HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

ARBEITSRECHT AKTUELL // 11/032

Be­fris­tung von Ar­beits­ver­trä­gen: Kei­ne End­los­ver­län­ge­rung we­gen Ver­tre­tungs­be­darfs

Ver­sto­ßen Ket­ten­be­fris­tun­gen zur Ver­tre­tung an­de­rer Ar­beit­neh­mer ge­gen eu­ro­päi­sches Recht?: Bun­des­ar­beits­ge­richt, Be­schluss vom 17.11.2010, 7 AZR 443/09 (A)
Europafahne Ket­ten­be­fris­tun­gen auf dem Prüf­stand
15.02.2011. Ist die Be­fris­tung von Ar­beits­ver­trä­gen durch ei­nen Sach­grund im Sin­ne von § 14 Abs. 1 Teil­zeit- und Be­fris­tungs­ge­setz (Tz­B­fG) ge­recht­fer­tigt, so kommt es nach der bis­he­ri­gen Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) we­der auf die Ge­samt­dau­er noch auf die An­zahl der Zeit­ver­trä­ge an. Ein sol­cher Sach­grund liegt bei­spiels­wei­se vor, wenn ein Ar­beit­neh­mer ver­tre­ten wer­den muss, weil er krank­heits­be­dingt län­ger aus­fällt. Doch ist ge­ra­de in grö­ße­ren Un­ter­neh­men im­mer ein Ar­beit­neh­mer krank oder in El­tern­zeit.

Da­her reiht sich in der Pra­xis häu­fig ein sach­grund­be­fris­te­ter Ver­trag an den nächs­ten. Die­se Recht­spre­chung ist nun­mehr ins Wan­ken ge­ra­ten. Das Bun­des­ar­beits­ge­richt (BAG) hat sich mit der Fra­ge an den Eu­ro­päi­schen Ge­richts­hof ge­wandt, ob die­se Pra­xis mit eu­ro­päi­schem Recht ver­ein­bar ist (BAG, Be­schluss vom 17.11.2010, 7 AZR 443/09). Tut sie dies nicht, so ist das letz­te Glied in der Ket­ten­be­fris­tung wohl bald er­reicht.

Die Be­fris­tung von Ar­beits­verträgen - recht­li­che Gren­zen nach deut­schem und eu­ropäischem Recht

1999 ei­nig­ten sich Ar­beit­ge­ber- und Ar­beit­neh­mer­ver­tre­ter auf EU-Ebe­ne auf ei­ne „Rah­men­ver­ein­ba­rung über be­fris­te­te Ar­beits­verträge“, die später in ei­ne ver­bind­li­che EU-Richt­li­nie über­nom­men wur­de (Richt­li­nie 1999/70/EG des Ra­tes vom 28.06.1999). Die Rah­men­ver­ein­ba­rung bzw. die Richt­li­nie 1999/70/EG ha­ben das Ziel, den Miss­brauch von auf­ein­an­der­fol­gen­den be­fris­te­ten Ar­beits­verträgen zu un­ter­bin­den (§ 5 Nr. 1 der Rah­men­ver­ein­ba­rung).

Um die­ses Ziel zu er­rei­chen, können die Mit­glied­staa­ten zwi­schen ver­schie­de­nen Mit­teln wählen, d.h. sie können die Zulässig­keit be­fris­te­ter Verträge vom Vor­lie­gen ei­nes Sach­grun­des abhängig ma­chen (§ 5 Nr. 1 a) der Rah­men­ver­ein­ba­rung) und/oder für auf­ein­an­der­fol­gen­de Zeit­verträge ei­ne be­stimm­te Höchst­dau­er (§ 5 Nr. 1 b) der Rah­men­ver­ein­ba­rung) oder ei­ne Höchst­zahl vor­se­hen (§ 5 Nr. 1c) Rah­men­ver­ein­ba­rung).

In Deutsch­land soll das Teil­zeit- und Be­fris­tungs­ge­setz (Tz­B­fG) die Richt­li­nie 1999/70/EG bzw. die Vor­ga­ben der Rah­men­richt­li­nie um­set­zen. Das Tz­B­fG er­laubt bei erst­ma­lig ab­ge­schlos­se­nen Ar­beits­verträgen ei­ne Be­fris­tung bis zur Ge­samt­dau­er von zwei Jah­ren, oh­ne dass dafür ein sach­li­cher Grund vor­lie­gen müss­te (§ 14 Abs. 2 Tz­B­fG).

Ei­nen Sach­grund braucht es erst, wenn ein bis­lang un­be­fris­te­tes Ar­beits­verhält­nis erst­mals be­fris­tet wer­den soll oder wenn die Ge­samt­dau­er der hin­ter­ein­an­der ge­schal­te­ten Be­fris­tun­gen zwei Jah­re über­steigt. § 14 Abs. 1 Tz­B­fG lis­tet die wich­tigs­ten Sach­gründe auf. Ist die Be­fris­tung ei­nes Ar­beits­ver­trags durch ei­nen Sach­grund ge­recht­fer­tigt, kommt es auf die Ge­samt­dau­er der hin­ter­ein­an­der ge­schal­te­ten Zeit­verträge eben­so­we­nig an wie auf de­ren An­zahl.

Da­her kann sich nach deut­schem Ge­set­zes­recht ein „sach­grund­be­fris­te­ter“ Ar­beits­ver­trag an den nächs­ten rei­hen, so dass sich ei­ne re­gel­rech­te Ket­te auf­ein­an­der fol­gen­der Zeit­verträge er­gibt (sog. Ket­ten­be­fris­tung).

Die Recht­spre­chung des Bun­des­ar­beits­ge­richts (BAG) er­leich­tert Ket­ten­be­fris­tun­gen so­gar, da es grundsätz­lich nur die zu­letzt ver­ein­bar­te Be­fris­tung auf das Vor­lie­gen ei­nes Sach­grun­des hin über­prüft. Die er­neu­te Ver­ein­ba­rung ei­ner Be­fris­tung sol­le im­mer auch die ein­ver­nehm­li­che Be­sei­ti­gung der (mögli­chen) Un­wirk­sam­keit frühe­rer Be­fris­tun­gen ent­hal­ten, so je­den­falls das BAG. Vor al­lem aber kommt es nach der Recht­spre­chung des BAG nicht dar­auf an, wie oft die Par­tei­en ei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses be­reits Zeit­verträge ver­ein­bart ha­ben und wie lan­ge die Ge­samt­dau­er der (im­mer er­neut be­fris­te­ten) Beschäfti­gung währt.

Das ist für be­trof­fe­ne Ar­beit­neh­mer und ih­re Anwälte ärger­lich, da sich mit zu­neh­men­der An­zahl von Zeit­verträgen und zu­neh­men­der Dau­er des Ar­beits­verhält­nis­ses Zwei­fel an der sach­li­chen Be­rech­ti­gung auf­drängen: Wer über zehn Jah­re lan­ge beim sel­ben Ar­beit­ge­ber im­mer wie­der („in Ket­te“) be­fris­tet beschäftigt war, weil es im­mer wie­der - an­geb­lich - ei­nen Be­darf nach der zeit­lich be­fris­te­ten Ver­tre­tung ei­nes an­de­ren Ar­beit­neh­mers gab, der wird an der sach­li­chen Recht­fer­ti­gung der Be­fris­tung sei­nes Ar­beits­verhält­nis­ses zwei­feln. Sch­ließlich ist in größeren Be­trie­ben und Dienst­stel­len im­mer ein Kol­le­ge oder ei­ne Kol­le­gin länger krank, in Mut­ter­schutz oder in El­tern­zeit.

Da­her kann man dar­an zwei­feln, ob das deut­sche Ar­beits­recht dem Miss­brauch von Ket­ten­be­fris­tun­gen in dem Maße ent­ge­gen­wirkt, wie das die Richt­li­nie 1999/70/EG ver­langt. Erst­mals im Ok­to­ber und No­vem­ber des letz­ten Jah­res ging das BAG auf die­se Kri­tik ein und über­dach­te sei­ne bis­he­ri­ge Recht­spre­chung.

Zunächst leg­te es dem Eu­ropäischen Ge­richts­hof (EuGH) ei­ni­ge Fra­gen vor, die mit der eu­ro­pa­recht­li­chen Zulässig­keit der Be­fris­tung auf­grund von Haus­halts­vor­ga­ben zu­sam­menhängen, d.h. es äußer­te Zwei­fel dar­an, dass Ket­ten­be­fris­tun­gen auf der Grund­la­ge von § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 Tz­B­fG mit der Richt­li­nie 1999/70/EG ver­ein­bar sind (Be­schluss vom 27.10.2010, 7 AZR 485/09 (A), wir be­rich­te­ten in: Ar­beits­recht ak­tu­ell 11/008: Ist die Haus­halts­be­fris­tung mit Eu­ro­pa­recht ver­ein­bar?).

Nun­mehr ließ das BAG auch Zwei­fel darüber laut wer­den, in­wie­weit sei­ne Recht­spre­chung zu § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Tz­B­fG, d.h. zum Sach­grund der Ver­tre­tung ei­nes an­de­ren Ar­beit­neh­mers, eu­ro­pa­recht­lich zulässig ist (Be­schluss vom 17.11.2010, 7 AZR 443/09 (A)).

Der Fall des BAG: Kölner Jus­tiz­an­ge­stell­te wird über zehn Jah­re hin­weg fort­lau­fend be­fris­tet beschäftigt

Der vor­lie­gen­de Sach­ver­halt weist en­ge Par­al­le­len zu dem des Vor­la­ge­be­schlus­ses des BAG vom 27.10.2010 auf und das nicht nur, weil sich bei­de Fälle in Nord­rhein-West­fa­len bzw. in Köln zu­ge­tra­gen ha­ben. Bei­de Ma­le sind Ar­beit­neh­me­rin­nen „in der Ket­te“, d.h. über zehn Jah­re hin­weg auf der Grund­la­ge beträcht­lich vie­ler hin­ter­ein­an­der­ge­schal­te­ter, be­fris­te­ter Ar­beits­verträge im Lan­des­jus­tiz­dienst beschäftigt wor­den.

Vor­lie­gend war die Ar­beit­neh­me­rin von 1996 bis En­de 2007 beim Amts­ge­richt Köln beschäftigt. Sach­grund der zu­letzt ver­ein­bar­ten Be­fris­tung war die Ver­tre­tung ei­nes an­de­ren Ar­beit­neh­mers. Das dar­aus fol­gen­de Aus­lau­fen des Ar­beits­ver­trags En­de 2007 woll­te die Ar­beit­neh­me­rin nicht ak­zep­tie­ren und er­hob Be­fris­tungs­kon­troll­kla­ge.

Das Ar­beits­ge­richt und auch das Lan­des­ar­beits­ge­richt (LAG) Köln wie­sen die Kla­ge ab. Denn we­der die Ge­samtlänge des Ar­beits­verhält­nis­ses noch die Häufig­keit der be­fris­te­ten Ver­trags­verlänge­run­gen ließen - auf der Ba­sis der bis­he­ri­gen BAG-Recht­spre­chung - die An­nah­me ei­ner un­wirk­sa­men Be­fris­tung zu, so Ar­beits­ge­richt und LAG Köln (LAG Köln, Ur­teil vom 15.05.2009, 4 Sa 877/08).

BAG: Zwei­fel an der Ver­ein­bar­keit der deut­schen Recht­spre­chung mit dem Uni­ons­recht

Das BAG setz­te das Ver­fah­ren aus und leg­te dem EuGH ei­ni­ge Fra­gen im Zu­sam­men­hang mit sei­ner bis­he­ri­gen Recht­spre­chung zur Ver­tre­tungs­be­fris­tung gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Tz­B­fG bzw. zur Ver­ein­bar­keit die­ser Recht­spre­chung mit dem Uni­ons­recht vor.

Im we­sent­li­chen fragt sich das BAG, ob sei­ne Recht­spre­chung Ar­beit­neh­mern zu we­nig Schutz vor miss­bräuch­li­chen Ket­ten­be­fris­tun­gen bie­tet. Im­mer­hin kann der Ar­beit­ge­ber nach der bis­he­ri­gen BAG-Recht­spre­chung frei darüber ent­schei­den ob er, bei ei­nem nach Ab­lauf ei­nes Zeit­ver­trags wei­ter­hin be­ste­hen­den Ver­tre­tungs­be­darf, er­neut ei­nen Zeit­ver­trag (mit dem­sel­ben oder ei­nem an­de­ren Ar­beit­neh­mer) ab­sch­ließt oder ob er die Zahl sei­ner fest­an­ge­stell­ten Ar­beit­neh­mer auf­grund des dau­ern­den Ver­tre­tungs­be­darfs auf­stockt. Die­se Recht­spre­chung zwei­felt das BAG nun­mehr an und fragt sich, ob ein dau­ern­der Ver­tre­tungs­be­darf, den der Ar­beit­ge­ber auch durch un­be­fris­te­te Ein­stel­lun­gen ab­de­cken könn­te, dem Sach­grund der Ver­tre­tung ent­ge­gen­steht.

Darüber hin­aus stellt das BAG auch die Fra­ge, ob sei­ne Recht­spre­chung in der Hin­sicht der Richt­li­nie 1999/70/EG ent­spricht, dass es auf die Zahl der mit dem­sel­ben Ar­beit­neh­mer ver­ein­bar­ten, auf­ein­an­der fol­gen­den Verträge bei der Über­prüfung ei­nes Ver­tre­tungs­sach­grunds nicht an­kom­men soll (Be­schluss, Rn.30).

Fa­zit: Bis­lang erklärte das BAG Ver­tre­tungs­be­fris­tun­gen auch dann für wirk­sam, wenn die An­zahl der Ver­trags­verlänge­run­gen groß und die ge­sam­te Dau­er der Beschäfti­gung über zehn Jah­re oder länger an­dau­er­te. Nach die­ser Recht­spre­chung half dem Ar­beit­neh­mer auch ein ständi­ger be­trieb­li­cher Ver­tre­tungs­be­darf nichts, da es dem Ar­beit­ge­ber frei­stand, hier­auf mit Fest­ein­stel­lun­gen oder mit wei­te­ren Zeit­verträgen zu re­agie­ren. Die­se Recht­spre­chung ist ins Rut­schen ge­ra­ten und wird je nach­dem, wie der EuGH ent­schei­det, geändert wer­den.

Auf­grund des jetzt er­gan­ge­nen Vor­la­ge­be­schlus­ses des BAG können Ar­beit­ge­ber nicht mehr dar­auf ver­trau­en, dass die­se Recht­spre­chung wei­ter gilt, so dass sie bei dau­ern­dem Ver­tre­tungs­be­darf über­le­gen soll­ten, an­stel­le von be­fris­te­ten Ar­beits­verträgen Fest­ein­stel­lun­gen vor­zu­neh­men. Be­trof­fe­nen Ar­beit­neh­mern, de­ren aus Ver­tre­tungs­gründen be­fris­te­te Ar­beits­verträge aus­lau­fen, ist zu ra­ten, die Wirk­sam­keit der Be­fris­tung ge­richt­lich über­prüfen zu las­sen.

Nähe­re In­for­ma­tio­nen fin­den Sie hier:

Letzte Überarbeitung: 21. Juni 2016

Weitere Auskünfte erteilen Ihnen gern:

Dr. Martin Hensche
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hensche@hensche.de
Christoph Hildebrandt
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Kontakt:
030 / 26 39 620
hildebrandt@hensche.de
Nina Wesemann
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht

Kontakt:
040 / 69 20 68 04
wesemann@hensche.de

Bewertung:

Auf Facebook teilen Auf Google+ teilen Ihren XING-Kontakten zeigen Beitrag twittern

 

Für Personaler, betriebliche Arbeitnehmervertretungen und andere Arbeitsrechtsprofis: "Update Arbeitsrecht" bringt Sie regelmäßig auf den neusten Stand der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung. Informationen zu den Abo-Bedingungen und ein kostenloses Ansichtsexemplar finden Sie hier:

Alle vierzehn Tage alles Wichtige
verständlich / aktuell / praxisnah

HINWEIS: Sämtliche Texte dieser Internetpräsenz mit Ausnahme der Gesetzestexte und Gerichtsentscheidungen sind urheberrechtlich geschützt. Urheber im Sinne des Gesetzes über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte (UrhG) ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Martin Hensche, Lützowstraße 32, 10785 Berlin.

Wörtliche oder sinngemäße Zitate sind nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung des Urhebers bzw. bei ausdrücklichem Hinweis auf die fremde Urheberschaft (Quellenangabe iSv. § 63 UrhG) rechtlich zulässig. Verstöße hiergegen werden gerichtlich verfolgt.

© 1997 - 2024:
Rechtsanwalt Dr. Martin Hensche, Berlin
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Lützowstraße 32, 10785 Berlin
Telefon: 030 - 26 39 62 0
Telefax: 030 - 26 39 62 499
E-mail: hensche@hensche.de