HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

LAG Nie­der­sach­sen, Ur­teil vom 01.11.2012, 4 Sa 1528/11

   
Schlagworte: Betriebsübergang, Öffentlicher Dienst, Jobcenter
   
Gericht: Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Aktenzeichen: 4 Sa 1528/11
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 01.11.2012
   
Leitsätze:
Vorinstanzen: Arbeitsgericht Göttingen - 4 Ca 210/11 Ö
   

LAN­DES­AR­BEITS­GERICHT

NIE­DERSACHSEN

Verkündet am:
01.11.2012


Ge­richts­an­ge­stell­te
als Ur­kunds­be­am­tin
der Geschäfts­stel­le

IM NA­MEN DES VOL­KES

UR­TEIL


4 Sa 1528/11


4 Ca 210/11 Ö ArbG Göttin­gen


In dem Rechts­streit

Be­klag­te und Be­ru­fungskläge­rin,

Pro­zess­be­vollmäch­tig­ter:

ge­gen

Kläger und Be­ru­fungs­be­klag­ter,

Pro­zess­be­vollmäch­tig­te:

hat die 4. Kam­mer des Lan­des­ar­beits­ge­richts Nie­der­sach­sen auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 1. No­vem­ber 2012 durch


die Vor­sit­zen­de Rich­te­rin am Lan­des­ar­beits­ge­richt Krönig,
den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Herrn Fre­richs,
die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Frau Janßen

für Recht er­kannt:


Auf die Be­ru­fung der Be­klag­ten wird das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Göttin­gen vom 28.09.2011 – 4 Ca 210/11 Ö – ab­geändert.

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Die Kla­ge wird ab­ge­wie­sen.


Der Kläger trägt die Kos­ten des Rechts­streits.

Die Re­vi­si­on wird zu­ge­las­sen.

T a t b e s t a n d

Die Par­tei­en strei­ten über die Wirk­sam­keit ei­ner or­dent­li­chen Kündi­gung vom 14. Ju­ni 2011 zum 30. Ju­ni 2011.

Der am 00.00.1957 ge­bo­re­ne, ver­hei­ra­te­te, ei­nem Kind zum ge­setz­li­chen Un­ter­halt ver­pflich­te­te Kläger trat auf der Grund­la­ge ei­nes schrift­li­chen Ar­beits­ver­tra­ges vom 30. Au­gust 2010 mit Wir­kung vom 1. Ja­nu­ar 2011 als voll­beschäftig­ter Fall­ma­na­ger im SGB II - Be­reich in die Diens­te der be­klag­ten Stadt. Das Ar­beits­verhält­nis be­stimmt sich nach der durch­ge­schrie­be­nen Fas­sung des Ta­rif­ver­tra­ges für den öffent­li­chen Dienst (TVöD) und den die­sen ergänzen­den, ändern­den oder er­set­zen­den Ta­rif­verträgen in der für den Be­reich der kom­mu­na­len Ar­beit­ge­ber­verbände (VKA) je­weils gel­ten­den Fas­sung.

In der Zeit vom 1. März 2005 bis zum 31. De­zem­ber 2010 war der Kläger auf­grund be­fris-te­ter Ar­beits­verträge als Ar­beits­ver­mitt­ler bei der Beschäfti­gungsförde­rung A-Stadt, ei­ner kom­mu­na­len An­stalt öffent­li­chen Rechts, beschäftigt. Aus­weis­lich der Stel­len­be­schrei­bung vom 27. Fe­bru­ar 2006 war der Kläger zu 90 % mit fol­gen­den Tätig­kei­ten be­fasst:

Be­ra­tung und In­te­gra­ti­on der Ar­beit­neh­mer­kun­den:

Zu­ord­nung der Ar­beit­neh­mer­kun­den nach ei­nem Pro­filing zu ei­ner Be­darfs­grup­pe und Hand­lungs­pro­gram­men.

Persönli­cher An­sprech­part­ner nach § 14 SGB II:

Mit­wir­kungs­pflich­ten in­for­mie­ren und aufklären,

Ab­schluss der Ein­glie­de­rungs­ver­ein­ba­rung nach § 15 SGB II für die Be­darfs­grup­pen 2 und 3.

Pla­nung und Ein­satz der rich­ti­gen und pas­sen­den Förder­leis­tun­gen und Be­ach­tung der Grundsätze von Wirt­schaft­lich­keit und Spar­sam­keit nach § 16 und § 29 SGB II; Steue­rung der Ein­glie­de­rungs­leis­tun­gen, gg­fls. Ein­lei­tung von Sank­tio­nen

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Stel­len­ak­qui­si­ti­on und Ver­mitt­lung, Be­ra­tung der Ar­beit­ge­ber­kun­den

Zu­sam­men­ar­beit und Ko­ope­ra­tio­nen im Netz­werk

Bei der Beschäfti­gungsförde­rung wur­de die Auf­ga­be der Ar­beits­ver­mitt­lung durch drei Ab­tei­lun­gen (Ab­tei­lung 3: Ar­beits­ver­mitt­lung Ju­gend; Ab­tei­lung 4: Ar­beits­ver­mitt­lung 25+; Ab­tei­lung 5: Ar­beits­ver­mitt­lung 50+ und Exis­tenz­gründung) wahr­ge­nom­men. In­ner­halb der Ab­tei­lun­gen gab es noch ei­ne Bin­nen­dif­fe­ren­zie­rung, die sich in der Ab­tei­lung 4 ins­be­son­de­re auf Be­rufs­grup­pen (Team 1 (Han­del, Ver­wal­tung, Er­zie­hung, Künst­ler und La­bor); Team 2 (Ge­werb­li­che, Tech­ni­sche und In­for­ma­ti­ons­be­ru­fe); Team 3 (Ge­sund­heit, Rei­ni­gung, Ernährung, Trans­port und Si­cher­heit); Team 4 (Fall­ma­nage­ment für be­son­de­re Ziel­grup­pen) be­zog. Die Er­tei­lung von Leis­tungs­be­schei­den im Rah­men der ak­ti­ven Ar­beits­ver­mitt­lung er­folg­te durch die Ab­tei­lung 2.4 (Zen­tra­le Diens­te; Ein­glie­de­rungs­ti­tel und Recht).

Den Ar­beits­verträgen des Klägers mit der Beschäfti­gungsförde­rung A-Stadt und der be-klag­ten Stadt lie­gen die fol­gen­den ge­setz­li­chen und ver­trag­li­chen Be­stim­mun­gen zu­grun­de:

Auf­grund der Ver­ord­nung zur Zu­las­sung von kom­mu­na­len Trägern als Träger der Grund-si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de vom 24. Sep­tem­ber 2004 war der Land­kreis A-Stadt – zunächst be­fris­tet für die Zeit vom 1. Ja­nu­ar 2005 bis 31. De­zem­ber 2010 – als Träger der Leis­tung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Zwei­ten Bu­ches So­zi­al­ge­setz­buch (SGB II) zu­ge­las­sen. Die be­klag­te Stadt nahm als dem Land­kreis A-Stadt zu­gehöri­ge Ge­mein­de auf­grund der zwi­schen ihr und dem Land­kreis ge­schlos­se­nen Her­an­zie­hungs­ver­ein­ba­rung vom 22. De­zem­ber 2004 gem. § 6 Abs. 2 SGB II die Durchführung be­stimm­ter Auf­ga­ben nach dem SGB II wahr. Hier­zu zähl­ten nach § 1 der Her­an­zie­hungs­ver­ein­ba­rung die Ar­beits­ver­mitt­lung, das Fall­ma­nage­ment, die Un­ter­hal­tung ei­nes Ju­gendbüros und die Be­wirt­schaf­tung von In­te­gra­ti­ons­mit­teln für die Leis­tungs­be­rech­tig­ten mit Woh­nung in der Stadt A-Stadt. Die Be­klag­te über­trug die Auf­ga­ben Ar­beits­ver­mitt­lung, Fall­ma­nage­ment, Ju­gendbüro (mit Pro Ak­tiv Cen­ter Pace) so­wie die Be­wirt­schaf­tung von Mit­teln für die In-te­gra­ti­ons­leis­tun­gen be­fris­tet bis zum 31. De­zem­ber 2010 an die Beschäfti­gungsförde­rung A-Stadt.

Mit Schrei­ben vom 1. Ju­li 2010 teil­te der Vor­stand der Beschäfti­gungsförde­rung A-Stadt dem Kläger mit, we­gen des Über­gangs der Wahr­neh­mung der Auf­ga­ben nach dem

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SGB II auf die be­klag­te Stadt mit Wir­kung zum 1. Ja­nu­ar 2011 wer­de er kei­ne Ent­fris­tun­gen von be­fris­tet ab­ge­schlos­se­nen Ar­beits­verträgen mehr vor­neh­men.


Seit dem 1. Ja­nu­ar 2011 ist das Op­ti­ons­mo­dell ent­fris­tet, der Land­kreis A-Stadt be­sitzt un­be­fris­tet die al­lei­ni­ge Träger­schaft der Leis­tun­gen nach dem So­zi­al­ge­setz­buch II. Die seit dem 1. Ja­nu­ar 2011 gülti­ge Her­an­zie­hungs­ver­ein­ba­rung zwi­schen dem Land­kreis
A-Stadt und der be­klag­ten Stadt sieht ei­ne Auf­ga­benüber­tra­gung an Drit­te nicht mehr vor. Bei der Be­klag­ten wird die Auf­ga­be der Ar­beits­ver­mitt­lung im Fach­be­reich So­zia­les in ins­ge­samt sie­ben von elf Fach­diens­ten (Fach­dienst 50.5 bis 50.11) wahr­ge­nom­men. Kurz zu­sam­men­ge­fasst sind im Fach­dienst 50.10 an­ge­sie­delt die Be­treu­ung „U 25“, im Fach­dienst 50.11 „50 +“ und „Ü 50“ so­wie im Fach­dienst 50.6 „Ü 50“. In den Fach­diens­ten 50.5, 50.7, 50.8 und 50.9 er­folgt die Be­treu­ung oh­ne Un­ter­schei­dung nach Be­rufs­grup­pen von „Ü 25 bis Ü 50“.

Im Ver­lau­fe des 2. Halb­jah­res 2010 schloss die Be­klag­te mit meh­re­ren zu­vor bei der Beschäfti­gungsförde­rung beschäftig­ten Ar­beits­ver­mitt­lern neue Ar­beits­verträge.

Mit Schrei­ben vom 14. Ju­ni 2011 kündig­te die Be­klag­te das Ar­beits­verhält­nis un­ter Be­ru­fung auf die ver­ein­bar­te Pro­be­zeit or­dent­lich zum 30. Ju­ni 2011. Der zu­vor mit Schrei­ben vom 24. Mai 2011 um Her­stel­lung des Be­neh­mens ge­be­te­ne Ge­samt­per­so­nal­rat hat­te mit Schrei­ben vom 7. Ju­ni 2011 gerügt, nicht aus­rei­chend über die Kündi­gungs­gründe in­for-miert wor­den zu sein.

Das Ar­beits­ge­richt hat der Kla­ge durch Ur­teil vom 28.09.2011 statt­ge­ge­ben. Zur Be­gründung hat es aus­geführt, dass die War­te­zeit des § 1 Abs. 1 KSchG auf­grund ei­nes Be­triebs­teilüber­g­an­ges erfüllt sei und die Kündi­gung da­her dem An­wen­dungs­be­reich des Kündi­gungs­schutz­ge­set­zes un­ter­lie­ge.

Ge­gen das ihr am 13. Ok­to­ber 2011 zu­ge­stell­te Ur­teil hat die Be­klag­te am 1. No­vem­ber 2011 Be­ru­fung ein­ge­legt und sie nach Verlänge­rung der Be­gründungs­frist am 5. Ja­nu­ar 2012 be­gründet.

Die Be­klag­te macht gel­tend, die an­ge­foch­te­ne Ent­schei­dung be­ru­he auf der An­nah­me, dass es sich bei den in den Ab­tei­lun­gen 3, 4 und 5 der Beschäfti­gungsförde­rung mit der Auf­ga­be der ak­ti­ven Ar­beits­ver­mitt­lung nach dem SGB II be­fass­ten Mit­ar­bei­tern um ei­nen selbstständi­gen Be­triebs­teil i.S.d. § 613a BGB han­de­le. Die Leis­tun­gen der ak­ti­ven Ar­beits­ver­mitt­lung nach dem SGB II sei­en bei der Beschäfti­gungsförde­rung we­der von der Ab­tei­lung 4, der der Kläger zu­ge­ord­net ge­we­sen sei, noch von den Ab­tei­lun­gen 3, 4 und 5

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zu­sam­men oder de­ren Un­ter­ab­tei­lun­gen al­lein ver­ant­wort­lich und selbstständig er­bracht wor­den. Viel­mehr ha­be es ei­nes ab­tei­lungsüberg­rei­fen­den Zu­sam­men­wir­kens mit der Un­ter­ab­tei­lung 2.4 be­durft. Es sei nicht Auf­ga­be des Klägers ge­we­sen, die im Rah­men der ak­ti­ven Ar­beits­ver­mitt­lung er­for­der­li­chen außen­wirk­sa­men Be­schei­de zu er­tei­len. Eben­so we­nig ha­be der Kläger ei­ne Zahl­bar­ma­chung von Leis­tun­gen nach dem SGB II vor­ge­nom­men. Die­se zur Ar­beits­ver­mitt­lung nach dem SGB II zu­gehöri­gen Tätig­kei­ten sei­en bei der Beschäfti­gungsförde­rung viel­mehr von den Beschäftig­ten der Un­ter­ab­tei­lung 2.4 der Ab­tei­lung 2 durch­geführt wor­den. Der Ab­tei­lung 2.4 (Ein­glie­de­rungs­ti­tel nach SGB II und Recht) hätten zum 24. De­zem­ber 2010 neun Beschäftig­te an­gehört.

Die Ab­tei­lun­gen 3, 4 und 5 könn­ten des­halb nicht als selbstständi­ge und über­tra­gungsfähi­ge Be­triebs­tei­le i.S.d. § 613a BGB qua­li­fi­ziert wer­den, weil iso­liert mit den in die­sen Ab­tei­lun­gen Beschäftig­ten kein Teil­zweck in­ner­halb des be­trieb­li­chen Ge­samt­zwecks ver­folgt wor­den sei.

Die Be­klag­te be­an­tragt,

das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Göttin­gen vom 28. Sep­tem­ber 2011 – 4 Ca 210/11 Ö ab­zuändern und die Kla­ge ab­zu­wei­sen.

Der Kläger be­an­tragt,

die Be­ru­fung zurück­zu­wei­sen.

Der Kläger ver­tei­digt das an­ge­foch­te­ne Ur­teil als zu­tref­fend nach Maßga­be sei­ner Be­ru­fungs­er­wi­de­rung vom 9. März 2012.

We­gen der wei­te­ren Ein­zel­hei­ten des bei­der­sei­ti­gen Par­tei­vor­brin­gens wird auf den vor­ge­tra­ge­nen In­halt der zu den Ak­ten ge­reich­ten Schriftsätze und de­ren An­la­gen ver­wie­sen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I. Die Be­ru­fung der Be­klag­ten ist zulässig. Sie ist statt­haft so­wie form- und frist­ge­recht ein­ge­legt und be­gründet wor­den.

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II. Die Be­ru­fung ist be­gründet. Das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en ist durch die Kündi­gung der Be­klag­ten vom 14. Ju­ni 2011 frist­ge­recht zum 30. Ju­ni 2011 auf­gelöst wor­den.

1. Die Kündi­gung ist nicht gem. § 1 KSchG un­wirk­sam. Das Ar­beits­verhält­nis der Par­tei­en un­terfällt nicht dem An­wen­dungs­be­reich des Kündi­gungs­schutz­ge­set­zes.


Nach § 1 Abs. 1 KSchG ver­langt das Kündi­gungs­schutz­ge­setz für den Ein­tritt des all­ge­mei­nen Kündi­gungs­schut­zes ein Be­ste­hen des Ar­beits­verhält­nis­ses in dem­sel­ben Be­trieb oder Un­ter­neh­men von länger als sechs Mo­na­ten. Der Kläger war zum Zeit­punkt des Zu­gangs der Kündi­gung am 14. Ju­ni 2011 nicht länger als sechs Mo­na­te bei der Be­klag­ten beschäftigt. Die Beschäfti­gungs­zeit bei der Beschäfti­gungsförde­rung A-Stadt ist nicht zu berück­sich­ti­gen, weil die Iden­tität des Be­triebs oder Be­triebs­teils nicht ge­wahrt ist. Bei ei­nem Be­triebs­in­ha­ber­wech­sel sind die beim Be­triebs­veräußerer zurück­ge­leg­ten Beschäfti­gungs­zei­ten bei der Be­rech­nung der War­te­zeit zwar nach § 1 Abs. 1 KSchG für ei­ne vom Be­triebsüber­neh­mer aus­ge­spro­che­ne Kündi­gung zu berück­sich­ti­gen (BAG 27. Ju­ni 2002 – 2 AZR 270/01 – AP § 1 KSchG War­te­zeit Nr. 15). Nur ein sol­ches Verständ­nis ent­spricht auch dem Schutz­zweck des § 613 a Abs. 1 BGB und der Richt­li­nie 77/187 EWG zur An­glei­chung der Rechts­vor­schrif­ten der Mit­glied­staa­ten über die Wah­rung von Ansprüchen der Ar­beit­neh­mer beim Über­gang von Un­ter­neh­men, Be­trie­ben oder Be­triebs­tei­len bzw. de­ren Ergänzung durch die Richt­li­ni­en EG 98/50 und 2001/23/EG. Da­nach soll den Ar­beit­neh­mern bei ei­nem Wech­sel des In­ha­bers ei­nes Be­triebs oder Un­ter­neh­mens die Wah­rung ih­rer Rech­te gewähr­leis­tet blei­ben. Die ge­setz­li­chen Re­ge­lun­gen gewähren ei­nen In­halts­schutz und wol­len ins­be­son­de­re ver­hin­dern, dass ei­ne Be­triebs­veräußerung zum An­lass ei­nes Ab­baus der er­wor­be­nen Be­sitzstände der Ar­beit­neh­mer ge­nom­men wird. Der Be­triebsüber­neh­mer ist auf Grund des Be­triebsüber­gangs so zu be­han­deln, als würden die ar­beits­recht­li­chen Be­zie­hun­gen des Ar­beit­neh­mers zum Be­triebs­veräußerer wei­ter­hin be­ste­hen. Dem­ent­spre­chend sind bei ei­nem Be­triebs­in­ha­ber­wech­sel die Beschäfti­gungs­zei­ten zu­sam­men­zu­rech­nen (BAG 27. Ju­ni 2002 – a.a.O.)

2. Die War­te­zeit des § 1 Abs. 1 KSchG ist nicht erfüllt, weil die Be­klag­te kei­nen Be­triebs­teil von der Beschäfti­gungsförde­rung durch Rechts­geschäft über­nom­men hat, wel­chem der Kläger zu­zu­ord­nen war.

a. Ein Be­triebsüber­gang i.S.v. § 613a BGB liegt vor, wenn ein neu­er Recht­sträger die wirt­schaft­li­che Ein­heit un­ter Wah­rung ih­rer Iden­tität fortführt (BAG 4. Mai 2006 – 8 AZR 299/05 – AP § 613a BGB Nr. 304). Die als Ge­gen­stand des Über­gangs in Be­tracht kom­men­de wirt­schaft­li­che Ein­heit (Be­trieb oder Be­triebs­teil i.S.d. § 613a BGB) wird – in

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An­leh­nung an Art. 1 Abs. 1 lit. b Richt­li­nie 2001/23/EG - de­fi­niert als or­ga­ni­sier­te Ge­samt­heit von Per­so­nen und/oder Sa­chen zur auf Dau­er an­ge­leg­ten Ausübung ei­ner wirt­schaft­li­chen Haupt- oder Ne­bentätig­keit mit ei­ge­ner Ziel­set­zung. In Art. 1 Abs. 1 lit. c der Richt­li­nie 98/50/EG vom 29. Ju­ni 1998 hat der Richt­li­ni­en­ge­ber erst­mals klar­ge­stellt, dass ei­ne „wirt­schaft­li­che Ein­heit“ auch ei­ne sol­che sein kann, die kei­ne Er­werbs­zwe­cke ver­folgt und da­mit die Recht­spre­chung des EuGH nach­ge­zeich­net, die Über­tra­gung ei­ner wirt­schaft­li­chen Ein­heit könne nicht al­lein des­we­gen vom An­wen­dungs­be­reich der Richt­li­nie aus­ge­nom­men wer­den, weil die Tätig­keit oh­ne Er­werbs­zweck oder im öffent­li­chen In­ter­es­se aus­geübt wer­de (EuGH 19. Mai 1992 – C 19/91 – AP § 613a BGB Nr. 107). Der Be­griff „wirt­schaft­li­che Tätig­keit“ um­fasst je­de Tätig­keit, die dar­in be­steht, Wa­ren oder Dienst­leis­tun­gen auf ei­nem be­stimm­ten Markt an­zu­bie­ten (EuGH 6. Sep­tem­ber 2011 – [Scat­to­lon] – C 108/10 – AP Richt­li­nie 2001/23/EG Nr. 9).


Die­ser wei­te Be­griff der wirt­schaft­li­chen Ein­heit bzw. wirt­schaft­li­chen Tätig­keit lässt es zu, auch öffent­lich-recht­lich or­ga­ni­sier­te Ein­hei­ten un­ter den Be­griff des Be­triebs bzw. Be­triebs­teils zu sub­su­mie­ren (EuGH 20. Ja­nu­ar 2011 – [CLE­CE] – C 463/09 – Richt­li­nie 2001/23/EG Nr. 8). Es ent­spricht aber eben­so ge­fes­tig­ter Recht­spre­chung des EuGH, dass Tätig­kei­ten in Ausübung ho­heit­li­cher Be­fug­nis­se kei­ne wirt­schaft­li­chen Tätig­kei­ten im Sin­ne der Richt­li­nie sind (EuGH 15. Ok­to­ber 1996 – [Hen­ke] - C 298/94 – AP EWG-Richt­li­nie Nr 77/187 Nr. 13; 1. Ju­li 2008 – [MO­TOE] - C-49/07, Slg. 2008). Grund hierfür ist, dass die Richt­li­nie die Ar­beit­neh­mer vor Nach­tei­len schützen soll, die sich für sie aus den Ände­run­gen in den Un­ter­neh­mens­struk­tu­ren er­ge­ben können, wel­che durch die wirt­schaft­li­che Ent­wick­lung auf ein­zel­staat­li­cher und ge­mein­schaft­li­cher Ebe­ne be­dingt sind (EuGH 15.10.1996 – a.a.O.). Die­se Auf­fas­sung des EuGH hat in dem aus­drück­li­chen Wort­laut der Richt­li­nie ih­ren Nie­der­schlag ge­fun­den. Da­nach han­delt es sich bei der Über­tra­gung von Ver­wal­tungs­auf­ga­ben von ei­ner Behörde auf ei­ne an­de­re nicht um ei­nen Be­triebsüber­gang im Sin­ne die­ser Richt­li­nie. Da in­so­weit aus­weis­lich der Be­gründung die Recht­spre­chung des EuGH über­nom­men wer­den soll­te, ist da­von aus­zu­ge­hen, dass die­ser Aus­schluss­tat­be­stand mit der Ter­mi­no­lo­gie des EuGH („Über­tra­gung ho­heit­li­cher Auf­ga­ben“) iden­tisch ist (Wil­lem­sen, Fest­schrift 50 Jah­re BAG, 287). Das ent­spricht auch der Auf­fas­sung des Ge­ne­ral­an­walts Bot in sei­nen Schluss­anträgen vom 5. April 2011 in der Rechts­sa­che Scat­to­lon (C 108/10), wo­nach der Aus­schluss ho­heit­li­cher Tätig­kei­ten vom An­wen­dungs­be­reich der Richt­li­nie 77/187 nicht auf der öffent­lich-recht­li­chen Rechts­na­tur der be­tref­fen­den Ein­hei­ten be­ruht, son­dern viel­mehr nach ei­ner funk­tio­na­len Be­trach­tungs­wei­se mit dem Um­stand be­gründet wird, dass der Über­gang nur ho­heit­li­che Tätig­kei­ten be­trifft. So­bald der Über­gang da­ge­gen ei­ne wirt­schaft­li­che Tätig­keit be­tref­fe, fal­le

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er in den An­wen­dungs­be­reich die­ser Richt­li­nie. Da­her gel­ten Diens­te als wirt­schaft­li­che Tätig­kei­ten, die, oh­ne dass es sich um ei­ne Ausübung ho­heit­li­cher Be­fug­nis­se han­delt, im all­ge­mei­nen In­ter­es­se und oh­ne Er­werbs­zweck im Wett­be­werb mit den Diens­ten von Wirt­schafts­teil­neh­mern er­bracht wer­den, die ei­nen Er­werbs­zweck ver­fol­gen (EuGH 23. April 1991 – [Höfner und El­ser] - C-41/90, Slg. 1991 - NZA 1991, 447-448). Zu­sam­men­fas­send lässt sich fest­hal­ten, dass bei sämt­li­chen Tätig­kei­ten, die an Stel­le des Staa­tes oder ei­ner Ge­mein­de eben­so gut von ei­nem pri­vat­recht­lich or­ga­ni­sier­ten Recht­sträger wahr­ge­nom­men wer­den können, un­ter den übri­gen Vor­aus­set­zun­gen von dem Vor­lie­gen ei­ner wirt­schaft­li­chen Ein­heit aus­ge­gan­gen wer­den kann, oh­ne dass die In­ha­ber­schaft ei­nes öffent­lich-recht­li­chen Recht­strägers dem ent­ge­genstünde. In­so­weit kann der The­se ge­folgt wer­den, dass der Staat sich nicht durch die Wahl der Rechts­form den Wir­kun­gen der Richt­li­nie ent­zie­hen kann.

Bis­her nicht ab­sch­ließend geklärt ist, was un­ter dem Be­griff „ho­heit­li­che Tätig­keit“ kon­kret zu ver­ste­hen ist. Nach der Recht­spre­chung des 8. Se­nats des Bun­des­ar­beits­ge­richts setzt ei­ne ho­heit­li­che Tätig­keit ei­ne hin­rei­chend qua­li­fi­zier­te Ausübung von Son­der­rech­ten, Ho­heits­pri­vi­le­gi­en oder Zwangs­be­fug­nis­sen vor­aus (10. Mai 2012 – 8 AZR 434/11 – NZA 2012, 1161). Ei­nig­keit dürf­te darüber be­ste­hen, dass ei­ner­seits die Ausübung von Ein­griffs­be­fug­nis­sen, d.h. die Tätig­keit der sog. Ein­griffs­ver­wal­tung, ho­heits­recht­li­cher Na­tur ist, hin­ge­gen nicht die Tätig­keit des Staa­tes als Fis­kus oder un­ter­ge­ord­ne­te, nicht ent­schei­dungs­prägen­de Hilfstätig­kei­ten. Die Ausübung ho­heit­li­cher Be­fug­nis­se ist eben­falls nicht gleich­be­deu­tend mit der Erfüllung öffent­li­cher Auf­ga­ben. Die Erfüllung öffent­li­cher Auf­ga­ben ist nicht be­reits dann als ho­heit­lich an­zu­se­hen, wenn sie in den For­men des öffent­li­chen Rechts er­folgt. Viel­mehr ist der Be­griff „ho­heit­li­che Tätig­keit“ re­strik­tiv aus­zu­le­gen und auf den ein­grei­fen­den Cha­rak­ter der aus­zuüben­den Tätig­keit ab­zu­stel­len. Die Be­ur­tei­lung ei­ner Auf­ga­be als ho­heit­lich be­stimmt sich nach ih­rem In­halt und dem Um­fang des zur Verfügung ste­hen­den ord­nungs­behörd­li­chen In­stru­men­ta­ri­ums.

Un­ter Zu­grun­de­le­gung die­ser Grundsätze sind die der Beschäfti­gungsförde­rung über­tra­ge­nen Tätig­kei­ten des Fall­ma­nage­ments und der Ar­beits­ver­mitt­lung als ho­heit­li­che Auf-ga­ben an­zu­se­hen. Die be­klag­te Stadt hat der Beschäfti­gungsförde­rung durch öffent­lich-recht­li­che Ver­ein­ba­rung die Auf­ga­ben über­tra­gen, zu de­nen sie zu­vor durch die Ver­ein­ba­rung vom 22. De­zem­ber 2004 vom Land­kreis A-Stadt her­an­ge­zo­gen wor­den war. Da­zu zähl­ten vor al­lem die Ar­beits­ver­mitt­lung und das Fall­ma­nage­ment, mit­hin die im 1. Ab-schnitt des 3. Ka­pi­tels des SGB II fest­ge­leg­ten Leis­tun­gen. Dem­ent­spre­chend ob­la­gen dem Kläger aus­weis­lich der Stel­len­be­schrei­bung vom 9. Fe­bru­ar 2006 mit ei­nem Zeit­an­teil von 90 % im Rah­men der Be­ra­tung und In­te­gra­ti­on der Ar­beit­neh­mer­kun­den die Auf-

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ga­ben des persönli­chen An­sprech­part­ners nach § 14 SGB II und der Ab­schluss der Ein­glie­de­rungs­ver­ein­ba­rung nach § 15 SGB II. Nach § 14 Satz 1 SGB II un­terstützen die Träger der Leis­tun­gen er­werbsfähi­ge Leis­tungs­be­rech­tig­te um­fas­send mit dem Ziel der Ein­glie­de­rung in Ar­beit. Die dem persönli­chen An­sprech­part­ner (§ 14 Satz 2 SGB II) ob-lie­gen­de Un­terstützungs­pflicht durch In­for­ma­ti­on, Aus­kunft und Be­ra­tung er­folgt im We­ge schlicht-ho­heit­li­chen Han­delns (Münder, SGB II, 4. Aufl., § 14 Rn. 10). We­sent­li­ches Steue­rungs­in­stru­ment in der Hand des Fall­ma­na­gers ist die Ein­glie­de­rungs­ver­ein­ba­rung. Gem. §§ 2, 15 SGB II ist der Leis­tungs­träger ge­hal­ten, re­gelmäßig ei­ne sol­che Ver­ein­ba­rung ab­zu­sch­ließen, der Leis­tungs­empfänger ist hier­zu eben­falls ver­pflich­tet; der Ver­s­toß ge­gen Pflich­ten aus der Ein­glie­de­rungs­ver­ein­ba­rung führt zu Sank­tio­nen (§ 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II). Schei­tern die Ver­hand­lun­gen, sol­len die Re­ge­lun­gen, die ei­ne Ein­glie­de­rungs­ver­ein­ba­rung ent­hal­ten soll, durch Ver­wal­tungs­akt er­fol­gen (§ 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II); d.h. der Leis­tungs­träger schließt ei­ne Ver­ein­ba­rung mit dem Leis­tungs­be­rech­tig­ten, an den sie sonst ei­nen Ver­wal­tungs­akt rich­ten würde. Der Ab­schluss ei­ner Ein­glie­de­rungs­ver­ein­ba­rung in Ge­stalt ei­nes öffent­lich-recht­li­chen Ver­tra­ges mit feh­len­der Ver­hand­lungs­sym­me­trie auf Sei­ten des Leis­tungs­be­rech­tig­ten spricht be­reits für ho­heit­li­ches Han­deln. Die Re­ge­lung in § 15 Ab­satz 1 Satz 6 so­wie die Sank­ti­ons­norm des § 31 Abs. 1 Nr. 1 SGB II ver­deut­li­chen das dem Leis­tungs­träger zu­ste­hen­de ord­nungs-recht­li­che In­stru­men­ta­ri­um.

b. Das Bun­des­ar­beits­ge­richt hat bis­lang of­fen ge­las­sen, ob § 613a BGB über die Richt­li­nie 2001/23/EG hin­aus­geht und auch die Ver­wal­tungstätig­keit des öffent­li­chen Diens­tes als „Be­trieb“ er­fasst (BAG 26.06.1997 – 8 AZR 426/95 – AP § 613 a BGB Nr. 165). Dafür gibt es kei­ner­lei An­halts­punk­te. Der Ge­setz­ge­ber hat den durch die Richt­li­nie 98/50 vom 29. Ju­ni 1998 geänder­ten Text der Be­triebsüber­g­angs­richt­li­nie durch Einfügung der Absätze 1 b und c in Ar­ti­kel 1 nicht zum An­lass ei­ner Ände­rung des Wort­lauts des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB ge­nom­men, ob­wohl er § 613a BGB durch Ge­setz vom 2. Ja­nu­ar 2002 (BGBl. I 2002, S. 1163) um die Absätze 5 und 6 ergänzt hat. Die ge­setz­li­che Re­ge­lung stellt mit­hin al­lein die Um­set­zung der Richt­li­nie 2001/23/EG dar.

c. Selbst wenn zu­guns­ten des Klägers an­ge­nom­men wird, die Wahr­neh­mung ho­heit­li­cher Auf­ga­ben ste­he ei­nem Be­triebsüber­gang nicht von vorn­her­ein ent­ge­gen (st. Rspr. des BAG 13. Ju­ni 2006 – 8 AZR 271/05 – AP § 613a BGB Nr. 305; 25. Sep­tem­ber 2003 – 8 AZR 421/02 – AP § 613a BGB Nr. 261), hat er die Vor­aus­set­zun­gen für ei­nen Über-gang ei­nes Be­triebs­teils von der Beschäfti­gungsförde­rung A-Stadt auf die Be­klag­te nicht schlüssig dar­ge­tan.

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Ei­ne Über­nah­me fällt nur dann un­ter die Richt­li­nie 2001/23/EG und da­mit un­ter § 613a BGB, wenn ei­ne auf Dau­er an­ge­leg­te wirt­schaft­li­che Ein­heit über­nom­men wird, de­ren Tätig­keit nicht auf die Ausführung ei­nes be­stimm­ten Vor­ha­bens be­schränkt ist. Der Be­griff der wirt­schaft­li­chen Ein­heit be­zieht sich auf ei­ne or­ga­ni­sier­te Ge­samt­heit von Per­so­nen und Sa­chen zur Ausübung ei­ner wirt­schaft­li­chen Tätig­keit mit ei­ge­nem Zweck, die hin­rei­chend struk­tu­riert und selbständig ist. Ei­ne sol­che Ein­heit muss nicht un­be­dingt be­deut­sa­me ma­te­ri­el­le oder im­ma­te­ri­el­le Be­triebs­mit­tel um­fas­sen. In be­stimm­ten Wirt­schafts­zwei­gen lie­gen die­se Be­triebs­mit­tel nämlich oft nur in ih­rer ein­fachs­ten Form vor und es kommt dort im We­sent­li­chen auf die men­sch­li­che Ar­beits­kraft an. Da­her kann ei­ne or­ga­ni­sier­te Ge­samt­heit von Ar­beit­neh­mern, de­nen ei­gens und auf Dau­er ei­ne ge­mein-sa­me Auf­ga­be zu­ge­wie­sen ist, ei­ne wirt­schaft­li­che Ein­heit dar­stel­len, oh­ne dass wei­te­re Be­triebs­mit­tel vor­han­den sind (EuGH Sep­tem­ber 2007 13. - C-458/05 - [Joui­ni ua.] Slg. 2007, I-7301 - AP Richt­li­nie 2001/23/EG Nr. 2). In die­sem Zu­sam­men­hang ist für die Be­ur­tei­lung des Vor­lie­gens ei­ner wirt­schaft­li­chen Ein­heit i.S.v. Art. 1 Abs. 1 der Richt­li­nie 2001/23/EG auch zu prüfen, ob die vom Veräußerer über­tra­ge­nen Be­triebs­mit­tel bei ihm ei­ne ein­satz­be­rei­te Ge­samt­heit dar­ge­stellt ha­ben, die als sol­che da­zu aus­ge­reicht ha­ben, die für die wirt­schaft­li­che Tätig­keit des Un­ter­neh­mens cha­rak­te­ris­ti­schen (Dienst-)leis­tun­gen oh­ne In­an­spruch­nah­me an­de­rer wich­ti­ger Be­triebs­mit­tel oder an­de­rer Un­ter­neh­mens­tei­le er­brin­gen zu können (vgl. EuGH 13. Sep­tem­ber 2007 - C-458/05 - [Joui­ni ua.] aaO). Die von ei­nem Er­wer­ber über­nom­me­ne or­ga­ni­sier­te Ge­samt­heit von Per­so­nen und/oder Sa­chen muss be­reits beim Veräußerer ei­ne wirt­schaft­li­che Ein­heit dar­ge­stellt und da­mit die Qua­lität ei­nes Be­triebs­teils ge­habt ha­ben, um die Vor­aus­set­zung des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB erfüllen zu können (vgl. BAG 7. April 2011 – 8 AZR 730/09 – AP § 613a BGB Nr. 406; 27. Ja­nu­ar 2011 – 8 AZR 326/09 – AP § 613a BGB Nr. 402; 16. Mai 2007 – 8 AZR 693/06 – AP Be­trVG 1972 § 111 Nr. 64).

Des­halb muss be­reits beim bis­he­ri­gen Be­triebs(teil)in­ha­ber ei­ne selbständig ab­trenn­ba­re or­ga­ni­sa­to­ri­sche Ein­heit vor­ge­le­gen ha­ben, mit wel­cher in­ner­halb des be­trieb­li­chen Ge­samt­zwecks ein Teil­zweck ver­folgt wor­den ist. Die Erfüllung ei­nes be­trieb­li­chen Teil-zwecks ist nur ei­ne der Vor­aus­set­zun­gen für die An­nah­me des Vor­lie­gens ei­nes Be­triebs-teils und ver­mag das Feh­len ei­ner ab­grenz­ba­ren or­ga­ni­sa­to­ri­schen Ein­heit nicht zu er­set­zen. Hier­bei darf die im Be­triebs­teil lie­gen­de Ein­heit nicht als bloße Tätig­keit ver­stan­den wer­den. Die Iden­tität der Ein­heit er­gibt sich auch aus an­de­ren Merk­ma­len, wie ih­rem Per­so­nal, ih­ren Führungs­kräften, ih­rer Ar­beits­or­ga­ni­sa­ti­on, ih­ren Be­triebs­me­tho­den und ggf. den ihr zur Verfügung ste­hen­den Be­triebs­mit­teln. Al­ler­dings genügt ei­ne beim Be­triebs(teil)veräußerer be­ste­hen­de funk­tio­nel­le Ver­knüpfung nicht, um ei­nen schon beim

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Veräußerer be­ste­hen­den Be­triebs­teil mit or­ga­ni­sa­to­ri­scher Selbständig­keit an­zu­neh­men, der im Sin­ne des § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB über­tra­gen wer­den könn­te. Durch die Recht­spre­chung des EuGH ist geklärt, dass schon beim Be­triebs(teil)veräußerer ei­ne ab­grenz-ba­re or­ga­ni­sa­to­ri­sche wirt­schaft­li­che Ein­heit vor­ge­le­gen ha­ben muss, um ei­nen Be­triebs­teilüber­gang an­neh­men zu können. De­ren or­ga­ni­sa­to­ri­sche Selbständig­keit muss al­ler­dings nach der Recht­spre­chung des EuGH (12. Fe­bru­ar 2009 - C-466/07 - [Kla­ren­berg] Slg. 2009, I-803 - AP Richt­li­nie 2001/23/EG Nr. 4) beim Be­triebs­er­wer­ber nicht mehr voll-ständig er­hal­ten blei­ben (BAG 7. April 2011 – 8 AZR 730/09 – NZA 2011, 1231).

Un­ter Zu­grun­de­le­gung die­ser Grundsätze han­delt es sich bei den in den Ab­tei­lun­gen 3, 4 und 5 der Beschäfti­gungsförde­rung mit der Auf­ga­be der ak­ti­ven Ar­beits­ver­mitt­lung nach dem SGB II be­fass­ten Mit­ar­bei­tern nicht um ei­nen selbstständi­gen Be­triebs­teil i.S.d. § 613a BGB. Die mit den Auf­ga­ben der Ar­beits­ver­mitt­lung be­trau­ten Ar­beit­neh­mer stell­ten kei­ne ein­satz­be­rei­te Ge­samt­heit dar, die als sol­che aus­ge­reicht hat, die Dienst­leis­tun­gen oh­ne In­an­spruch­nah­me an­de­rer wich­ti­ger Be­triebs­mit­tel er­brin­gen zu können. Im Ter­min zur münd­li­chen Ver­hand­lung ist un­strei­tig ge­wor­den, dass die Ar­beits­ver­mitt­ler bis zum 31. De­zem­ber 2010 aus­sch­ließlich Be­ra­tungs- und Ver­mitt­lungs­leis­tun­gen ein­sch­ließlich des Ab­schlus­ses der Ein­glie­de­rungs­leis­tun­gen er­bracht ha­ben. Aus der Stel­len­be­schrei­bung des Mit­ar­bei­ters B. so­wie wei­te­rer Mit­ar­bei­ter er­gibt sich, dass die Er­stel­lung von Sank­ti­ons­be­schei­den bei Pflicht­verstößen, die Er­stel­lung von Ab­leh­nungs- und Teil­be­wil­li­gungs­be­schei­den für be­an­trag­te In­te­gra­ti­ons­leis­tun­gen so­wie die Er­stel­lung von Ände­rungs- und Rück­for­de­rungs­be­schei­den den Mit­ar­bei­tern in der Ab­tei­lung Zen­tra­le Diens­te ob­lag. Eben­so ob­lag der Ab­tei­lung Zen­tra­le Diens­te die Zahl­bar­ma­chung von In­te­gra­ti­ons­leis­tun­gen so­wie die Prüfung und Be­ar­bei­tung von Wi­dersprüchen, die im Be­reich der In­te­gra­ti­ons­leis­tun­gen beim Job-Cen­ter der be­klag­ten Stadt ein­ge­legt wur­den. Dar­aus er­gibt sich, dass der Be­reich Ar­beits­ver­mitt­lung nicht hin­rei­chend struk­tu­riert und selbstständig war.


d. Der Über­gang des Ar­beits­verhält­nis­ses des Klägers auf die Be­klag­te folgt nicht aus ei­ner ver­wal­tungs­recht­li­chen Funk­ti­ons­nach­fol­ge. Die Über­tra­gung von Ver­wal­tungs-auf­ga­ben ei­ner Behörde oder Dienst­stel­le auf ei­ne an­de­re Behörde oder Dienst­stel­le be­wirkt oh­ne be­son­de­re nor­ma­ti­ve Re­ge­lung kei­nen Über­gang von Ar­beits­verhält­nis­sen von ei­nem Träger öffent­li­cher Ver­wal­tung auf ei­nen an­de­ren. Sind die Träger ver­schie­de­ne ju­ris­ti­sche Per­so­nen, be­darf der Über­gang von Ar­beits­verhält­nis­sen ei­ner be­son­de­ren ge­setz­li­chen Re­ge­lung. Ei­ne sol­che ge­setz­li­che Re­ge­lung enthält § 6c SGB II, der bei der Zu­las­sung ei­nes wei­te­ren kom­mu­na­len Trägers den Über­gang der Ar­beit­neh­me­rin­nen und Ar­beit­neh­mer, die min­des­tens seit 24 Mo­na­ten Auf­ga­ben der Bun­des­agen­tur als Trä-

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ger nach § 6 Abs. 1 Satz 1 SGB II wahr­ge­nom­men ha­ben, kraft Ge­set­zes in den Dienst des kom­mu­na­len Trägers und bei der Be­en­di­gung der Träger­schaft ei­nes kom­mu­na­len Trägers in den Dienst der Bun­des­agen­tur für Ar­beit vor­sieht. Durch den Per­so­nalüber­gang soll die Funk­ti­ons- und Leis­tungsfähig­keit bei der Zu­las­sung wei­te­rer kom­mu­na­ler Träger si­cher­ge­stellt wer­den, in­so­fern folgt das Fach­per­so­nal den ent­spre­chen­den Fach­auf­ga­ben. Der Kläger fällt nicht un­ter die Re­ge­lung des § 6c SGB II, weil er vor dem 1. Ja­nu­ar 2011 nicht bei der Bun­des­agen­tur für Ar­beit beschäftigt war. Auch ei­ne ent­spre­chen­de An­wen­dung des § 6c SGB II führt nicht zu ei­ner Über­nah­me­ver­pflich­tung der be­klag­ten Stadt. Denn die Kom­mu­nen sind im Rah­men ih­rer Zu­las­sungs­be­an­tra­gung nur ver­pflich­tet, 90 % des die je­wei­li­gen Vor­aus­set­zun­gen erfüllen­den Per­so­nals zu über-neh­men. Nach der ei­ge­nen Auf­stel­lung des Klägers (An­la­ge zum Schrift­satz vom 15. Sep­tem­ber 2011) beschäftigt die Be­klag­te seit dem 1. Ja­nu­ar 2011 47 von 50 Ar­beits­ver­mitt­lern, mit­hin 95 % der Ar­beit­neh­mer, die bis zum 31.12.2010 mit Auf­ga­ben der Ar­beits­ver­mitt­lung in den Ab­tei­lun­gen 3, 4 und 5 der Beschäfti­gungsförde­rung be­traut wa­ren.

3. Die Kündi­gung des Klägers be­durf­te nicht der Zu­stim­mung des Per­so­nal­rats nach § 65 Abs. 2 Nr. 9 Nie­dersäch­si­sches Per­so­nal­ver­tre­tungs­ge­setz (NPers­VG) i.d.F. vom 22. Ja­nu­ar 2007, denn die Kündi­gung er­folg­te während der Pro­be­zeit. Hier­auf wur­de der Per­so­nal­rat in dem Anhörungs­schrei­ben vom 24. Mai 2011 aus­drück­lich hin­ge­wie­sen. Bei Kündi­gun­gen während der Pro­be­zeit hat die Dienst­stel­le nach § 75 Abs. 1 Nr. 3 NPers­VG le­dig­lich das Be­neh­men her­zu­stel­len. So­weit die Dienst­stel­le das Be­neh­men mit dem Per­so­nal­rat her­zu­stel­len hat, ist dem Per­so­nal­rat gem. § 76 Abs. 1 Satz 1 NPers­VG vor Durchführung der Maßnah­me Ge­le­gen­heit zur Stel­lung­nah­me zu ge­ben. Bei ei­ner Pro­be­zeitkündi­gung be­steht gem. § 76 Abs. 4 Satz 1 NPers­VG für den Per­so­nal­rat nicht die Möglich­keit, ei­ne Ent­schei­dung der über­ge­ord­ne­ten Dienst­stel­le zu be­an­tra­gen.


Das be­klag­te Land hat dem Per­so­nal­rat in aus­rei­chen­der Wei­se Ge­le­gen­heit zur Stel­lung­nah­me zu der be­ab­sich­tig­ten Kündi­gung des Klägers ge­ge­ben (§ 76 Abs. 1 Satz 1 NPers­VG). Die Kündi­gung ist da­her nicht gem. § 76 Abs. 2 Satz 3 NPers­VG un­wirk­sam.


So­weit die Dienst­stel­le dem Per­so­nal­rat nach § 75 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 76 Abs. 1 Satz 1 NPers­VG vor ei­ner Pro­be­zeitkündi­gung Ge­le­gen­heit zur Stel­lung­nah­me zu ge­ben hat, muss sie ihn über die Per­son des Ar­beit­neh­mers, die Art der Kündi­gung, den Kündi­gungs­ter­min so­wie die Gründe für die in Aus­sicht ge­nom­me­ne Kündi­gung un­ter­rich­ten. An­dern­falls kann sich der Per­so­nal­rat zu der be­ab­sich­tig­ten Kündi­gung nicht äußern. Für

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den Um­fang der Un­ter­rich­tungs­pflicht gel­ten da­bei die von der Recht­spre­chung zu § 102 Abs. 1 Be­trVG ent­wi­ckel­ten Grundsätze. Der Ar­beit­ge­ber hat den maßge­ben­den Sach­ver­halt un­ter An­ga­be der Tat­sa­chen, aus de­nen der Kündi­gungs­ent­schluss her­ge­lei­tet wird, grundsätz­lich so zu um­schrei­ben, dass der Be­triebs­rat oh­ne zusätz­li­che ei­ge­ne Nach­for­schun­gen in die La­ge ver­setzt wird, die Stich­hal­tig­keit der Kündi­gungs­gründe zu prüfen und sich über ei­ne Stel­lung­nah­me schlüssig zu wer­den (BAG 21. Ju­li 2005 – 6 AZR 498/04 – AP LPVG NW § 72a Nr. 5; 27. Ok­to­ber 2005 – 6 AZR 27/05 – AP Be­trVG 1972 § 102 Nr. 151). Der Ar­beit­ge­ber genügt da­her der ihm ob­lie­gen­den Mit­tei­lungs­pflicht nicht, wenn er den Kündi­gungs­sach­ver­halt nur pau­schal, schlag­wort- oder stich­wort­ar­tig. Da­bei sind al­ler­dings an die Mit­tei­lungs­pflich­ten des Ar­beit­ge­bers in­so­weit nicht die­sel­ben An­for­de­run­gen zu stel­len wie an die Dar­le­gungs­last im Kündi­gungs­schutz­pro­zess. Außer­dem gilt der Grund­satz der sub­jek­ti­ven De­ter­mi­na­ti­on; da­nach ist die Ar­beit­neh­mer­ver­tre­tung im­mer dann ord­nungs­gemäß an­gehört wor­den, wenn der Ar­beit­ge­ber die aus sei­ner Sicht tra­gen­den Gründe mit­ge­teilt hat (BAG 7. No­vem­ber 2002 – 2 AZR 493/01 – § 620 BGB Kündi­gungs­erklärung Nr. 18).

Die Be­klag­te hat die Kündi­gungs­gründe in der An­la­ge zu ih­rem Schrei­ben an den Per­so­nal­rat vom 24. Mai 2011 so sub­stan­ti­iert dar­ge­legt, dass der Per­so­nal­rat ei­ne Stel­lung­nah­me in­ner­halb der einwöchi­gen Frist des § 76 Abs. 2 NPers­VG hätte ab­ge­ben können.

III. Die Kos­ten­ent­schei­dung folgt aus § 91 ZPO

Die Zu­las­sung der Re­vi­si­on be­ruht auf § 72 Abs. 2 Nr. 1 ZPO

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Ge­gen die­ses Ur­teil fin­det, wie sich aus der Ur­teils­for­mel er­gibt, die Re­vi­si­on statt.

Die Re­vi­si­ons­schrift muss in­ner­halb ei­nes Mo­nats nach Zu­stel­lung die­ses Ur­teils, die Re­vi­si­ons­be­gründung in­ner­halb von zwei Mo­na­ten nach Zu­stel­lung die­ses Ur­teils bei dem Bun­des­ar­beits­ge­richt ein­ge­hen.

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Die An­schrift des Bun­des­ar­beits­ge­richts lau­tet:


Post­fach, 99113 Er­furt
oder
Hu­go-Preuß-Platz 1, 99084 Er­furt.
Te­le­fax-Nr.: (0361) 26 36 – 20 00

Auf die Möglich­keit der Ein­rei­chung elek­tro­ni­scher Do­ku­men­te beim Bun­des­ar­beits­ge­richt nach § 46 c ArbGG i. V. m. den be­son­de­ren Vor­aus­set­zun­gen nach der Ver­ord­nung über den elek­tro­ni­schen Rechts­ver­kehr beim Bun­des­ar­beits­ge­richt vom 09. März 2006,
BGBl. 2006 Teil I Nr. 12, S. 519 f., aus­ge­ge­ben zu Bonn am 15. März 2006, wird hin­ge­wie­sen.

Vor dem Bun­des­ar­beits­ge­richt müssen sich die Par­tei­en durch Pro­zess­be­vollmäch­tig­te ver­tre­ten las­sen. Als Be­vollmäch­tig­te sind außer Rechts­anwälten nur die in § 11 Ab­satz 2 Satz 2 Nr. 4 und 5 ArbGG be­zeich­ne­ten Or­ga­ni­sa­tio­nen zu­ge­las­sen. Die­se müssen in Ver­fah­ren vor dem Bun­des­ar­beits­ge­richt durch Per­so­nen mit Befähi­gung zum Rich­ter­amt han­deln.


Die Re­vi­si­ons­schrift, die Re­vi­si­ons­be­gründungs­schrift und die sons­ti­gen wech­sel­sei­ti­gen Schriftsätze im Re­vi­si­ons­ver­fah­ren sol­len 7-fach – für je­den wei­te­ren Be­tei­lig­ten ein Ex­em­plar mehr – ein­ge­reicht wer­den.


Krönig 

Fre­richs 

Janßen

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