HENSCHE RECHTSANWÄLTE, FACHANWALTSKANZLEI FÜR ARBEITSRECHT

 

EuGH, Ur­teil vom 09.03.2021, C-580/19

   
Schlagworte: Arbeitszeit, Arbeitszeitgestaltung, Rufbereitschaft
   
Gericht: Europäischer Gerichtshof
Aktenzeichen: C-580/19
Typ: Urteil
Entscheidungsdatum: 09.03.2021
   
Leitsätze: Art. 2 Nr. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ist dahin auszulegen, dass Bereitschaftszeit in Form von Rufbereitschaft, während der ein Arbeitnehmer in der Lage sein muss, innerhalb von 20 Minuten in Einsatzkleidung mit dem ihm von seinem Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Einsatzfahrzeug unter Inanspruchnahme der für dieses Fahrzeug geltenden Sonderrechte gegenüber der Straßenverkehrsordnung und Wegerechte die Stadtgrenze seiner Dienststelle zu erreichen, nur dann in vollem Umfang „Arbeitszeit“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt, wenn eine Gesamtbeurteilung aller Umstände des Einzelfalls, zu denen die Folgen einer solchen Zeitvorgabe und gegebenenfalls die durchschnittliche Häufigkeit von Einsätzen während der Bereitschaftszeit gehören, ergibt, dass die dem Arbeitnehmer während der Bereitschaftszeit auferlegten Einschränkungen von solcher Art sind, dass sie seine Möglichkeiten, dann die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sie seinen eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen.
Vorinstanzen: Verwaltungsgericht Darmstadt, 21.02.2019, 1 K 1188/15
   

UR­TEIL DES GERICH­TSHOFS (Große Kam­mer)

9. März 2021

 

„Vor­la­ge zur Vor­ab­ent­schei­dung – Schutz der Si­cher­heit und der Ge­sund­heit der Ar­beit­neh­mer – Ar­beits­zeit­ge­stal­tung – Richt­li­nie 2003/88/EG – Art. 2 – Be­griff ‚Ar­beits­zeit‘ – Be­reit­schafts­zeit in Form von Ruf­be­reit­schaft – Be­rufs­feu­er­wehr­leu­te – Richt­li­nie 89/391/EWG – Art. 5 und 6 – Psy­cho­so­zia­le Ri­si­ken – Vor­sor­ge­pflicht“

 

In der Rechts­sa­che C‑580/19

 

be­tref­fend ein Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen nach Art. 267 AEUV, ein­ge­reicht vom Ver­wal­tungs­ge­richt Darm­stadt (Deutsch­land) mit Ent­schei­dung vom 21. Fe­bru­ar 2019, beim Ge­richts­hof ein­ge­gan­gen am 30. Ju­li 2019, in dem Ver­fah­ren

RJ

ge­gen

Stadt Of­fen­bach am Main

erlässt

 

DER GERICH­TSHOF (Große Kam­mer)

 

un­ter Mit­wir­kung des Präsi­den­ten K. Lena­erts, der Vi­ze­präsi­den­tin R. Sil­va de La­pu­er­ta, des Kam­mer­präsi­den­ten A. Ara­b­ad­jiev, der Kam­mer­präsi­den­tin A. Prechal, der Kam­mer­präsi­den­ten M. Vil­a­ras und N. Piçar­ra, des Rich­ters T. von Dan­witz, der Rich­te­rin C. Toa­der, der Rich­ter M. Saf­jan, D. Šváby, S. Ro­din und F. Bilt­gen, der Rich­te­rin K. Jürimäe, des Rich­ters C. Ly­cour­gos (Be­richt­er­stat­ter) und der Rich­te­rin L. S. Ros­si,

Ge­ne­ral­an­walt: G. Pi­truz­zel­la,

Kanz­ler: M. Lon­gar, Ver­wal­tungs­rat,

auf­grund des schrift­li­chen Ver­fah­rens und auf die münd­li­che Ver­hand­lung vom 22. Ju­ni 2020,

un­ter Berück­sich­ti­gung der Erklärun­gen

der bel­gi­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch S. Ba­ey­ens, L. Van den Bro­eck, M. Ja­cobs und C. Po­chet als Be­vollmäch­tig­te,

 

der spa­ni­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch S. Jiménez García als Be­vollmäch­tig­ten,

 

der französi­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch A. Fer­rand, R. Coe­s­me, E. Tou­tain und A.‑L. Des­jon­quères als Be­vollmäch­tig­te,

 

der nie­derländi­schen Re­gie­rung, ver­tre­ten durch M. K. Bul­ter­man und C. S. Schil­lem­ans als Be­vollmäch­tig­te,

 

der fin­ni­schen Re­gie­rung, zunächst ver­tre­ten durch H. Lep­po und J. He­lis­koski, dann durch H. Lep­po als Be­vollmäch­tig­te,

 

der Eu­ropäischen Kom­mis­si­on, zunächst ver­tre­ten durch B.‑R. Kill­mann und M. van Beek, dann durch B.-R. Kill­mann als Be­vollmäch­tig­te,

 

nach Anhörung der Schluss­anträge des Ge­ne­ral­an­walts in der Sit­zung vom 6. Ok­to­ber 2020

fol­gen­des

 

Ur­teil

1

Das Vor­ab­ent­schei­dungs­er­su­chen be­trifft die Aus­le­gung von Art. 2 der Richt­li­nie 2003/88/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 4. No­vem­ber 2003 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung (ABl. 2003, L 299, S. 9).

 

2

Es er­geht im Rah­men ei­nes Rechts­streits zwi­schen RJ und der Stadt Of­fen­bach am Main (Deutsch­land) we­gen der von RJ ge­for­der­ten Vergütung für die von ihm in Form von Ruf­be­reit­schaft ge­leis­te­ten Be­reit­schafts­diens­te. Vor­ab ist dar­auf hin­zu­wei­sen, dass im Rah­men des vor­lie­gen­den Ur­teils der Be­griff „Be­reit­schaft“ all­ge­mein sämt­li­che Zeiträume um­fasst, in de­nen der Ar­beit­neh­mer sei­nem Ar­beit­ge­ber zur Verfügung steht, um auf des­sen Ver­lan­gen ei­ne Ar­beits­leis­tung er­brin­gen zu können, während mit dem Aus­druck „Ruf­be­reit­schaft“ Be­reit­schafts­zei­ten be­zeich­net wer­den, in de­nen der Ar­beit­neh­mer nicht an sei­nem Ar­beits­platz blei­ben muss.

 

Recht­li­cher Rah­men


Uni­ons­recht


Richt­li­nie 89/391/EWG

3

Art. 5 Abs. 1 der Richt­li­nie 89/391/EWG des Ra­tes vom 12. Ju­ni 1989 über die Durchführung von Maßnah­men zur Ver­bes­se­rung der Si­cher­heit und des Ge­sund­heits­schut­zes der Ar­beit­neh­mer bei der Ar­beit (ABl. 1989, L 183, S. 1) be­stimmt:

 

„Der Ar­beit­ge­ber ist ver­pflich­tet, für die Si­cher­heit und den Ge­sund­heits­schutz der Ar­beit­neh­mer in Be­zug auf al­le As­pek­te, die die Ar­beit be­tref­fen, zu sor­gen.“

 

4

Art. 6 der Richt­li­nie 89/391 be­stimmt:

 

„(1) Im Rah­men sei­ner Ver­pflich­tun­gen trifft der Ar­beit­ge­ber die für die Si­cher­heit und den Ge­sund­heits­schutz der Ar­beit­neh­mer er­for­der­li­chen Maßnah­men, ein­sch­ließlich der Maßnah­men zur Verhütung be­rufs­be­ding­ter Ge­fah­ren, zur In­for­ma­ti­on und zur Un­ter­wei­sung so­wie der Be­reit­stel­lung ei­ner ge­eig­ne­ten Or­ga­ni­sa­ti­on und der er­for­der­li­chen Mit­tel.

 

Der Ar­beit­ge­ber muss dar­auf ach­ten, dass die­se Maßnah­men ent­spre­chend den sich ändern­den Ge­ge­ben­hei­ten an­ge­passt wer­den, und er muss ei­ne Ver­bes­se­rung der be­ste­hen­den Ar­beits­be­din­gun­gen an­stre­ben.

 

(2) Der Ar­beit­ge­ber setzt die Maßnah­men nach Ab­satz 1 Un­ter­ab­satz 1 aus­ge­hend von fol­gen­den all­ge­mei­nen Grundsätzen der Ge­fah­ren­verhütung um:

a)  Ver­mei­dung von Ri­si­ken; 
b)  Abschätzung nicht ver­meid­ba­rer Ri­si­ken;
c) Ge­fah­ren­bekämp­fung an der Quel­le;

 

(3) Un­be­scha­det der an­de­ren Be­stim­mun­gen die­ser Richt­li­nie hat der Ar­beit­ge­ber je nach Art der Tätig­kei­ten des Un­ter­neh­mens bzw. Be­triebs fol­gen­de Ver­pflich­tun­gen:

a) 

Be­ur­tei­lung von Ge­fah­ren für Si­cher­heit und Ge­sund­heit der Ar­beit­neh­mer, un­ter an­de­rem bei der Aus­wahl von Ar­beits­mit­teln, che­mi­schen Stof­fen oder Zu­be­rei­tun­gen und bei der Ge­stal­tung der Ar­beitsplätze.

 

Die vom Ar­beit­ge­ber auf­grund die­ser Be­ur­tei­lung ge­trof­fe­nen Maßnah­men zur Ge­fah­ren­verhütung so­wie die von ihm an­ge­wen­de­ten Ar­beits- und Pro­duk­ti­ons­ver­fah­ren müssen er­for­der­li­chen­falls

  • ei­nen höhe­ren Grad an Si­cher­heit und ei­nen bes­se­ren Ge­sund­heits­schutz der Ar­beit­neh­mer gewähr­leis­ten;
  • in al­le Tätig­kei­ten des Un­ter­neh­mens bzw. des Be­trie­bes und auf al­len Führungs­ebe­nen ein­be­zo­gen wer­den;
 
…“

 

Richt­li­nie 2003/88

 

5 Art. 1 der Richt­li­nie 2003/88 be­stimmt:

 

„(1) Die­se Richt­li­nie enthält Min­dest­vor­schrif­ten für Si­cher­heit und Ge­sund­heits­schutz bei der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung.

 

(2) Ge­gen­stand die­ser Richt­li­nie sind

a) 

die tägli­chen und wöchent­li­chen Min­destru­he­zei­ten, der Min­dest­jah­res­ur­laub, die Ru­he­pau­sen und die wöchent­li­che Höchst­ar­beits­zeit so­wie

 

b) be­stimm­te As­pek­te der Nacht- und der Schicht­ar­beit so­wie des Ar­beits­rhyth­mus.

…“

 

6

Art. 2 der Richt­li­nie 2003/88 sieht vor:

 

„Im Sin­ne die­ser Richt­li­nie sind:

  1. Ar­beits­zeit: je­de Zeit­span­ne, während der ein Ar­beit­neh­mer gemäß den ein­zel­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten und/oder Ge­pflo­gen­hei­ten ar­bei­tet, dem Ar­beit­ge­ber zur Verfügung steht und sei­ne Tätig­keit ausübt oder Auf­ga­ben wahr­nimmt;
  2. Ru­he­zeit: je­de Zeit­span­ne außer­halb der Ar­beits­zeit;

 

…“

 

7 Art. 7 Abs. 1 der Richt­li­nie 2003/88 lau­tet:

 

„Die Mit­glied­staa­ten tref­fen die er­for­der­li­chen Maßnah­men, da­mit je­der Ar­beit­neh­mer ei­nen be­zahl­ten Min­dest­jah­res­ur­laub von vier Wo­chen nach Maßga­be der Be­din­gun­gen für die In­an­spruch­nah­me und die Gewährung erhält, die in den ein­zel­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten und/oder nach den ein­zel­staat­li­chen Ge­pflo­gen­hei­ten vor­ge­se­hen sind.“

 

Deut­sches Recht

 

8 Die Ver­ord­nung über die Or­ga­ni­sa­ti­on, Min­deststärke und Ausrüstung der öffent­li­chen Feu­er­weh­ren vom 17. De­zem­ber 2003 (GVBl., S. 693) be­stimmt in ih­rer An­la­ge u. a.:

 

„Die Ausrüstung der Stu­fe 2 ein­sch­ließlich des dafür not­wen­di­gen Per­so­nals ist in der Re­gel in­ner­halb von 20 Mi­nu­ten nach der Alar­mie­rung am Ein­satz­ort ein­zu­set­zen …“

 

9

Nach der Ein­satz­dienst­verfügung der Feu­er­wehr Of­fen­bach in der Fas­sung vom 18. Ju­ni 2018 hat der Be­am­te, der den Dienst „Be­am­ter vom Ein­satz­leit­dienst“ (im Fol­gen­den: BvE‑Dienst) leis­tet, so­fort un­ter In­an­spruch­nah­me von Son­der­rech­ten ge­genüber der Straßen­ver­kehrs­ord­nung und von We­ge­rech­ten zur Ein­satz­stel­le aus­zurücken.

 

10 Zu den Ver­pflich­tun­gen des Be­am­ten während des BvE‑Diens­tes heißt es auf S. 6 der Ein­satz­dienst­verfügung:

 

„Der Be­am­te vom Ein­satz­lei­ter­dienst ver­sieht sei­nen Dienst in Ruf­be­reit­schaft und hat sei­nen Auf­ent­halt während der Ausübung des Diens­tes so zu wählen, dass er die Ein­greif­zeit von 20 Mi­nu­ten einhält. Die­se Re­gel gilt als ein­ge­hal­ten, wenn er von sei­nem Auf­ent­halts­ort bis zur Stadt­gren­ze der Stadt Of­fen­bach am Main ei­ne Fahr­zeit un­ter In­an­spruch­nah­me von Son­der- und We­ge­rech­ten von 20 Mi­nu­ten einhält. Die­se Zeit gilt bei mitt­le­rer Ver­kehrs­dich­te und nor­ma­len Straßen- und Wit­te­rungs­verhält­nis­sen.“

 

Aus­gangs­ver­fah­ren und Vor­la­ge­fra­gen

 

11

RJ ist Be­am­ter und als Grup­pen­lei­ter bei der Feu­er­wehr der Stadt Of­fen­bach am Main tätig. Ne­ben sei­nem re­gulären Dienst muss er nach den für die Feu­er­wehr Of­fen­bach gel­ten­den Rechts­vor­schrif­ten re­gelmäßig BvE‑Dienst leis­ten.

 

12

Während des BvE‑Diens­tes muss RJ ständig er­reich­bar sein und sei­ne Ein­satz­klei­dung so­wie ein ihm von sei­nem Ar­beit­ge­ber zur Verfügung ge­stell­tes Ein­satz­fahr­zeug mit sich führen. Er muss ein­ge­hen­de An­ru­fe ent­ge­gen­neh­men, durch die er über Er­eig­nis­se in­for­miert wird und zu de­nen er Ent­schei­dun­gen zu tref­fen hat. In be­stimm­ten Fällen muss er zur Ein­satz­stel­le oder zu sei­ner Dienst­stel­le ausrücken. Während des BvE‑Diens­tes hat RJ sei­nen Auf­ent­halts­ort so zu wählen, dass er im Fall der Alar­mie­rung in Ein­satz­klei­dung und mit dem Ein­satz­fahr­zeug un­ter In­an­spruch­nah­me von Son­der­rech­ten ge­genüber der Straßen­ver­kehrs­ord­nung und von We­ge­rech­ten in­ner­halb von 20 Mi­nu­ten die Stadt­gren­ze von Of­fen­bach am Main er­reicht.

 

13

Un­ter der Wo­che dau­ert der BvE‑Dienst von 17 Uhr bis 7 Uhr des fol­gen­den Ta­ges. Am Wo­chen­en­de er­streckt er sich von Frei­tag 17 Uhr bis Mon­tag 7 Uhr. Ein BvE‑Dienst am Wo­chen­en­de kann sich an ei­ne 42-St­un­den-Wo­che im Tagdienst an­sch­ließen. Im Durch­schnitt leis­tet RJ an 10 bis 15 Wo­chen­en­den pro Jahr BvE‑Diens­te. In der Zeit vom 1. Ja­nu­ar 2013 bis 31. De­zem­ber 2015 leis­te­te er ins­ge­samt 126 BvE‑Diens­te. Da­bei kam es zu 20 Alar­mie­run­gen bzw. Einsätzen. Im Drei­jah­res­mit­tel gab es so­mit pro Jahr 6,67 Alar­mie­run­gen, während RJ BvE‑Diens­te leis­te­te.

 

14

RJ be­an­trag­te, den BvE‑Dienst als Ar­beits­zeit an­zu­er­ken­nen und ihm die ent­spre­chen­de Vergütung zu zah­len. Mit Be­scheid vom 6. Au­gust 2014 lehn­te sei­ne Ar­beit­ge­be­rin die­sen An­trag ab.

 

15

Am 31. Ju­li 2015 er­hob RJ beim vor­le­gen­den Ge­richt Kla­ge und mach­te gel­tend, Be­reit­schafts­zei­ten könn­ten, auch wenn sie in Form von Ruf­be­reit­schaft ge­leis­tet würden und der Ar­beit­neh­mer sich so­mit nicht an ei­nem vom Ar­beit­ge­ber vor­ge­ge­be­nen Ort auf­hal­ten müsse, als Ar­beits­zeit an­ge­se­hen wer­den, so­fern der Ar­beit­neh­mer durch sei­nen Ar­beit­ge­ber ge­zwun­gen wer­de, die Ar­beit bin­nen ei­ner sehr kur­zen Frist auf­zu­neh­men. RJ mach­te ins­be­son­de­re gel­tend, der BvE‑Dienst stel­le ei­ne ganz er­heb­li­che Ein­schränkung sei­ner Frei­zeit dar, da er sich im Alarm­fall so­fort von sei­nem Wohn­ort nach Of­fen­bach am Main be­ge­ben müsse, um die für ihn gel­ten­de Frist von 20 Mi­nu­ten ein­zu­hal­ten.

 

16

Das vor­le­gen­de Ge­richt führt aus, Tätig­kei­ten, die von den Ein­satz­kräften ei­ner staat­li­chen Feu­er­wehr aus­geübt würden, fie­len in den An­wen­dungs­be­reich der Richt­li­nie 2003/88. Fra­gen in Be­zug auf die Vergütung von Be­reit­schafts­diens­ten sei­en hin­ge­gen nicht vom An­wen­dungs­be­reich die­ser Richt­li­nie er­fasst, doch sei die Qua­li­fi­zie­rung des BvE‑Diens­tes als „Ar­beits­zeit“ im Sin­ne von Art. 2 Nr. 1 der Richt­li­nie für den bei ihm anhängi­gen Rechts­streit ent­schei­dungs­er­heb­lich.

 

17

Nach deut­schem Recht könne die Ar­beit­ge­be­rin von RJ nämlich nur dann in der von RJ be­an­trag­ten Wei­se zur Vergütung des BvE‑Diens­tes ver­ur­teilt wer­den, wenn er über die nach der Richt­li­nie 2003/88 zulässi­ge wöchent­li­che Höchst­ar­beits­zeit hin­aus ge­ar­bei­tet ha­be. Im Übri­gen be­tref­fe spe­zi­ell der An­trag von RJ auf Fest­stel­lung, dass der BvE‑Dienst Ar­beits­zeit sei, kei­ne et­wai­ge Vergütung für die­sen Dienst, son­dern sol­le gewähr­leis­ten, dass RJ künf­tig nicht mehr über die uni­ons­recht­lich höchst­zulässi­ge Ar­beits­zeit hin­aus zum Dienst her­an­ge­zo­gen wer­de.

 

18

Bis­lang ha­be der Ge­richts­hof ent­schie­den, dass Be­reit­schafts­dienst nur dann der Ar­beits­zeit gleich­ge­stellt wer­den könne, wenn sich der Ar­beit­neh­mer an ei­nem vom Ar­beit­ge­ber vor­ge­ge­be­nen Ort auf­hal­ten und ihm zur Verfügung ste­hen müsse, um er­for­der­li­chen­falls so­fort die ge­eig­ne­ten Leis­tun­gen er­brin­gen zu können. Im Ur­teil vom 21. Fe­bru­ar 2018, Matz­ak (C‑518/15, EU:C:2018:82), ha­be der Ge­richts­hof je­doch fest­ge­stellt, dass auch Be­reit­schafts­zei­ten, die ein Ar­beit­neh­mer zu Hau­se ver­brin­ge, als Ar­beits­zeit zu qua­li­fi­zie­ren sei­en. Da­bei ha­be er sich zum ei­nen dar­auf gestützt, dass der Ar­beit­neh­mer ver­pflich­tet sei, an ei­nem vom Ar­beit­ge­ber be­stimm­ten Ort an­we­send zu sein, und zum an­de­ren auf die Ein­schränkun­gen der Möglich­keit des Ar­beit­neh­mers, sich sei­nen persönli­chen und so­zia­len In­ter­es­sen zu wid­men, die aus dem Er­for­der­nis re­sul­tier­ten, sich in­ner­halb von acht Mi­nu­ten am Ar­beits­platz ein­zu­fin­den.

 

19

Die­ses Ur­teil schließe nicht aus, dass auch in Form von Ruf­be­reit­schaft ge­leis­te­te Be­reit­schafts­zei­ten als Ar­beits­zeit an­zu­se­hen sei­en, d. h. Zei­ten, in de­nen der Ar­beit­ge­ber dem Ar­beit­neh­mer zwar kei­nen be­stimm­ten Auf­ent­halts­ort vor­schrei­be, aber die freie Orts­wahl und die Frei­zeit­ge­stal­tung des Ar­beit­neh­mers er­heb­lich ein­ge­schränkt sei­en.

 

20

Ins­be­son­de­re stel­le ein Aus­schluss in Form von Ruf­be­reit­schaft ge­leis­te­ter Be­reit­schafts­zei­ten vom Be­griff „Ar­beits­zeit“ im Sin­ne der Richt­li­nie 2003/88, der al­lein dar­auf be­ru­he, dass der Ar­beit­ge­ber dem Ar­beit­neh­mer nicht ge­nau vor­ge­ge­ben ha­be, wo er persönlich an­we­send sein müsse, ei­ne un­ge­recht­fer­tig­te Un­gleich­be­hand­lung ge­genüber der Si­tua­ti­on dar, in der der Ar­beit­ge­ber ei­nen sol­chen Ort fest­ge­legt ha­be. Die dem Ar­beit­neh­mer auf­er­leg­te Ver­pflich­tung, in­ner­halb ei­ner kur­zen Frist ei­nen be­stimm­ten Ort zu er­rei­chen, könne sich nämlich glei­cher­maßen ein­schränkend auf sei­ne Frei­zeit­ge­stal­tung aus­wir­ken und lau­fe dar­auf hin­aus, ihm sei­nen Auf­ent­halts­ort mit­tel­bar vor­zu­ge­ben, wo­durch er in sei­nen Möglich­kei­ten, sei­nen persönli­chen Beschäfti­gun­gen nach­zu­ge­hen, er­heb­lich ein­ge­schränkt sei.

 

21

Sch­ließlich ha­be das Bun­des­ver­wal­tungs­ge­richt (Deutsch­land) zur Klärung der Fra­ge, ob Be­reit­schafts­dienst als Ar­beits­zeit an­zu­se­hen sei, ent­schei­dend auf die Häufig­keit ab­ge­stellt, mit der ein Ar­beit­neh­mer während sei­ner Be­reit­schafts­zei­ten mit ei­ner dienst­li­chen In­an­spruch­nah­me rech­nen müsse. Würden die Be­reit­schafts­zei­ten nur spo­ra­disch von Einsätzen un­ter­bro­chen, han­de­le es sich nicht um „Ar­beits­zeit“.

 

22 Un­ter die­sen Umständen hat das Ver­wal­tungs­ge­richt Darm­stadt (Deutsch­land) be­schlos­sen, das Ver­fah­ren aus­zu­set­zen und dem Ge­richts­hof fol­gen­de Fra­gen zur Vor­ab­ent­schei­dung vor­zu­le­gen:

 

  1. Ist Art. 2 der Richt­li­nie 2003/88 da­hin aus­zu­le­gen, dass Be­reit­schafts­zei­ten, während de­ren ein Ar­beit­neh­mer der Ver­pflich­tung un­ter­liegt, in Ein­satz­klei­dung mit dem Ein­satz­fahr­zeug in­ner­halb von 20 Mi­nu­ten die Stadt­gren­ze sei­ner Dienst­stel­le zu er­rei­chen, als Ar­beits­zeit an­zu­se­hen sind, ob­wohl der Ar­beit­ge­ber dem Ar­beit­neh­mer kei­nen Auf­ent­halts­ort vor­ge­ge­ben hat, aber der Ar­beit­neh­mer gleich­wohl in der Orts­wahl und in den Möglich­kei­ten, sich sei­nen persönli­chen und so­zia­len In­ter­es­sen zu wid­men, er­heb­lich ein­ge­schränkt ist?
  2. Für den Fall der Be­ja­hung der ers­ten Vor­la­ge­fra­ge: Ist Art. 2 der Richt­li­nie 2003/88 in ei­ner Kon­stel­la­ti­on wie der­je­ni­gen der ers­ten Vor­la­ge­fra­ge da­hin aus­zu­le­gen, dass bei der De­fi­ni­ti­on des Be­griffs Ar­beits­zeit auch zu berück­sich­ti­gen ist, ob und in­wie­weit während ei­nes Be­reit­schafts­diens­tes, der an ei­nem vom Ar­beit­ge­ber nicht vor­ge­ge­be­nen Ort zu ver­brin­gen ist, re­gelmäßig mit ei­ner dienst­li­chen In­an­spruch­nah­me zu rech­nen ist?

 

Zu den Vor­la­ge­fra­gen

 

23

Mit sei­nen Fra­gen, die zu­sam­men zu prüfen sind, möch­te das vor­le­gen­de Ge­richt wis­sen, ob Art. 2 der Richt­li­nie 2003/88 da­hin aus­zu­le­gen ist, dass Be­reit­schafts­zeit, während der ein Ar­beit­neh­mer in der La­ge sein muss, in­ner­halb von 20 Mi­nu­ten in Ein­satz­klei­dung mit dem ihm von sei­nem Ar­beit­ge­ber zur Verfügung ge­stell­ten Ein­satz­fahr­zeug un­ter In­an­spruch­nah­me der für die­ses Fahr­zeug gel­ten­den Son­der­rech­te ge­genüber der Straßen­ver­kehrs­ord­nung und We­ge­rech­te die Stadt­gren­ze sei­ner Dienst­stel­le zu er­rei­chen, „Ar­beits­zeit“ im Sin­ne die­ses Ar­ti­kels dar­stellt, und ob im Rah­men ei­ner sol­chen Be­ur­tei­lung zu berück­sich­ti­gen ist, wie oft er während der Be­reit­schafts­zeit im Durch­schnitt tatsächlich zu Einsätzen ge­ru­fen wird.

 

24

Aus der Vor­la­ge­ent­schei­dung und den dem Ge­richts­hof vor­lie­gen­den Ak­ten er­gibt sich ins­be­son­de­re, dass der Kläger des Aus­gangs­ver­fah­rens zu et­wa 40 Be­reit­schafts­zei­ten pro Jahr her­an­ge­zo­gen wird, und zwar un­ter der Wo­che nachts und am Wo­chen­en­de. Die Be­reit­schafts­zei­ten wer­den in Form von Ruf­be­reit­schaft ge­leis­tet; dies be­deu­tet, dass er nicht persönlich an sei­nem Ar­beits­platz an­we­send sein muss. Während der Be­reit­schafts­zei­ten muss RJ je­der­zeit sei­ne Ein­satz­klei­dung be­reit­hal­ten und sein Ein­satz­fahr­zeug mit sich führen, ein­ge­hen­de An­ru­fe so­fort ent­ge­gen­neh­men können und in der La­ge sein, in­ner­halb von 20 Mi­nu­ten in Ein­satz­klei­dung und mit sei­nem Dienst­fahr­zeug un­ter In­an­spruch­nah­me der für die­ses Fahr­zeug gel­ten­den Son­der- und We­ge­rech­te die Gren­ze der Stadt Of­fen­bach am Main zu er­rei­chen. Die­se Fahr­zeit gilt bei mitt­le­rer Ver­kehrs­dich­te und nor­ma­len Straßen- und Wit­te­rungs­verhält­nis­sen.

 

25

Vor­ab ist dar­auf hin­zu­wei­sen, dass letzt­lich das vor­le­gen­de Ge­richt zu prüfen hat, ob die im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­den Zei­ten des Be­reit­schafts­diens­tes in Form von Ruf­be­reit­schaft für die Zwe­cke der An­wen­dung der Richt­li­nie 2003/88 als „Ar­beits­zeit“ ein­zu­stu­fen sind; es ist je­doch Sa­che des Ge­richts­hofs, dem vor­le­gen­den Ge­richt Hin­wei­se zu den bei die­ser Prüfung zu berück­sich­ti­gen­den Kri­te­ri­en zu ge­ben (Ur­teil vom heu­ti­gen Tag, Ra­dio­te­le­vi­zi­ja Sl­ove­ni­ja [Ruf­be­reit­schaft an ei­nem ab­ge­le­ge­nen Ort], C‑344/19, Rn. 23 und 24 so­wie die dort an­geführ­te Recht­spre­chung).

 

26

Nach die­ser Vor­be­mer­kung ist ers­tens dar­auf hin­zu­wei­sen, dass mit der Richt­li­nie 2003/88 Min­dest­vor­schrif­ten fest­ge­legt wer­den sol­len, um die Le­bens- und Ar­beits­be­din­gun­gen der Ar­beit­neh­mer durch ei­ne An­glei­chung na­ment­lich der in­ner­staat­li­chen Ar­beits­zeit­vor­schrif­ten zu ver­bes­sern. Die­se Har­mo­ni­sie­rung der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung auf der Ebe­ne der Eu­ropäischen Uni­on be­zweckt, durch die Gewährung von – u. a. tägli­chen und wöchent­li­chen – Min­destru­he­zei­ten und an­ge­mes­se­nen Ru­he­pau­sen so­wie durch die Fest­le­gung ei­ner Ober­gren­ze für die wöchent­li­che Ar­beits­zeit ei­nen bes­se­ren Schutz der Si­cher­heit und Ge­sund­heit der Ar­beit­neh­mer zu gewähr­leis­ten (Ur­teil vom heu­ti­gen Tag, Ra­dio­te­le­vi­zi­ja Sl­ove­ni­ja [Ruf­be­reit­schaft an ei­nem ab­ge­le­ge­nen Ort], C‑344/19, Rn. 25 und die dort an­geführ­te Recht­spre­chung).

 

27

Die ver­schie­de­nen Be­stim­mun­gen der Richt­li­nie 2003/88 über die Höchst­ar­beits­zeit und Min­destru­he­zei­ten sind so­mit be­son­ders wich­ti­ge Re­geln des So­zi­al­rechts der Uni­on, die je­dem Ar­beit­neh­mer zu­gu­te­kom­men müssen und de­ren Ein­hal­tung Erwägun­gen rein wirt­schaft­li­cher Art nicht un­ter­ge­ord­net wer­den darf (Ur­teil vom heu­ti­gen Tag, Ra­dio­te­le­vi­zi­ja Sl­ove­ni­ja [Ruf­be­reit­schaft an ei­nem ab­ge­le­ge­nen Ort], C‑344/19, Rn. 26 und die dort an­geführ­te Recht­spre­chung).

 

28

Darüber hin­aus kon­kre­ti­siert die Richt­li­nie 2003/88 da­durch, dass je­dem Ar­beit­neh­mer das Recht auf ei­ne Be­gren­zung der Höchst­ar­beits­zeit so­wie auf tägli­che und wöchent­li­che Ru­he­zei­ten zu­er­kannt wird, das aus­drück­lich in Art. 31 Abs. 2 der Char­ta der Grund­rech­te der Eu­ropäischen Uni­on ver­an­ker­te Grund­recht und ist da­her im Licht von Art. 31 Abs. 2 aus­zu­le­gen. Dar­aus folgt ins­be­son­de­re, dass die Be­stim­mun­gen der Richt­li­nie 2003/88 nicht zu­un­guns­ten der Rech­te, die sie dem Ar­beit­neh­mer gewährt, re­strik­tiv aus­ge­legt wer­den dürfen (Ur­teil vom heu­ti­gen Tag, Ra­dio­te­le­vi­zi­ja Sl­ove­ni­ja [Ruf­be­reit­schaft an ei­nem ab­ge­le­ge­nen Ort], C‑344/19, Rn. 27 und die dort an­geführ­te Recht­spre­chung).

 

29

Zwei­tens ist fest­zu­stel­len, dass der Be­griff „Ar­beits­zeit“ in Art. 2 Nr. 1 der Richt­li­nie 2003/88 de­fi­niert wird als je­de Zeit­span­ne, während der ein Ar­beit­neh­mer gemäß den ein­zel­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten und/oder Ge­pflo­gen­hei­ten ar­bei­tet, dem Ar­beit­ge­ber zur Verfügung steht und sei­ne Tätig­keit ausübt oder Auf­ga­ben wahr­nimmt. Nach Art. 2 Nr. 2 der Richt­li­nie be­zeich­net der Be­griff „Ru­he­zeit“ je­de Zeit­span­ne außer­halb der Ar­beits­zeit.

 

30

Dar­aus folgt, dass die­se bei­den Be­grif­fe, die in der Richt­li­nie 93/104/EG des Ra­tes vom 23. No­vem­ber 1993 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung (ABl. 1993, L 307, S. 18), an de­ren Stel­le die Richt­li­nie 2003/88 ge­tre­ten ist, in glei­cher Wei­se de­fi­niert wur­den, ein­an­der aus­sch­ließen. Die Be­reit­schafts­zeit ei­nes Ar­beit­neh­mers ist da­her für die Zwe­cke der An­wen­dung der Richt­li­nie 2003/88 ent­we­der als „Ar­beits­zeit“ oder als „Ru­he­zeit“ ein­zu­stu­fen, da die Richt­li­nie kei­ne Zwi­schen­ka­te­go­rie vor­sieht (Ur­teil vom heu­ti­gen Tag, Ra­dio­te­le­vi­zi­ja Sl­ove­ni­ja [Ruf­be­reit­schaft an ei­nem ab­ge­le­ge­nen Ort], C‑344/19, Rn. 29 und die dort an­geführ­te Recht­spre­chung).

 

31

Außer­dem sind die Be­grif­fe „Ar­beits­zeit“ und „Ru­he­zeit“ uni­ons­recht­li­che Be­grif­fe, die an­hand ob­jek­ti­ver Merk­ma­le un­ter Berück­sich­ti­gung des Re­ge­lungs­zu­sam­men­hangs und des Zwecks der Richt­li­nie 2003/88 zu be­stim­men sind. Denn nur ei­ne sol­che au­to­no­me Aus­le­gung ver­mag die vol­le Wirk­sam­keit der Richt­li­nie und ei­ne ein­heit­li­che An­wen­dung die­ser Be­grif­fe in sämt­li­chen Mit­glied­staa­ten si­cher­zu­stel­len (Ur­teil vom heu­ti­gen Tag, Ra­dio­te­le­vi­zi­ja Sl­ove­ni­ja [Ruf­be­reit­schaft an ei­nem ab­ge­le­ge­nen Ort], C‑344/19, Rn. 30 und die dort an­geführ­te Recht­spre­chung).

 

32

Da­her dürfen die Mit­glied­staa­ten trotz der Be­zug­nah­me auf die „ein­zel­staat­li­chen Rechts­vor­schrif­ten und/oder Ge­pflo­gen­hei­ten“ in Art. 2 der Richt­li­nie 2003/88 den In­halt der Be­grif­fe „Ar­beits­zeit“ und „Ru­he­zeit“ nicht uni­la­te­ral fest­le­gen, in­dem sie den An­spruch auf ord­nungs­gemäße Berück­sich­ti­gung der Ar­beits­zei­ten und dem­ent­spre­chend der Ru­he­zei­ten, der den Ar­beit­neh­mern durch die­se Richt­li­nie un­mit­tel­bar zu­er­kannt wird, ir­gend­wel­chen Be­din­gun­gen oder Be­schränkun­gen un­ter­wer­fen. Je­de an­de­re Aus­le­gung würde der Richt­li­nie 2003/88 ih­re prak­ti­sche Wirk­sam­keit neh­men und ih­rer Ziel­set­zung zu­wi­der­lau­fen (Ur­teil vom heu­ti­gen Tag, Ra­dio­te­le­vi­zi­ja Sl­ove­ni­ja [Ruf­be­reit­schaft an ei­nem ab­ge­le­ge­nen Ort], C‑344/19, Rn. 31 und die dort an­geführ­te Recht­spre­chung).

 

33

Drit­tens er­gibt sich spe­zi­ell in Be­zug auf Be­reit­schafts­zei­ten aus der Recht­spre­chung des Ge­richts­hofs, dass ei­ne Zeit­span­ne, in der ein Ar­beit­neh­mer tatsächlich kei­ne Tätig­keit für sei­nen Ar­beit­ge­ber ausübt, nicht zwangsläufig ei­ne „Ru­he­zeit“ für die Zwe­cke der An­wen­dung der Richt­li­nie 2003/88 dar­stellt.

 

34

So hat der Ge­richts­hof zum ei­nen in Be­zug auf Be­reit­schafts­zei­ten an Ar­beitsplätzen, die sich nicht in der Woh­nung des Ar­beit­neh­mers be­fan­den, fest­ge­stellt, dass es für das Vor­lie­gen der cha­rak­te­ris­ti­schen Merk­ma­le des Be­griffs „Ar­beits­zeit“ im Sin­ne der Richt­li­nie 2003/88 ent­schei­dend ist, dass der Ar­beit­neh­mer persönlich an dem vom Ar­beit­ge­ber be­stimm­ten Ort an­we­send sein und ihm zur Verfügung ste­hen muss, um ge­ge­be­nen­falls so­fort sei­ne Leis­tun­gen er­brin­gen zu können (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­tei­le vom 3. Ok­to­ber 2000, Si­map, C‑303/98, EU:C:2000:528, Rn. 48, vom 9. Sep­tem­ber 2003, Ja­e­ger, C‑151/02, EU:C:2003:437, Rn. 63, so­wie vom 1. De­zem­ber 2005, Del­las u. a., C‑14/04, EU:C:2005:728, Rn. 48).

 

35

In­so­weit ist klar­zu­stel­len, dass un­ter dem Ar­beits­platz je­der Ort zu ver­ste­hen ist, an dem der Ar­beit­neh­mer nach Wei­sung sei­nes Ar­beit­ge­bers ei­ne Tätig­keit aus­zuüben hat, auch wenn es sich nicht um den Ort han­delt, an dem er sei­ne be­ruf­li­che Tätig­keit gewöhn­lich ausübt.

 

36

Der Ge­richts­hof hat fest­ge­stellt, dass sich der Ar­beit­neh­mer, der während ei­ner sol­chen Be­reit­schafts­zeit ver­pflich­tet ist, zur so­for­ti­gen Verfügung sei­nes Ar­beit­ge­bers an sei­nem Ar­beits­platz zu blei­ben, außer­halb sei­nes fa­mi­liären und so­zia­len Um­felds auf­hal­ten muss und we­ni­ger frei über die Zeit verfügen kann, in der er nicht in An­spruch ge­nom­men wird. Folg­lich ist die­ser ge­sam­te Zeit­raum, un­abhängig von den Ar­beits­leis­tun­gen, die der Ar­beit­neh­mer dar­in tatsächlich er­bringt, als „Ar­beits­zeit“ im Sin­ne der Richt­li­nie 2003/88 ein­zu­stu­fen (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­tei­le vom 9. Sep­tem­ber 2003, Ja­e­ger, C‑151/02, EU:C:2003:437, Rn. 65, vom 5. Ok­to­ber 2004, Pfeif­fer u. a., C‑397/01 bis C‑403/01, EU:C:2004:584, Rn. 93, und vom 1. De­zem­ber 2005, Del­las u. a., C‑14/04, EU:C:2005:728, Rn. 46 und 58).

 

37

Zum an­de­ren hat der Ge­richts­hof ent­schie­den, dass ei­ne Be­reit­schafts­zeit in Form von Ruf­be­reit­schaft, auch wenn der Ar­beit­neh­mer während die­ser Zeit nicht an sei­nem Ar­beits­platz blei­ben muss, gleich­wohl ins­ge­samt als „Ar­beits­zeit“ im Sin­ne der Richt­li­nie 2003/88 ein­zu­stu­fen ist, so­fern sie sich an­ge­sichts der ob­jek­tiv vor­han­de­nen und ganz er­heb­li­chen Aus­wir­kun­gen der dem Ar­beit­neh­mer auf­er­leg­ten Ein­schränkun­gen auf sei­ne Möglich­kei­ten, sich sei­nen persönli­chen und so­zia­len In­ter­es­sen zu wid­men, von ei­nem Zeit­raum un­ter­schei­det, in dem der Ar­beit­neh­mer le­dig­lich für sei­nen Ar­beit­ge­ber er­reich­bar sein muss (vgl. in die­sem Sin­ne Ur­teil vom 21. Fe­bru­ar 2018, Matz­ak, C‑518/15, EU:C:2018:82, Rn. 63 bis 66).

 

38

Wie sich so­wohl aus den in den Rn. 34 bis 37 des vor­lie­gen­den Ur­teils an­geführ­ten Ge­sichts­punk­ten als auch aus dem in Rn. 28 des vor­lie­gen­den Ur­teils an­geführ­ten Er­for­der­nis, Art. 2 Nr. 1 der Richt­li­nie 2003/88 im Licht von Art. 31 Abs. 2 der Char­ta der Grund­rech­te aus­zu­le­gen, er­gibt, fal­len un­ter den Be­griff „Ar­beits­zeit“ im Sin­ne der Richt­li­nie 2003/88 sämt­li­che Be­reit­schafts­zei­ten ein­sch­ließlich Ruf­be­reit­schaf­ten, während de­ren dem Ar­beit­neh­mer Ein­schränkun­gen von sol­cher Art auf­er­legt wer­den, dass sie sei­ne Möglich­keit, während der Be­reit­schafts­zei­ten die Zeit, in der sei­ne be­ruf­li­chen Leis­tun­gen nicht in An­spruch ge­nom­men wer­den, frei zu ge­stal­ten und sie sei­nen ei­ge­nen In­ter­es­sen zu wid­men, ob­jek­tiv ge­se­hen ganz er­heb­lich be­ein­träch­ti­gen.

 

39

Um­ge­kehrt stellt, wenn die dem Ar­beit­neh­mer während ei­ner be­stimm­ten Be­reit­schafts­zeit auf­er­leg­ten Ein­schränkun­gen kei­nen sol­chen In­ten­sitäts­grad er­rei­chen und es ihm er­lau­ben, über sei­ne Zeit zu verfügen und sich oh­ne größere Ein­schränkun­gen sei­nen ei­ge­nen In­ter­es­sen zu wid­men, nur die Zeit, die auf die ge­ge­be­nen­falls während ei­nes sol­chen Zeit­raums tatsächlich er­brach­te Ar­beits­leis­tung entfällt, „Ar­beits­zeit“ für die Zwe­cke der An­wen­dung der Richt­li­nie 2003/88 dar (Ur­teil vom heu­ti­gen Tag, Ra­dio­te­le­vi­zi­ja Sl­ove­ni­ja [Ruf­be­reit­schaft an ei­nem ab­ge­le­ge­nen Ort], C‑344/19, Rn. 38 und die dort an­geführ­te Recht­spre­chung).

 

40

In­so­weit ist noch klar­zu­stel­len, dass bei der Be­ur­tei­lung, ob Be­reit­schafts­zeit „Ar­beits­zeit“ im Sin­ne der Richt­li­nie 2003/88 dar­stellt, nur Ein­schränkun­gen berück­sich­tigt wer­den können, die dem Ar­beit­neh­mer, sei es durch Rechts­vor­schrif­ten des be­tref­fen­den Mit­glied­staats, durch ei­nen Ta­rif­ver­trag oder durch sei­nen Ar­beit­ge­ber, ins­be­son­de­re auf­grund des Ar­beits­ver­trags, der Ar­beits­ord­nung oder des Be­reit­schafts­dienst­plans, auf­er­legt wer­den (Ur­teil vom heu­ti­gen Tag, Ra­dio­te­le­vi­zi­ja Sl­ove­ni­ja [Ruf­be­reit­schaft an ei­nem ab­ge­le­ge­nen Ort], C‑344/19, Rn. 39).

 

41

Or­ga­ni­sa­to­ri­sche Schwie­rig­kei­ten, die ei­ne Be­reit­schafts­zeit für den Ar­beit­neh­mer mit sich brin­gen kann und die sich nicht aus sol­chen Ein­schränkun­gen er­ge­ben, son­dern z. B. die Fol­ge natürli­cher Ge­ge­ben­hei­ten oder der frei­en Ent­schei­dung des Ar­beit­neh­mers sind, können da­ge­gen nicht berück­sich­tigt wer­den (Ur­teil vom heu­ti­gen Tag, Ra­dio­te­le­vi­zi­ja Sl­ove­ni­ja [Ruf­be­reit­schaft an ei­nem ab­ge­le­ge­nen Ort], C‑344/19, Rn. 40).

 

42

So stellt ins­be­son­de­re die große Ent­fer­nung zwi­schen dem vom Ar­beit­neh­mer frei gewähl­ten Wohn­ort und dem Ort, der für ihn während sei­ner Be­reit­schafts­zeit in­ner­halb ei­ner be­stimm­ten Frist er­reich­bar sein muss, für sich ge­nom­men kein re­le­van­tes Kri­te­ri­um für die Ein­stu­fung die­ser ge­sam­ten Zeit­span­ne als „Ar­beits­zeit“ im Sin­ne von Art. 2 Nr. 1 der Richt­li­nie 2003/88 dar; dies gilt zu­min­dest dann, wenn die­ser Ort sein gewöhn­li­cher Ar­beits­platz ist. In ei­nem sol­chen Fall war der Ar­beit­neh­mer nämlich un­ein­ge­schränkt in der La­ge, die Ent­fer­nung zwi­schen dem frag­li­chen Ort und sei­nem Wohn­ort ein­zuschätzen (Ur­teil vom heu­ti­gen Tag, Ra­dio­te­le­vi­zi­ja Sl­ove­ni­ja [Ruf­be­reit­schaft an ei­nem ab­ge­le­ge­nen Ort], C‑344/19, Rn. 41 und die dort an­geführ­te Recht­spre­chung).

 

43

Über­dies reicht, wenn der Ar­beits­platz die Woh­nung des Ar­beit­neh­mers ein­sch­ließt oder mit ihr iden­tisch ist, der bloße Um­stand, dass der Ar­beit­neh­mer während ei­ner vor­ge­ge­be­nen Be­reit­schafts­zeit an sei­nem Ar­beits­platz blei­ben muss, um dem Ar­beit­ge­ber er­for­der­li­chen­falls zur Verfügung ste­hen zu können, nicht aus, um die­sen Zeit­raum als „Ar­beits­zeit“ im Sin­ne der Richt­li­nie 2003/88 ein­zu­stu­fen (Ur­teil vom heu­ti­gen Tag, Ra­dio­te­le­vi­zi­ja Sl­ove­ni­ja [Ruf­be­reit­schaft an ei­nem ab­ge­le­ge­nen Ort], C‑344/19, Rn. 43 und die dort an­geführ­te Recht­spre­chung).

 

44

Kann we­gen des Feh­lens ei­ner Ver­pflich­tung, am Ar­beits­platz zu blei­ben, ei­ne Be­reit­schafts­zeit nicht au­to­ma­tisch als „Ar­beits­zeit“ im Sin­ne der Richt­li­nie 2003/88 ein­ge­stuft wer­den, ha­ben die na­tio­na­len Ge­rich­te noch zu prüfen, ob sich ei­ne sol­che Ein­stu­fung nicht doch aus den Kon­se­quen­zen er­gibt, die die ge­sam­ten dem Ar­beit­neh­mer auf­er­leg­ten Ein­schränkun­gen für sei­ne Möglich­keit ha­ben, während der Be­reit­schafts­zeit die Zeit, in der sei­ne be­ruf­li­chen Leis­tun­gen nicht in An­spruch ge­nom­men wer­den, frei zu ge­stal­ten und sich sei­nen ei­ge­nen In­ter­es­sen zu wid­men.

 

45

Hier­bei ist ins­be­son­de­re zu berück­sich­ti­gen, über wie­viel Zeit der Ar­beit­neh­mer während sei­nes Be­reit­schafts­diens­tes verfügt, um sei­ne be­ruf­li­chen Tätig­kei­ten ab dem Zeit­punkt der Auf­for­de­rung durch sei­nen Ar­beit­ge­ber auf­zu­neh­men, ge­ge­be­nen­falls in Ver­bin­dung mit der durch­schnitt­li­chen Häufig­keit der Einsätze, zu de­nen der Ar­beit­neh­mer während die­ses Zeit­raums tatsächlich her­an­ge­zo­gen wird (Ur­teil vom heu­ti­gen Tag, Ra­dio­te­le­vi­zi­ja Sl­ove­ni­ja [Ruf­be­reit­schaft an ei­nem ab­ge­le­ge­nen Ort], C‑344/19, Rn. 46).

 

46

Ers­tens müssen so­mit, wie der Ge­ne­ral­an­walt in den Nrn. 89 bis 91 sei­ner Schluss­anträge im We­sent­li­chen aus­geführt hat, die na­tio­na­len Ge­rich­te die Kon­se­quen­zen berück­sich­ti­gen, die sich aus der Kürze der Frist, in­ner­halb de­ren der Ar­beit­neh­mer im Ein­satz­fall die Ar­beit auf­zu­neh­men hat, wo­zu er sich in der Re­gel an sei­nen Ar­beits­platz be­ge­ben muss, für sei­ne Möglich­keit er­ge­ben, sei­ne Zeit frei zu ge­stal­ten.

 

47

In­so­weit ist her­vor­zu­he­ben, dass ei­ne Be­reit­schafts­zeit, in der ein Ar­beit­neh­mer in An­be­tracht der ihm ein­geräum­ten sach­ge­rech­ten Frist für die Wie­der­auf­nah­me sei­ner be­ruf­li­chen Tätig­kei­ten sei­ne persönli­chen und so­zia­len Ak­ti­vitäten pla­nen kann, a prio­ri kei­ne „Ar­beits­zeit“ im Sin­ne der Richt­li­nie 2003/88 ist. Um­ge­kehrt ist ei­ne Be­reit­schafts­zeit, in der die dem Ar­beit­neh­mer auf­er­leg­te Frist für die Auf­nah­me sei­ner Ar­beit nur we­ni­ge Mi­nu­ten beträgt, grundsätz­lich in vol­lem Um­fang als „Ar­beits­zeit“ im Sin­ne der Richt­li­nie an­zu­se­hen, da der Ar­beit­neh­mer in die­sem Fall in der Pra­xis weit­ge­hend da­von ab­ge­hal­ten wird, ir­gend­ei­ne auch nur kurz­zei­ti­ge Frei­zeit­ak­ti­vität zu pla­nen (Ur­teil vom heu­ti­gen Tag, Ra­dio­te­le­vi­zi­ja Sl­ove­ni­ja [Ruf­be­reit­schaft an ei­nem ab­ge­le­ge­nen Ort], C‑344/19, Rn. 48).

 

48

Gleich­wohl ist die Aus­wir­kung ei­ner sol­chen Re­ak­ti­ons­frist im An­schluss an ei­ne kon­kre­te Würdi­gung zu be­ur­tei­len, bei der ge­ge­be­nen­falls die übri­gen dem Ar­beit­neh­mer auf­er­leg­ten Ein­schränkun­gen so­wie die ihm während sei­ner Be­reit­schafts­zeit gewähr­ten Er­leich­te­run­gen zu berück­sich­ti­gen sind (Ur­teil vom heu­ti­gen Tag, Ra­dio­te­le­vi­zi­ja Sl­ove­ni­ja [Ruf­be­reit­schaft an ei­nem ab­ge­le­ge­nen Ort], C‑344/19, Rn. 49).

 

49

Bei den Ein­schränkun­gen im Zu­sam­men­hang mit die­ser Re­ak­ti­ons­frist ist u. a. von Be­deu­tung, dass der Ar­beit­neh­mer in sei­ner Be­we­gungs­frei­heit ein­ge­schränkt ist, weil er we­gen der mögli­chen In­an­spruch­nah­me durch sei­nen Ar­beit­ge­ber zu Hau­se blei­ben muss, oder dass er ei­ne spe­zi­el­le Ausrüstung mitführen muss, wenn er sich nach ei­nem An­ruf an sei­nem Ar­beits­platz ein­zu­fin­den hat. Des­glei­chen ist im Rah­men der dem Ar­beit­neh­mer gewähr­ten Er­leich­te­run­gen von Be­deu­tung, ob ihm ein Dienst­fahr­zeug zur Verfügung ge­stellt wird, mit dem Son­der­rech­te ge­genüber der Straßen­ver­kehrs­ord­nung und We­ge­rech­te in An­spruch ge­nom­men wer­den können, oder ob er die Möglich­keit hat, der In­an­spruch­nah­me durch sei­nen Ar­beit­ge­ber oh­ne Orts­verände­rung nach­zu­kom­men.

 

50

Zwei­tens muss ne­ben der Frist, über die der Ar­beit­neh­mer verfügt, um sei­ne be­ruf­li­che Tätig­keit auf­zu­neh­men, von den na­tio­na­len Ge­rich­ten berück­sich­tigt wer­den, wie oft er im Durch­schnitt während sei­ner Be­reit­schafts­zei­ten nor­ma­ler­wei­se tatsächlich Leis­tun­gen zu er­brin­gen hat, wenn in­so­weit ei­ne ob­jek­ti­ve Schätzung möglich ist (Ur­teil vom heu­ti­gen Tag, Ra­dio­te­le­vi­zi­ja Sl­ove­ni­ja [Ruf­be­reit­schaft an ei­nem ab­ge­le­ge­nen Ort], C‑344/19, Rn. 51).

 

51

Ein Ar­beit­neh­mer, der während ei­ner Be­reit­schafts­zeit im Durch­schnitt zahl­rei­che Einsätze zu leis­ten hat, verfügt nämlich über ei­nen ge­rin­ge­ren Spiel­raum, um sei­ne Zeit während der Pe­ri­oden der In­ak­ti­vität frei zu ge­stal­ten, weil die­se häufig un­ter­bro­chen wer­den. Dies gilt um­so mehr, wenn die Einsätze, die dem Ar­beit­neh­mer während sei­ner Be­reit­schafts­zeit nor­ma­ler­wei­se ab­ver­langt wer­den, von nicht un­er­heb­li­cher Dau­er sind (Ur­teil vom heu­ti­gen Tag, Ra­dio­te­le­vi­zi­ja Sl­ove­ni­ja [Ruf­be­reit­schaft an ei­nem ab­ge­le­ge­nen Ort], C‑344/19, Rn. 52).

 

52

Folg­lich han­delt es sich, wenn der Ar­beit­neh­mer während sei­ner Be­reit­schafts­zei­ten im Durch­schnitt häufig zur Er­brin­gung von Leis­tun­gen her­an­ge­zo­gen wird und die­se Leis­tun­gen in der Re­gel nicht von kur­zer Dau­er sind, bei den Be­reit­schafts­zei­ten grundsätz­lich ins­ge­samt um „Ar­beits­zeit“ im Sin­ne der Richt­li­nie 2003/88 (Ur­teil vom heu­ti­gen Tag, Ra­dio­te­le­vi­zi­ja Sl­ove­ni­ja [Ruf­be­reit­schaft an ei­nem ab­ge­le­ge­nen Ort], C‑344/19, Rn. 53).

 

53

Der Um­stand, dass der Ar­beit­neh­mer während sei­ner Be­reit­schafts­zei­ten im Durch­schnitt nur sel­ten in An­spruch ge­nom­men wird, kann je­doch nicht da­zu führen, dass sie als „Ru­he­zei­ten“ im Sin­ne von Art. 2 Nr. 2 der Richt­li­nie 2003/88 an­zu­se­hen sind, wenn die dem Ar­beit­neh­mer für die Auf­nah­me sei­ner be­ruf­li­chen Tätig­keit auf­er­leg­te Frist hin­rei­chen­de Aus­wir­kun­gen hat, um sei­ne Möglich­keit zur frei­en Ge­stal­tung der Zeit, in der während der Be­reit­schafts­zei­ten sei­ne be­ruf­li­chen Leis­tun­gen nicht in An­spruch ge­nom­men wer­den, ob­jek­tiv ge­se­hen ganz er­heb­lich ein­zu­schränken (Ur­teil vom heu­ti­gen Tag, Ra­dio­te­le­vi­zi­ja Sl­ove­ni­ja [Ruf­be­reit­schaft an ei­nem ab­ge­le­ge­nen Ort], C‑344/19, Rn. 54).

 

54

Im vor­lie­gen­den Fall ist dar­auf hin­zu­wei­sen, dass RJ nach den An­ga­ben in der Vor­la­ge­ent­schei­dung während der im Aus­gangs­ver­fah­ren in Re­de ste­hen­den Be­reit­schafts­zei­ten in Form von Ruf­be­reit­schaft sei­nen Auf­ent­halts­ort frei wählen kann, aber in der La­ge sein muss, in Ein­satz­klei­dung mit dem ihm von sei­nem Ar­beit­ge­ber zur Verfügung ge­stell­ten Ein­satz­fahr­zeug un­ter In­an­spruch­nah­me von Son­der­rech­ten ge­genüber der Straßen­ver­kehrs­ord­nung und von We­ge­rech­ten in­ner­halb von 20 Mi­nu­ten die Stadt­gren­ze von Of­fen­bach am Main zu er­rei­chen. Wie in Rn. 13 des vor­lie­gen­den Ur­teils aus­geführt, er­gibt sich aus der Vor­la­ge­ent­schei­dung nicht, dass es während die­ser Be­reit­schafts­zei­ten im Durch­schnitt häufig zu Einsätzen des Ar­beit­neh­mers ge­kom­men wäre. Fer­ner ist für sich ge­nom­men nicht re­le­vant, ob der Wohn­ort von RJ weit von der Stadt­gren­ze von Of­fen­bach am Main, sei­nem gewöhn­li­chen Ar­beits­ort, ent­fernt ist.

 

55

Es ist je­doch Sa­che des vor­le­gen­den Ge­richts, un­ter Berück­sich­ti­gung sämt­li­cher Umstände des Ein­zel­falls zu be­ur­tei­len, ob RJ während sei­ner Be­reit­schafts­zei­ten in Form von Ruf­be­reit­schaft so großen Ein­schränkun­gen un­ter­wor­fen ist, dass sie sei­ne Möglich­keit, die Zeit, in der während der Be­reit­schafts­zei­ten sei­ne be­ruf­li­chen Leis­tun­gen nicht in An­spruch ge­nom­men wer­den, frei zu ge­stal­ten und sie sei­nen ei­ge­nen In­ter­es­sen zu wid­men, ob­jek­tiv ge­se­hen ganz er­heb­lich be­ein­träch­ti­gen.

 

56

Vier­tens ist dar­auf hin­zu­wei­sen, dass sich die Richt­li­nie 2003/88 mit Aus­nah­me des in ih­rem Art. 7 Abs. 1 ge­re­gel­ten Son­der­falls des be­zahl­ten Jah­res­ur­laubs dar­auf be­schränkt, be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung zu re­geln, um den Schutz der Si­cher­heit und der Ge­sund­heit der Ar­beit­neh­mer zu gewähr­leis­ten, so dass sie grundsätz­lich kei­ne An­wen­dung auf die Vergütung der Ar­beit­neh­mer fin­det (Ur­teil vom heu­ti­gen Tag, Ra­dio­te­le­vi­zi­ja Sl­ove­ni­ja [Ruf­be­reit­schaft an ei­nem ab­ge­le­ge­nen Ort], C‑344/19, Rn. 57).

 

57

Die Art und Wei­se der Vergütung von Ar­beit­neh­mern für Be­reit­schafts­zei­ten un­ter­liegt so­mit nicht der Richt­li­nie 2003/88, son­dern den ein­schlägi­gen Vor­schrif­ten des in­ner­staat­li­chen Rechts. Die Richt­li­nie steht da­her der An­wen­dung von Rechts­vor­schrif­ten ei­nes Mit­glied­staats, ei­nes Ta­rif­ver­trags oder ei­ner Ent­schei­dung des Ar­beit­ge­bers nicht ent­ge­gen, wo­nach bei der Vergütung ei­nes Be­reit­schafts­diens­tes Zei­ten, in de­nen tatsächlich Ar­beits­leis­tun­gen er­bracht wer­den, und Zei­ten, in de­nen kei­ne tatsächli­che Ar­beit ge­leis­tet wird, in un­ter­schied­li­cher Wei­se berück­sich­tigt wer­den, selbst wenn die­se Zei­ten ins­ge­samt als „Ar­beits­zeit“ für die Zwe­cke der An­wen­dung die­ser Richt­li­nie an­zu­se­hen sind (Ur­teil vom heu­ti­gen Tag, Ra­dio­te­le­vi­zi­ja Sl­ove­ni­ja [Ruf­be­reit­schaft an ei­nem ab­ge­le­ge­nen Ort], C‑344/19, Rn. 58 und die dort an­geführ­te Recht­spre­chung).

 

58

Eben­so we­nig steht die Richt­li­nie 2003/88 Rechts­vor­schrif­ten, Ta­rif­verträgen oder Ent­schei­dun­gen des Ar­beit­ge­bers ent­ge­gen, wo­nach im Fall von Be­reit­schafts­zei­ten, die für die Zwe­cke der An­wen­dung die­ser Richt­li­nie in vol­lem Um­fang nicht un­ter den Be­griff „Ar­beits­zeit“ fal­len, gleich­wohl vor­ge­se­hen ist, dass der be­tref­fen­de Ar­beit­neh­mer zum Aus­gleich der Un­an­nehm­lich­kei­ten, die ihm durch die Be­reit­schafts­zei­ten bei der Ge­stal­tung sei­ner Zeit und der Ver­fol­gung sei­ner pri­va­ten In­ter­es­sen ent­ste­hen, ei­nen be­stimm­ten Be­trag erhält (Ur­teil vom heu­ti­gen Tag, Ra­dio­te­le­vi­zi­ja Sl­ove­ni­ja [Ruf­be­reit­schaft an ei­nem ab­ge­le­ge­nen Ort], C‑344/19, Rn. 59).

 

59

Fünf­tens schließlich er­gibt sich aus Rn. 30 des vor­lie­gen­den Ur­teils, dass Be­reit­schafts­zei­ten, die die Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne Ein­stu­fung als „Ar­beits­zeit“ im Sin­ne von Art. 2 Nr. 1 der Richt­li­nie 2003/88 nicht erfüllen, als „Ru­he­zei­ten“ im Sin­ne von Art. 2 Nr. 2 der Richt­li­nie an­zu­se­hen und als sol­che in die Be­rech­nung der in ih­ren Art. 3 und 5 vor­ge­se­he­nen tägli­chen und wöchent­li­chen Min­destru­he­zei­ten ein­zu­be­zie­hen sind, mit Aus­nah­me der Zeit, die auf die während sol­cher Zeiträume tatsächlich er­brach­te Ar­beits­leis­tung entfällt.

 

60

Fest­zu­stel­len ist al­ler­dings, dass die Ein­stu­fung von Be­reit­schafts­zeit als „Ru­he­zeit“ für die Zwe­cke der An­wen­dung der Richt­li­nie 2003/88 die be­son­de­ren Pflich­ten un­berührt lässt, die den Ar­beit­ge­bern nach den Art. 5 und 6 der Richt­li­nie 89/391 in Be­zug auf die Si­cher­heit und den Ge­sund­heits­schutz ih­rer Ar­beit­neh­mer ob­lie­gen. Folg­lich dürfen die Ar­beit­ge­ber kei­ne Be­reit­schafts­zei­ten einführen, die so lang oder so häufig sind, dass sie ei­ne Ge­fahr für die Si­cher­heit oder die Ge­sund­heit des Ar­beit­neh­mers dar­stel­len, un­abhängig da­von, ob sie als „Ru­he­zei­ten“ im Sin­ne von Art. 2 Nr. 2 der Richt­li­nie 2003/88 ein­zu­stu­fen sind. Es ist Sa­che der Mit­glied­staa­ten, in ih­rem in­ner­staat­li­chen Recht die Mo­da­litäten für die Um­set­zung die­ser Ver­pflich­tung fest­zu­le­gen (vgl. in­so­weit Ur­teil vom heu­ti­gen Tag, Ra­dio­te­le­vi­zi­ja Sl­ove­ni­ja [Ruf­be­reit­schaft an ei­nem ab­ge­le­ge­nen Ort], C‑344/19, Rn. 61 bis 65 und die dort an­geführ­te Recht­spre­chung).

 

61

Nach al­le­dem ist auf die Vor­la­ge­fra­gen zu ant­wor­ten, dass Art. 2 Nr. 1 der Richt­li­nie 2003/88 da­hin aus­zu­le­gen ist, dass Be­reit­schafts­zeit in Form von Ruf­be­reit­schaft, während der ein Ar­beit­neh­mer in der La­ge sein muss, in­ner­halb von 20 Mi­nu­ten in Ein­satz­klei­dung mit dem ihm von sei­nem Ar­beit­ge­ber zur Verfügung ge­stell­ten Ein­satz­fahr­zeug un­ter In­an­spruch­nah­me der für die­ses Fahr­zeug gel­ten­den Son­der­rech­te ge­genüber der Straßen­ver­kehrs­ord­nung und We­ge­rech­te die Stadt­gren­ze sei­ner Dienst­stel­le zu er­rei­chen, nur dann in vol­lem Um­fang „Ar­beits­zeit“ im Sin­ne die­ser Be­stim­mung dar­stellt, wenn ei­ne Ge­samt­be­ur­tei­lung al­ler Umstände des Ein­zel­falls, zu de­nen die Fol­gen ei­ner sol­chen Zeit­vor­ga­be und ge­ge­be­nen­falls die durch­schnitt­li­che Häufig­keit von Einsätzen während der Be­reit­schafts­zeit gehören, er­gibt, dass die dem Ar­beit­neh­mer während der Be­reit­schafts­zeit auf­er­leg­ten Ein­schränkun­gen von sol­cher Art sind, dass sie sei­ne Möglich­keit, dann die Zeit, in der sei­ne be­ruf­li­chen Leis­tun­gen nicht in An­spruch ge­nom­men wer­den, frei zu ge­stal­ten und sie sei­nen ei­ge­nen In­ter­es­sen zu wid­men, ob­jek­tiv ge­se­hen ganz er­heb­lich be­ein­träch­ti­gen.

 

Kos­ten

62

Für die Par­tei­en des Aus­gangs­ver­fah­rens ist das Ver­fah­ren ein Zwi­schen­streit in dem beim vor­le­gen­den Ge­richt anhängi­gen Rechts­streit; die Kos­ten­ent­schei­dung ist da­her Sa­che die­ses Ge­richts. Die Aus­la­gen an­de­rer Be­tei­lig­ter für die Ab­ga­be von Erklärun­gen vor dem Ge­richts­hof sind nicht er­stat­tungsfähig.

 

Aus die­sen Gründen hat der Ge­richts­hof (Große Kam­mer) für Recht er­kannt:

 

Art. 2 Nr. 1 der Richt­li­nie 2003/88/EG des Eu­ropäischen Par­la­ments und des Ra­tes vom 4. No­vem­ber 2003 über be­stimm­te As­pek­te der Ar­beits­zeit­ge­stal­tung ist da­hin aus­zu­le­gen, dass Be­reit­schafts­zeit in Form von Ruf­be­reit­schaft, während der ein Ar­beit­neh­mer in der La­ge sein muss, in­ner­halb von 20 Mi­nu­ten in Ein­satz­klei­dung mit dem ihm von sei­nem Ar­beit­ge­ber zur Verfügung ge­stell­ten Ein­satz­fahr­zeug un­ter In­an­spruch­nah­me der für die­ses Fahr­zeug gel­ten­den Son­der­rech­te ge­genüber der Straßen­ver­kehrs­ord­nung und We­ge­rech­te die Stadt­gren­ze sei­ner Dienst­stel­le zu er­rei­chen, nur dann in vol­lem Um­fang „Ar­beits­zeit“ im Sin­ne die­ser Be­stim­mung dar­stellt, wenn ei­ne Ge­samt­be­ur­tei­lung al­ler Umstände des Ein­zel­falls, zu de­nen die Fol­gen ei­ner sol­chen Zeit­vor­ga­be und ge­ge­be­nen­falls die durch­schnitt­li­che Häufig­keit von Einsätzen während der Be­reit­schafts­zeit gehören, er­gibt, dass die dem Ar­beit­neh­mer während der Be­reit­schafts­zeit auf­er­leg­ten Ein­schränkun­gen von sol­cher Art sind, dass sie sei­ne Möglich­kei­ten, dann die Zeit, in der sei­ne be­ruf­li­chen Leis­tun­gen nicht in An­spruch ge­nom­men wer­den, frei zu ge­stal­ten und sie sei­nen ei­ge­nen In­ter­es­sen zu wid­men, ob­jek­tiv ge­se­hen ganz er­heb­lich be­ein­träch­ti­gen.

 

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