HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

ArbG Ham­burg, Ur­teil vom 31.08.2010, 21 Ca 176/10

   
Schlagworte: Lohn und Gehalt, Abfindung, Betriebsvereinbarung, Sozialplan
   
Gericht: Arbeitsgericht Hamburg
Aktenzeichen: 21 Ca 176/10
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 31.08.2010
   
Leitsätze:
Vorinstanzen:
   


Ar­beits­ge­richt Ham­burg


Ur­teil


Im Na­men des Vol­kes

Geschäfts­zei­chen:

In dem Rechts­streit

21 Ca 176/10

-Kläge­rin -

Pro­zess­be­vollmäch­tig­ter:


Verkündet am: 31.08.2010

ge­gen

- Be­klag­te -

Pro­zess­be­vollmäch­tig­ter:


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er­kennt das Ar­beits­ge­richt Ham­burg, 21. Kam­mer,

auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 31. Au­gust 2010

durch den Rich­ter am Ar­beits­ge­richt St­ein als Vor­sit­zen­den

die eh­ren­amt­li­che Rich­te­rin Frau ...

den eh­ren­amt­li­chen Rich­ter Herr ...

für Recht:

1. Das Versäum­nis­ur­teil vom 17.06.2010 wird auf­ge­ho­ben.

2. Die Be­klag­te wird ver­ur­teilt, an die Kläger 1.311,00 € zu zah­len

3. Die Kos­ten des Rechts­streits trägt die Be­klag­te.

4. Der Streit­wert beträgt 1.311,00 €.
 

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T a t b e s t a n d


Die Par­tei­en strei­ten um die Zah­lung von Geld.

Die Be­klag­te beschäftig­te Herrn C. im Rah­men ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses. Sie ver­ein­bar­te mit Herrn C. am 04.03.2009 ei­nen Auf­he­bungs­ver­trag. Die­ser nimmt Be­zug auf ei­nen In­ter­es­sen­aus­gleich vom 12.01.2009 und re­gelt, dass Herr C. als Entschädi­gung für den Ver­lust des Ar­beits­plat­zes ei­nen Ab­fin­dungs­be­trag in Höhe von brut­to € 70.733,50 erhält. Fer­ner heißt es, dass mit die­ser Zah­lung zu­gleich al­le So­zi­al­plan­ansprüche erfüllt wer­den (An­la­ge K 1, Bl. 4 d. A.).

Herr C. trat am 15.12.2009 sei­nen An­spruch auf Zah­lung sei­ner Ab­fin­dung ge­gen die Be­klag­te gemäß Auf­he­bungs­ver­trag in Höhe ei­nes Teil­be­tra­ges in Höhe von € 1.311,00 an die Kläge­rin, ei­ner Rechts­an­walts­kanz­lei, ab (An­la­ge K 2, Bl. 7 d. A.).

Die Kläge­rin zeig­te der Be­klag­ten die­se Ab­tre­tung am 28. De­zem­ber 2009 an (Anl. K 3, Bl. 8 d. A.). Die Be­klag­te zahl­te an die Kläge­rin nicht. Am 17.06.2010 er­wirk­te die Be­klag­te ge­gen die Kläge­rin ein Versäum­nis­ur­teil.

Die Kläge­rin macht gel­tend, dass das Versäum­nis­ur­teil auf­zu­he­ben sei und be­gehrt Zah­lung des Be­tra­ges von € 1.311,00. Sie ver­tritt die Auf­fas­sung, dass die Ab­tre­tung wirk­sam sei.

Die Kläge­rin be­an­tragt,

1. das Versäum­nis­ur­teil vom 17.06.2010 auf­zu­he­ben,

2. die Be­klag­te zu ver­ur­tei­len, an die Kläge­rin € 1.311,00 zu zah­len.


Die Be­klag­te be­an­tragt,

Das Versäum­nis­ur­teil vom 17.06.2010 auf­recht zu er­hal­ten.

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Die Be­klag­te hält die Ab­tre­tung für rechts­un­wirk­sam. Sie ver­tritt die Auf­fas­sung, dass die in dem Auf­he­bungs­ver­trag ge­re­gel­te Ab­fin­dung ei­ne Leis­tung aus dem So­zi­al­plan sei und ver­weist auf VI. 4. des So­zi­al­plans (An­la­ge B 1, Bl. 37). Dort heißt es, dass ei­ne Leis­tung nach die­sem So­zi­al­plan we­der ab­ge­tre­ten noch verpfändet wer­den kann. Des Wei­te­ren stützt sie ih­re Auf­fas­sung auf ei­ne in ei­ner Be­triebs­ver­ein­ba­rung von 1982 ge­re­gel­te Ar­beits­ord­nung. Dort heißt es in § 4 un­ter der Über­schrift „Ar­beits­ent­gelt“ un­ter 2., dass die Ab­tre­tung oder Verpfändung von Lohn- und Ge­halts­for­de­run­gen nur mit Zu­stim­mung der Geschäft­lei­tung zulässig ist und macht gel­tend, dass im vor­lie­gen­den Fall die Geschäfts­lei­tung der Ab­tre­tung von Herrn C. nicht zu­ge­stimmt hat.

Wei­te­re Ein­zel­hei­ten des Vor­brin­gens der Par­tei­en er­ge­ben sich aus den ge­wech­sel­ten Schriftsätzen nebst An­la­gen, so­wie den münd­li­chen Erklärun­gen der Par­tei­en. Dar­auf wird ergänzend gemäß § 313 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 ArbGG ver­wie­sen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Die Kla­ge hat Er­folg.

Die Kla­ge ist zulässig und be­gründet. Die Be­klag­te ist ver­pflich­tet, den strei­ti­gen Be­trag an die Kläge­rin zu zah­len. Die­se Ent­schei­dung be­ruht in tatsäch­li­cher und recht­li­cher Hin­sicht kurz zu­sam­men­ge­fasst im We­sent­li­chen auf fol­gen­den Erwägun­gen (§ 313 Abs. 3 i. V. m. § 46 Abs. 2 ArbGG):

1. An der Zulässig­keit der Kla­ge be­ste­hen kei­ne Be­den­ken.

2. Die Kla­ge ist be­gründet.

a) Auf­grund der Ab­tre­tung ist der An­spruch von Herrn C. auf Zah­lung der Ab­fin­dung in Höhe von € 1.311,00 auf die Kläge­rin über­ge­gan­gen. Die­se Ab­tre­tung ist rechts­wirk­sam. Die Ab­tre­tungs­ver­bo­te des So­zi­al­plans und der Ar­beits­ord­nung hin­ge­gen sind rechts­un­wirk­sam.


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b) Da bei­de Ab­tre­tungs­ver­bo­te un­wirk­sam sind, kann da­hin­ste­hen und braucht nicht ent­schie­den zu wer­den, ob der An­spruch von Herrn C. auf Zah­lung der Ab­fin­dung aus dem So­zi­al­plan oder aus dem Auf­he­bungs­ver­trag re­sul­tiert.

c) Ei­ne Ab­fin­dung hat Entschädi­gungs­funk­ti­on. Sie ist kein Er­satz für ent­gan­ge­nes Ar­beits­ent­gelt. Trotz­dem ist sie auch Ar­beits­ein­kom­men im Sin­ne des § 850 ZPO. Sie wird da­mit von den bei­den in Re­de ste­hen­den Ab­tre­tungs­ver­bo­ten er­fasst.

d) Die bei­den Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen (So­zi­al­plan und Ar­beits­ord­nung) konn­ten nicht wirk­sam ei­ne Ab­tre­tung von Lohn­ansprüchen un­ter­sa­gen. Ei­ne der­ar­ti­ge Re­ge­lung schränkt die grund­recht­lich geschütz­te all­ge­mei­ne Ver­trags­frei­heit des Ar­beit­neh­mers un­zulässig ein.

Die bei­den Re­ge­lun­gen über das Ab­tre­tungs­ver­bot sind rechts­un­wirk­sam, weil sie mit § 75 Be­trVG nicht zu ver­ein­ba­ren sind. § 75 Be­trVG nor­miert Amts­pflich­ten für Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat. Ar­beit­ge­ber und Be­triebs­rat ha­ben darüber zu wa­chen, dass al­le im Be­trieb täti­gen Per­so­nen nach den Grundsätzen von Recht und Bil­lig­keit be­han­delt wer­den. Sie ha­ben die freie Ent­fal­tung der Persönlich­keit der im Be­trieb beschäftig­ten Ar­beit­neh­mer zu schützen und zu fördern.

Die Ge­stal­tung der ei­ge­nen Vermögens­an­ge­le­gen­hei­ten ist Teil des außer­dienst­li­chen Ver­hal­tens. Sie wirkt sich auf die Er­brin­gung der ar­beits­ver­trag­lich ge­schul­de­ten Tätig­keit, die Art und Wei­se der Ar­beits­leis­tung und das be­trieb­li­che Zu­sam­men­wir­ken mit an­de­ren Ar­beit­neh­mern nicht aus. Ob je­doch über­haupt ei­ne Kom­pe­tenz der Be­triebs­par­tei­en zur Nor­mie­rung ei­nes Ab­tre­tungs­ver­bots be­steht und ob ei­ne für sie be­ste­hen­de Re­ge­lungs­schran­ke zu be­ach­ten ist, brauch­te nicht ent­schie­den zu wer­den. Denn je­den­falls ist vor­lie­gend die Gren­ze der Re­ge­lungs­be­fug­nis der Be­triebs­par­tei­en nach den Grundsätzen von Recht und Bil­lig­keit gemäß § 75 Abs. 1 Be­trVG und in der Ver­pflich­tung zum Schutz und zur Förde­rung zur frei­en Ent­fal­tung der Persönlich­keit aus § 75 Abs. 2 Be­trVG über­schrit­ten.

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Nach § 75 Be­trVG sind die Be­triebs­par­tei­en mit­tel­bar an die Grund­rech­te ge­bun­den. Sie ha­ben da­mit auch die all­ge­mei­ne Hand­lungs­frei­heit nach Ar­ti­kel 2 Abs. 1 GG zu be­ach­ten. Die Grund­recht­sträger sind vor un­verhält­nismäßigen Be­schränkun­gen ih­rer Grund­rech­te zu schützen. Dem­zu­fol­ge müss­ten die von den Be­triebs­par­tei­en ge­schaf­fe­nen Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen ge­eig­net, er­for­der­lich und un­ter Berück­sich­ti­gung des gewähr­leis­te­ten Frei­heits­rechts an­ge­mes­sen sein, um den er­streb­ten Zweck zu er­rei­chen. In­ner­halb der Prüfung der An­ge­mes­sen­heit ist ei­ne Ge­samt­abwägung zwi­schen der In­ten­sität des Ein­griffs und dem Ge­wicht der ihn recht­fer­ti­gen­den Gründe er­for­der­lich. Die­sen An­for­de­run­gen wer­den die bei­den Be­triebs­ver­ein­ba­run­gen nicht ge­recht. Als schützens­wer­tes In­ter­es­se der Be­klag­ten sind die Lästig­keit und der Ar­beits­auf­wand, der mit der Berück­sich­ti­gung von Lohn­ab­tre­tun­gen ver­bun­den ist, zu er­ken­nen. Mühsam le­gi­ti­miert je­doch kei­nen Grund­rechts­ein­griff (vgl. auch BAG 18.07.2006, 1 AZR 578/05, BAG AP Nr. 15 zu § 850 ZPO).

Nach al­le­dem war das Versäum­nis­ur­teil auf­zu­he­ben und der Kla­ge statt­zu­ge­ben.

3. Die Kos­ten­ent­schei­dung be­ruht auf § 91 ZPO i. V. m. § 46 Abs. 2 ArbGG.

4. Der Streit­wert war gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Ur­teil fest­zu­set­zen. Er ent­spricht dem ein­ge­klag­ten Be­trag.

Rechts­mit­tel­be­leh­rung

Die Be­klag­te kann ge­gen die­ses Ur­teil Be­ru­fung ein­le­gen, so­weit der Wert des Be­schwer­de­ge­gen­stan­des € 600,00 über­steigt.


Die Be­ru­fungs­schrift muss das Ur­teil be­zeich­nen, ge­gen das die Be­ru­fung ge­rich­tet ist, und die Erklärung ent­hal­ten, dass ge­gen die­ses Ur­teil Be­ru­fung ein­ge­legt wird.


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Die Be­ru­fungs­schrift und die Be­ru­fungs­be­gründung müssen un­ter­schrie­ben sein von ei­nem Rechts­an­walt, der bei ei­nem deut­schen Ge­richt zu­ge­las­sen ist, oder von ei­ner Ge­werk­schaft, ei­ner Ver­ei­ni­gung von Ar­beit­ge­bern oder ei­nem Zu­sam­men­schluss sol­cher Verbände für ih­re Mit­glie­der oder für an­de­re Verbände oder Zu­sam­men­schlüsse mit ver­gleich­ba­rer Aus­rich­tung und de­ren Mit­glie­der. Dies gilt ent­spre­chend für ju­ris­ti­sche Per­so­nen, de­ren An­tei­le sämt­lich im wirt­schaft­li­chen Ei­gen­tum ei­ner der vor­ge­nann­ten Or­ga­ni­sa­tio­nen ste­hen, wenn die ju­ris­ti­sche Per­son aus­sch­ließlich die Rechts­be­ra­tung und Pro­zess­ver­tre­tung die­ser Or­ga­ni­sa­ti­on und ih­rer Mit­glie­der oder an­de­rer Verbände oder Zu­sam­men­schlüsse mit ver­gleich­ba­rer Aus­rich­tung und de­ren Mit­glie­der ent­spre­chend de­ren Sat­zung durchführt und wenn die Or­ga­ni­sa­ti­on für die Tätig­keit der Be­vollmäch­tig­ten haf­tet.

Die Frist für die Ein­le­gung der Be­ru­fung beträgt ei­nen Mo­nat, die Frist für die Be­gründung der Be­ru­fung zwei Mo­na­te. Bei­de Fris­ten be­gin­nen mit der Zu­stel­lung des in vollständi­ger Form ab­ge­fass­ten Ur­teils, spätes­tens aber mit Ab­lauf von fünf Mo­na­ten nach der Verkündung.

Die An­schrift des Be­ru­fungs­ge­richts lau­tet: Lan­des­ar­beits­ge­richt Ham­burg, Post­fach 76 07 20, 22057 Ham­burg bzw. Lan­des­ar­beits­ge­richt Ham­burg, Os­ter­bek­s­traße 96, 22083 Ham­burg.

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