Wirtschaftszweigs sind jedenfalls dann Ausgangspunkt zur Feststellung des Wertes der Arbeitsleistung, wenn in dem Wirtschaftsgebiet üblicherweise der Tariflohn gezahlt wird. Entspricht der Tariflohn nicht der verkehrsüblichen Vergütung, sondern liegt diese unterhalb des Tariflohns, ist zur Ermittlung des Wertes der Arbeitsleistung von dem allgemeinen Lohnniveau im Wirtschaftsgebiet auszugehen.

3. Tarifvertragliche Entgeltvereinbarungen müssen den in Art. 2 Abs 1, Art. 20 Abs 1 GG zum Ausdruck kommenden elementaren Gerechtigkeitsanforderungen genügen.

Vorinstanzen: Arbeitsgericht Berlin, Urteil vom 7.06.2002, 79 Ca 24590/01
Landesarbeitsgericht Berlin, Urteil vom 29.01.2003, 4 Sa 1456/02
   

BUN­DES­AR­BEITS­GERICHT

5 AZR 303/03

4 Sa 1456/02

Lan­des­ar­beits­ge­richt Ber­lin

Im Na­men des Vol­kes!

Verkündet am 24. März 2004

UR­TEIL

Met­ze, Ur­kunds­be­am­ter der Geschäfts­stel­le

In Sa­chen

Kläger, Be­ru­fungskläger und Re­vi­si­onskläger,

pp.

Be­klag­te, Be­ru­fungs­be­klag­te und Re­vi­si­ons­be­klag­te,

hat der Fünf­te Se­nat des Bun­des­ar­beits­ge­richts auf Grund der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 24. März 2004 durch den Vor­sit­zen­den Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Dr. Müller-Glöge, die Rich­ter am Bun­des­ar­beits­ge­richt Prof. Dr. Mi­kosch und Dr. Linck so­wie die eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Hin­richs und Feld­mei­er für Recht er­kannt:

1. Die Re­vi­si­on des Klägers ge­gen das Ur­teil des Lan­des­ar­beits­ge­richts Ber­lin vom 29. Ja­nu­ar 2003 - 4 Sa 1456/02 - wird zurück­ge­wie­sen.


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2. Der Kläger hat die Kos­ten der Re­vi­si­on zu tra­gen.

Von Rechts we­gen!

Tat­be­stand

Die Par­tei­en strei­ten über Ar­beits­ent­gelt.

Der 1960 ge­bo­re­ne Kläger war bei der Be­klag­ten vom 18. De­zem­ber 2000 bis zum 3. Au­gust 2001 als La­ger- und Ver­sand­ar­bei­ter/Hilfs­kraft in B beschäftigt. Vor Ab­schluss des Ar­beits­ver­trags mit der Be­klag­ten war der Kläger als un­ge­lern­ter Ar­bei­ter zwei Jah­re ar­beits­los. Der Kläger ist Mit­glied der IG-Me­tall.

Die Be­klag­te be­treibt bun­des­weit ein Un­ter­neh­men der ge­werbsmäßigen Ar­beit­neh­merüber­las­sung. In dem schrift­li­chen Ar­beits­ver­trag vom 15. De­zem­ber 2000 war ei­ne durch­schnitt­li­che Wo­chen­ar­beits­zeit von 35 St­un­den ver­ein­bart. Der St­un­den­lohn be­trug 10,89 DM und ab 1. Mai 2001 11,24 DM, un­ter Berück­sich­ti­gung des bei der Be­klag­ten gel­ten­den Wahl-Lohn­sys­tems (WLS) zunächst 11,99 DM und ab 1. Mai 2001 12,38 DM. Das Wahl-Lohn­sys­tem eröff­net den Ar­beit­neh­mern die Möglich­keit, den Ver­trags­lohn durch Ab­gel­tung ta­rif­li­cher Son­der­zah­lun­gen (wie Ur­laubs­geld, Jah­res­leis­tung, vermögens­wirk­sa­me Leis­tun­gen so­wie den über 21 Ta­ge hin­aus­ge­hen­den Ur­laub von neun Ta­gen) in Form ei­nes Zu­schlags um 10,1 % zu erhöhen. In § 6 des Ar­beits­ver­trags sind die für die Be­klag­te gel­ten­den Ta­rif­verträge in ih­rer je­weils gülti­gen Fas­sung zum Be­stand­teil des Ar­beits­ver­trags erklärt wor­den. Der ver­trag­lich ver­ein­bar­te Lohn des Klägers ent­sprach dem Ta­rif­lohn.

In dem zwi­schen der Be­klag­ten und der Deut­schen An­ge­stell­ten Ge­werk­schaft so­wie der Ge­werk­schaft Öffent­li­che Diens­te, Trans­port und Ver­kehr (ÖTV) am 14. April 2000 ver­ein­bar­ten Vergütungs­ta­rif­ver­trag ist Fol­gen­des be­stimmt:

1 Re­gel­lohn

1.1 Der Re­gel­lohn er­gibt sich aus der Ta­rif­lis­te, die Be­stand­teil des Ta­rif­ver­tra­ges ist.

Er er­rech­net sich aus

· dem Grund­lohn

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· dem dar­aus re­sul­tie­ren­den Ein­stel­lungs-Ta­rif

· dem Zu­schlag nach 6 Mo­na­ten

· dem Zu­schlag nach 12 Mo­na­ten.

...

1.3 Der Re­gel­lohn beträgt da­mit ab dem 01.04.2000

bei

Kon­ven­tio­nell (vol­le So-

zi­al­leis­tun­gen)

Wahl­lohn­sys­tem (Tei­le

von So­zi­al­leis­tun­gen

durch So­fort-Lohn ab­ge­gol­ten)

...    

ge­werb­li­chen

Mit­ar­bei­tern

(Ab­satz­grup­pe

500)

von DM 12,57 bis 16,51 von DM 13,99 bis 18,32
...    

2 Grund­lohn

Der Grund­lohn kon­ven­tio­nell pro St­un­de beträgt ab 01.04.2000

...

· für ge­werb­li­che Hel­fer und Fach­hel­fer (Ab­satz­grup­pe 500) 11,72 DM

...

4 Lohn­dif­fe­ren­zie­run­gen

Mit Zu­stim­mung des Be­triebs­ra­tes und un­ter Be­nach­rich­ti­gung der Ta­rif­ver­trags­par­tei­en kann bei Ein­stel­lun­gen wie folgt ver­fah­ren wer­den (gilt für Zif­fern 4.1 bis 4.3):

4.1 Mit ge­werb­li­chen Hilfs­kräften kann je nach Markt­ge­ge­ben­hei­ten ein­zel­ver­trag­lich ein Ab­schlag bis ma­xi­mal 0,83 DM auf den In­di­vi­dual­lohn ver­ein­bart wer­den. Der re­du­zier­te Qua­li­fi­ka­ti­ons­grund­lohn beträgt dann min­des­tens 10,89 DM.

Ab­wei­chend von Zif­fer 5 des Ta­rif­ver­tra­ges

· erhöht sich die Zu­la­ge nach sechs Mo­na­ten Be­triebs­zu­gehörig­keit auf 0,46 DM,

· nach zwölf Mo­na­ten Be­triebs­zu­gehörig­keit erhöht sich die Zu­la­ge um 0,37 DM auf 0,83 DM pro St­un­de.


 

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Die Zu­la­gen nach Zif­fern 5.1 und 5.2 wer­den dann je­weils ein Jahr später gewährt. Nach drei und mehr Jah­ren Be­triebs­zu­gehörig­keit gel­ten die Re­ge­lun­gen nach Zif­fern 5.3, 5.4 und 5.5.

4.2 Für Mit­ar­bei­ter, die für Stand­or­te in den Bun­desländern Bran­den­burg, Sach­sen, Sach­sen-An­halt, Meck­len­burg-Vor­pom­mern und Thürin­gen ein­ge­stellt wer­den, können re­du­zier­te Ein­stiegslöhne und Zu­la­gen von bis zu ma­xi­mal 24 Pro­zent ver­ein­bart wer­den. Ab 01.04.2001 beträgt die mögli­che Re­du­zie­rung ma­xi­mal 21 Pro­zent, ab 01.04.2002 ma­xi­mal 18 Pro­zent.

...

5 Höhe der Zu­la­gen nach Be­triebs­zu­gehörig­keit

5.1 Die Zu­la­ge nach sechs Mo­na­ten Be­triebs­zu­gehörig­keit

beträgt

...

· für ge­werb­li­che Mit­ar­bei­ter (AG 400 und 500) 0,25 DM/St­un­de.

5.2 Die Zu­la­ge nach zwölf Mo­na­ten Be­triebs­zu­gehörig­keit erhöht sich

...

· für ge­werb­li­che Mit­ar­bei­ter (AG 400 und 500) um 0,60 DM auf 0,85 DM/St­un­de.

...“

Nach ei­ner Mit­tei­lung des Sta­tis­ti­schen Lan­des­am­tes B be­trug der durch­schnitt­li­che Brut­to­stun­den­ver­dienst für un­ge­lern­te Ar­bei­ter im pro­du­zie­ren­den Ge­wer­be in B im Jah­re 2000 oh­ne Berück­sich­ti­gung von Über­stun­den 23,35 DM.

Der Kläger hat die Auf­fas­sung ver­tre­ten, die ge­trof­fe­ne Lohn­ver­ein­ba­rung sei sit­ten­wid­rig. Zwi­schen dem für ihn gel­ten­den St­un­den­lohn und dem Durch­schnitts­stun­den­lohn für ver­gleich­ba­re un­ge­lern­te Ar­bei­ter in B in Höhe von 23,35 DM be­ste­he ein auffälli­ges Miss­verhält­nis. Da er als Pro­duk­ti­ons­ar­bei­ter in Be­trie­ben der Kunst­stoff­pro­duk­ti­on und -ver­ar­bei­tung ein­ge­setzt wor­den sei, sei das im pro­du­zie­ren­den Ge­wer­be übli­che Ar­beits­ent­gelt als Ver­gleichs­maßstab her­an­zu­zie­hen. Wäre er in den Ent­lei­her­un­ter­neh­men tätig ge­we­sen, hätte er 20,10 DM bzw. 18,95 DM er­hal­ten. Die Sit­ten­wid­rig­keit des ver­ein­bar­ten Lohns er­ge­be sich auch aus ei­nem Ver­s­toß ge­gen das Ab­stands­ge­bot zur So­zi­al­hil­fe, weil er ei­nen An­spruch auf So­zi­al­hil­fe in Höhe von ins­ge­samt 834,05 Eu­ro ge­habt hätte, während sich sein durch­schnitt­li­cher Net­to­lohn auf 828,44 Eu­ro be­lau­fen ha­be. Die Lohn­ver­ein­ba­rung ver­s­toße fer­ner ge­gen Art. 4 der

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Eu­ropäischen So­zi­al­char­ta (ESC), weil nach der Spruch­pra­xis des Sach­verständi­gen­aus­schus­ses der ver­ein­bar­te Lohn 68 % des na­tio­na­len durch­schnitt­li­chen Brut­to­ar­beits­ent­gelts nicht un­ter­schrei­ten dürfe. Der Kläger macht wei­ter­hin für 29 Ta­ge ei­nen Ver­pfle­gungs­mehr­auf­wand in Höhe von täglich 10,00 DM net­to gel­tend.

Der Kläger hat be­an­tragt,

die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an den Kläger 6.675,51 Eu­ro brut­to so­wie 148,27 Eu­ro net­to nebst Zin­sen in Höhe von 5 Pro­zent­punk­ten über dem Ba­sis­zins­satz in näher be­zeich­ne­ter Staf­fe­lung zu zah­len.

Die Be­klag­te hat be­an­tragt, die Kla­ge ab­zu­wei­sen. Sie hält die ge­trof­fe­ne Vergütungs­ver­ein­ba­rung für wirk­sam. Be­zugs­größe sei der bran­chenübli­che Ta­rif­lohn, den die Be­klag­te be­zahlt ha­be. Ei­ne An­spruchs­grund­la­ge für den Ver­pfle­gungs­zu­schuss be­ste­he nicht.

Die Vor­in­stan­zen ha­ben die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Mit der vom Lan­des­ar­beits­ge­richt zu­ge­las­se­nen Re­vi­si­on ver­folgt der Kläger sei­ne Zah­lungs­ansprüche wei­ter.

Ent­schei­dungs­gründe

Die zulässi­ge Re­vi­si­on ist nicht be­gründet. Der Kläger hat kei­nen An­spruch auf die be­gehr­te Vergütungs­dif­fe­renz und den Ver­pfle­gungs­zu­schuss.

I. Der Kläger kann nicht ab­wei­chend vom Ar­beits­ver­trag die übli­che Vergütung gem. § 612 Abs. 2 BGB be­an­spru­chen. Die ar­beits­ver­trag­li­che Vergütungs­ver­ein­ba­rung ist wirk­sam. Der zunächst ver­ein­bar­te St­un­den­lohn von 11,99 DM ein­sch­ließlich der WLS-Zu­la­ge in Höhe von 1,10 DM so­wie der ab 1. Mai 2001 be­zahl­te St­un­den­lohn von 12,38 DM ein­sch­ließlich der WLS-Zu­la­ge in Höhe von 1,14 DM ist nicht we­gen Lohn­wu­chers oder we­gen ei­nes wu­cherähn­li­chen Rechts­geschäfts nich­tig.

1. Die ar­beits­ver­trag­li­che Ent­gelt­ver­ein­ba­rung verstößt we­der ge­gen den straf­recht­li­chen Wu­cher­tat­be­stand des § 291 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB noch ge­gen die gu­ten Sit­ten, § 138 BGB. Ein auffälli­ges Miss­verhält­nis zwi­schen Leis­tung und Ge­gen­leis­tung, das so­wohl der spe­zi­el­le Straf­tat­be­stand als auch der zi­vil­recht­li­che Lohn­wu­cher nach § 138 Abs. 2 BGB und das wu­cherähn­li­che Rechts­geschäft nach § 138


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Abs. 1 BGB vor­aus­set­zen (Se­nat 23. Mai 2001 - 5 AZR 527/99 - EzA BGB § 138 Nr. 29; 22. März 1989 - 5 AZR 151/88 -; BGH 22. April 1997 - 1 StR 701/96 - BGHSt 43, 53), liegt nicht vor.

a) Nach der Recht­spre­chung ist bei der Prüfung, ob ein auffälli­ges Miss­verhält­nis zwi­schen Leis­tung und Ge­gen­leis­tung vor­liegt, der Wert der Leis­tung des Ar­beit­neh­mers nach ih­rem ob­jek­ti­ven Wert zu be­ur­tei­len (zu­letzt Se­nat 23. Mai 2001 - 5 AZR 527/99 - EzA BGB § 138 Nr. 29). Aus­gangs­punkt zur Fest­stel­lung des Wer­tes der Ar­beits­leis­tung sind da­bei in der Re­gel die Ta­riflöhne des je­wei­li­gen Wirt­schafts­zweigs. Dies gilt je­den­falls dann, wenn in dem Wirt­schafts­ge­biet übli­cher­wei­se der Ta­rif­lohn ge­zahlt wird. Denn dann kann grundsätz­lich da­von aus­ge­gan­gen wer­den, dass Ar­beits­kräfte auf dem Ar­beits­markt nur zu den Ta­rif­lohnsätzen ge­won­nen wer­den können. Ent­spricht der Ta­rif­lohn in­des­sen nicht der ver­kehrsübli­chen Vergütung, son­dern liegt die­se un­ter­halb des Ta­rif­lohns, ist zur Er­mitt­lung des Wer­tes der Ar­beits­leis­tung von dem all­ge­mei­nen Lohn­ni­veau im Wirt­schafts­ge­biet aus­zu­ge­hen (Se­nat 23. Mai 2001 - 5 AZR 527/99 - aaO; 11. Ja­nu­ar 1973 - 5 AZR 322/72 - AP BGB § 138 Nr. 30 = EzA BGB § 138 Nr. 10; 21. Ju­ni 2000 - 5 AZR 806/98 - AP BGB § 612 Nr. 60 = EzA BGB § 242 Gleich­be­hand­lung Nr. 83).

b) Zur Fest­stel­lung des auffälli­gen Miss­verhält­nis­ses zwi­schen Leis­tung und Ge­gen­leis­tung kann nicht auf ei­nen be­stimm­ten Ab­stand zwi­schen dem Ar­beits­ent­gelt und dem So­zi­al­hil­fe­satz ab­ge­stellt wer­den (aA ArbG Bre­men 30. Au­gust 2000 - 5 Ca 5152, 5198/00 - DB 2000, 2278; Däubler/Lak­ies TVG § 5 An­hang 1 Rn. 47 f.). Ob das vom Ar­beit­ge­ber für ei­ne be­stimm­te Tätig­keit ent­rich­te­te Ar­beits­ent­gelt in ei­nem kras­sen Miss­verhält­nis zur er­brach­ten Ar­beits­leis­tung steht, hängt vom Wert der Ar­beits­leis­tung und nicht von der Höhe mögli­cher So­zi­al­hil­fe­ansprüche ab. Die So­zi­al­hil­fe knüpft an ei­ne wirt­schaft­li­che Bedürf­nis­la­ge an. Hierfür sind ne­ben den Einkünf­ten et­wai­ge Un­ter­halts­pflich­ten, die Kos­ten für Mie­te so­wie an­de­re not­wen­di­ge Aus­ga­ben und da­mit zahl­rei­che Fak­to­ren maßge­bend, die nichts mit der kon­kre­ten Ar­beits­leis­tung zu tun ha­ben. Auch bei ei­ner St­un­den­vergütung nach den vom Kläger zum Ver­gleich her­an­ge­zo­ge­nen Ta­rif­verträgen der Ent­lei­her kann ein An­spruch auf ergänzen­de So­zi­al­hil­fe­leis­tun­gen be­ste­hen, wenn der Ar­beit­neh­mer zahl­rei­che Un­ter­halts­ver­pflich­tun­gen und ho­he Miet­kos­ten hat.

c) Eben­so we­nig kann aus den Pfändungs­gren­zen des § 850c ZPO auf ein Miss­verhält­nis zwi­schen Leis­tung und Ge­gen­leis­tung ge­schlos­sen wer­den. Die Vor-


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schrif­ten über den Pfändungs­schutz (§§ 850 ff. ZPO) be­zwe­cken den Schutz des Schuld­ners vor Kahlpfändung. Ihm wird ein Teil sei­nes Ar­beits­ein­kom­mens be­las­sen, um ihm und sei­ner Fa­mi­lie die Führung ei­nes men­schenwürdi­gen Le­bens zu ermögli­chen und ihn nicht der So­zi­al­hil­fe an­heim­fal­len zu las­sen (vgl. Zöller/Stöber ZPO § 850 Rn. 1). Beim Pfändungs­schutz blei­ben der Wert und die wert­bil­den­den Be­son­der­hei­ten der ver­trag­lich ge­schul­de­ten Ar­beits­leis­tung un­berück­sich­tigt. Des­halb er­ge­ben sich aus den in § 850c ZPO fest­ge­setz­ten Pfändungs­gren­zen kei­ne An­halts­punk­te für ein Miss­verhält­nis zwi­schen Ar­beits­leis­tung und Ar­beits­ent­gelt.

d) Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat bis­her kei­ne Richt­wer­te zur Fest­stel­lung ei­nes auffälli­gen Miss­verhält­nis­ses zwi­schen Leis­tung und Ge­gen­leis­tung ent­wi­ckelt. Der Ers­te Straf­se­nat des Bun­des­ge­richts­hofs hat dem­ge­genüber in ei­nem Fall der straf­recht­li­chen Be­ur­tei­lung des Lohn­wu­chers gem. § 302a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 StGB aF die tatrich­ter­li­che Würdi­gung des Land­ge­richts, ein auffälli­ges Miss­verhält­nis lie­ge bei ei­nem Lohn vor, der 2/3 des Ta­rif­lohns be­tra­ge, re­vi­si­ons­recht­lich ge­bil­ligt (BGH 22. April 1997 - 1 StR 701/96 - BGHSt 43, 53). Von die­sem Richt­wert ge­hen auch ei­ni­ge Ar­beits­ge­rich­te und das Schrift­tum aus (ua. LAG Ber­lin 20. Fe­bru­ar 1998 - 6 Sa 145/97 - Ar­buR 1998, 468; Rei­ne­cke NZA 2000 Bei­la­ge zu Heft 3 S. 23, 32; Pe­ter Ar­buR 1999, 289, 293). An­de­rer­seits be­jaht der Bun­des­ge­richts­hof in Zi­vil­sa­chen beim Ra­ten­kre­dit­geschäft ein auffälli­ges Miss­verhält­nis zwi­schen Leis­tung und Ge­gen­leis­tung grundsätz­lich erst dann, wenn der Ver­trags­zins rund 100 % über dem Markt­zins liegt (BGH 13. März 1990 - XI ZR 252/89 - BGHZ 110, 336; 24. März 1988 - III ZR 24/87 - WM 1988, 647, 649). Da­ne­ben kommt nach der Recht­spre­chung des Bun­des­ge­richts­hofs in Zi­vil­sa­chen auch dem ab­so­lu­ten Zins­un­ter­schied zwi­schen Markt­zins und Ver­trags­zins Be­deu­tung zu. Ei­ne Dif­fe­renz von 12 Pro­zent­punk­ten hat ei­ne ähn­li­che Richt­wert­funk­ti­on wie der re­la­ti­ve Un­ter­schied von rund 100 % (BGH 13. März 1990 - XI ZR 252/89 - aaO). Ob die­se Grundsätze ent­spre­chend auf die Prüfung des Miss­verhält­nis­ses zwi­schen Ar­beits­leis­tung und Ar­beits­ent­gelt an­zu­wen­den sind und auch wei­te­re Umstände, wie die ab­so­lu­te Höhe des je­weils ver­ein­bar­ten Ent­gelts, zu berück­sich­ti­gen sind (vgl. da­zu Ha­nau EWiR 2002, 419, 420, der in­ner­halb ei­ner Span­ne von 50 bis 70 % des übli­chen Ent­gelts die Umstände des Ein­zel­falls, wie die ab­so­lu­te Höhe der Vergütung, berück­sich­ti­gen will), be­darf in die­sem Rechts­streit kei­ner Ent­schei­dung.

2. Der zwi­schen den Par­tei­en ver­ein­bar­te Ar­beits­lohn ent­sprach dem Ta­rif­lohn des bei der Be­klag­ten gel­ten­den Haus­ta­rif­ver­trags. Die im Haus­ta­rif­ver­trag der Be­klag­ten ver­ein­bar­ten Löhne sind nicht sit­ten­wid­rig.


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a) Ob nor­ma­ti­ve Re­ge­lun­gen ei­nes Ta­rif­ver­trags am Maßstab des § 138 BGB ge­mes­sen wer­den können, ist um­strit­ten.

aa) Im Schrift­tum wird zwar oh­ne nähe­re Be­gründung an­ge­nom­men, nor­ma­ti­ve Ta­rif­re­ge­lun­gen könn­ten ge­gen § 138 BGB ver­s­toßen (vgl. Löwisch/Rieb­le TVG § 1 Rn. 219; Däubler Ta­rif­ver­trags­recht Rn. 368; Kem­pen/Za­chert TVG Grund­la­gen Rn. 206; Däubler/Schiek TVG Ein­lei­tung Rn. 323; fer­ner Wie­de­mann TVG Ein­lei­tung Rn. 363, der auf das Sit­ten­ge­bot ab­stellt). Hier­ge­gen spricht je­doch, dass nach § 138 BGB nur Rechts­geschäfte ge­gen die gu­ten Sit­ten ver­s­toßen bzw. wu­che­risch sein können. Vom Wort­laut und sei­ner sys­te­ma­ti­schen Stel­lung er­fasst § 138 BGB da­her nicht nor­ma­ti­ve Re­ge­lun­gen, wie Ge­set­ze bzw. den nor­ma­ti­ven Teil von Ta­rif­verträgen (eben­so BAG 25. März 1981 - 4 AZR 1012/78 - AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 42; sie­he auch BGH 29. Ja­nu­ar 1957 - VIII ZR 71/56 - BGHZ 23, 175, 180 ff.; aA Münch­KommBGB/May­er-Ma­ly/Arm­brüster § 138 Rn. 9).

bb) Die Fra­ge, ob Ta­rif­verträge am Maßstab des § 138 BGB über­prüft wer­den können, be­darf im vor­lie­gen­den Fall kei­ner ab­sch­ließen­den Ent­schei­dung (of­fen­ge­las­sen auch von BAG 30. No­vem­ber 1983 - 4 AZR 353/81 - BA­GE 44, 268, 278). In § 138 BGB kom­men ele­men­ta­re Ge­rech­tig­keits­an­for­de­run­gen, die der ge­sam­ten Rechts­ord­nung zu­grun­de lie­gen, zum Aus­druck (vgl. MünchArbR/Ri­char­di Bd. 1 § 14 Rn. 65; Münch­KommBGB/May­er-Ma­ly/Arm­brüster § 138 Rn. 11 ff.). Sie sind Aus­fluss der durch Art. 2 Abs. 1 GG geschütz­ten all­ge­mei­nen Hand­lungs­frei­heit (vgl. Hu­eck/ Nip­per­dey Lehr­buch des Ar­beits­rechts Band II/1 § 19 B I 8 S. 395) so­wie des So­zi­al­staats­prin­zips in Art. 20 Abs. 1 GG (vgl. da­zu BVerfG 19. Ok­to­ber 1993 - 1 BvR 567, 1044/89 - BVerfGE 89, 214). Auch Ta­rif­ab­schlüsse sind hier­an zu mes­sen, selbst wenn dies bis­lang in der Pra­xis be­deu­tungs­los war (Däubler Ta­rif­ver­trags­recht Rn. 381).

b) Bei der Prüfung, ob der bei der Be­klag­ten gel­ten­de Ta­rif­lohn ge­gen ele­men­ta­re Ge­rech­tig­keits­an­for­de­run­gen aus den Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 GG verstößt, ist un­ter Berück­sich­ti­gung der Be­son­der­hei­ten der von dem je­wei­li­gen Ta­rif­ver­trag er­fass­ten Beschäfti­gungs­be­trie­be und der dort zu ver­rich­ten­den Tätig­kei­ten fest­zu­stel­len, ob das ta­rif­li­che Ar­beits­ent­gelt für die nach dem Ta­rif­ver­trag je­weils ge­schul­de­te Ar­beits­leis­tung dem An­stands­gefühl al­ler bil­lig und ge­recht Den­ken­den wi­der­spricht (zu die­ser sog. An­stands­for­mel als Maßstab der gu­ten Sit­ten vgl. Münch-KommBGB/May­er-Ma­ly/Arm­brüster § 138 Rn. 14 ff.; Stau­din­ger/Sack BGB (2003) § 138 Rn. 13 ff.). Da­bei sind ver­fas­sungs­recht­li­che Wer­tent­schei­dun­gen zu be­ach­ten


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(vgl. Münch­KommBGB/May­er-Ma­ly/Arm­brüster § 138 Rn. 20 ff.). Je­de Über­prüfung ta­rif­ver­trag­li­cher Ar­beits­ent­gel­te hat zu berück­sich­ti­gen, dass nach Art. 9 Abs. 3 GG und - die­ses Grund­recht um­set­zend - §§ 1 und 8 des Ge­set­zes über die Fest­set­zung von Min­dest­ar­beits­be­din­gun­gen vom 11. Ja­nu­ar 1952 (BGBl. I S. 17) die Re­ge­lung von Ent­gel­ten grundsätz­lich in frei­er Ver­ein­ba­rung zwi­schen den Ta­rif­ver­trags­par­tei­en durch Ta­rif­verträge er­fol­gen soll. Den ta­rif­ver­trag­lich aus­ge­han­del­ten Löhnen und Gehältern wird da­mit von Ver­fas­sungs und Ge­set­zes we­gen ei­ne Rich­tig­keits­gewähr ein­geräumt. So­wohl das Grund­ge­setz als auch der Ge­setz­ge­ber ge­hen da­von aus, dass die in frei aus­ge­han­del­ten Ta­rif­verträgen ver­ein­bar­ten Ar­beits­ent­gel­te den Be­son­der­hei­ten der Bran­che Rech­nung tra­gen und wirk­sam sind. Auf Grund die­ser Wer­tung kann die Höhe ei­nes ta­rif­ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Ar­beits­ent­gelts nur dann von den Ge­rich­ten als sit­ten­wid­rig be­an­stan­det wer­den, wenn der Ta­rif­lohn un­ter Berück­sich­ti­gung al­ler Umstände des räum­li­chen, fach­li­chen und persönli­chen Gel­tungs­be­reichs des Ta­rif­ver­trags so­wie der im Gel­tungs­be­reich des Ta­rif­ver­trags zu ver­rich­ten­den Tätig­kei­ten ei­nen „Hun­ger­lohn“ dar­stellt.

c) Ge­mes­sen an die­sen Rechts­grundsätzen ist der dem Kläger nach dem bei der Be­klag­ten gel­ten­den Ent­gelt­ta­rif­ver­trag zu­ste­hen­de Lohn nicht zu be­an­stan­den.

aa) Ver­gleichs­maßstab sind ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Klägers nicht die bei­den Ent­lei­hern gel­ten­den Lohn­ta­rif­verträge. Maßgeb­lich ist der Ta­rif­lohn des Wirt­schafts­zweigs, in dem der Kläger beschäftigt war. Das sind hier Zeit­ar­beits­un­ter­neh­men. Die­se bil­den ei­nen ei­ge­nen Wirt­schafts­zweig, die Ar­beit­neh­merüber­las­sung. Die­ser Wirt­schafts­zweig un­ter­schei­det sich von an­de­ren Bran­chen. Zeit­ar­beits­un­ter­neh­men sind Dienst­leis­tungs­un­ter­neh­men. Sie über­las­sen die bei ih­nen an­ge­stell­ten Ar­beit­neh­mer an­de­ren Un­ter­neh­men ver­schie­dens­ter Bran­chen, da­mit sie dort Ar­beits­leis­tun­gen er­brin­gen. Ge­gen­stand des Ar­beits­verhält­nis­ses ei­nes Leih­ar­beit­neh­mers ist grundsätz­lich nicht die Tätig­keit in ei­nem bei Ver­trags­schluss be­reits be­stimm­ten Ent­lei­her­un­ter­neh­men. Der Ar­beit­neh­mer ist viel­mehr re­gelmäßig ver­pflich­tet, bei je­dem ihm zu­ge­wie­se­nen Ent­lei­her, gleich wel­cher Bran­che, die ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Tätig­kei­ten zu er­brin­gen. Der Wirt­schafts­zweig Ar­beit­neh­merüber­las­sung stellt an die Beschäftig­ten be­son­de­re, von an­de­ren Ar­beits­verhält­nis­sen ab­wei­chen­de An­for­de­run­gen. Der als Leih­ar­beit­neh­mer an­ge­stell­te Ar­beit­neh­mer muss an­ders als an­de­re Ar­beit­neh­mer be­reit sein, wech­seln­de Ar­beits­auf­ga­ben in un­ter­schied­lichs­ten Un­ter­neh­men an neu­en Ar­beits­or­ten aus­zuüben. Auf Ar­beit­ge­ber­sei­te ist das Ri­si­ko feh­len­der Ein­satzmöglich­kei­ten bei Fort­zah­lung des ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Ar­beits­ent­gelts zu


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berück­sich­ti­gen, das in die­ser Form in an­de­ren Ar­beits­verhält­nis­sen nicht be­steht. In der Leih­ar­beit wird neu­er­dings von der Ge­setz­ge­bung ein Weg ge­se­hen, ins­be­son­de­re Lang­zeit­ar­beits­lo­se, zu de­nen auch der Kläger nach zwei Jah­ren Ar­beits­lo­sig­keit gehörte, in Dau­er­ar­beits­verhält­nis­se zu ver­mit­teln. Die Zeit der Ar­beit­neh­merüber­las­sung stellt in­so­weit ei­ne Art Pro­be­zeit dar. Die­se Be­son­der­hei­ten der Ar­beit­neh­merüber­las­sung be­din­gen spe­zi­el­le ta­rif­li­che Ent­gelt­re­ge­lun­gen. Ver­gleichs­maßstab zur Er­mitt­lung ei­nes auffälli­gen Miss­verhält­nis­ses des ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Lohns ei­nes Leih­ar­beit­neh­mers zu des­sen Ar­beits­leis­tung ist da­mit der in Zeit­ar­beits­un­ter­neh­men maßgeb­li­che Ta­rif­lohn und nicht der Ta­rif­lohn, der bei dem Ent­lei­her gilt.

Für die­se Un­ter­schei­dung spricht auch das neu in das AÜG ein­geführ­te Prin­zip des „equal pay“ (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG). Da­nach ist der Ver­lei­her dann nicht ver­pflich­tet, dem Leih­ar­beit­neh­mer für die Zeit der Über­las­sung an ei­nen Ent­lei­her die im Be­trieb die­ses Ent­lei­hers für ei­nen ver­gleich­ba­ren Ar­beit­neh­mer des Ent­lei­hers gel­ten­den we­sent­li­chen Ar­beits­be­din­gun­gen ein­sch­ließlich des Ar­beits­ent­gelts zu gewähren, wenn ein Ta­rif­ver­trag ab­wei­chen­de Re­ge­lun­gen zulässt. In die­ser Be­stim­mung kommt zum Aus­druck, dass die für das Zeit­ar­beits­un­ter­neh­men gel­ten­den ta­rif­li­chen Vor­schrif­ten Vor­rang vor den beim Ent­lei­her gel­ten­den Ar­beits­be­din­gun­gen ha­ben sol­len. Die Ge­setz­ge­bung er­kennt da­mit die Be­son­der­hei­ten die­ses Wirt­schafts­zweigs an. Die Wirk­sam­keit der beim Ver­lei­her gel­ten­den Ar­beits­be­din­gun­gen rich­tet sich im Fal­le des Be­ste­hens ei­nes ent­spre­chen­den Ta­rif­ver­trags nach des­sen In­halt und nicht nach den beim Ent­lei­her gel­ten­den Be­din­gun­gen.

bb) Der Haus­ta­rif­ver­trag der Be­klag­ten trägt den Be­son­der­hei­ten von Leih­ar­beits­verhält­nis­sen Rech­nung. Dies kommt in der ra­schen Erhöhung des Ar­beits­ent­gelts nach sechs, zwölf bzw. 36 Mo­na­ten des Beschäfti­gungs­verhält­nis­ses zum Aus­druck. Da­mit wird der in die­sem Be­reich weit ver­brei­te­ten Fluk­tua­ti­on Rech­nung ge­tra­gen. Wei­ter­hin ist zu berück­sich­ti­gen, dass bei Zeit­ar­beits­un­ter­neh­men ins­be­son­de­re in den un­ters­ten Lohn­grup­pen für ein­fa­che Hilfstätig­kei­ten Ar­beit­neh­mer beschäftigt wer­den, die auf Grund ih­rer Bio­gra­fie auf dem sons­ti­gen Ar­beits­markt schlech­te Beschäfti­gungsmöglich­kei­ten ha­ben und häufig nur über die Tätig­keit bei ei­nem Zeit­ar­beit­sun-ter­neh­men die Möglich­keit er­hal­ten, in ein Ar­beits­verhält­nis beim Ent­lei­her ein­zu­tre­ten. Dies be­trifft vor­ran­gig Lang­zeit­ar­beits­lo­se.

cc) Der bei der Be­klag­ten in den Jah­ren 2000/2001 gel­ten­de Ta­rif­lohn ist Aus­druck des ob­jek­ti­ven Wer­tes der Ar­beits­leis­tung des Klägers. Zwar galt die­ser Ta­rif­lohn nicht im ge­sam­ten Wirt­schafts­zweig der Zeit­ar­beits­un­ter­neh­men. Die in dem Haus­ta­rif-


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ver­trag ver­ein­bar­ten Löhne sind je­doch bei Zeit­ar­beits­un­ter­neh­men üblich. Das ver­deut­licht der Ent­gelt­ta­rif­ver­trag Zeit­ar­beit vom 29. Mai 2003, gültig ab 1. Ja­nu­ar 2004, der für al­le im Ge­biet der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land bei Mit­glie­dern des In­ter­es­sen­ver­ban­des Deut­scher Zeit­ar­beits­un­ter­neh­men beschäftig­ten Leih­ar­beit­neh­mer gilt, die Mit­glied ei­ner der ta­rif­sch­ließen­den Ge­werk­schaf­ten (ver . di, IG BCE, NGG, IG Me­tall, GEW, IG Bau, TRANS­NET und GdP) sind. Nach die­sem Ta­rif­ver­trag gilt in der Ein­gangs­stu­fe der un­ters­ten Ent­gelt­grup­pe für Ar­beit­neh­mer, die im Ge­biet der neu­en Bun­desländer und Ber­lin ein­ge­setzt wer­den, ein Ta­rif­lohn von 6,85 Eu­ro abzüglich 13,5 %, al­so 5,93 Eu­ro (= 11,60 DM). Dem ent­spricht im We­sent­li­chen der in dem Haus­ta­rif­ver­trag der Be­klag­ten im Jah­re 2000/2001 gel­ten­de St­un­den­lohn von 10,89 DM bzw. 11,24 DM, wenn man die all­ge­mei­ne Lohn­ent­wick­lung in die­sen drei Jah­ren berück­sich­tigt. Auch der zwi­schen der Ta­rif­ge­mein­schaft Christ­li­che Ge­werk­schaf­ten Zeit­ar­beit und PSA und der Ta­rif­ge­mein­schaft Zeit­ar­beits­un­ter­neh­men im B.V.D. ab­ge­schlos­se­ne Ent­gelt­ta­rif­ver­trag-Ost vom 22. Ju­li 2003 bestätigt die Üblich­keit des bei der Be­klag­ten gel­ten­den Ta­rif­lohns. Hier­nach beträgt der Lohn in der Ein­gangs­stu­fe der un­ters­ten Lohn­grup­pe 5,52 Eu­ro (= 10,80 DM) und nach dem vier­ten bzw. sieb­ten Beschäfti­gungs­mo­nat 5,78 Eu­ro (= 11,30 DM).

dd) Der Auf­fas­sung des Klägers, dem Haus­ta­rif­ver­trag kom­me die sonst ein­geräum­te Rich­tig­keits­gewähr nicht zu, weil die Ge­werk­schaf­ten im Be­reich der Zeit­ar­beits­un­ter­neh­men den Ar­beit­ge­bern we­gen des ge­rin­ge­ren Or­ga­ni­sa­ti­ons­grads und der ho­hen Fluk­tua­ti­on struk­tu­rell un­ter­le­gen sei­en, kann nicht ge­folgt wer­den. Den Ge­werk­schaf­ten ÖTV und DAG, die den bei der Be­klag­ten gel­ten­den Haus­ta­rif­ver­trag ab­ge­schlos­sen ha­ben, ist die Ta­riffähig­keit nicht ab­zu­spre­chen. Dies will auch der Kläger nicht. Wenn sich die­se Ge­werk­schaf­ten ent­schei­den, ei­nen Ta­rif­ver­trag ab­zu­sch­ließen, kommt die­sem un­abhängig von dem in ein­zel­nen Bran­chen be­ste­hen­den Or­ga­ni­sa­ti­ons­grad ei­ne Rich­tig­keits­gewähr zu. Die Mäch­tig­keit im Ein­zel­fall ist kein taug­li­ches Dif­fe­ren­zie­rungs­kri­te­ri­um für ei­ne un­ter­schied­lich in­ten­si­ve In­halts­kon­trol­le von Ta­rif­verträgen. Der Kläger ver­kennt, dass es den Ge­werk­schaf­ten frei steht, ei­nen Ta­rif­ver­trag ab­zu­sch­ließen oder dies zu un­ter­las­sen. Der Ar­beit­ge­ber wird ei­nen sol­chen Ab­schluss nicht mit Mit­teln des Ar­beits­kampfs er­zwin­gen. Hier­in un­ter­schei­det sich die La­ge der Ge­werk­schaf­ten struk­tu­rell von der Aus­gangs­la­ge bei der In­halts­kon­trol­le von Ar­beits­verträgen.

ee) Un­ter Berück­sich­ti­gung die­ser Umstände verstößt der in dem Haus­ta­rif­ver­trag der Be­klag­ten ge­re­gel­te Ta­rif­lohn nicht ge­gen ele­men­ta­re Ge­rech­tig­keits­an­for­de­run-


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gen. Des­halb ist auch der ar­beits­ver­trag­lich ver­ein­bar­te Lohn des Klägers nicht nach § 138 BGB un­wirk­sam.

3. So­weit der Kläger in der münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Se­nat gel­tend ge­macht hat, die ver­trag­li­che Lohn­ver­ein­ba­rung sei un­wirk­sam, weil der Be­triebs­rat bei der Um­set­zung der ta­rif­li­chen Lohn­re­ge­lung nicht gem. § 87 Abs. 1 Nr. 10 Be­trVG be­tei­ligt wor­den sei, geht die­ser An­griff ins Lee­re. Es fehlt an den not­wen­di­gen tatsächli­chen Fest­stel­lun­gen des Lan­des­ar­beits­ge­richts. Es ist nicht er­sicht­lich, dass in dem Beschäfti­gungs­be­trieb der Be­klag­ten in B über­haupt ein Be­triebs­rat be­stan­den hat.

4. Ob der Ta­rif­ver­trag ge­gen Art. 4 der Eu­ropäischen So­zi­al­char­ta (ESC) vom 18. Ok­to­ber 1961 (BGBl. II 1964 S. 1262) verstößt, kann letzt­lich da­hin­ste­hen. Um die wirk­sa­me Ausübung des Rechts auf ein ge­rech­tes Ar­beits­ent­gelt zu gewähr­leis­ten, ver­pflich­ten sich in die­ser Re­ge­lung die Ver­trags­par­tei­en, das Recht der Ar­beit­neh­mer auf ein Ar­beits­ent­gelt an­zu­er­ken­nen, wel­ches aus­reicht, um ih­nen und ih­ren Fa­mi­li­en ei­nen an­ge­mes­se­nen Le­bens­stan­dard zu si­chern. Un­abhängig da­von, wie das Ar­beits­ent­gelt zu be­mes­sen ist, das den Ar­beit­neh­mern und ih­ren Fa­mi­li­en ei­nen an­ge­mes­se­nen Le­bens­stan­dard si­chern soll, kommt Art. 4 ESC für die in den Mit­gliedsländern täti­gen Ar­beit­neh­mer kein ver­bind­li­cher Rechtscha­rak­ter zu. Die­se Vor­schrift hat kei­ne un­mit­tel­ba­re Wir­kung für den ein­zel­nen Bürger (MünchArbR/Birk Bd. 1 § 17 Rn. 98; Ha­nau/St­ein­mey­er/Wank Hand­buch des eu­ropäischen Ar­beits- und So­zi­al­rechts § 36 Rn. 24; Krim­p­ho­ve Eu­ropäisches Ar­beits­recht Rn. 45). Ein Ver­s­toß ge­gen die Eu­ropäische So­zi­al­char­ta kann da­mit ei­nen An­spruch des Klägers auf Vergütung nach § 612 Abs. 1 BGB nicht be­gründen.

II. Der Kläger hat kei­nen An­spruch auf Zah­lung ei­nes Ver­pfle­gungs­zu­schus­ses für 29 Ta­ge in Höhe von täglich 10,00 DM. Ein sol­cher An­spruch er­gibt sich we­der aus ei­ner ver­trag­li­chen Ver­ein­ba­rung noch aus § 670 BGB. Der Kläger hat für die Kos­ten der Ver­pfle­gung grundsätz­lich selbst auf­zu­kom­men. Die steu­er­recht­li­che Be­hand­lung ei­nes mögli­cher­wei­se be­ste­hen­den Ver­pfle­gungs­mehr­auf­wands be­gründet kei­nen ar­beits­recht­li­chen An­spruch. Al­lein dar­aus, dass die Be­klag­te dem Kläger für die Zeit sei­ner Beschäfti­gung in ei­nem an­de­ren Un­ter­neh­men ei­nen Ver­pfle­gungs­zu­schuss ge­leis­tet hat, kann ein ent­spre­chen­der An­spruch nicht her­ge­lei­tet wer­den. Der Kläger hat kei­ne An­halts­punk­te dafür auf­ge­zeigt, dass sich die Be­klag­te durch die Zah­lung ei­nes Ver­pfle­gungs­zu­schus­ses während sei­ner Tätig­keit in dem an­de­ren Un­ter­neh­men


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da­hin bin­den woll­te, auch bei al­len sons­ti­gen Ar­beitseinsätzen die­sen Ver­pfle­gungs­zu­schuss zu leis­ten.

III. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kos­ten der Re­vi­si­on zu tra­gen.

Müller-Glöge Mi­kosch Linck

W. Hin­richs Feld­mei­er

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