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ARBEITSRECHT AKTUELL // 16/209

Ar­beits­zeit­ver­kür­zung kann Dis­kri­mi­nie­rung we­gen des Al­ters sein

Ei­ne nur vom Al­ter ab­hän­gi­ge Ver­kür­zung der Wo­chen­ar­beits­zeit bei vol­lem Lohn­aus­gleich ab 40 bzw. ab 50 Jah­ren ist al­ters­dis­kri­mi­nie­rend: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 22.10.2015, 8 AZR 168/14
Rentnerpaar auf Parkbank

01.07.2016. Ha­ben "äl­te­re" Ar­beit­neh­mer ein me­di­zi­nisch bzw. phy­sisch be­grün­de­tes grö­ße­res Be­dürf­nis nach Ru­he- und Er­ho­lung als ih­re jün­ge­ren Kol­le­gen?

Und falls ja, ab wel­chem Le­bens­al­ter wä­re ein sol­ches Be­dürf­nis ein Recht­fer­ti­gungs­grund, Ar­beit­neh­mern bei vol­lem Lohn­aus­gleich ei­ne Ver­rin­ge­rung ih­rer Ar­beits­zeit zu­zu­ge­ste­hen?

In ei­nem ak­tu­el­len Fall hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) ent­schie­den, dass ei­ne nur vom Le­bens­al­ter ab­hän­gi­ge Ver­kür­zung der Wo­chen­ar­beits­zeit ab 40 bzw. 50 Jah­ren bei vol­lem Lo­h­aus­gleich ei­ne Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung jün­ge­rer Ar­beit­neh­mer ist: BAG, Ur­teil vom 22.10.2015, 8 AZR 168/14.

Wer­den jünge­re Ar­beit­neh­mer durch ei­ne al­ters­abhängi­ge Verkürzung der Ar­beits­zeit dis­kri­mi­niert?

Nach § 7 Abs.1 All­ge­mei­nes Gleich­be­hand­lungs­ge­setz (AGG) dürfen Ar­beit­neh­mer nicht we­gen ih­res Al­ters ge­genüber ver­gleich­ba­ren Kol­le­gen be­nach­tei­ligt wer­den. Al­ler­dings kann ei­ne vom Al­ter abhängi­ge un­ter­schied­li­che Be­hand­lung in Aus­nah­mefällen gemäß § 10 Satz 1 AGG ge­recht­fer­tigt sein. Da­zu müss­te die al­ters­abhängi­ge Un­gleich­be­hand­lung "ob­jek­tiv und an­ge­mes­sen" sein und sie müss­te durch ein "le­gi­ti­mes Ziel" ge­recht­fer­tigt sein.

Tra­di­tio­nell ent­hal­ten vie­le Ta­rif­verträge und Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen Re­ge­lun­gen zum The­ma Ur­laub oder Ar­beits­zeit, die "älte­re" Ar­beit­neh­mer bes­ser­stel­len.

Das ist je­den­falls dann rech­tens bzw. kei­ne Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung der schlech­ter ge­stell­ten jünge­ren Ar­beit­neh­mer, wenn die Grup­pe der begüns­tig­ten "älte­ren" Ar­beit­neh­mer über­schau­bar ist, d.h. die Ar­beit­neh­mer ab 60 Jah­ren oder ab "En­de 50" be­triff. So hat das BAG 2014 ent­schie­den, dass zwei Ta­ge mehr Ur­laub für Ar­beit­neh­mer ab 58 Jah­ren kei­ne Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung jünge­rer Ar­beit­neh­mer sind (BAG, Ur­teil vom 21.10.2014, 9 AZR 956/12, wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 14/357 Mehr Ur­laubs­ta­ge für älte­re Ar­beit­neh­mer).

Frag­lich ist al­ler­dings, ob das Ar­gu­ment, man wol­le "älte­re" Ar­beit­neh­mer durch ei­ne Ar­beits­zeit­ver­rin­ge­rung bei vol­lem Lohn­aus­glei­che schützen, auch dann über­zeu­gend ist, wenn man be­reits mit 40 bzw. 50 Jah­ren zu der "geschütz­ten" Grup­pe gehört.

Ver­wal­tungs­an­ge­stell­te der Ge­werk­schaft ver.di klagt mit En­de 40 auf An­pas­sung ih­res Ge­halts ent­spre­chend den Ar­beits­zeit- und Ge­halts­re­geln, die ab 50 Jah­ren gel­ten

Im Streit­fall ver­klag­te ei­ne Teil­zeit-Ver­wal­tungs­an­ge­stell­te der Ge­werk­schaft ver.di mit ei­ner Wo­chen­ar­beits­zeit von 28,5 St­un­den ih­ren Ar­beit­ge­ber, die ver.di, auf ei­ne Lohn­nach­zah­lung von mo­nat­lich 104,00 EUR brut­to. Strei­tig war die Zeit von Ok­to­ber 2011 bis Mai 2013. In die­sem Zeit­raum war die An­ge­stell­te zwi­schen 47 und 49 Jah­re alt, ver­lang­te aber die Vergütung, die die ver.di den Ar­beit­neh­mer ab Al­ter 50 zahl­te.

Da­bei be­rief sie sich auf ei­ne Ge­samt­be­triebs­ver­ein­ba­rung „All­ge­mei­ne Ar­beits­be­din­gun­gen“ (AAB), der zu­fol­ge die voll­zei­tig täti­gen Ar­beit­neh­mer der ver.di

  • bis zum Al­ter von 39 Jah­ren 38 St­un­den pro Wo­che,
  • ab 40 Jah­ren nur 36,5 St­un­den pro Wo­che und
  • ab 50 Jah­ren nur 35 St­un­den pro Wo­che ar­bei­ten muss­ten.

Da die An­ge­stell­te eh nur 28,5 St­un­den ar­bei­ten muss­te, wähl­te sie ab ih­rem 40. Ge­burts­tag die an­tei­li­ge Loh­nerhöhung, die ver.di Teil­zeit­kräften gewähr­te, da­mit auch sie in den Ge­nuss der Ar­beits­zeit­verkürzung gemäß den AAB kom­men konn­ten. Da­bei leg­te die ver.di die Voll­zeit­ar­beit für die 40 bis 49jähri­gen Ar­beit­neh­mer zu­grun­de, d.h. ei­ne Wo­chen­ar­beits­zeit von 36,5 St­un­den, und zahl­te der An­ge­stell­ten an­tei­lig 2.426,74 EUR brut­to.

Die An­ge­stell­te woll­te aber be­reits vor ih­rem 50. Ge­burts­tag ei­ne Lohn­an­pas­sung auf der Grund­la­ge der Voll­zeit­ar­beits­zeit von 35 St­un­den, wie sie nach den AAB erst ab 50 Jah­ren galt. Ihr Ar­gu­ment: Die Bes­ser­stel­lung der Kol­le­gen ab 50 Jah­ren sei al­ters­dis­kri­mi­nie­rend.

Da­mit hat­te sie vor dem Ar­beits­ge­richt Her­ford (Ur­teil vom 18.06.2013, 1 Ca 1445/13) und in der Be­ru­fung vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Hamm über­wie­gend Er­folg (LAG Hamm, Ur­teil vom 30.01.2014, 8 Sa 942/13). Bei­de Ge­rich­te be­wer­te­ten die Bes­ser­stel­lung der Ar­beit­neh­mer ab 50 Jah­ren als Dis­kri­mi­nie­rung zu­las­ten der jünge­ren. Al­ler­dings hat­te die An­ge­stell­te die ver.di erst­mals mit Schrei­ben vom April 2012 zur Zah­lung auf­ge­for­dert, so dass die Ansprüche für die Mo­na­te von Ok­to­ber 2011 bis Ja­nu­ar 2012 we­gen der zwei­mo­na­ti­gen Aus­schluss­frist des § 15 Abs.4 Satz 1 AGG ver­fal­len wa­ren.

BAG: Ei­ne nur vom Al­ter abhängi­ge Verkürzung der Wo­chen­ar­beits­zeit bei vol­lem Lohn­aus­gleich ab 40 und ab 50 Jah­ren ist al­ters­dis­kri­mi­nie­rend

Auch in Er­furt hat­te die ver.di-An­ge­stell­te Er­folg, und zwar in vol­lem Um­fang. Das BAG sprach ihr nämlich auch die Lohn­dif­fe­renz für die Zeit für Ok­to­ber 2011 bis Ja­nu­ar 2012 zu.

Wie die Vor­in­stan­zen war das BAG der Mei­nung, dass ei­ne all­ge­mei­ne Ver­rin­ge­rung der Wo­chen­ar­beits­zeit bei vol­lem Lohn­aus­gleich nicht pau­schal so große Grup­pen begüns­ti­gen kann wie al­le Ar­beit­neh­mer ab 50 (oder gar ab 40 Jah­ren).

Denn ei­ne so er­heb­li­che Pri­vi­le­gie­rung we­gen des Al­ters ist gemäß § 10 Satz 1 AGG nur in Aus­nah­mefällen zulässig, d.h. un­ter en­gen Vor­aus­set­zun­gen, die hier nicht vor­la­gen. Da­zu hätte ver.di kon­kre­te Tat­sa­chen bzw. wis­sen­schaft­li­che Un­ter­su­chun­gen zum erhöhten Er­ho­lungs­bedürf­nis der über 40jähri­gen bzw. der über 50jähri­gen vor­tra­gen müssen.

Den An­spruch der Kläge­rin lei­te­ten die Er­fur­ter Rich­ter nicht aus dem Scha­dens­er­satz-Pa­ra­gra­phen des AGG (§ 15 AGG) her, son­dern aus § 4 Abs.2 Satz 1 Teil­zeit- und Be­fris­tungs­ge­setz (Tz­B­fG). Da­nach dürfen Teil­zeit­kräfte nicht schlech­ter als Voll­zeit­kräfte be­han­delt wer­den. Und da Voll­zeit­kräfte be­reits im Al­ter zwi­schen 40 und 49 An­spruch auf ei­ne Ar­beits­zeit von 35 St­un­den hat­ten (denn die Bes­ser­stel­lung der Ar­beit­neh­mer ab 50 war dis­kri­mi­nie­rend, so dass auch die jünge­ren schon ei­ne 35-St­un­den-Wo­che ver­lan­gen konn­ten), konn­te sich die Kläge­rin auf § 4 Tz­B­fG be­ru­fen, denn die ver.di ver­wei­ger­te ihr die vol­le zeit­an­tei­li­ge Be­zah­lung auf der Grund­la­ge des St­un­den­lohns, der sich aus ei­ner 35-St­un­den-Wo­che er­rech­ne­te.

Kri­tisch ist an­zu­mer­ken, dass die Her­lei­tung des An­spruchs der Kläge­rin aus § 4 Tz­B­fG ziem­lich geküns­telt wirkt und of­fen­bar dem "Zweck" dient, die Aus­schluss­frist des § 15 Abs.4 AGG aus­zu­he­beln. Es fragt sich auch, wor­auf sich ver­gleich­ba­re Voll­zeit­ar­beit­neh­mer der ver.di be­ru­fen soll­ten, denn § 4 Tz­B­fG gilt ja nur für Teil­zeit­kräfte. Hier­zu enthält das BAG-Ur­teil nur die (nicht be­gründe­te) Be­haup­tung, auch Voll­zeit­kräfte bräuch­ten sich nicht auf den Scha­dens­er­satz­an­spruch des § 15 Abs.1, 2 AGG zu be­ru­fen und würden da­her nicht (durch die zwei­mo­na­ti­ge Aus­schluss­frist des § 15 Abs.4 AGG) schlech­ter ge­stellt als die hier kla­gen­de Teil­zeit­kraft (Ur­teil, S.27 oben).

Fa­zit: Das Ar­gu­ment der nach­las­sen­den Leis­tungsfähig­keit zieht bei al­ters­abhängi­gen Ar­beits­zeit­verkürzun­gen oder bei zusätz­li­chen Ur­laubs­ta­gen erst ab En­de 50, frühes­tens viel­leicht ab Mit­te 50. Wer be­reits den 50jähri­gen Ar­beit­neh­mern mehr Ur­laubs­ta­ge oder ei­ne verkürz­te Wo­chen­ar­beits­zeit zu­gu­te kom­men las­sen möch­te, be­geht da­mit ei­ne ver­bo­te­ne Al­ters­dis­kri­mi­nie­rung zu­las­ten ver­gleich­ba­rer jünge­rer Ar­beit­neh­mer.

Das wird teu­er, denn die dis­kri­mi­nier­ten Ar­beit­neh­mer können nach dem Prin­zip der An­glei­chung nach oben die Vergüns­ti­gun­gen be­an­spru­chen, die die al­ters­dis­kri­mi­nie­ren­den Re­ge­lun­gen den Älte­ren vor­be­hal­ten soll.

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Letzte Überarbeitung: 2. November 2020

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