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ARBEITSRECHT AKTUELL // 14/298

Be­triebs­über­gang bei der Ar­beits­ver­wal­tung

Ar­beits­ver­mitt­lung im Be­reich des SGB II funk­tio­niert auch oh­ne ho­heit­li­che Be­fug­nis­se: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 22.05.2014, 8 AZR 1069/12
Ansturm auf RA Ar­beits­ver­mitt­lung kön­nen auch Pri­vat­un­ter­neh­men leis­ten

29.08.2014. Bei ei­nem Be­triebs­teil­über­gang er­hal­ten die be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mer kraft Ge­set­zes ei­nen neu­en Ar­beit­ge­ber, näm­lich den Er­wer­ber des Be­triebs­teils.

Ob ein Be­trieb oder Be­triebs­teil über­ge­gan­gen ist oder nicht, hängt da­von ab, ob es vor dem (mög­li­chen) Über­gang ei­ne "wirt­schaft­li­che Ein­heit" gab, die un­ter Wah­rung ih­rer Iden­ti­tät auf den Er­wer­ber über­ging.

Das schei­det im öf­fent­li­chen Dienst nach der Recht­spre­chung aus, wenn Ar­beit­neh­mer­teams mit ho­heit­li­cher Ver­wal­tung be­fasst wa­ren, al­so z.B. mit dem Er­lass von Be­schei­den oder von Zwangs­maß­nah­men.

In ei­nem ak­tu­el­len Ur­teil hat das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) klar­ge­stellt, dass die Ar­beits­ver­wal­tung im Be­reich des SGB II in wei­ten Tei­len ei­ne Dienst­leis­tung ist, die ho­heit­li­che Be­fug­nis­se nicht not­wen­dig be­inhal­tet. Die Über­lei­tung von Ar­beits­ver­mitt­ler­teams auf ei­nen neu­en öf­fent­li­chen Ar­beit­ge­ber kann da­her ei­nen Be­triebs­über­gang dar­stel­len: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Ur­teil vom 22.05.2014, 8 AZR 1069/12.

Liegt ein Be­triebsüber­gang vor, wenn Ge­mein­den die SGB-II-Ar­beits­ver­mitt­lung von ei­ner Toch­ter­ge­sell­schaft über­neh­men, um die­se künf­tig selbst durch­zuführen?

Die Grund­si­che­rung für Ar­beits­lo­se ("Hartz IV") wird von den Job­cen­tern er­bracht. De­ren Träger sind nach dem Zwei­ten Buch So­zi­al­ge­setz­buch - Grund­si­che­rung für Ar­beit­su­chen­de - (SGB II) ent­we­der die Ar­beits­agen­tu­ren (Re­gel­fall) oder die kreis­frei­en Städte und Krei­se (Aus­nah­me).

Die Kom­mu­nen wer­den nicht au­to­ma­tisch Träger der Job­cen­ter, son­dern müssen sich dafür ent­schei­den bzw. dafür op­tie­ren, die­sen Teil der Ar­beits­ver­wal­tung zu über­neh­men (§ 6a SGB II). Ins­ge­samt gibt es in Deutsch­land 109 sog. "Op­ti­ons­kom­mu­nen".

In der Zeit von 2005 bis 2010 be­stand die ge­setz­li­che Möglich­keit kom­mu­na­ler Job­cen­ter al­ler­dings nur auf der Grund­la­ge ei­nes zeit­lich be­fris­te­ten Ex­pe­ri­men­tier-Pa­ra­gra­phen. Da die Zu­kunft der kom­mu­na­len Job­cen­ter auch auf­grund ei­nes Ur­teils des Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richts vom 20.12.2007 (2 BvR 2433/04, 2 BvR 2434/04) un­ge­wiss war (wir be­rich­te­ten in Ar­beits­recht ak­tu­ell: 08/038 Was ge­schieht mit den Job­cen­tern?), ar­bei­te­ten vie­le Op­ti­ons­kom­mu­nen mit be­fris­te­ten Ar­beits­verträgen oder la­ger­ten die SGB-II-Ar­beits­ver­wal­tung gleich kom­plett auf ei­ne Toch­ter­ge­sell­schaft aus.

Seit 2011 ist aus der zunächst be­fris­te­ten ge­setz­li­chen Möglich­keit, als Ge­mein­de die SGB-II-Ar­beits­ver­wal­tung zu er­le­di­gen, ei­ne Dau­erlösung ge­wor­den. In die­sem Zu­sam­men­hang ha­ben ei­ni­ge Ge­mein­den die­se Ar­beits­auf­ga­ben von ih­ren Toch­ter­ge­sell­schaf­ten auf sich selbst über­tra­gen. Ein sol­ches "In­sour­cing" könn­te ein Be­triebsüber­gang gemäß § 613a Bürger­li­ches Ge­setz­buch (BGB) sein.

Frag­lich ist hier­bei al­ler­dings, ob die Ar­beits­ver­mitt­lung durch die Job­cen­ter ei­ne wirt­schaft­li­che Betäti­gung der öffent­li­chen Hand ist (dann wäre ein Be­triebsüber­gang möglich) oder zwin­gend die Ausübung ho­heit­li­cher Be­fug­nis­se vor­aus­setzt. Dann läge nach der Recht­spre­chung des Eu­ropäischen Ge­richts­hofs (EuGH) ein Be­triebsüber­gang im Sin­ne der Richt­li­nie 2001/23/EG nicht vor.

Denn gemäß Art.1 Abs.1 c) die­ser Richt­li­nie gilt die­se zwar auch dann für "wirt­schaft­li­che Tätig­kei­ten" der öffent­li­chen Hand, wenn kei­ne Er­werbs­zwe­cke ver­folgt wer­den. Sie gilt aber nicht bei der

"Über­tra­gung von Auf­ga­ben im Zu­ge ei­ner Um­struk­tu­rie­rung von Ver­wal­tungs­behörden oder bei der Über­tra­gung von Ver­wal­tungs­auf­ga­ben von ei­ner Behörde auf ei­ne an­de­re".

Der Fall des BAG: Kom­mu­ne über­nimmt prak­tisch al­le Ar­beits­ver­mitt­ler und Lei­tungs­kräfte von ih­rer Toch­ter­ge­sell­schaft

Im Streit­fall ging es um ei­nen Ar­beits­ver­mitt­ler, der von März 2005 bis En­de 2010 auf der Grund­la­ge be­fris­te­ter Ar­beits­verträge bei ei­ner kom­mu­na­len Beschäfti­gungsförde­rungs­ge­sell­schaft (BFG) im Be­reich des SGB II tätig war.

Nach­dem er sich mit Er­folg durch ei­ne Ent­fris­tungs­kla­ge ge­gen die Be­fris­tung sei­nes Ar­beits­ver­trags zum 31.12.2010 zur Wehr ge­setzt hat­te, muss­te er wei­ter pro­zes­sie­ren, dies­mal ge­gen die Kom­mu­ne, die die Auf­ga­ben der SGB-II-Ar­beits­ver­wal­tung zu An­fang 2011 von ih­rer Beschäfti­gungsförde­rungs­ge­sell­schaft über­nom­men hat­te.

Denn die Kom­mu­ne mein­te, es läge kein Be­triebsüber­gang vor, ob­wohl sie al­le 51 Ar­beits­ver­mitt­ler drei­er BFG-Ab­tei­lun­gen so­wie drei Lei­tungs­kräfte von der BFG über­nom­men hat­te. Da­mit hat­te sie in der ers­ten In­stanz vor dem Ar­beits­ge­richt Göttin­gen kei­nen Er­folg (Ur­teil vom 28.09.2011, 4 Ca 210/11 Ö), wohl aber vor dem Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Nie­der­sach­sen (LAG Nie­der­sach­sen, Ur­teil vom 01.11.2012, 4 Sa 1528/11).

Das LAG mein­te nämlich, hier läge ei­ne Ver­la­ge­rung ho­heit­li­chen Auf­ga­ben vor, so dass die Be­triebsüber­g­angs­re­ge­lun­gen von vorn­her­ein nicht an­zu­wen­den sei­en. Außer­dem wären die drei über­nom­me­nen BFG-Ver­mitt­lungs­ab­tei­lun­gen bzw. de­ren 54 Mit­ar­bei­ter nicht als über­g­angsfähi­ge wirt­schaft­li­che Ein­heit an­zu­se­hen. Denn die­se Ab­tei­lun­gen bzw. de­ren Mit­ar­bei­ter wa­ren ja "nur" mit Be­ra­tungs- und Ver­mitt­lungs­leis­tun­gen und dem Ab­schluss von Ein­glie­de­rungs­leis­tun­gen be­fasst, wo­hin­ge­gen Sank­ti­ons­be­schei­de bei Pflicht­verstößen von ei­ner an­de­ren Ab­tei­lung der BFG er­stellt wur­den.

BAG: Ar­beits­ver­mitt­lung im Be­reich des SGB II ist ei­ne wirt­schaft­li­che Tätig­keit und setzt die Ausübung ho­heit­li­cher Be­fug­nis­se nicht not­wen­dig vor­aus

Das BAG hob das Ur­teil des LAG auf, wo­mit das Ur­teil des Ar­beits­ge­richts Göttin­gen wie­der her­ge­stellt wur­de und der Ar­beits­ver­mitt­ler sei­nen Pro­zess ge­won­nen hat­te.

Denn Ar­beits­ver­mitt­lung in Form von Be­ra­tung und Ver­mitt­lung ist ei­ne wirt­schaft­li­che Tätig­keit, die auch von nicht-staat­li­chen Trägern er­bracht wer­den kann, so das BAG. Dass die­se Tätig­keit flan­kiert wird durch ho­heit­li­che Be­fug­nis­se, nämlich die Möglich­keit des Er­las­ses von Ver­wal­tungs­ak­ten (Be­schei­den), war nach An­sicht der Er­fur­ter Rich­ter nicht aus­schlag­ge­bend. Denn die­se Auf­ga­ben wur­den eben von ei­ner an­de­ren Ab­tei­lung der BFG er­le­digt.

Darüber be­wer­te­te das BAG die hier von der Ge­mein­de über­nom­me­nen drei Ar­beits­ver­mitt­lungs­ab­tei­lun­gen als über­g­angsfähi­gen Be­triebs­teil. Denn es wur­den nicht nur al­le Mit­ar­bei­ter die­ser Ab­tei­lun­gen und drei Lei­tungs­kräfte über­nom­men, son­dern auch die auf den re­gio­na­len Ar­beits­markt be­zo­ge­nen Kon­tak­te und Netz­wer­ke so­wie die Da­ten­bestände über die zu ver­mit­teln­den Ar­beit­su­chen­den und über Ar­beit­ge­ber­kun­den.

Fa­zit: Die Ar­beits­ver­mitt­lung im Be­reich des SGB-II un­terfällt als wirt­schaft­li­che Tätig­keit den Re­ge­lun­gen über Be­triebsübergänge. We­der die Be­ra­tung noch die Ver­mitt­lung von Ar­beits­su­chen­den noch der Ab­schluss von Ein­glie­de­rungs­ver­ein­ba­run­gen setzt ho­heit­li­che Be­fug­nis­se vor­aus. Dass den Job­cen­tern für den Kon­flikt­fall Ho­heits­pri­vi­le­gi­en oder Zwangs­be­fug­nis­se zur Verfügung ste­hen, schlägt nicht auf al­le sei­ne Ab­tei­lun­gen durch.

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Letzte Überarbeitung: 30. Juni 2016

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